Heinz-Ulrich Nennen | www.nennen-online.de

ZeitGeister | Philosophische Praxis

Akademie für Philosophische Psychologie

Heinz–Ulrich Nennen

Gespräche und Begegnungen

Per­sön­li­che Über­zeu­gun­gen set­zen sich zusam­men aus einer Viel­falt von Moti­ven aus den unter­schied­lich­sten Sek­to­ren, die wir oft nur zum Teil selbst über­prüft haben. Vie­les davon ist nicht selbst erdacht, son­dern nur übernommen.

Im Zwei­fels­fall, also immer dann, wenn man es wirk­lich genau wis­sen will, stellt sich die Fra­ge, wie sicher, wie ent­schei­dend, wie bela­stungs­fä­hig sind unse­re Vor­an­nah­men und Vor­stel­lun­gen wirk­lich? Das­sel­be gilt für Lebens­er­eig­nis­se, die zu ver­ste­hen natur­ge­mäß schwer fal­len kann.

Die Kunst der phi­lo­so­phi­schen Pra­xis besteht dar­in, jedes Gesamt­ur­teil zunächst wie­der auf­zu­lö­sen in die ein­zel­nen Bestand­tei­le, aus denen es zusam­men gesetzt ist. Viel­leicht ergibt sich schluß­end­lich, daß, was gedacht wur­de, schon sehr ange­mes­sen gewe­sen sein dürf­te, viel­leicht ergibt sich aber auch eine völ­lig neue Sicht der Dinge.

Es gilt, das eige­ne Urteils­ver­mö­gen noch­mals selbst zu beur­tei­len, denn Wis­sen allein genügt nicht. Es könn­te sich schließ­lich auch nur um gefühl­tes Über­zeugt­sein han­deln, also um etwas, das nur wie eine kon­se­quen­te Den­kungs­art erscheint. — Wenn etwas unbe­dingt gel­ten soll, dann muß es sich auch bewäh­ren kön­nen. Also soll­te es mög­lich sein, das eige­ne Wis­sen zu wis­sen, sich des eige­nen Bewußt­seins noch­mals bewußt zu wer­den und auch dem eige­ne Füh­len noch ein­mal nach­zu­füh­len. Alle­dem dient der Dia­log in der phi­lo­so­phi­schen Praxis.

Ent­schei­dend ist nicht das Ergeb­nis eines Gedan­ken­gangs. Viel wich­ti­ger ist es, auf wel­che Wei­se das eige­ne Den­ken zustan­de kommt. Daher ist es so wich­tig, auch das, was noch so selbst­ver­ständ­lich erscheint, zur Dis­po­si­ti­on zu stel­len, denn wenn es etwas Bewähr­tes und wirk­lich ver­läß­lich ist, dann wird es sich auch in einer Bewäh­rungs­pro­be erneut als ver­läß­lich erwei­sen. — Wir soll­ten also genau­er in Augen­schein neh­men, was wir wirk­lich wis­sen, was wir wis­sen müß­ten und was wir womög­lich gar nicht wis­sen kön­nen. So wird die Qua­li­tät aber auch die Begrenzt­heit des eige­nen Urteils­ver­mö­gens genau­er bewußt.

Phi­lo­so­phie ist inso­fern stets eine Fra­ge nach den Gren­zen des­sen, was sich sagen läßt. Die Fra­ge ist dabei immer, wie viel vom Gan­zen haben wir eigent­lich wirk­lich sicher im Blick? — Phi­lo­so­phie­ren bedeu­tet, ein fei­nes Gespür dafür zu ent­wickeln, wie weit ein­zel­ne Aus­sa­gen jeweils tra­gen, wann ein Wort sei­ne Bedeu­tung zu ver­lie­ren beginnt, wann irgend etwas an einer Aus­sa­gen nicht mehr zutref­fend sein kann…

Um zu ver­ste­hen, müs­sen wie erst ein­mal den Dia­log eröff­nen. Das gelingt am ehe­sten durch den gemein­sa­men Ver­such, sich gemein­sam anhand per­sön­li­cher Nar­ra­ti­ve tie­fe­re Ein­blicke zu eröff­nen. Die­ses Son­die­ren ver­langt einen hohen Grad an Fle­xi­bi­li­tät, man­che unse­rer ver­meint­li­chen Beweg­grün­de sind näm­lich oft nur vor­der­grün­dig. Daher ist es wich­tig, was sich eigent­lich hin­ter unse­ren Kulis­sen abspielt.

Cas­par David Fried­rich: Auf dem Seg­ler (1818f).

Um ins Ver­ste­hen zu gelan­gen, arbei­ten wir inten­siv mit Sym­bo­le und Alle­go­rien aus Mythen und Mär­chen, ins­be­son­de­re mit­hil­fe von Idea­len, wie sie die Göt­ter ver­kör­pern. Dahin­ter ver­birgt sich man­ches, was unse­rem Den­ken in abstrak­ten Begrif­fen wie­der mehr Inhalt, mehr Leben, Geist und Gefühl ver­mit­teln kann. — Phi­lo­so­phie ist weit mehr als trocke­ne Theo­rie, eis­kal­te Metho­de oder rhe­to­ri­sche Spie­gel­fech­te­rei. Phi­lo­so­phie hat eine Pra­xis, die sich selbst oft ganz anders dar­stellt, die nicht nur unter­halt­sam, son­dern auch erhel­lend und erhei­ternd sein kann. — Das Lachen ist schließ­lich ein immer wie­der­keh­ren­der Topos in der Philosophie.

Es gilt, mit der Spra­che bis zu den Gren­zen des bis­her Sag­ba­ren vor­zu­drin­gen. Dort sind die Quel­len für ein neu­es Selbst­ver­ständ­nis, für tie­fe­res Ver­ste­hen und neue Lebens­kon­zep­te, so daß sich wie­der neu­es Ver­trau­en und Selbst­ver­trau­en moti­vie­ren und fin­den läßt. Daher ist Inspi­ra­ti­on so wesent­lich. Es gilt, neue Ein­drücke, Gedan­ken und Gefüh­le zur Spra­che zu brin­gen, um neu­en Ein­drücken eben­so wie Gefüh­len mehr Raum zuzugestehen.

Phi­lo­so­phie ist nicht nur Theo­rie son­dern auch Pra­xis, geleb­te Pra­xis. Sie setzt daher eine gei­sti­ge Mobi­li­tät vor­aus, die dar­auf aus ist, stän­dig die Per­spek­ti­ve zu wech­seln, um dabei auch die eige­ne Posi­ti­on, also sich selbst zu riskieren.

Honorar

Ein erstes Vor­ge­spräch von 30 Minu­ten ist honorarfrei.

  • 60 Minu­ten 75€
  • 90 Minu­ten 100€
  • 120 Minu­ten 125€

Arrangements

Gesprä­che sind online mög­lich via 

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Persönliche Begegnungen

Tref­fen sind im Mün­ster­land möglich.

Etwa beim Mit­tag­essen im Gast­haus Stuhl­ma­cher am Prinzipalmarkt:

Beim Kaf­fee im Lux im Lan­des­mu­se­um Münster:

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Beim Essen im Ristor­an­te Il DiVi­no mit Blick auf den Aase:

Oder an einem ande­ren geneh­men Ort. 

Kon­takt per Email: heinz-ulrich.nennen@t‑online.de


Vom Erkennen zum Handeln

Theorie und Praxis

Der Über­gang vom Erken­nen zum Han­deln geht immer mit einem Ver­lust an kri­ti­scher Offen­heit ein­her. Beim Han­deln ist es näm­lich nicht för­der­lich, jetzt noch fun­da­men­ta­le Zwei­fel gel­tend zu machen. — Wer zu han­deln beginnt, wech­selt von der Theo­rie zur Pra­xis und ist dann nicht mehr unbeteiligt. 

Es geht jetzt weni­ger ums Ver­ste­hen, son­dern um ein Han­deln mit Absich­ten und Zie­len. Daher ist gene­rel­le Kri­tik nicht mehr ange­bracht, denn das wür­de in Wider­sprü­che füh­ren. — Zau­dern ist daher ein Zei­chen, daß wir uns unse­rer Sache noch nicht sicher sind. 

Wil­liam-Adol­phe Bouguereau:
Inspi­ra­ti­on (1898).

Ent­schei­dend ist ein Wech­sel der Per­spek­ti­ven. Der vor­mals noch unbe­tei­lig­te Zuschau­er muß sei­ne vor­ma­li­ge Posi­ti­on auf­ge­ben, um ins Gesche­hen ein­grei­fen zu kön­nen. Aber dann ist es kaum mehr mög­lich, zugleich das gan­ze Gesche­hen wei­ter kri­tisch zu betrach­ten. — Aber es geht auch nicht mehr um Erken­nen und Ver­ste­hen. Beim Han­deln set­zen wir ande­re Schwer­punk­te, denn wir sind dann auf Gelin­gen aus. 

Wir sind dann in einem Pro­zeß, den wir selbst ange­sto­ßen haben. Dann kommt es weni­ger dar­auf an, was wir gedacht, erahnt oder befürch­tet haben, son­dern was ist und wer­den soll. — Im Unter­schied zum Erken­nen, setzt das Han­deln ganz eige­ne Prä­fe­ren­zen. Dar­auf soll­te sich gera­de auch die Selbst­kri­tik ein­stel­len, denn jetzt kann Kri­tik stär­ken oder auch schwächen. 

Die Initia­ti­ve, der erste Schritt ist stets ein beson­de­res Ereig­nis. Infol­ge­des­sen kommt es zur Palast­re­vo­lu­ti­on im eige­nen Selbst. Die Auf­merk­sam­keit muß eine ande­re wer­den, weil jetzt die eige­ne Pra­xis auf dem Spiel steht. — Fort­an spielt sich unse­re Wirk­lich­keit nicht mehr allein in der Vor­stel­lung ab, son­dern in der Welt. Han­deln ist eine Welt für sich, daher zäh­len vor allem prak­ti­sche Perspektiven.

Dann erle­ben wir uns von unge­wohn­ter Sei­te. Sich selbst dabei bei­zu­ste­hen, ist wesent­lich. — Das Selbst hat die Auf­ga­be, die unter­schied­li­chen Per­spek­ti­ven unse­res Bewußt­seins immer wie­der neu zu orga­ni­sie­ren. Sobald wir zum Han­deln über­ge­hen, müs­sen wir uns ver­ge­wis­sern kön­nen, wor­auf es eigent­lich ankom­men soll.

Auf­merk­sam­keit muß ange­mes­sen sein. Der­weil ist die Pra­xis erfüllt von einem beson­de­ren Augen­merk für ent­schei­den­de Momen­te. Dazu gehö­ren Erfah­rung, Urteils­fä­hig­keit und vor allem Inspiration.


Philosophischer Salon: Die sieben Todsünden. Zur Aktualität eines alten Konzepts.

Philosophie und Kunst

Die­ser Phi­lo­so­phi­sche Salon unter dem Titel „Schat­ten­blick und Licht­mo­men­te“, fand am 26. August 2023, in der Vil­la Kamp­schul­te in Essen statt.

Prof. Dr. Heinz-Ulrich Nen­nen erläu­ter­te dar­in die über­ra­schen­de Aktua­li­tät des alten Kon­zepts der Tod­sün­den, das weit mehr ist als eine rei­ne Glau­bens­sa­che. Dahin­ter ste­hen viel­mehr ganz ent­schei­den­de kol­lek­ti­ve Erfah­run­gen aus der gesam­ten Menschheitsgeschichte. 

Video via Youtube

Phi­lo­so­phi­scher Salon: Die sie­ben Tod­sün­den. Zur Aktua­li­tät eines alten Kon­zepts. – Video via Youtube

Ein Konzept kollektiver Erfahrungen 

Unse­re Vor­fah­ren haben vie­le die­ser Feh­ler began­gen und die Mythen berich­ten uns dar­über, wie es sich zuge­tra­gen hat. Man muß nur zu lesen und zu deu­ten ver­ste­hen, was sie uns mit­zu­tei­len haben. – Die Kir­che hat das Gan­ze nur auf­ge­grif­fen und für ihre Zwecke umgewidmet. 

Greift man die­ses Kon­zept nun phi­lo­so­phisch auf, so läßt es sich aktua­li­sie­ren und auf die Ori­en­tie­rungs­lo­sig­keit in der Gegen­wart über­tra­gen. – Das Fazit dürf­te aller­dings über­ra­schen: Der Kern aller Tod­sün­den ist immer der­sel­be: Ein­zel­ne stel­len sich mit ihren Über­zeu­gun­gen und Inter­es­sen über alles und genau das wird der Kri­tik unterzogen. 

Es geht immer­zu um “Hybris”, um die Anma­ßung gött­li­cher Wür­den und Kom­pe­ten­zen, wie ins­be­son­de­re All­wis­sen­heit und All­macht. – Die­ses Fazit wird in wei­te­ren Ver­an­stal­tun­gen und in einem dem­nächst erschei­nen­den Buch näher erläutert. 

Es soll vor allem auch im Rah­men wei­te­rer Phi­lo­so­phi­scher Salons, ins­be­son­de­re in Kir­chen debat­tiert werden.

Prof. Dr. Heinz-Ulrich Nen­nen ist Hoch­schul­leh­rer in Karls­ru­he und betreibt eine Phi­lo­so­phi­sche Pra­xis in Münster. 

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Phi­lo­so­phi­scher Salon: Die sie­ben Tod­sün­den. Zur Aktua­li­tät eines Kon­zepts. – Video via Youtube

Die Hände erschaffen das Gesicht

Der Satz fällt in einer Lebens­beich­te, die alles ande­re als gut ausgeht:

Von einem bestimm­ten Alter an ist jeder Mensch für sein Gesicht ver­ant­wort­lich. (Albert Camus: Der Fall. Ham­burg 1968. S. 18.)

Wie einer der mythi­schen Gerichts­göt­ter, so ver­steht sich auch der fran­zö­si­sche Phi­lo­soph Albert Camus auf Fra­gen, wie sie in Alp­träu­men schon immer befürch­tet wur­den: Schluß­end­lich kommt doch alles an Licht.

Ent­schei­dend ist der Cha­rak­ter unse­rer Hand­lun­gen, wie sie aus der Per­spek­ti­ve des eige­nen Gewis­sens beob­ach­tet wor­den sind. Und das, was man bis­lang glaub­te, sich selbst und ande­ren vor­ma­chen zu dür­fen, zählt plötz­lich nicht mehr.

Wer hät­te gedacht, daß unse­re Hän­de weit mehr sind, als nur aus­füh­ren­de Orga­ne. Sie han­deln nicht nur, son­dern ver­han­deln mit­ein­an­der. Eine ver­sucht die ande­re zu bestär­ken oder auch von etwas abzu­hal­ten. Mit­un­ter ist der einen auch pein­lich, was die ande­re zu tun sich ein­fach nicht ver­knei­fen kann.

Eine ›Sün­de‹ ist eine Hand­lung, von der wir bereits wis­sen, daß eigent­lich ›nicht geht‹ was wir zu tun beab­sich­ti­gen. Eine ›Tod­sün­de‹ geht noch dar­über hin­aus. Sie ist der Aus­druck einer Hal­tung, die sich selbst Aus­nah­men erteilt und sich damit über alles erhebt. — Gera­de­zu alar­mie­rend wirkt der Befund, daß sich da jemand aus­klinkt, aus dem gro­ßen Ganzen.

Alle unse­re Hand­lun­gen ent­ste­hen im Zuge von Abwä­gun­gen, die uns von einer Dia­lek­tik ermög­licht wer­den, so daß wir immer wie­der neu abwä­gen, beur­tei­len und ent­schei­den kön­nen, für die eine oder auch für die ande­re Hand.

Die sie­ben Tod­sün­den: Mehr als eine Fra­ge des Glaubens

Nach heu­ti­gem Ver­ständ­nis geht es um Reli­gi­on. Aber dar­über hin­aus geht es um Psy­cho­lo­gie und vor allem um den Bestand von Gemein­schaf­ten und gan­zen Gesellschaften.

1. Hoch­mut, Stolz und Eitel­keit (super­bia)
2. Hab­gier, Geiz und Hab­sucht (ava­ritia)
3. Wol­lust, Begeh­ren und Unkeusch­heit (luxu­ria)
4. Zorn, Rach­sucht und Wut (ira)
5. Völ­le­rei, Unmä­ßig­keit, Gefrä­ßig­keit (gula)
6. Neid, Eifer­sucht und Miß­gunst (invi­dia)
7. Träg­heit, Faul­heit, Über­druß (ace­dia)

Das Phi­lo­so­phie­ren dar­über, ob das Kon­zept der Tod­sün­den auch heu­te noch von Bedeu­tung sein könn­te, läßt sich eröff­nen mit­hil­fe einer Unter­schei­dung, die schon dem reli­giö­sen Kon­zept zugrun­de liegt. — Dem­zu­fol­ge gibt es ›Sün­den‹, die ›nur‹ das indi­vi­du­el­le See­len­heil gefähr­den und sol­che, die dar­über hin­aus für gan­ze Gemein­schaf­ten exi­stenz­be­dro­hend werden.

Auf die Fra­ge, was denn das Töd­li­che an den Tod­sün­den sein soll, läßt sich anfüh­ren, daß sie weit mehr Unheil anrich­ten. — Aber das alles bedarf zwei­fels­oh­ne der wei­te­ren Erörterung.
Phi­lo­so­phisch ist es gebo­ten, reli­giö­se Dog­men unmit­tel­bar in Psy­cho­lo­gie zu über­füh­ren, so daß sie auch ohne Gehor­sam im Glau­ben zwang­los nach­voll­zieh­bar wer­den. — Nur dann läßt sich das System der Tod­sün­den bei­be­hal­ten, andern­falls wäre es nur noch Glaubensgeschichte.

Kosmische Harmonie

Hin­ter dem Kon­zept der Tod­sün­den ste­hen die Leit­bil­der einer alles über­grei­fen­den kos­mi­schen Ord­nung, die von den Göt­tern garan­tiert wird. Das Gleich­ge­wicht wird jedoch immer wie­der gestört, vor allem durch die Fre­vel­ta­ten von Ein­zel­nen. — In den Mythen wird dar­über dezi­diert berichtet.

Dem­zu­fol­ge lie­gen die Ursa­chen für mas­si­ve Stö­run­gen in der kos­mi­schen Har­mo­nie in Unge­heu­er­lich­kei­ten, die wil­lent­lich und wider bes­se­res Wis­sen ver­übt wor­den sind. — Was reli­gi­ös erscheint, hat jedoch mani­fe­ste welt­li­che Grün­de. Es geht um die Muster einer Muster­gül­tig­keit, deren Ver­bind­lich­keit angeb­lich vom Him­mel über­wacht wird.

Phi­lo­so­phisch betrach­tet, han­delt es sich um Pro­jek­tio­nen zur Garan­tie der sozi­al­psy­cho­lo­gi­schen Grund­la­gen für die Iden­ti­tät gan­zer Kul­tu­ren und Lebens­wel­ten. — Deren Zukunft ist schließ­lich dar­auf ange­wie­sen, daß gewis­se Gren­zen gewahrt, gewür­digt und auch respek­tiert werden.

Anson­sten gera­ten gan­ze Gesell­schaf­ten in kata­stro­pha­le Pro­zes­se des unauf­halt­sa­men Nie­der­gangs. Und sie kön­nen sich nicht wie­der sta­bi­li­sie­ren, solan­ge die ›Him­mels­ord­nung‹ gestört und nicht durch Süh­ne wie­der aus­ge­gli­chen wor­den ist. — Aus­lö­ser sind spek­ta­ku­lä­re und unge­sühn­te Fre­vel­ta­ten wie Tem­pel­raub, Mord, Inzest, Ver­ge­wal­ti­gung, Schän­dung und vor allem Hybris, wenn sich Men­schen gött­li­che Wür­de anmaßen.

In den Augen der Phi­lo­so­phie, ist das durch Kapi­tal­ver­bre­chen gestör­te ›Kos­mi­sche Gleich­ge­wicht‹ eines der Kul­tur. — Etwas Unge­heu­res ist gesche­hen, was nie hät­te sein dürfen.

Wenn aber der­art Unvor­stell­ba­res offen­bar doch mög­lich ist, dann ist das Ver­trau­en in die Lebens­welt ele­men­tar erschüt­tert. Damit steht das wei­te­re Zusam­men­le­ben, die Zukunft als sol­che und sogar der Fort­be­stand der gan­zen Kul­tur auf dem Spiel.

Dar­über kommt es zur Kri­se, denn die ›hei­li­ge Ord­nung‹ ist offen­bar nicht ganz so sicher wie gedacht. Man wird also die aus dem Lot gera­te­ne Ver­hält­nis­se wie­der zum Aus­gleich brin­gen wol­len. Aber das Ver­trau­en in die Legi­ti­mi­tät der kul­tu­rel­len Ord­nung läßt sich nur mit gro­ßer Mühe wie­der her­stel­len. — Eine Apo­ka­ta­sta­sis pan­thon, eben die ›Wie­der­her­stel­lung des Him­mels‹, ist von außer­or­dent­li­cher Bedeutung.

Danach ist alles wie­der so, als wäre nichts gesche­hen, denn die Kathar­sis hebt näm­lich den Fre­vel mit­samt sei­ner Fol­gen wie­der auf. Nur noch die Mythen berich­ten davon und bewah­ren die Bege­ben­heit als war­nen­des Bei­spiel für alle Zei­ten. — Es ist wie bei einer Wun­de am eige­nen Kör­per, von der man im nach­hin­ein nicht ein­mal mehr genau erin­nern kann, wo sie eigent­lich war.

Essen, Villa Kampschulte


Philosophie als Lebenskunst

Die Son­der­rol­le der Philosophie

Weil wir gern das gro­ße Gan­ze in den Blick neh­men, sind eini­ge Atti­tü­den der Gegen­wart nicht gera­de hilf­reich. — Ratio­na­lis­mus, Mate­ria­lis­mus und Szi­en­tis­mus ver­fü­gen über eine Auto­ri­tät, die ihnen nicht zusteht. Sie wei­sen uns in unse­rem Ansin­nen auf Hin­ter­grün­de oft ein­fach nur ab. 

Allen­falls bestimm­te Erklä­rungs­mu­ster wer­den aner­kannt. – So ent­steht der Ein­druck, alles ande­re sei nichts­sa­gend. Aber das täuscht, denn die Angst vor der Meta­phy­sik ist spür­bar, eben­so wie die Dürf­tig­keit der Erklä­run­gen, die so gar nichts mehr vom Entdecker–Geist der gro­ßen natur­wis­sen­schaft­li­chen Epo­chen haben. 

Tat­säch­lich wer­den unse­re Fra­gen nicht beant­wor­tet, allen­falls abge­fun­den, abge­lenkt und nicht sel­ten sogar als „unwis­sen­schaft­lich” zurück­ge­wie­sen. Der­weil insze­niert sich der Szi­en­tis­mus als all­ge­mein ver­bind­li­che Welt­an­schau­ung. — Als wäre eine bestimm­te Vor­stel­lung von Wis­sen­schaft inzwi­schen an die Stel­le der Kir­che getre­ten, wird inzwi­schen mit ähn­li­chen Sank­tio­nen ope­riert, etwa wenn Exkom­mu­ni­ka­ti­on gegen Anders­den­ken­de und Kri­ti­ker ver­hängt wird. 

Auch man­che Phi­lo­so­phen ver­su­chen, sol­chen Erwar­tun­gen zu ent­spre­chen und ver­spie­len, was Phi­lo­so­phie eigent­lich aus­macht, was sie immer sein und blei­ben wird: Phi­lo­so­phie läßt sich nicht ein­schrän­ken, weder auf poli­ti­sche, gesell­schaft­li­che, noch auf wis­sen­schaft­li­che Ideo­lo­gie. — Sokra­tes hat das demon­striert, als er den Schier­lings­be­cher nahm. 

Fran­çois Xavier Fab­re: Der Tod des Sokra­tes (1802).

Alles war zur Flucht vor­be­rei­tet. Der Wäch­ter war besto­chen, die Pfer­de stan­den bereit, aber Sokra­tes floh nicht. — Wäre er geflo­hen, um sein Leben zu bewah­ren, er hät­te allem wider­spro­chen, was ihm zeit­le­bens lieb und teu­er war. 

Sokra­tes wäre zur Witz­fi­gur ver­kom­men, die nur redet, im Zwei­fel aber ein­zig um den per­sön­li­chen Vor­teil besorgt wäre. — Aber Sokra­tes ent­schied im Sin­ne sei­ner Lebens­kunst. Er hat alles gegen­ein­an­der abge­wo­gen und dar­auf beschlos­sen, lie­ber zu ster­ben, als sich selbst zu demütigen. 

Lebens­kunst ist die Pra­xis der Phi­lo­so­phie, ent­schei­dend sind kon­kre­te Fra­gen nach der rich­ti­gen Lebens­füh­rung. Dabei geht es um Aner­ken­nung, Glück, Selbst­sor­ge, Wer­te und Aske­se. — Gera­de Wer­te spie­len eine bedeu­ten­de Rol­le, denn es muß oft erst geklärt wer­den, was woge­gen abge­wo­gen wer­den soll. Und bei alle­dem geht es um eine Urteils­fä­hig­keit, die in der Lage sein soll, gera­de auch in heik­len Fra­gen noch begrün­det, nach­voll­zieh­bar und per­sön­lich zu entscheiden. 

Phi­lo­so­phie ist wand­lungs­fä­hig. Sie kann als Wis­sen­schaft, Geschich­te, als Lite­ra­tur oder auch Kunst auf­tre­ten. Der­weil ver­fügt sie über direk­te Zugän­ge ins Zen­trum jeder erdenk­li­cher wis­sen­schaft­li­chen Dis­zi­plin. Sie hat die­sen Zugang, weil sie gewis­ser­ma­ßen bei der Geburt aller Wis­sen­schaf­ten nicht unbe­tei­ligt war. — Aber auch weit dar­über hin­aus, etwa in Berei­chen von Kunst, Ästhe­tik, Medi­ta­ti­on oder auch Trance kann sie hei­misch werden. 

Phi­lo­so­phie als Lebens­kunst ver­folgt eige­ne Zie­le und geht eige­ne Wege. Es wird immer wich­ti­ger, Alter­na­ti­ven in der Exper­to­kra­tie zu bie­ten. Sich wirk­lich gut bera­ten zu las­sen, ist selbst eine Fra­ge der Lebens­kunst. — Weni­ger unser Kör­per oder gar unse­re Mate­rie sind ent­schei­dend, wesent­li­cher sind unse­re Psy­che mit Leib und Seele. 

Wenn eine glück­li­che Exi­stenz unser Ziel ist, dann soll­ten wir uns auch des Ästhe­ti­schen bedie­nen. Schön­heit ist kei­ne Neben­säch­lich­keit, son­dern die heim­li­che See­le des­sen, was uns begei­stern und besee­len kann. Dann ent­wickeln sich so anspruchs­vol­le, ganz beson­de­re Qua­li­tä­ten wie Auf­merk­sam­keit, Acht­sam­keit und Authen­ti­zi­tät zwang­los und fast schon wie von selbst.


Befreit die Liebe?!

ARSAMATORIA TEATIME
Sams­tag 18. Janu­ar 2025
14 – 16 Uhr
Ber­lin, B1 Galerie

BEFREIT DIE LIEBE?!

Wir laden Euch zu unse­rer ersten Teati­me im Jahr 2025 ein. Gemein­sam mit unse­rem Gast, dem Phi­lo­so­phen Prof. Heinz-Ulrich Nen­nen möch­ten wir über die Lie­be spre­chen, die wir einer­seits gezähmt in Käfi­gen unse­rer Nor­mie­run­gen hal­ten und der wir ande­rer­seits so viel Bedeu­tung für unser eige­nes Lebens­glück bei­mes­sen – ein Gespräch über die Wild­heit der Lie­be und die Hoff­nung, dass wenn wir sie befrei­en, sie uns befreit.

Der Ein­tritt ist frei.

Heinz-Ulrich Nen­nen ist Pro­fes­sor für Phi­lo­so­phie mit den Schwer­punk­ten Phi­lo­so­phi­sche Psy­cho­lo­gie, Mei­ster­er­zäh­lun­gen in Mythen, Mär­chen und Meta­phern: Hel­den­rei­se, Psy­cho­ge­ne­se, Ori­en­tie­rungs­wis­sen, sowie für Zeit­geist- und Diskursanalysen. 


Supervision – Fortbildung für Lehrkräfte

SS 2024 | 3 Work­shops: Frei­tags, den 7., 14., und 21. Juni 2024 | jeweils von
14–18 Uhr | Ort: Café-arte | Kul­tur­ca­fé im Sand­stein­mu­se­um | Gene­rich 9,
48329 Havixbeck

Leh­rer­fort­bil­dung

Super­vi­si­on für Leh­rer und
Leh­re­rin­nen

Prof. Dr. phil. Heinz–Ulrich Nennen
heinz-ulrich.nennen@t‑online.de


Supervision – Block

SS 2024 | Zunächst 5 Semi­na­re online:
29.06.2024 | 06.07.2024 | 13.07.2024 | 20.07.2024 | 27.07.2024
dann folgt eine Blockveranstaltung:
Fr, 09., Sa, 10., So, 11.08.2024

Semi­nar

Super­vi­si­on für Leh­rer und
Leh­re­rin­nen

Prof. Dr. phil. Heinz–Ulrich Nennen
heinz-ulrich.nennen@t‑online.de


Supervision – wöchentlich

SS 2024 | mitt­wochs | 14:00–15:30 Uhr s.t. | Raum: Online
Beginn: 16. April 2024 | Ende: 23. Juli 2024

Semi­nar

Super­vi­si­on für Leh­rer und
Leh­re­rin­nen

Prof. Dr. phil. Heinz–Ulrich Nennen
heinz-ulrich.nennen@t‑online.de


Über mich

Prof. Dr. phil. Heinz-Ulrich Nennen

Hoch­schul­leh­rer für Phi­lo­so­phie an der Uni­ver­si­tät Karls­ru­he.

Phi­lo­so­phi­sche Pra­xis Münster,

für alle Zwei­fels­fäl­le des Lebens, des Den­kens und nicht zuletzt der Gefühle.

Email: heinz-ulrich.nennen@t‑online.de

Motto:

Zunächst muß

das Eigent­li­che

zur Spra­che gebracht werden,

denn nur so kommt das Neue ins Denken.

Von dort kann es in die Welt gelan­gen und spätestens

dann wird es auch im eige­nen Leben nicht ganz ohne Wir­kung bleiben.

Etwas ausführlicher:

Ich bin Pro­fes­sor für Phi­lo­so­phie an der Uni­ver­si­tät Karls­ru­he (KIT). Im west­fä­li­schen Mün­ster betrei­be ich eine Phi­lo­so­phi­sche Ambu­lanz, eine Bera­tung zur Selbst­be­ra­tung, denn Phi­lo­so­phie ist ein Gespräch der See­le mit sich selbst.

In Mün­ster habe ich Phi­lo­so­phie, Sozio­lo­gie und Erzie­hungs­wis­sen­schaft stu­diert und 1989 mit einer Dis­ser­ta­ti­on unter dem Titel Öko­lo­gie im Dis­kurs pro­mo­viert. Dar­in habe ich den sei­ner­zeit auf­kom­men­de Dis­kur­se über Öko­lo­gie in sei­ner gan­zen Viel­falt der Tech­nik- und Zivi­li­sa­ti­ons­kri­tik doku­men­tiert und die Hin­ter­grün­de syste­ma­tisch rekon­stru­iert. – Dem­nach gibt es drei mög­li­che Begrün­dun­gen für Umweltschutz:

  • prag­ma­tisch-anthro­po­zen­trisch, weil es auf Dau­er unsin­nig ist, sich selbst die Lebens- und Exi­stenz­grund­la­gen zu entziehen
  • ethisch-mora­lisch, weil es gebo­ten erscheint, sich ver­pflich­tet zu füh­len, nach­fol­gen­den Gene­ra­tio­nen, ande­ren Lebe­we­sen oder auch Göt­tern gegenüber
  • ästhe­tisch, weil etwa ein Baum weit mehr ist als eine Sau­er­stoff­spen­der, son­dern eben auch ein Erleb­nis, was übri­gens alles ande­re als banal ist

Mit der Dis­ser­ta­ti­on zeig­te sich bereits der Schwer­punkt mei­ner Arbeit: Mich inter­es­sie­ren Dis­kur­se im Gro­ßen und Gan­zen aber auch Dia­lo­ge im Klei­nen und Per­sön­li­chen. Ich bin Dia­log­part­ner und Dis­kurs­ana­ly­ti­ker: Einer­seits inter­es­siert mich die Fra­ge, wie das Neue ins Den­ken kommt, ande­rer­seits, wie Dia­lo­ge und Dis­kur­se sol­che Trans­for­ma­tio­nen schaf­fen. – Daher arbei­te ich gern inter-dis­zi­pli­när, an den Gren­zen zwi­schen Psy­cho­lo­gie, Anthro­po­lo­gie, Kul­tur­wis­sen­schaft und eben Philosophie.

Nach einer 10-jäh­ri­gen Tätig­keit als Wis­sen­schaft­ler im Bereich Dis­kurs an der Aka­de­mie für Tech­nik­fol­gen­ab­schät­zung, hat­te ich gestie­ge­nes Inter­es­se dar­an, ein­mal einen Dis­kurs im Pro­zeß, also in “Wild­form” zu beob­ach­ten, zu beschrei­ben und wäh­rend­des­sen zeit­gleich zu analysieren.

Im Som­mer 1999 bot sich die­se Gele­gen­heit. Anläß­lich des Skan­dals um die Elmau­er Rede, die der Phi­lo­soph Peter Slo­ter­di­jk gehal­ten hat­te, kam es zu einem Medi­en-Hype son­der­glei­chen, mit mehr als 1000 Zei­tungs­ar­ti­keln, Kom­men­ta­ren und Berich­ten. Als ich sei­ner­zeit im Radio davor erfuhr, wuß­te ich, daß es “mein” The­ma sein würde.

In einem 700-sei­ti­gen Buch, das auch der Habi­li­ta­ti­on dien­te, habe ich die­sen soeben auf­kom­men­den Skan­dal um die angeb­lich faschi­sto­ide Rede des Phi­lo­so­phen Peter Slo­ter­di­jk in Echt­zeit rekon­stru­iert. Es war ein Phi­lo­so­phi­sches Expe­ri­ment mit der Fra­ge, ob es gelin­gen kann, einen Dis­kurs nicht nur zu beob­ach­ten, son­dern zugleich auch auf den Aus­gang der Slo­ter­di­jk-Debat­te zu spe­ku­lie­ren, noch wäh­rend der Aus­gang des Skan­dals noch offen war.

Die War­nung dage­gen ist bekannt: 

“Und hät­test Du geschwie­gen, wärst Du Phi­lo­soph geblieben.” 

Ich bin davon über­zeugt, daß es mög­lich ist, Phi­lo­so­phie in Echt­zeit betrei­ben zu kön­nen, also wäh­rend der Pro­zeß noch läuft. Erst dann hat auch unser Ver­nunft­ver­mö­gen wirk­lich eine Chan­ce, sich zu bewei­sen. – Bei die­sem phi­lo­so­phi­schen Expe­ri­ment ging es mir um den Beweis, daß es unter gewis­sen metho­di­schen Bedin­gun­gen sehr wohl mög­lich sein kann, Phi­lo­so­phie in Echt­zeit betreiben.

Die Metho­de geht auf man­che Über­le­gung und Beob­ach­tung mei­ner rund 10-jäh­ri­gen Tätig­keit als Wis­sen­schaft­ler im Bereich Dis­kurs an der Stutt­gar­ter Aka­de­mie für Tech­nik­fol­gen­ab­schät­zung zurück. Dort wur­de 1993 im Zuge der Aus­ein­an­der­set­zun­gen um Atom­kraft (wie Geg­ner sagen), resp.  Kern­ener­gie (wie Befür­wor­ter sagen) und Kli­ma­schutz, von der Lan­des­re­gie­rung in Baden-Würt­tem­berg ein “Thinktank” zur Erfor­schung und zur Bewer­tung von Tech­nik­fol­gen gegrün­det, um mehr Wis­sen­schaft und mehr Dis­kurs in die mit­un­ter sehr dra­ma­tisch geführ­ten Aus­ein­an­der­set­zun­gen um neue Tech­no­lo­gien zu brin­gen. Die Poli­tik war sei­ner­zeit in die­sen Fra­gen mit ihrem Latein am Ende, – das ist eben der Augen­blick, in dem neue Insti­tu­tio­nen wie eine sol­che TA-Aka­de­mie gegrün­det werden.

Zu Metho­de: Schaut man sich unse­re Urtei­le, Bewer­tun­gen und Ein­schät­zun­gen genau­er an, so set­zen sie sich zusam­men aus einer Viel­zahl von Aus­sa­gen, die aus unter­schied­lich­sten Sek­to­ren stam­men, die wir aber häu­fig nur zum Teil selbst über­prüft haben. Die Fra­ge ist dann immer, wie sicher, wie ent­schei­dend, wie bela­stungs­fä­hig unse­re Vor­an­nah­men wirk­lich sind. Noch ent­schei­den­der ist es, zu spü­ren, wo die Grund­la­gen und Vor­aus­set­zun­gen nicht wirk­lich sicher sind. 

Das erzeugt eine gewis­sen Offen­heit, auch unge­wohn­ten und ande­ren Per­spek­ti­ven gegen­über. Es geht ums Ver­ste­hen, daher ist jedes “Mit­tel” Recht. Im Hin­ter­grund steht schließ­lich eine Phi­lo­so­phie, die schon beur­tei­len und bewer­ten wird, ob der neue, viel­leicht unge­wohn­te Gedan­ke es mög­lich macht, zu sehen, was sich hin­ter den Kulis­sen abspielt. 

Die Kunst besteht nun genau dar­in, ein jedes mög­li­che Gesamt­ur­teil immer wie­der auf­zu­lö­sen in sei­ne Tei­le, aus denen es zusam­men gesetzt ist, um das eige­ne Urteils­ver­mö­gen noch­mals selbst beur­tei­len zu können.

Wer sich des­sen bewußt ist, soll­te daher wis­sen, was wir eigent­lich wis­sen müß­ten aber viel­leicht gar nicht wis­sen kön­nen, so daß wir uns die Begrenzt­heit unse­res eige­nen Urteils­ver­mö­gens genau­er vor Augen füh­ren können.

“Und hät­test Du geschwie­gen, wärst Du Phi­lo­soph geblie­ben!” Die­se War­nung hat gute Grün­de, denn zwi­schen dem Erha­be­nen und dem Lächer­li­chen liegt nur ein ein­zi­ger Schritt. 

In der Phi­lo­so­phie geht es daher um die Fra­ge, wie­viel wir vom Gan­zen wirk­lich ver­stan­den haben. Zu Phi­lo­so­phie­ren bedeu­tet, ein fei­nes Gespür dafür zu ent­wickeln, wie weit ein­zel­ne Aus­sa­gen jeweils tra­gen, wann ein Wort sei­ne Bedeu­tung zu ver­lie­ren beginnt, wann irgend etwas an einer Aus­sa­gen nicht mehr zutref­fend sein kann.

Daher arbei­te ich sehr inten­siv über Sym­bo­le, Mythen und Mär­chen und ins­be­son­de­re auch über Göt­ter­fi­gu­ren, weil sich dar­in, weil sich dahin­ter man­ches ver­birgt, was unse­rem Den­ken in abstrak­ten Begrif­fen wie­der mehr Inhalt, mehr Leben und Geist ver­mit­teln kann.

Phi­lo­so­phie ist weit mehr als nur trocke­ne Theo­rie und eis­kal­te Metho­de. Sie hat auch eine Pra­xis, die sich ganz anders dar­stellt, die nicht nur sehr unter­halt­sam son­dern auch erhei­ternd sein kann. – Das Lachen ist schließ­lich ein immer wie­der­keh­ren­der Topos in der Philosophie.

Phi­lo­so­phie ist nicht nur Theo­rie son­dern auch Pra­xis, geleb­te Pra­xis. Sie setzt daher eine gei­sti­ge Mobi­li­tät vor­aus, die dar­auf aus ist, stän­dig den Stand­ort zu wech­seln, um dabei nicht sel­ten auch die eige­ne Posi­ti­on, also sich selbst zu riskieren.


Supervision als Weiterbildung

Der Brunnen

Der Brun­nen ist das Sym­bol für die Tie­fe, aus der wir schöp­fen. Im Mär­chen führt das direkt in ande­re Wel­ten. Aber es kommt auch auf die Moti­ve an, denn immer ist auch ein Wag­nis damit ver­bun­den, sich auf Tie­fe einzulassen.

Wenn ande­re in den Brun­nen sprin­gen, müs­sen wir nicht das­sel­be tun. Oft genügt bereits, sich vor Augen zu füh­ren, wie es sich anfühlt und was dar­aus fol­gen kann. Auf das Vor­stel­lungs­ver­mö­gen kommt es an.

Erfahrung

Jean-Léon Gérô­me: Die Wahr­heit kommt aus ihrem Brun­nen (1896).

Das sprich­wört­lich in den Brun­nen gefal­le­ne Kind bezeich­net die eher schlech­te Erfah­rung. Was nicht gesche­hen soll­te, ist dann pas­siert. – Aber wir ler­nen gera­de anhand von schlech­ten Erfah­run­gen ganz beson­ders gut.

Es kommt also dar­auf an, aus „schlech­ten Erfah­run­gen“ etwas Gutes zu machen. Und dabei ent­fal­tet unse­re Spra­che ihre magi­schen Qualitäten. 

Wir kön­nen in der Vor­stel­lung gan­ze Wel­ten auf- und unter­ge­hen las­sen, um die eine Welt, auf die es ankommt, zu erhal­ten und weiterzuentwickeln. 

Wir müs­sen nicht jede Erfah­rung selbst machen. Es genügt, sich gemein­sam vor Augen zu füh­ren, wie „es“ ist. Nicht nur die Pra­xis allein ist daher ent­schei­dend, son­dern vor allem die Fähig­keit, in Alter­na­ti­ven zu den­ken. 

Durch Super­vi­si­on kön­nen wir uns vor Augen füh­ren, wann, war­um und wes­halb etwas nach allen Regeln der Kunst schief gehen muß. — Allein durch unser Vor­stel­lungs­ver­mö­gen kön­nen wir der­weil ganz neue Erfah­run­gen machen, die auch hilf­reich sind, in der Pra­xis das eige­ne Selbst­be­wußt­sein zu entwickeln.

Supervision

Nichts ist hilf­rei­cher als ein inten­si­ver Erfah­rungs­aus­tausch unter Fach­leu­ten, die aus eige­ner Anschau­ung wis­sen, wor­auf es ankommt. Wir sind eben kei­ne Maschi­nen, son­dern jede® von uns ist etwas Beson­de­res mit eige­nen Stär­ken und Schwä­chen, aber auch mit unent­deck­ten Potentialen. 

Ich bin Pro­fes­sor für Phi­lo­so­phie an der Uni­ver­si­tät Karls­ru­he und gebe seit Jah­ren beson­de­re Semi­na­re für ange­hen­de Lehr­kräf­te. Es geht dabei um eine vor­ge­zo­ge­ne Super­vi­si­on. Aus vie­len Rück­mel­dun­gen von Stu­die­ren­den weiß ich, daß sie mei­ne Semi­na­re schät­zen, weil ihnen genau die­se Erfah­run­gen fehlen. 

In jeder Sit­zung gehen wir gemein­sam in Kri­sen­si­tua­tio­nen, die im All­tag frü­her oder spä­ter auf­kom­men. Es kommt dar­auf an, die Rah­men­be­din­gun­gen zu ken­nen, also was darf, soll, muß ich tun oder auch unter­las­sen? Wo lie­gen die Gren­zen der eige­nen Kom­pe­tenz und der Zustän­dig­keit? Wel­cher “Hut” soll­te jeweils wann auf­ge­setzt wer­den? — Dabei sind die Erwar­tun­gen oft höchst wider­sprüch­lich, die von Leh­rern und Leh­re­rin­nen gera­de­zu vor­bild­lich erfüllt wer­den sollen.

Wir gehen also bewußt und beherzt auf Dilem­ma-Situa­tio­nen zu. Leh­rer und Leh­re­rin­nen soll­ten vor pro­fes­sio­nel­lem Hin­ter­grund ein­schät­zen und begrün­den kön­nen, was man im Fal­le des Fal­les war­um und wes­halb für ange­mes­sen hält. Das dazu erfor­der­li­che Urteils­ver­mö­gen wird in die­sen Semi­na­ren geför­dert, weil die Dia­lo­ge und Dis­kur­se selbst zur Wirk­lich­keit wer­den, in denen Mög­lich­kei­ten ohne Scheu durch­ge­spielt wer­den können. 

Weiterbildung  

Die Agenda:

  • Wahl­wei­se 14, 8 oder 3 Termine
  • Max. 16 Teil­neh­mer u. Teilnehmerinnen
  • Empa­thi­sche Dialoge
  • Pro­blem­zen­trier­te Diskurse
  • Bear­bei­ten Sie Ihre Stär­ken und Schwä­chen in der Gruppe
  • Mit­ein­an­der und von­ein­an­der lernen.
  • Auch unkon­ven­tio­nel­le Lösun­gen durchspielen
  • Die Welt mit den Augen ande­rer betrach­ten und erörtern
  • Nach der Prä­sen­ta­ti­on erhal­ten Sie ein per­sön­li­ches Feed­back im Dia­log unter vier Augen 

Pro Semester werden drei Veranstaltungen angeboten: 

  1. Ent­we­der wöchent­lich, online via Zoom: Super­vi­si­on (a);
  2. Oder zunächst 5 x online, sowie ein Wochen­en­de, Fr, Sa. und So: Super­vi­si­on (b).
  3. Oder als Prä­sens­ver­an­stal­tung an 3 Sams­ta­gen im Juni 2024: Super­vi­si­on ©.

Anmeldung und Teilnahme

Anfra­gen per Mail

Anmel­dung: heinz-ulrich.nennen@t‑online.de

Sprech­stun­de via Zoom: Nach Ver­ein­ba­rung per Mail.


EPG II

Ober­se­mi­nar

EPG II 

Ethisch–Philosophisches Grundlagenstudium II

SS 2024 | mitt­wochs | 14:00–15:30 Uhr | online 

Beginn: 17. April 2024 | Ende: 24. Juli 2024

Zwischen den Stühlen

Eine Rol­le zu über­neh­men bedeu­tet, sie nicht nur zu spie­len, son­dern zu sein. Wer den Leh­rer­be­ruf ergreift, steht gewis­ser­ma­ßen zwi­schen vie­len Stüh­len, einer­seits wer­den höch­ste Erwar­tun­gen gehegt, ande­rer­seits gefällt sich die Gesell­schaft in abfäl­li­gen Reden. 

Das mag damit zusam­men­hän­gen, daß jede® von uns eine mehr oder min­der glück­li­che, gelun­ge­ne, viel­leicht aber eben auch trau­ma­ti­sie­ren­de Schul­erfah­rung hin­ter sich gebracht hat.

Universe333: Yoga­Bey­ond Hon­za & Clau­di­ne Bon­di; Beach, Austra­lia 2013. — Quel­le: Public Domain via Wiki­me­dia Commons.

Es sind vie­le poten­ti­el­le Kon­flikt­fel­der, die auf­kom­men kön­nen im beruf­li­chen All­tag von Leh­rern. Daß es dabei Ermes­senspiel­räu­me, Hand­lungs­al­ter­na­ti­ven und vor allem auch Raum gibt, sich selbst und die eige­nen Idea­le mit ins Spiel zu brin­gen, soll in die­sem Semi­nar nicht nur the­ma­ti­siert, son­dern erfahr­bar gemacht werden.

Das Selbst­ver­ständ­nis und die Pro­fes­sio­na­li­tät sind gera­de bei Leh­rern ganz ent­schei­dend dafür, ob die vie­len unter­schied­li­chen und mit­un­ter para­do­xen Anfor­de­run­gen erfolg­reich gemei­stert wer­den: Es gilt, bei Schü­lern Inter­es­se zu wecken, aber deren Lei­stun­gen auch zu bewer­ten. Dabei spie­len immer wie­der psy­cho­lo­gi­sche, sozia­le und päd­ago­gi­sche Aspek­te mit hin­ein, etwa wenn man nur an Sexua­li­tät und Puber­tät denkt. — Mit­un­ter ist es bes­ser, wenn mög­lich, lie­ber Projekt–Unterricht anzu­re­gen, wenn kaum mehr was geht.

Es gibt klas­si­sche Kon­flikt­li­ni­en, etwa Eltern–Lehrer–Gespräche, in denen nicht sel­ten die eige­nen, oft nicht eben guten Schul–Erfahrungen der Eltern mit hin­ein­spie­len. Aber auch inter­kul­tu­rel­le Kon­flik­te kön­nen auf­kom­men. Das alles macht neben­her auch Kom­pe­ten­zen in der Media­ti­on erfor­der­lich. — Einer­seits wird indi­vi­du­el­le För­de­rung, Enga­ge­ment, ja sogar Empa­thie erwar­tet, ande­rer­seits muß und soll gerecht bewer­tet wer­den. Das alles spielt sich ab vor dem Hin­ter­grund, daß dabei Lebens­chan­cen zuge­teilt werden.

Gera­de in letz­ter Zeit sind gestie­ge­ne Anfor­de­run­gen bei Inklu­si­on und Inte­gra­ti­on hin­zu­ge­kom­men. Auch Straf– und Dis­zi­pli­nar­maß­nah­men zäh­len zu den nicht eben ein­fa­chen Auf­ga­ben, die aller­dings wahr­ge­nom­men wer­den müs­sen. — Ein wei­te­rer, immer wie­der aku­ter und for­dern­der Bereich ist das Mob­bing, das sich gut ›durch­spie­len‹ läßt anhand von Inszenierungen.

Es gibt nicht das ein­zig rich­ti­ge pro­fes­sio­nel­le Ver­hal­ten, son­dern vie­le ver­schie­de­ne Beweg­grün­de, die sich erör­tern las­sen, was denn nun in einem kon­kre­ten Fall mög­lich, ange­mes­sen oder aber kon­tra­pro­duk­tiv sein könn­te. Päd­ago­gik kann viel aber nicht alles. Bei man­chen Pro­ble­men sind ande­re Dis­zi­pli­nen sehr viel erfah­re­ner und auch zustän­dig. — Unan­ge­brach­tes Enga­ge­ment kann selbst zum Pro­blem werden. 

Wich­tig ist ein pro­fes­sio­nel­les Selbst­ver­ständ­nis, wich­tig ist es, die eige­nen Gren­zen zu ken­nen, und mit­un­ter auch ein­fach mehr Lang­mut an den Tag zu legen. Zudem wer­den die Klas­sen immer hete­ro­ge­ner, so daß der klas­si­sche Unter­richt immer sel­te­ner wird. — Inklu­si­on, Inte­gra­ti­on oder eben Mul­ti­kul­tu­ra­li­tät gehö­ren inzwi­schen zum All­tag, machen aber Schu­le, Unter­richt und Leh­rer­sein nicht eben einfacher.

Gesell­schaft, Poli­tik, Wirt­schaft und Öffent­lich­keit set­zen zwar hohe Erwar­tun­gen in Schu­le und Leh­rer, gefal­len sich aber zugleich dar­in, den gan­zen Berufs­tand immer wie­der in ein unvor­teil­haf­tes Licht zu rücken. — Unver­ges­sen bleibt die Bemer­kung des ehe­ma­li­gen Kanz­lers Gehard Schrö­der, der ganz gene­rell die Leh­rer als fau­le Säcke bezeich­net hat.

„Ihr wißt doch ganz genau, was das für fau­le Säcke sind.“

Die­ses Bas­hing hat aller­dings Hin­ter­grün­de, die eben dar­in lie­gen dürf­ten, daß viel zu vie­le Schüler*innen ganz offen­bar kei­ne guten Schul­erfah­run­gen gemacht haben, wenn sie spä­ter als Eltern ihrer Kin­der wie­der die Schu­le aufsuchen.

Ausbildung oder Bildung?

Seit 2001 ist das Ethisch–Philosophische Grund­la­gen­stu­di­um (EPG) obli­ga­to­ri­scher Bestand­teil des Lehr­amts­stu­di­ums in Baden–Württemberg. Es besteht aus zwei Modu­len, EPG I und EPG II. — Ziel des EPG ist es, zukünf­ti­ge Leh­re­rIn­nen für wis­sen­schafts– und berufs­ethi­sche Fra­gen zu sen­si­bi­li­sie­ren und sie dazu zu befä­hi­gen, sol­che Fra­gen selb­stän­dig behan­deln zu kön­nen. The­ma­ti­siert wer­den die­se Fra­gen im Modul EPG II.

Um in allen die­sen Kon­flikt­fel­dern nicht nur zu bestehen, son­dern tat­säch­lich ange­mes­sen, pro­blem­be­wußt und mehr oder min­der geschickt zu agie­ren, braucht es zunächst ein­mal die Gewiß­heit, daß immer auch Ermes­sens– und Gestal­tungs­spiel­räu­me zur Ver­fü­gung ste­hen. Im Hin­ter­grund ste­hen Idea­le wie Bil­dung, Ent­fal­tung der Per­sön­lich­keit, die Erfah­rung erfül­len­der Arbeit und Erzie­hungs­zie­le, die einer huma­ni­sti­schen Päd­ago­gik ent­spre­chen, bei der es eigent­lich dar­auf ankä­me, die Schü­ler bes­ser gegen eine Gesell­schaft in Schutz zu neh­men, die immer for­dern­der auf­tritt. In die­sem Sin­ne steht auch nicht ein­fach nur Aus­bil­dung, son­dern eben Bil­dung auf dem Programm.

Auf ein– und das­sel­be Pro­blem läßt sich unter­schied­lich reagie­ren, je nach per­sön­li­cher Ein­schät­zung las­sen sich ver­schie­de­ne Lösungs­an­sät­ze ver­tre­ten. Es ist daher hilf­reich, mög­lichst vie­le ver­schie­de­ne Stel­lung­nah­men, Maß­nah­men und Ver­hal­tens­wei­sen syste­ma­tisch durch­zu­spie­len und zu erör­tern. Dann läßt sich bes­ser ein­schät­zen, wel­che davon den päd­ago­gi­schen Idea­len noch am ehe­sten gerecht werden.

So ent­steht all­mäh­lich das Bewußt­sein, nicht ein­fach nur agie­ren und reagie­ren zu müs­sen, son­dern bewußt gestal­ten zu kön­nen. Nichts ist hilf­rei­cher als die nöti­ge Zuver­sicht, in die­sen doch sehr anspruchs­vol­len Beruf nicht nur mit Selbst­ver­trau­en ein­zu­tre­ten, son­dern auch zuver­sicht­lich blei­ben zu kön­nen. Dabei ist es ganz beson­ders wich­tig, die Gren­zen der eige­nen Rol­le nicht nur zu sehen, son­dern auch zu wahren.

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