Heinz-Ulrich Nennen | www.nennen-online.de

ZeitGeister | Philosophische Praxis

Akademie für Philosophische Psychologie

Category: Ausnahmezustand

Was tun, wenn ‘die’ Frau wütend ist?

Michail Ser­ge­je­witsch Gor­bat­schow, der ehren­wer­te und letz­te Staats­prä­si­dent der Sowjet­uni­on, hat­te bekann­ter­ma­ßen ein äußerst inni­ges Ver­hält­nis zu sei­ner Frau Rais­sa Maxi­mow­na Gorbatschowa. 

Man hat ihn spä­ter hier in Mün­ster des­öf­te­ren am Aasee spa­zie­ren gese­hen, als sei­ne Frau, übri­gens eine Phi­lo­so­phin, mit dem Krebs kämpf­te.

Bei­de kann­ten sich lang und waren, wie es nur weni­ge Paa­re fer­tig brin­gen, wirk­lich ein Team. In ihr hat­te er eine unbe­stech­li­che Rat­ge­be­rin, so wie es Pla­ton idea­li­siert hat. Er stellt die Phi­lo­so­phen­kö­ni­ge vor wie wel­che, die ein­fach des­we­gen nicht bestech­lich sind, weil sie schon “alles” haben, was nicht mit Geld zu bezah­len ist.

Gor­bat­schows Ver­zweif­lung über ihren Tod dürf­te nicht min­der groß gewe­sen sein, wie die ange­sichts der schier unlös­ba­ren Auf­ga­be, den Sau­ri­er Sowjet­uni­on mit einem heim­tückisch tak­tie­ren­den Westen im Nacken den­noch wie­der auf Kurs zu brin­gen. Von wegen kei­ne Ost­erwei­te­rung der NATO, von wegen “gemein­sa­mes Haus Europa”.

Ein Putsch mach­te alle Hoff­nun­gen zunich­te und brach­te einen Trun­ken­bold wie Jel­zin ans Ruder und Olig­ar­chen, die sich das ehe­ma­li­ge Volks­ver­mö­gen unter den Nagel geris­sen haben. Im Wind­schat­ten die­ser Ver­wer­fun­gen fand Putin als Nach­fol­ger sei­nen Weg zur Macht, der das alles natür­lich als demü­ti­gen­de Kata­stro­phe emp­fun­den hat.

Gustav Klimt: Umarmung (1909).

Gustav Klimt: Umar­mung (1909).

Aber nun zur Fra­ge: Was hat Gor­bat­schow gemacht, wenn Rais­sa Maxi­mow­na Gor­bat­scho­wa wütend war? Er hat es in einem Inter­view selbst aus­ge­plau­dert und für mich klang es auch ein wenig wie eine Emp­feh­lung, was denn nun männ­li­cher­seits zu tun sei in sol­chen Fäl­len, wenn “die” Frau außer sich ist vor Wut.

Er habe sie in sei­ne Arme genom­men und fest umschlos­sen, um sie auch bei Gegen­wehr ganz nahe fest zu hal­ten, bis sich der Zorn, die Wut und die Ver­zweif­lung wie­der leg­ten. — Das scheint in der Tat hilf­reich zu sein, denn ich habe gese­hen, daß es ins­be­son­de­re bei Kin­dern und Men­schen in psy­chi­schen Aus­nah­me­zu­stän­den posi­tiv wir­ken kann, ein­fach nur “gehal­ten zu wer­den”, bis es wie­der bes­ser geht.

Der Grund dürf­te dar­in lie­gen, daß die Wut selbst zum Aus­druck gebracht wer­den kann: Anfangs wehrt sie sich viel­leicht noch vehe­ment gegen die macht­vol­le Umklam­me­rung. Der Zorn wird also anfangs immer stär­ker, bis er selbst sein Limit erreicht hast, denn er kann ja nun aus­ge­lebt wer­den. All­mäh­lich ver­aus­gabt sich der Zorn jedoch, dann er kann den inne­ren Druck wie durch ein Ven­til ablas­sen. 

Es mag einen ande­ren Ein­druck machen aber es ist kei­ne Gewalt, es ist eher wie der Schutz vor wei­te­ren Zor­nes­aus­brü­chen. Das wird mög­lich, weil die Wut und die mit ihr ein­her­ge­hen­de Ver­zweif­lung nun ihren Aus­druck gefun­den hat und mit­ge­teilt wer­den kann. 

Wer zu woke ist, den bestraft das Leben

Aber wie es in die­sen des­ori­en­tier­ten Zei­ten üblich ist, wer­den man­che ganz gewiß jetzt Zeter und Mor­dio schrei­en: Ist das nicht Gewalt gegen die Frau? — Oh je.

Wer zu woke ist, den bestraft das Leben. — Die For­mel stammt übri­gens nicht von ihm, son­dern von einem sei­ner Spre­cher. Das geflü­gel­te Wort wur­de zum Ora­kel­spruch. Es fiel auf einem infor­mel­len Tref­fen mit Pres­se­ver­tre­tern beim Staats­be­such von “Gor­bi” in Ost­ber­lin: Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben.

Damit ist auch etwas dar­über gesagt, was das Leben aus­macht. Es bie­tet Gele­gen­hei­ten, die ver­tan sind, wenn sie nicht ergrif­fen wer­den. – Wir soll­ten Mög­lich­kei­ten für unse­re Sehn­süch­te dar­aus machen, die tief in uns schlum­mern, um wach­ge­küßt zu wer­den. Aber dazu braucht es Nähe, Ver­trau­en und wohl auch die Gewiß­heit, daß alles wie­der gut wer­den kann. 


‘Habitus’ bedeutet Charakter

Bildung braucht eine Grundlage

Ich habe noch immer den Ein­druck, seit Beginn der Corona–Hysterie in einem Par­al­lel­uni­ver­sum gelan­det zu sein.

Im Nach­gang ver­schie­ben sich die Bewer­tun­gen die­ser Panther–Zeit, in der man die Git­ter­stä­be der Angst–und–Moral–Republik stän­dig vor Augen hat­te. — Viel zu vie­le haben sich in die­sen Jah­ren um Kopf und Kra­gen geredet.

Aber mei­ne Bewer­tun­gen die­ser Mas­sen­psy­cho­se ver­schie­ben sich inzwi­schen nicht mehr so stark, und ich muß zuge­ben: Das Resul­tat die­ser kol­lek­ti­ven Angst­kam­pa­gne war für mich ver­hee­rend, denn ich muß­te einen Gut­teil mei­nes Idea­lis­mus aufgeben.

Mei­ne Ent­täu­schung über den kol­lek­ti­ven Ver­rat an Wer­ten wie Frei­heit, Tole­ranz, Mei­nungs­frei­heit, Selbst­be­stim­mung und Wür­de, hat mich zutiefst ver­stört. Das hät­te ich nicht für mög­lich gehalten!

Aber die Panter–Zeit hat­te auch ihr Gutes, wir haben alle das Zoo­men erlernt, konn­ten ein­an­der tief in die See­le schau­en und haben gese­hen, mit wem wir es wirk­lich zu tun haben.

Und die Dia­gno­se fällt kri­tisch aus: Den mei­sten fehlt so etwas wie Per­sön­lich­keit, was der fran­zö­si­sche Sozio­lo­ge Pierre Bour­dieu in sei­ner Theo­rie “Die fei­nen Unter­schie­de” als “Habi­tus” bezeich­net, beschrie­ben und näher aus­ge­führt hat.

Ich hät­te es wis­sen kön­nen, weil ich ihn schon im Stu­di­um gele­sen und mir zu Her­zen genom­men hat­te. Aber ich woll­te nicht, daß der Gro­schen auch fällt, wohl aus Idea­lis­mus woll­te ich es nicht.

Das Erzie­hungs­ziel einer “Bil­dung der Per­sön­lich­keit” ist und bleibt eli­tär, weil es um einen Habi­tus geht, den man sich auch her­aus­neh­men kön­nen muß. — Man­che neh­men sich das ein­fach her­aus, wenn und weil es ja nun mal “stan­des­ge­mäß” für sie ist.

Ande­re ste­hen sich selbst dabei bereits auf der Lei­tung und noch ande­re, die Viel­zahl der nicht­den­ken­den Mit­men­schen, sieht das Pro­blem nicht einmal.

“Gebt dem Volk Brot uns Spie­le”. Ja, den mei­sten Zeit­ge­nos­sen man­gelt es nicht nur an Selbst­be­wußt­sein, Selbst­be­stim­mungs– und Selbst­ori­en­tie­rungs­ver­mö­gen, sie haben auch kei­nen Zugang zu ihrem eige­nen Leib. Sie sehen nur den Kör­per, den sie dann checken, bear­bei­ten oder auch repa­rie­ren lassen.

Der Unter­schied besteht eben, wie Hel­muth Pless­ner gesagt hat, “zwi­schen Kör­per haben und Leib sein”. — Daher las­sen sich die Vie­len auch so tief verängstigen.

Franz von Stuck: Til­la Durieux als Cir­ce, 1931.

Sie sehen nur ihren Kör­per und ihre Psy­che, sehen aber nicht auch den Geist, den Leib und die See­le. Sie wol­len auch nur Sex und kei­ne Ero­tik. — Ach, es ist erbärmlich.

„Der Mensch will über den Men­schen hin­aus“, — eigent­lich ja. Man den­ke doch nur an Pla­ton und Nietz­sche, die das so ein­drucks­voll und ein­dring­lich vor Augen geführt haben.

Aber vie­le fol­gen nicht ihrer See­le, son­dern nur den viel zu ober­fläch­li­chen Inter­es­sen einer Psy­che, die “Haben mit Sein” mit­ein­an­der ver­wech­selt. Viel zu vie­le las­sen sich bereit­wil­lig lei­ten von den ästhetisch–moralischen Kon­sum­wel­ten der angeb­lich „Schö­nen und Reichen“.

Wenn dar­in ganz offen­bar die aller­mei­sten Zeit­ge­nos­sen ihre Lebens­zie­le sehen und sogar fin­den, dann kann ich sie nicht mehr ernst nehmen.

Als ich vor lan­ger Zeit noch Ethik–Unterricht für Poli­zei­be­am­te an der FH für öffent­li­che Ver­wal­tung in Dort­mund gab, hat­te ich irgend­wann bereits die­ses Kon­zept für mich als Arbeits­grund­la­ge: Ich hole die Men­schen ab, wo sie ste­hen, aber ich fah­re nicht bis unter die Erde!

Wer unter­ir­disch ist und es auch sein und blei­ben will, soll es sich wohl erge­hen las­sen in der Höh­le. Und kein Phi­lo­soph wird sie bei ihren hei­li­gen Hand­lun­gen in der Kon­sum­höl­le stören.

Die Basis für einen eige­nen Habi­tus, so daß man selbst­ver­ständ­lich einen Men­schen ernst neh­men kann, muß sich schon jeder selbst schaf­fen. — Die See­le macht das Spiel.


Über Wildheit und Schönheit

Ariadne reitet den Panther des Dionysos

Mär­chen, Mythen und Meta­phern sind so etwas wie Algo­rith­men. Es ist daher nicht nur inter­es­sant, son­dern hilf­reich, sich je nach Fra­ge­stel­lung stets ein­ge­hen­der mit den ein­schlä­gig bekann­ten mythi­schen Figu­ren zu befassen.

So läßt sich genau­er nach­voll­zie­hen, was im Zuge der Kul­tur­ge­schich­te an Erfah­run­gen in die Mythen ›hin­ein­ge­schrie­ben‹ wor­den ist, denn das läßt sich auch wie­der ›her­aus­le­sen‹. — Dar­in liegt der eigent­li­che Hin­ter­sinn von Mytho­lo­gie, es geht näm­lich um mehr als erbau­li­che Geschichten.

Der Ein­gang ins Ver­ste­hen läßt sich fin­den, indem wir unter den vie­len Mythen die­je­ni­gen aus­wäh­len, die viel­ver­spre­chend erschei­nen, weil ähn­li­che Pro­ble­me ver­han­delt wer­den. — Das ›pas­sen­de‹ Nar­ra­tiv einer mythi­schen Bege­ben­heit wird dann ›über­tra­gen‹ auf unse­ren Sach­ver­halt, über den wir die über­zeit­li­chen Erfah­run­gen auf­schlie­ßen sollten.

In die­sem Fall scheint Ari­ad­ne hilf­reich zu sein, weil sie sich gene­rell mit Laby­rin­then aus­kennt. Die Prin­zes­sin von Kre­ta war The­seus dabei behilf­lich, sich im eigens für den stier­köp­fi­gen Mino­tau­rus geschaf­fe­nen Laby­rinth zu ori­en­tie­ren. Daß es sich beim Ari­ad­ne­fa­den aber um ein bana­les Woll­knäu­el gehan­delt haben soll, ist nicht wirk­lich über­zeu­gend. — Selbst­ver­ständ­lich steht es uns frei, im Zwei­fels­fall unzu­frie­den zu sein mit dem, was uns die kinds­ge­rech­ten Les­ar­ten bieten.

Die Mythen sind von einer Kul­tur auf die näch­ste über­ge­gan­gen, so daß wir über vie­le Mög­lich­kei­ten ver­fü­gen, in den Fein­hei­ten zwi­schen den Vari­an­ten genau­er zu lesen, um den dar­in ver­bor­ge­nen Sinn her­aus­zu­le­sen: Ari­ad­ne ist Schü­le­rin der Cir­ce, die wie­der­um auf die Isis zurück geht, einer über­aus mäch­ti­gen ägyp­ti­schen Göt­tin der Zauberkunst.

Wie Medea ist auch Ari­ad­ne bestens mit dem Zau­bern ver­traut, die Wege blockie­ren aber auch öff­nen kön­nen. Dabei wird das Laby­rinth bald zum Sym­bol für den Lebens­weg, der oft in aus­weg­lo­se Lagen führt aber nicht wie­der her­aus. — Die eigent­li­che Bedeu­tung von Ari­ad­ne liegt also dar­in, Ori­en­tie­rung zu bie­ten, gera­de auch in Kon­stel­la­tio­nen, die etwas von einem Laby­rinth haben.

Der Zau­ber, mit dem Ari­ad­ne gan­ze Laby­rin­the zu bewäl­ti­gen hilft, liegt jedoch rät­sel­haf­ter­wei­se im Geheim­nis von Schön­heit. — Das Prin­zip lau­tet: Bezäh­mung der Wild­heit durch die Schönheit.

Auf die­se geheim­nis­vol­le For­mel kommt der würt­tem­ber­gi­sche Bild­hau­er Johann Hein­rich von Dannecker auf­grund sei­ner Stu­di­en­rei­se nach Rom. Damit bringt er sei­ne Inspi­ra­ti­on auf den Begriff. — Der Geist sei­ner vor­zei­ten über­aus popu­lär gewor­de­nen Skulp­tur: Ari­ad­ne auf dem Pan­ther, ent­birgt eine phi­lo­so­phi­sche Spe­ku­la­ti­on von ganz beson­de­rer Bedeutung.

Johann Hein­rich von Dannecker, Ari­ad­ne auf dem Pan­ther, 1803–1814, im Lie­bieg­haus in Frank­furt am Main.

Der Pan­ther ist das Wap­pen­tier für den Wein– und Rausch­gott Dio­ny­sos, der im übri­gen nicht nur der Vor­läu­fer von Jesus Chri­stus in vie­len Aspek­ten sei­ner Sym­bo­lik ist, son­dern der dabei auch noch tie­fer blicken läßt in sei­ne bipo­la­re Psyche.

Die­ser Gott der Eksta­se hat selbst eine über­aus kom­pli­zier­te Ver­gan­gen­heit, und die macht ihn zum Bor­der­li­ner. Sobald er auch nur den gering­sten Ver­dacht ver­spürt, er könn­te even­tu­ell auch nur schief ange­schaut wor­den sein, greift er zu dra­ko­ni­schen, uner­bitt­li­chen und scheuß­li­chen Rache­ak­ten, die völ­lig unver­hält­nis­mä­ßig sind.

Da wird dann das, was die­se Skulp­tur zu sagen ver­steht, zur fro­hen Bot­schaft über die Poten­tia­le einer not­wen­di­gen hei­li­gen Hand­lung: Ari­ad­ne bewäl­tigt das Wil­de, Rohe und Unmensch­li­che sol­cher Rach­sucht durch Schön­heit! Die­ser Gedan­ke ist vor allem phi­lo­so­phisch von der­ar­ti­ger Bri­sanz, so daß ich sagen wür­de, ver­su­chen wir es doch! Immer­hin hat sich bereits Han­nah Are­ndt an die­sem Pro­jekt nicht ganz ver­geb­lich ver­sucht, eine Poli­ti­sche Theo­rie auf der Grund­la­ge der Ästhe­ti­schen Urteils­kraft zu ent­wickeln. — Wir soll­ten end­lich wie­der nach den Ster­nen greifen

Es gibt inzwi­schen hin­rei­chen­de Anhalts­punk­te für die Annah­me, daß die Ver­nunft als Mei­ste­rin der Mul­ti­per­spek­ti­vi­tät mit Ästhe­tik vor­geht, wenn es gilt, in irgend­ei­ner Ange­le­gen­heit ›das Gan­ze‹ zu ver­ste­hen. Erst dann kom­men Dia­lo­ge und Dis­kur­se wirk­lich zur Ent­fal­tung, wenn alle, die nur Recht haben wol­len, end­lich ergrif­fen wer­den und sich zu fas­sen versuchen.

Es kann näm­lich in der Ästhe­ti­schen Urteils­kraft gar nicht mehr ums Recht­ha­ben gehen. — Wir kön­nen nur noch an den Ande­ren appel­lie­ren, er möge doch auch so wie wir, etwas Bestimm­tes so emp­fin­den wie wir, um dann auf die tie­fe­ren Beweg­grün­de zu spre­chen zu kom­men, die sich ein­stel­len, wenn man es ver­steht, sich end­lich für Höhe­res zu öffnen.

Im Mit­tel­al­ter wur­de die Höfi­sche Gesell­schaft auf ähn­li­che Wei­se geschaf­fen, als man die rauh­bei­ni­gen War­lords von Raub­rit­tern auf ihren zugi­gen Bur­gen abbrin­gen woll­te, von ihrem lukra­ti­ven Tun und Trei­ben, nach eige­nem Gesetz auf Beu­te­zug zu gehen. — Sie wur­den nach­hal­tig ›gezähmt‹ im Min­ne­sang, also durch Schön­heit. Für ihre Dame opfer­ten sie ihre Wild­heit, ihre Unge­stümt­heit und wohl auch einen nicht unbe­trächt­li­chen Teil einer Männ­lich­keit, die inzwi­schen man­chen Frau­en bei Män­nern fehlt.

Es kommt dar­auf an, die Mul­ti­per­spek­ti­vi­tät mit allen ihren Zumu­tun­gen und Her­aus­for­de­rung zu wür­di­gen in einer Welt, die immer mehr zum Amok­lau­fen neigt. — Irgend­was muß den stän­dig dro­hen­den Irr­sinn im Zaum hal­ten. Und genau das macht sie, die Göt­tin der ästhe­ti­schen Urteils­kraft: Ariadne.


Soziale Kompetenzen und geistige Inkompetenzen

Fairneß als Zeichen von Größe

Es gibt sozia­le Kom­pe­ten­zen, die weit wich­ti­ger sind als eine in sich selbst ver­lieb­te Kon­kur­renz­ge­sell­schaft, die doch nur am Ast sägt, auf dem sie sitzt. — Das wur­de am Frei­tag deut­lich, im Semi­nar für ange­hen­de Leh­rer und Leh­re­rin­nen, in dem es um Pro­fes­sio­na­li­tät und Berufs­ethik geht.

Man mag es kaum mehr glau­ben, aber Kin­der brin­gen ein Gefühl für Gerech­tig­keit gleich mit auf die Welt. Sie kämp­fen sogar dafür, wis­sen aber viel­leicht noch nicht genau, wie man sol­che Wer­te lebt ohne als dumm hin­ge­stellt zu werden.

Hört man Vor­schul­kin­dern beim gemein­sa­men Spie­len zu, dann ver­han­deln sie die Regeln fast eben­so lan­ge, wie tat­säch­lich auch gespielt wird. Und der Satz: „Das gil­det nicht!“, klingt mir noch immer in den Ohren. — Wie so oft hat Jean Jac­ques Rous­se­au mal wie­der Recht: Die Natur des Men­schen ist und bleibt gut, solan­ge die Gesell­schaft kei­nen schlech­ten Ein­fluß ausübt.

Gera­de im Gere­de über die ver­meint­li­che Natur des Men­schen glau­ben vie­le ohne die gering­ste Ahnung von Anthro­po­lo­gie, ihre beschränk­te Sicht der Din­ge und vor allem ihre Res­sen­ti­ments unwi­der­spro­chen ver­all­ge­mei­nern zu dürfen.

Wolfsmärchen

Man glaubt es aus eige­ner Anschau­ung bes­ser zu wis­sen. Wir leben angeb­lich in einer Kon­kur­renz- und Lei­stungs­ge­sell­schaft, im Kampf aller gegen alle, auf der frei­en Wild­bahn, inmit­ten hoch­zi­vi­li­sier­ter Wel­ten, die von vorn bis hin­ten men­schen­ge­macht sind. — Also was soll die Beru­fung auf die angeb­li­che „Natur des Menschen“?

Tat­säch­lich haben wir alle erdenk­li­chen Frei­hei­ten, uns nach eige­nen Vor­stel­lun­gen zu „kul­ti­vie­ren“ in unse­rer Natur, als Per­son und vor allem in unse­rem Cha­rak­ter. Aber genau die­se Frei­heit ist vie­len suspekt.

Dage­gen dient die Beru­fung auf eine angeb­lich schlech­te Natur des Men­schen der Recht­fer­ti­gung, den Ein­zel­nen die ihnen zuste­hen­den Frei­hei­ten in der Selbst­fin­dung vor­zu­ent­hal­ten und zugleich so etwas wie „Men­schen­füh­rung“ zu bean­spru­chen, mit der sich die Herr­schaf­ten zu allen Zei­ten immer sehr gut legi­ti­mie­ren haben. — Ent­mün­di­gung und Bevor­mun­dung sind daher noch immer auch in angeb­lich „frei­en“ Gesell­schaf­ten die Regel.

Die Coro­na-Zeit hat über­deut­lich gemacht, wie begrenzt die Halt­bar­keit der angeb­lich garan­tier­ten Grund­rech­te eigent­lich ist. Aus purer Angst haben vie­le ihre unver­äu­ßer­li­chen Grund­rech­te gegen ver­meint­li­che Sicher­hei­ten getauscht. Aber so etwas war schon immer ein schlech­ter Tausch.

Jean-Léon Gérô­me: Die Wahr­heit kommt aus ihrem Brun­nen (1896).

Der von Kant gefor­der­te Mut, sich des eige­nen Ver­stan­des zu bedie­nen, ist eben kein Kin­der­spiel. Angst war schon immer der schlech­te­ste aller Rat­ge­ber, Haß und Het­ze waren noch nie ein Aus­druck guter Poli­tik. Aber man­che sind das Opfer eige­ner Äng­ste und grei­fen hän­de­rin­gend nach allem, was angeb­lich Halt ver­spricht. Es war manch­mal wie bei einer Mas­sen­pa­nik, bei der man­che ein­fach tot­ge­tram­pelt wurden.

Sou­ve­rä­ni­tät, Gelas­sen­heit und Auto­no­mie haben Sel­ten­heits­wert, wo alles über einen Lei­sten geschla­gen wird.

Fairneß

Aus­ge­rech­net im Lei­stungs­sport, bei dem es ja angeb­lich immer nur ums Gewin­nen geht, also inmit­ten der Ellen­bo­gen­ge­sell­schaft, gibt es aber noch ganz ande­re Wer­te: Fair­neß, Gerech­tig­keit und Authen­ti­zi­tät sind Zei­chen wahr­haf­ter Grö­ße. Nur muß man sich so etwas lei­sten wol­len und auch können.

Wenn etwa bei der Tour de France alle Fah­rer auf einen Kon­kur­ren­ten war­ten, der zuvor unglück­lich gestürzt war. Aus Grün­den der Fair­neß zügeln alle plötz­lich den unbe­ding­ten Wil­len zum Sieg. Wenn sie dann mit beein­drucken­den Gesten dar­auf war­ten, daß einer von ihnen aus höhe­ren Grün­den als erster ins Ziel fah­ren kann, dann zeigt sich, was mensch­li­che Grö­ße aus­macht. — Wenn eine Ski­läu­fe­rin der Kon­kur­ren­tin mit­ten im Ren­nen ihren Stock “aus­leiht”, dann aber selbst stür­zen und sogar ver­lie­ren muß. Auch wenn jener Fuß­bal­ler, der im Straf­raum gestürzt aber kei­nes­wegs zu Fall gebracht wor­den ist, beim Schieds­rich­ter gegen den bereits gege­be­nen Elf­me­ter plä­diert, dann haben wir gute Bei­spie­le, die der dump­fen Ideo­lo­gie unse­rer angeb­lich so herz– und geist­lo­sen Kon­kur­renz­ge­sell­schaft haus­hoch über­le­gen sind.

Wie lau­tet doch der drei­ste Spruch einer der dümm­sten Wer­be­kam­pa­gnen aller Zei­ten: „Ich bin doch nicht blöd!“ — Genau: Gele­gen­heit macht Die­be und wer etwas steh­len kann und es nicht tut, ist doch ein­fach nur blöd. Wer sich einen betrü­ge­ri­schen Vor­teil ver­schaf­fen kann, wäre doch blöd, es nicht zu tun, oder?

Die Seele des schlechten Gewissens

Alle viel zu dürf­tig den­ken­den Schlau­mei­er ver­ges­sen dabei jedoch eines: Wir sind nie allein. Wir haben immer einen Zeu­gen dabei, näm­lich uns selbst. Es ist das schlech­te Gewis­sen und hin­ter alle­dem steht die eige­ne Seele.

Davon ist seit gerau­mer Zeit immer weni­ger die Rede: Unse­re See­le weiß offen­bar sehr genau, was wirk­lich gut ist für ande­re und auch für uns selbst. — Ich ver­mu­te inzwi­schen, daß man­che Depres­si­on von einem schlech­ten Gewis­sen her­rüh­ren dürf­te, die von einer in die Ecke gestell­ten See­le ausgehen.

Nicht von unge­fähr wird die­ser Tage der Unter­schied zwi­schen Psy­che und See­le immer wich­ti­ger. Denn die Psy­che ist offen­bar inzwi­schen selbst zum Teil des Pro­blems gewor­den. Sie stellt sich nur zu gern als Opfer hin, ist oft aber auch Täter an sich selbst, und dabei wirbt sie wie die Poli­ti­ker für ihre viel zu ein­fäl­ti­gen Machen­schaf­ten. — Tat­säch­lich sind die eigent­li­chen Moti­ve oft nur von die­ser Welt, wenn man an Nar­ziß­mus, Gel­tungs­sucht, Selbst­ver­liebt­heit, Vor­ein­ge­nom­men­heit, Rach­sucht, Haß, Neid und Eitel­keit denkt.

Aber fra­gen wir gene­rell: War­um „gut“ sein wol­len und vor allem wozu? — Nur aus Angst vor Stra­fe, wenn man erwischt wür­de, oder viel­mehr aus eige­nem Antrieb, also von innen her, aus eige­ner Moti­va­ti­on, weil wir uns eben die Frei­heit zur Grö­ße tat­säch­lich her­aus­neh­men und auch lei­sten wollen.

Wür­de den Belan­gen der See­le mehr Raum ver­schafft, die Wei­ter­ent­wick­lung der eige­nen Per­son, der gan­zen Welt, ja sogar der gan­zen Mensch­heit wür­de bemer­kens­wer­te Ent­wick­lun­gen machen bis hin zu einer sehr viel mensch­li­che­ren Welt. — Aber vie­le glau­ben, mit dunk­len Machen­schaf­ten, Rück­sichts­lo­sig­kei­ten, ja sogar mit Lug und Betrug sehr viel bes­ser durch­zu­kom­men. Fragt sich nur wozu und wohin sie “durch­kom­men” wollen.

Ein Zauberring, der unsichtbar macht

Bei Pla­ton wird die­ses Pro­blem näher erläu­tert anhand eines Motivs von einem magi­schen Ring mit der Fähig­keit, den Trä­ger unsicht­bar zu machen. Der Mythos vom Ring des Gyges geht auf eine anti­ke Erzäh­lung zurück, die in vie­len Vari­an­ten durch­ge­spielt wor­den ist. — Die Kern­fra­ge aber lau­tet immer: Was wür­de man tun, wenn man die­sen Ring hät­te und dann unge­straft tun könn­te, was und wie es einem beliebt.

Eglon van der Neer: Die Frau des Kan­dau­les ent­deckt den ver­steck­ten Gyges (1660).

Im Dia­log bei Pla­ton wird mit der Alle­go­rie vom Zau­ber­ring erör­tert, was in Päd­ago­gik und Psy­cho­lo­gie als „intrin­si­sche Moti­va­ti­on“ bezeich­net wird. — Wer sich näm­lich unsicht­bar machen kann, der wäre schlicht unan­greif­bar und daher übermächtig.

Die Fra­ge liegt also auf der Hand: Wenn einem gar nichts pas­sie­ren kann, egal was man tut; war­um soll­te man dann noch mora­lisch moti­viert sein?

Schön und lehr­reich ist es immer, so etwas durch­zu­spie­len, um in Erfah­rung zu brin­gen, was dann wirk­lich geschieht, wenn man es täte. Die Aus­sich­ten auf den ver­meint­li­chen Erfolg fin­ste­rer Machen­schaf­ten wer­den tat­säch­lich als­bald getrübt, wenn wir die Fol­gen näher in Augen­schein neh­men. — Men­schen haben näm­lich nicht wirk­lich ech­te Freu­de am Erschwin­del­ten. Genau­er bese­hen zählt es nicht nur nicht, es fällt sogar alles zurück auf die, die es ver­sucht haben, auf die­se Wei­se einen Erfolg ein­zu­heim­sen, der gar kei­ner war.

Gera­de gegen die­sen Impuls, sich sol­che Frei­hei­ten zum Lügen und Betrü­gen her­aus­zu­neh­men, gibt es wie­der sehr schö­ne Gegen­bei­spie­le. Tat­säch­lich ist uns näm­lich an ech­ter, wohl­ver­dien­ter Aner­ken­nung gele­gen und alles ande­re zählt nicht wirklich.

Da gibt es bei­spiels­wei­se die Bal­la­de von einem mäch­ti­gen Mann, der eine jun­ge Frau begehrt, die ihm aber nicht zuge­tan ist. In sei­ner Lie­bes­not ver­legt sich die­ser selt­sa­me Vogel auf einen See­len­zau­ber, um die Dame sei­nes Her­zens doch noch dazu zu bewe­gen, ihm gewo­gen zu sein und der Zau­ber ver­fängt. — Aber er hat die Rech­nung ohne den Wirt gemacht. Er kann ein­fach nicht glück­lich wer­den mit die­ser gestoh­le­nen Lie­be, weil sie ja nicht „echt“ ist.

Oder wenn etwa der ver­mö­gen­de Intim­freund einer auf­stre­ben­den Künst­le­rin die­ser einen ganz gro­ßen Gefal­len tun will, indem er die von ihr geschaf­fe­nen, bis­her nicht son­der­lich gut ver­kauf­ten Kunst­wer­ke ein­fach sei­ner­seits erwirbt. Er hat ja schließ­lich Geld genug und kann es sich lei­sten. — Was wird aber gesche­hen, sobald sie dahin­ter­kommt, daß er es war, der alles auf­ge­kauft hat? Käme sie sich dann nicht reich­lich blöd vor?

Man sieht, sol­che Rech­nun­gen gehen ein­fach nicht auf. Wenn etwas nicht echt ist, dann kann und darf es gar nicht zäh­len, das wis­sen bereits Kin­der sehr früh. — Daher wol­len wir ent­we­der ech­te Aner­ken­nung oder lie­ber gar kei­ne. Im Zwei­fels­fall kann man das eige­ne Schei­tern noch immer als Zei­chen ech­ter Grö­ße zele­brie­ren. Man hat es eben ehr­lich ver­sucht, aber die Welt war noch nicht reif genug.

Wir legen also gro­ßen Wert dar­auf, sicher zu gehen, daß ande­re uns nicht ein­fach nur schmei­cheln und etwas vor­ma­chen wol­len. Und sogar Kin­der, die erst noch das Auch–mal–Verlieren–Können ler­nen müs­sen, sind im Prin­zip längst so weit, ein­se­hen zu kön­nen, daß ein geschenk­ter Sieg nicht wirk­lich zählt. — Mit Augen­zwin­kern kann man ihnen tat­säch­lich bereits zu ver­ste­hen geben, daß man sie dies­mal noch gewin­nen läßt, weil sie sich noch all­zu sehr ärgern über eine Nie­der­la­ge im Spiel.

Wie es wäre, Donald Trump zu sein

Bei alle­dem den­ke ich immer mal wie­der über den Cha­rak­ter von Donald Trump nach, weil mir sei­ne Unauf­rich­tig­keit und sein fort­wäh­ren­der Selbst­be­trug nur schwer nach­voll­zieh­bar ist. Ich will ver­ste­hen, schei­te­re aber immer wie­der an mei­nem Vor­stel­lungs­ver­mö­gen, wie es wohl von­stat­ten gehen könn­te, der­art von sich über­zeugt zu sein, so daß man glaubt, sich selbst und ande­re auf Dau­er belü­gen und betrü­gen zu kön­nen. — Und die­se Gedan­ken dräng­ten sich mir auch im Semi­nar über die “Fair­neß im Sport­un­ter­richt” wie­der auf.

Enri­co Maz­z­an­ti: Pinoc­chio (1883).

Trump ist gewiß kein Sports­mann, dach­te ich mir. Aber er spielt doch Golf, also müß­te er doch irgend­wie „fair“ sein, dach­te ich mir dage­gen auch wiederum.

Der­weil kam mir die Sze­ne aus dem Bond-Film „Gold­fin­ger“ in den Sinn, wo ein Bond-Böse­wicht auf ganz jäm­mer­li­che Wei­se beim Golf betrügt, weil die von Gerd Frö­be so her­vor­ra­gend gespiel­te Figur ein­fach nicht ver­lie­ren und daher auch nicht fair sein kann. — Der ins Nir­gend­wo ver­schla­ge­ne Golf­ball wird vom fin­ste­ren Gehil­fen ein­fach durch ein Loch in der Hosen­ta­sche an Ort und Stel­le plat­ziert, was natür­lich von Bond durch­schaut und auch auf­ge­klärt wird.

Um aber in der ent­schei­den­den Fra­ge wei­ter­zu­kom­men, habe ich ein­fach nach „Trump sports­man“ gegoo­gelt. — Gleich der zwei­te Fund ist eine Mel­dung aus dem Spiegel:

„So gewinnt er immer. Der US-Prä­si­dent Donald Trump hält sich für einen exzel­len­ten Gol­fer. Tat­säch­lich schum­melt er bei jeder Gele­gen­heit, sogar gegen pro­mi­nen­te Mit­spie­ler wie Tiger Woods.“ — Dan­ke, mehr brau­che ich nicht. Manch­mal ist es mir schon wie­der zu blöd, so ein­fach Recht zu haben.

Das erklärt aber nur, daß er so ist, wie zu befürch­ten war. Aber erklärt wird nicht, war­um Trump so ist, wie er ist. — Also ver­su­che ich mir zu erklä­ren, wie man sich wohl füh­len muß, wenn die See­le als Gei­sel genom­men wor­den ist und am Kopen­ha­gen-Syn­drom lei­det, wo die Gei­seln beim Feu­er­ge­fecht mit der Poli­zei den Tätern die Waf­fen nach­ge­la­den haben.

Um etwas zu ver­ste­hen, müs­sen wir es uns erst ein­mal vor­stell­bar und nach­voll­zieh­bar machen, aber dazu gehört sehr viel Ein­füh­lungs­ver­mö­gen. — Wenn es schon einen berühm­ten Auf­satz von Tho­mas Nagel gibt unter der Fra­ge­stel­lung: „Wie es ist, eine Fle­der­maus zu sein“, dann soll­te es doch auch gelin­gen, sich vor­stel­len zu kön­nen, wie es wohl sein wür­de, Donald Trump zu sein, nicht auf Dau­er, aber solan­ge, bis man gese­hen hat, wie Trump–Sein geht.

Als Hilfs­ar­gu­ment neh­me ich der­weil ein „Fak­tum“ aus ande­ren Zei­ten. Es wur­de näm­lich vor­zei­ten über Mercedes–Fahrer, ihre Karos­sen und ihr Ver­hal­ten im Stra­ßen­ver­kehr gesagt, daß bei die­sen die Vor­fahrt bereits ein­ge­baut sei. — So jeden­falls ver­su­che ich mir zu erklä­ren, wie der Trum­pis­mus als Betriebs­sy­stem und Mas­sen­be­we­gung wohl funk­tio­nie­ren könn­te. In der non–binären Welt von Trump, sei­ner Anhän­ger­schaft und denen, die an ihn und sei­ne Mis­si­on glau­ben, ist er ja so etwas wie ein Messias.

Im Trump–Spiel kann es immer nur einen Gewin­ner geben. Dem­nach gibt es gar nicht die Mög­lich­keit, daß er auch mal ver­lie­ren könn­te, denn so etwas ist im Schöp­fungs­plan ein­fach nicht vor­ge­se­hen! — Also kann eine Wahl, in der er ver­lo­ren hat, ein­fach nur ein Fake sein, genau­so wie die Fotos sei­ner Amts­ein­füh­rung mit einem bemer­kens­wer­ter Neo­lo­gis­mus gekon­tert wur­den, bei dem man sich nicht genug die Augen rei­ben kann: Es gäbe neben der nor­ma­len Wirk­lich­keit noch so etwas wie „Alter­na­ti­ve Fak­ten“, sag­te sei­ne selt­sam anmu­ten­de Pres­se­spre­che­rin damals.

Kritik der Esoterik

Aller­dings berei­tet es mir beson­de­re Pro­ble­me, genau­er nach­zu­voll­zie­hen, war­um es unter Eso­te­ri­kern häu­fi­ger gera­de sol­che Zeit­ge­nos­sen gibt, die in Trump einen ganz gro­ßen, wei­sen, aus­er­wähl­ten, durch­aus von den Göt­tern gesand­ten Erlö­ser sehen. — Ich muß geste­hen, daß ich dann in mei­ner Gedan­ken­ar­beit regel­mä­ßig an Bela­stungs­gren­zen sto­ße, weil ich da ein­fach nicht mehr mit­kom­me. Dabei spie­le ich ganz gern auch mit schrä­gen Gedanken.

In Kin­der­ta­gen hat­te ich uner­müd­li­che Gedan­ken­spie­le mit Ver­su­chen, mir etwas vor­zu­stel­len, was ich mir nicht vor­stel­len kann. Also wur­de eine Vor­stel­lung nach der ande­ren durch­ge­wun­ken; sobald sie vor­stell­bar gewor­den war, wur­de sie auch schon wie­der abge­lehnt… — So etwas erwei­tert den Hori­zont des Vor­stell­ba­ren unge­mein und den­noch blei­ben gewis­se Gren­zen der Phantasie.

Nicht ohne scha­den­fro­he Selbst­iro­nie sehe ich mir selbst beim Expe­ri­men­tie­ren mit den Gedan­ken­wel­ten man­cher die­ser Eso­te­ri­ker zu. Bald zei­gen sich näm­lich in mei­ner Welt­vor­stel­lung die ersten Ris­se, dann kom­men Struk­tur­brü­che hin­zu und schon bald bre­chen gan­zen Gedan­ken­ge­bäu­de kra­chend in sich zusam­men, wenn ich ernst­haft ver­su­che, alle­dem einen nach­voll­zieh­ba­ren Sinn einzuhauchen.

Da wer­den nicht nur die zu prü­fen­den Gedan­ken zu Crash­test-Dum­mies, schluß­end­lich kol­la­biert die gan­ze Ver­suchs-Anla­ge. — Es dau­ert übri­gens etwa drei Tage, bis alles so eini­ger­ma­ßen wie­der steht.

Trump, Sports­geist, Fair­neß, wahr­haf­te Grö­ße, tat­säch­li­che Wür­de, Kon­zi­li­anz und vor allem Per­sön­lich­keit, wie das alles zusam­men­ge­hört? — Manch­mal paßt es eben nicht wirk­lich und alles bricht unter der Last der Lügen in sich zusammen.

Für Gläu­bi­ge ist so etwas aber nichts wei­ter als eine Prü­fung in der Festig­keit des eige­nen Glau­bens. — Wie heißt es doch: Als sie ihr Schei­tern bemerk­ten, da ver­dop­pel­ten sie ihre Anstrengungen.

Aller­dings ist die­ser Tage nicht nur ein Zen­tral­ge­stirn reak­tio­nä­ren Den­kens im Sink­flug begrif­fen. So ergeht es man­chen die­ser Tage, die ein­fach zu hoch geflo­gen sind. — Man kann nicht Angst mit Haß bekämp­fen, man soll­te auch nicht die See­len­heil­kun­de in die Hän­de ver­meint­li­cher Coa­ches legen, die auf den Markt­plät­zen im Inter­net wie Wun­der­hei­ler herumziehen.

Zur Fair­neß, vor allem auch zu der, sich selbst gegen­über, braucht es Mut und Zuver­sicht. Aber so etwas fällt nicht vom Him­mel. — Auf Bil­dung kommt es an, so viel Umweg muß sein.

Man­che wol­len aber Erleuch­tung nach dem Mot­to: “I like Genuß sofort”, noch so eine sau­blö­de Wer­bung vor­zei­ten. Und die­sen Spruch haben sich vie­le auch noch aufs Auto geklebt. — Da mag es gün­stig erschei­nen, gleich in den Glau­ben zu sprin­gen, als wäre es nur eine Mut­pro­be. Aber so etwas ist gar kei­ne Lei­stung, son­dern nur die Flucht vor der gei­sti­gen Freiheit.

Auf die Bil­dung der Per­sön­lich­keit kommt es daher an. Wir soll­ten eini­ger­ma­ßen sicher gehen kön­nen, daß wir uns selbst und ande­ren nicht ein­fach nur etwas vor­ma­chen. – Das ist es doch gera­de, was “Kri­tik” aus­macht. Wir soll­ten uns nicht selbst auf den Leim gehen, son­dern uns selbst ganz beson­ders “kri­tisch” betrachten.

Als Kon­trast­mit­tel kann man dabei auf Phi­lo­so­phie, Kunst und Dich­tung zurückgreifen:

„Wer Wis­sen­schaft und Kunst besitzt,

Hat auch Religion;

Wer jene bei­den nicht besitzt,

Der habe Religion.“

(Johann Wolf­gang von Goe­the: Gedich­te. Nach­le­se. In: Ber­li­ner Aus­ga­be; Bd. 2, S. 383.)


Elon Musk und der Algorithmus der Macht

Über die Konstruktion der herrschenden Meinung

Wer die Spra­che beherrscht, kann Macht für sich bean­spru­chen, weil die Wirk­lich­keit damit kon­stru­iert wer­den kann und damit auch die herr­schen­de Meinung.

Elon Musk will angeb­lich den Algo­rith­mus ver­öf­fent­li­chen, der „hin­ter“ Twit­ter steckt. Aber es sind hun­der­te und im übri­gen bräuch­te man dann auch das Mate­ri­al, mit dem die­se Algo­rith­men “ange­lernt” wor­den sind.

Via Twit­ter ver­kün­den die Alphas unter den Jour­na­li­sten seit gerau­mer Wei­le, wo die herr­schen­de Mei­nung liegt. Auf­stre­ben­de Nach­wuchs­ta­len­te haben das Cre­do der mäch­ti­gen Mei­nungs­ma­cher dank­bar übernommen.

Die „Vier­te Gewalt“ ist kei­ne mehr, son­dern selbst zum Teil des Pro­blems gewor­den, sie hat sich zum Angst­bei­ßer ent­wickelt, weil sie längst vor dem Inter­net in die Knie gegan­gen ist. – Als das Pri­vat­fern­se­hen auf­kam, hat­ten die öffent­lich-recht­li­chen Anstal­ten schließ­lich auch nichts Bes­se­res zu tun, als sich ein schlech­tes Bei­spiel an der neu­en Kon­kur­renz zu nehmen.

Johann Hein­rich von Dannecker, Ari­ad­ne auf dem Pan­ther, 1803–1814, Lie­bieg­haus in Frank­furt am Main.

Nicht ohne klamm­heim­li­che Freu­de gön­ne ich es den Ver­tre­tern der “Vier­ten Gewalt”, daß sie jetzt mit­ver­kauft wor­den sind. Denn sie tun seit Jah­ren nicht mehr, was sie zu tun hät­ten: Den Dis­kur­sen bei der Ori­en­tie­rung in der ver­wir­ren­den Viel­falt aller Stim­men kom­pe­tent zur Sei­te zu stehen.

Natür­lich gibt es immer auch Aus­nah­men, aber die Ten­den­zen sind ins­ge­samt besorg­nis­er­re­gend: Man­che füh­ren sich wie die Ober­prie­ster einer allein­se­lig­ma­chen­den Kir­che auf, um alle exkom­mu­ni­zie­ren zu las­sen, die sich nicht ihrer Auf­fas­sung „fügen“.

Die her­me­ti­sche Mei­nungs­bil­dung via Twit­ter wirkt wie die hei­li­ge Inqui­si­ti­on der römisch-katho­li­schen Kir­che. – Aus­ge­sto­ßen zu wer­den aus der Gemein­schaft, ist seit Anbe­ginn der Mensch­heit die ulti­ma­ti­ve Katastrophe.

Wäh­rend die Kir­chen immer weni­ger rele­vant sind in Fra­gen der Ori­en­tie­rungs­ori­en­tie­rung, haben Pres­se­ver­tre­ter längst die Rol­le der Kir­chen­für­sten über­nom­men. Man kann inzwi­schen sogar die Exkom­mu­ni­ka­ti­on aus­spre­chen und exe­ku­tie­ren, die Betrof­fe­nen wer­den dann vom sozia­len Tod ereilt.

Nun hat Elon Musk gera­de via Twit­ter oft und gern zur Image­pfle­ge, für Spie­le­rei­en, Spe­ku­la­tio­nen und zur Agi­ta­ti­on genutzt. Dabei war das Medi­um immer auch Bot­schaft. – Aber irgend etwas hat den Tycoon ganz offen­bar schon seit lan­gem an Twit­ter gestört: Es muß das Geheim­nis­vol­le im Ran­king gewe­sen sein. Also wer kriegt eigent­lich was, wann und war­um zu sehen?

Man weiß längst von Insi­dern sozia­ler Net­ze, die zu Wist­le­b­lo­wern wur­den, daß gera­de die „gro­ßen“, beson­ders extre­men „Emo­tio­nen“ geför­dert wer­den, weil wir uns angeb­lich nur zu gern maß­los auf­re­gen. Und die Algo­rith­men sind dazu pro­gram­miert, die User mög­lichst lang auf der Platt­form zu hal­ten, damit man sie umso bes­ser mit Wer­bung bestrei­chen kann.

So wie einst­wei­len die Rat­schlüs­se der Göt­ter uner­forsch­lich waren, so sind es jetzt die Algo­rith­men. Es wäre daher begrü­ßens­wert, wür­den die Algo­rith­men von Twit­ter ver­öf­fent­licht. Berich­tet wird, daß Elon Musk mit einer Entou­ra­ge eng­ster Mit­ar­bei­ter wie eine Besat­zungs­macht ein­ge­fal­len ist. Die Chefs wur­den augen­blick­lich in die Wüste geschickt, das Gan­ze ist eine Mischung aus feind­li­cher Über­nah­me und Raz­zia. – Sei­ten­wei­se wur­den Codes geor­dert und aus­ge­druckt, die dann in einer klan­de­sti­nen Com­mu­ni­ty von Bera­tern und Exper­ten, mit denen sich Musk umge­ben hat, geprüft zu wer­den. Worauf?

Jetzt hat er nicht nur ein Satel­li­ten­sy­stem „unter sich“, das der Kom­mu­ni­ka­ti­on vor allem auch in Kriegs­ge­bie­ten dient. Jetzt will er an die Kom­mu­ni­ka­ti­on selbst her­an. – Tat­säch­lich geht es um unse­re Diskurse!

Aber sind Mär­chen, Mythen und Meta­phern nicht auch wie Algo­rith­men? Und ist nicht Ari­ad­ne eine, die sich mit Laby­rin­then aus­kennt? – Ganz so neu ist das alles nun auch wie­der nicht.

https://​www​.nzz​.ch/​t​e​c​h​n​o​l​o​g​i​e​/​e​l​o​n​-​m​u​s​k​-​w​i​l​l​-​d​e​n​-​t​w​i​t​t​e​r​-​a​l​g​o​r​i​t​h​m​u​s​-​v​e​r​o​e​f​f​e​n​t​l​i​c​h​e​n​-​w​a​s​-​w​u​e​r​d​e​-​d​a​s​-​a​e​n​d​e​r​n​-​l​d​.​1​6​8​1​269


Der amerikanische Pragmatismus ist unethisch

„Alle auf das Recht ande­rer Men­schen bezo­ge­ne Hand­lun­gen, deren Maxi­me sich nicht mit der Publi­zi­tät ver­trägt, sind unrecht.“

(Imma­nu­el Kant: Zum ewi­gen Frie­den. Ein phi­lo­so­phi­scher Ent­wurf. In: Wer­ke. Bd. VI; S. 245.)

Kant ist eben­so berühmt wie berüch­tigt für sei­nen Rigo­ris­mus. Das läßt sich sehr gut illu­strie­ren anhand des Bei­spiels vom unschul­dig Ver­folg­ten, der sich bei mir ver­steckt. Ich soll, ich muß den Ver­fol­gern ver­ra­ten, daß er sich bei mir aufhält.

Die­se bein­har­te Prin­zi­pi­en­treue erscheint zunächst völ­lig welt­fremd, wenn das Lügen­ver­bot der­art abso­lut gesetzt wird, ohne jede Aus­nah­me. Aber bei Kant kommt es nicht auf die Fol­gen an, son­dern ein­zig und allein auf den per­sön­li­chen Ent­schluß zum Guten Wil­len als Grund­la­ge jeg­li­cher Moral. – Es wird ein täti­ges Ver­trau­en ein­ge­for­dert, sich nicht über das Gesetz zu stel­len, sich nicht für klü­ger zu hal­ten als alle ande­ren. Ent­schei­dend ist, ob man in der eige­nen Per­son den eige­nen Pflich­ten gerecht gewor­den ist oder nicht. Alles Wei­te­re muß und wird sich dann schon zeigen.

Das sieht der Ame­ri­ka­ni­sche Prag­ma­tis­mus völ­lig anders. Ihm zufol­ge ist ein­zig und allein das Ziel ent­schei­dend, und die Mit­tel zum Zweck sind dann „gut“, wenn sie errei­chen, was man sich nun ein­mal in den Kopf gesetzt hat.

Aller­dings geht es in der Phi­lo­so­phie stets ums Grund­sätz­li­che, daher wird es inter­es­sant, die mög­li­chen Alter­na­ti­ven bewußt durch­zu­spie­len. Und da wird Sokra­tes bei­spiel­haft mit sei­nem Ver­hal­ten, den Gift­be­cher zu schlucken, obwohl die Wäch­ter bereits besto­chen sind und eigent­lich von ihm sogar erwar­tet wird, daß er sich dem Urteil durch Flucht ent­zieht. – Aber Sokra­tes bleibt, trinkt und stirbt, wobei sehr deut­lich beschrie­ben wird, wie das Gift des Schier­lings sei­ne Wir­kung zu ent­fal­ten beginnt.

Jac­ques-Lou­is David: Der Tod des Sokra­tes (1787).

Wenn man nun dar­auf spe­ku­liert, Sokra­tes habe, wie Prot­agoras rund 10 Jah­re zuvor, eben­falls die Gele­gen­heit zur Flucht ergrif­fen, dann wird deut­lich, daß Sokra­tes nicht hät­te wei­ter­hin Sokra­tes sein und blei­ben kön­nen nach die­ser Flucht. Er hät­te durch sein Ver­hal­ten sei­ner gan­ze Phi­lo­so­phie eine Nar­ren­kap­pe auf­ge­setzt, er wäre zu Recht zum Gespött gewor­den. Und Pla­ton hät­te ihn mit­nich­ten so in Sze­ne set­zen kön­nen, wie er es getan hat. – Mit die­sem Opfer­tod wur­de der Phi­lo­so­phie ein unum­stöß­li­ches Denk­mal gesetzt, gegen das kein Prag­ma­tis­mus und auch kein Uti­li­ta­ris­mus ankom­men kann.

Genau das kommt auch her­aus, wenn man das Lügen ver­all­ge­mei­nert. Wenn näm­lich alle lügen wür­den und nie­mand sicher sein kann, daß nicht doch gelo­gen wor­den ist, dann gibt es kei­ne Wahr­heit mehr und auch kein Ver­trau­en. Alles wäre rui­niert. Der Lüg­ner spe­ku­liert ja dar­auf, daß ihm geglaubt wird, obwohl er weiß, daß er kein Ver­trau­en ver­dient hat. – Also wie­viel Zynis­mus, wie­viel Eigen­mäch­tig­keit, wie­viel Selbst­herr­lich­keit, Selbst­ge­rech­tig­keit und Geheim­hal­tung braucht man eigent­lich, wenn man sich so über alles hin­weg­set­zen will, was angeb­lich all­ge­mein ver­bind­lich gilt?

Das wirft ein ande­res Schlag­licht auf die Situa­ti­on mit dem unschul­dig Ver­folg­ten. Wir näh­men der Gemein­schaft und auch den Ver­fol­gern durch unse­ren eigen­mäch­ti­gen Ein­griff in das Gesche­hen jede Gele­gen­heit, selbst hin­ter die Unschulds­ver­mu­tung zu kom­men. – Auch wer aus angeb­lich guter Absicht lügt, stört die mora­li­sche Ent­wick­lung der gan­zen Mensch­heit für die Ver­fol­gung nied­ri­ger Zwecke. Das Recht auf die Wahr­heit haben Kin­der gegen­über ihren leib­li­chen Eltern und Kran­ke gegen­über Ärz­ten und Angehörigen.

Das Geheim­hal­ten selbst ist also bereits ein Indiz für poten­ti­el­les Unrecht. Genau das aber tun die Geheim­dien­ste aller Staa­ten, vor allem aber die der US-Ame­ri­ka­ner. Die Liste der gehei­men Kom­man­do­sa­chen, die durch­aus denen von James Bond ent­spre­chen, läßt sich offen bei Wiki­pe­dia nach­schla­gen. Und der Ame­ri­ka­ni­sche Prag­ma­tis­mus seg­net das üble Tun und Trei­ben auch noch ab.

Dar­in liegt der ent­schei­den­de Unter­schied zur kon­ti­nen­tal-euro­päi­schen Phi­lo­so­phie, die auch den eng­li­schen Uti­li­ta­ris­mus nicht wirk­lich mit­tra­gen kann. – Daß ein geka­per­tes Pas­sa­gier-Flug­zeug mit Kurs auf ein besetz­tes Fuß­ball­sta­di­on nicht auf Geheiß des Ver­tei­di­gungs­mi­ni­sters abge­schos­sen wer­den darf, weil die­ser dazu das Recht gar nicht hat, ist ein ein­schlä­gi­ges Grund­satz­ur­teil in sol­chen Ange­le­gen­hei­ten. – Men­schen­le­ben wer­den nicht gezählt, es wird nicht gerech­net und schon gar nicht wird auf­ge­rech­net. Viel­mehr ist es dem euro­päi­schen Den­ken fremd, so etwas über­haupt in Erwä­gung zu ziehen.

Gin­ge es wirk­lich um das “größt­mög­li­che Glück der größt­mög­li­chen Zahl”, dann wäre zuletzt nicht ein­mal mehr aus­ge­schlos­sen, daß man Men­schen her­nimmt, um sie aus­zu­wei­den. Ein Ein­zel­ner könn­te wirk­lich sehr vie­le ande­re Organ­emp­fän­ger über­aus „glück­lich“ machen.

Die Fra­ge Cui bono?

Es spricht nicht viel dafür, daß Putin höchst­selbst die Bom­ben in gro­ßer Tie­fe an den Pipe­lines hat plat­zie­ren las­sen. Wenn dem so wäre, dann wür­de das gesche­hen sein in der Absicht, es den USA in die Schu­he zu schie­ben. – Viel­ver­spre­chen­der scheint aber die Ver­mu­tung zu sein, daß es die USA waren, die schon vor Mona­ten die­se Mög­lich­keit erwo­gen und auch in Aus­sicht gestellt haben.

Ein Unding, was da pas­siert ist, als der ame­ri­ka­ni­sche Prä­si­dent Biden in Anwe­sen­heit von Bun­des­kanz­ler Scholz genau das offen aus­ge­spro­chen hat, daß die USA im Zwei­fels­fall schon über “Mit­tel und Wege” ver­fü­gen wür­den. – Der Augen­blick der Zün­dung die­ser mut­maß­lich bereits vor Mona­ten instal­lier­ten Bom­ben kann selbst als Indiz genom­men wer­den dafür, daß die USA nicht nur die­sen Krieg, son­dern auch den Rück­weg in den Frie­den ver­bau­en wollen.

Wenn es näm­lich gar nicht so gut steht um die Kriegs­zie­le von Putin, dann könn­te die­ser ja erwä­gen, even­tu­ell doch auf Ver­hand­lun­gen ein­zu­ge­hen. Wenn die­se dann fruch­ten wür­den, dann könn­te ja als­bald auch wie­der Gas durch die Lei­tun­gen flie­ßen. – Genau das ist jetzt unmög­lich gemacht worden.

Die Maxi­men US-Ame­ri­ka­ni­scher Außen­po­li­tik waren und sind nie­mals wirk­lich am Wohl der Mensch­heit aus­ge­rich­tet wor­den, es ging und geht immer nur um oft sehr kurz­fri­sti­ge Inter­es­sen und dazu ist dann jede Mit­tel recht, also auch Lügen, Betrü­gen, Hin­ter­ge­hen und Vor­täu­schen fal­scher Tat­sa­chen. – Genau das aber macht alle Geheim­dien­ste zu einem Stein des Ansto­ßes, weil sie im Sin­ne von Kant per se unrecht sind und Unrecht tun.

Bereits die Tat­sa­che, daß sie ihr Tun und Trei­ben nicht öffent­lich machen kön­nen, dis­kre­di­tiert sie alle, wirk­lich alle. Es kann kei­ne guten Geheim­dien­ste, kei­ne gute Geheim­po­li­tik im ethi­schen Sin­ne geben. Es kann sie schon des­we­gen nicht geben, weil sie dem Prin­zip der Demo­kra­tie wider­spre­chen. – Wenn das „Volk“ der Sou­ve­rän sein soll, dann muß die­ser auch erst ein­mal infor­miert wer­den, wer, wes­halb, wozu und war­um sol­che Aktio­nen gebo­ten sein sollen.

Geheim­dienst­ak­tio­nen wie die Sabo­ta­ge an Pipe­lines erwei­sen der viel­be­ru­fe­nen Demo­kra­tie einen Bären­dienst. Es geht zuletzt auch nur um die Macht-Gelü­ste ganz klei­ner Eli­ten, die ihre Glas­per­len­spie­le betrei­ben. Und dabei ver­spie­len sie genau das, wor­auf es ankä­me, wor­auf Kant und Sokra­tes uner­bitt­lich gesetzt haben: Vertrauen.


Die Vernunft, die Musen und das Glück

Über Momente des Glücks, für die zu leben sich lohnt

In der Medi­zin set­zen nicht-inva­si­ve Ein­grif­fe inzwi­schen neue Maß­stä­be. Der­weil betreibt die Poli­tik noch immer hemds­är­me­li­gen Inter­ven­tio­nis­mus. Ver­nunft oder gar Geist sind unerwünscht.

So ist die Homöo­pa­thie die­ser Tage gestri­chen wor­den von den Fort­bil­dun­gen für Ärz­ten. Sie paßt nicht mehr in die­se selbst­ver­lieb­te Zeit. Man glaubt, grö­ße­re Pro­ble­me nur mit schwe­ren Waf­fen „lösen“ zu kön­nen. – Es wäre aber zu emp­feh­len, mehr über Sozia­le Syste­me zur Kennt­nis zu nehmen.

Die Maul­af­fen-Per­for­mance aus Coro­nas Zei­ten wird unbe­irrt wei­ter fort­ge­setzt. Dabei ist die Welt längst aus dem Rhyth­mus gera­ten, weil Poli­ti­ker in vie­len Län­dern allen Ern­stes mein­ten, sie könn­ten auf Hand­steue­rung umschal­ten. Grö­ßen­wahn inmit­ten einer Kri­se ist das Dümm­ste, was pas­sie­ren kann.

Es gibt näm­lich gar kein Cock­pit, kei­ne Brücke mit Kapi­tän und Steu­er­mann. Sozia­le Syste­me haben alle ihren eige­nen Auto­pi­lo­ten. Sie steu­ern sich selbst, ganz im Sin­ne ihrer inter­nen Codes, ob Poli­tik, Wis­sen­schaft, Gesund­heit, Recht, Reli­gi­on, Kunst oder Lie­be. – Es gibt kei­ne Hebel der Macht. Das sind naï­ve Vor­stel­lun­gen, die eigent­lich nie der Wirk­lich­keit entsprachen.

Aller­dings gibt es mehr oder min­der gro­ße Dumm­hei­ten, die anfangs noch naiv, dann aber fahr­läs­sig und bald schon unver­ant­wort­lich wer­den. „Gut gemeint“ ist nicht „gut gemacht“, bei­lei­be nicht.

Wer sich kei­nen Kopf macht, kann ihn auch nicht ver­lie­ren, das glau­ben wohl man­che von denen, die immer vor­ne­weg sind:

„So tu doch was!“

„Was soll ich denn tun?“

„Das weiß ich auch nicht. -

Aber tu doch end­lich irgendwas!“

Auch das 9 Euro-Ticket ist wie­der so eine pre­kä­re Mei­ster­lei­stung. Es ist über­haupt kei­ne gute Idee, gleich gan­ze Syste­me zu maro­die­ren, so wie zuvor noch die Kli­ni­ken in der Coro­na-Kri­se. Inzwi­schen sit­zen alle erdenk­li­chen Leu­te spa­ßes­hal­ber im Zug und neh­men denen die Plät­ze weg, die nur zur Arbeit fah­ren. – Das Bahn-Bas­hing ist jetzt zur Frei­zeit­un­ter­hal­tung geworden.

Oder der staat­li­che Tan­kra­batt, der nicht wirk­lich an der Tank­säu­le ankommt, weil er vor­her abge­fischt wird. Und dann regen sich alle wie­der auf über die bösen Spe­ku­lan­ten. – Es war sei­ner­zeit eine Freu­de, als man­che davon kalt erwischt wur­den im Lockdown.

Sie hat­ten gro­ße Kon­tin­gen­te an Sprit in Ter­min­ge­schäf­ten erwor­ben aber gar kei­ne eige­nen Lager­ka­pa­zi­tä­ten. Als sie die Ware zum erhöh­ten Preis abneh­men soll­ten, muß­ten man­che drauf­zah­len, damit ihnen irgend­wer das Zeug zum Dum­ping­preis noch vor der Lie­fe­rung abkauft.

Was kann Poli­tik? Wenn sie klug, viel­leicht sogar ver­nünf­tig oder even­tu­ell auch geist­reich wäre, dann könn­te sie eini­ges bewir­ken. Aber nicht durch Södern, Flick­schu­ste­rei und Popu­lis­mus. Jetzt mal eben eine Über­ge­winn­steu­er zu beschlie­ßen, ist bereits am wis­sen­schaft­li­chen Dienst geschei­tert. Das geht glück­li­cher­wei­se nicht auch noch, weil ein paar Grund­ge­set­ze im Wege stehen.

Wir haben Pri­vat­wirt­schaft und die­se setzt sich selbst ihre Zie­le, wie jedes ande­re System auch. – Schlech­te Poli­tik bringt aber die Syste­me der­art aus der Rou­ti­ne, so daß Desa­ster nicht mehr aus­ge­schlos­sen sind. So war und ist der Umgang des Staa­tes mit Bahn, Bil­dung und Gesund­heit ein­fach nur kata­stro­phal. Mal eben Kin­der­gär­ten und Schu­len schlie­ßen, das war auch wie­der so eine Meisterleistung.

Ins Gesund­heits­we­sen hat die Poli­tik der­art krass hin­ein­re­giert, so daß der eigent­li­che Zweck längst ins Hin­ter­tref­fen gera­ten ist. Geht es wirk­lich noch um Gesund­heit, wo die Fall­pau­scha­len alles beherrschen?

Neu­er­dings sind bereits die ersten Inve­sto­ren auf beson­ders lukra­ti­ve Arzt­pra­xen auf­merk­sam gewor­den? Kran­ken­häu­ser sind bereits Spe­ku­la­ti­ons­ob­jek­te, die natür­lich nur noch vor­hal­ten, was sich ren­tiert, nicht gesund­heit­lich, son­dern eben öko­no­misch. – Und die Vor­fi­nan­zie­rung teu­rer Gerä­te für Fach­arzt­pra­xen ist offen­bar die näch­ste Stufe.

Aber die Pati­en­ten spie­len mit und las­sen sich brav von Ter­min zu Ter­min schicken. Es pas­siert ja was, es wird ja was getan. Auf den Dos­siers der Labor­un­ter­su­chun­gen fin­den sich Hand­rei­chun­gen für den wer­ten Leser, für die man kei­nen Arzt mehr braucht. – Es ist aus­ge­wie­sen, was als “nor­mal” gilt und was gemes­sen wur­de. Aber die Nor­ma­li­tät wur­de als sol­che oft aus ganz ande­ren Grün­den beschlos­sen, die mit Gesund­heit selbst nichts zu tun hat. So sind die Wer­te für Blut­druck immer wie­der gesenkt wor­den und die Zahl der Pati­en­ten stieg. Die wun­der­sa­me Ver­meh­rung gibt es also auch in der Medizin.

Wer wird sich da noch ver­trau­ens­voll in die Hän­de sol­cher Weiß­kit­tel bege­ben? – Aber die Leu­te ver­trau­en doch nur zu gern, um die eige­nen Ver­ant­wor­tung nicht spü­ren und schon gar nicht tra­gen zu müs­sen. Wir leben in Zei­ten eines neu­en Paternalismus.

Die Aller­mei­sten kon­su­mie­ren ihre eige­ne Unmün­dig­keit. Sie wol­len mit der eige­nen Erkran­kung höchst­selbst eigent­lich nichts zu tun haben. Also sind sie auch nicht wirk­lich bei der Sache, dabei soll­te es doch eigent­lich um Hei­lung gehen.

Krank­heit ist dann kein Weg mehr, son­dern nur wie Kalk im Was­ser­kes­sel, der weg­ge­macht wer­den soll. Wenn ein Lei­den “nur” psy­chisch bedingt ist, dann ist es eher so etwas wie pure Ein­bil­dung. – Nur, was sich mes­sen läßt, hat ein Recht dar­auf, über­haupt ernst genom­men zu wer­den. Kann man Geist­lo­sig­keit messen?

Der neue Dis­kurs über Depres­si­on, der inter­es­san­ter­wei­se von nam­haf­ten Come­di­ans wie Schmidt, Strä­ter und Krö­mer ange­sto­ßen wur­de, dürf­te aller­dings nicht ohne Wir­kung blei­ben. – Es gibt zu den­ken, daß aus­ge­rech­net die Lustig­sten unter den Mit­men­schen die erfor­der­li­che Elo­quenz auf­brin­gen, end­lich zu sagen, daß der Clown hin­ter sei­ner Mas­ke weint und wie ihm dabei zu Mute ist.

Wir leben in beweg­ten Zei­ten. Es ist Cha­os genug, mehr geht eigent­lich nicht. – Im Hin­ter­grund steht eine Medi­en­re­vo­lu­ti­on, die ihres­glei­chen sucht. Nur noch die Erfin­dung des Buch­drucks kann der Kul­tur­re­vo­lu­ti­on, die nun ansteht, über­haupt noch das Was­ser reichen.

Unter die­sen Umstän­den ver­än­dert sich auch die Rol­le von Poli­ti­kern ganz radi­kal. Daher rüh­ren auch die fort­wäh­ren­den Ver­su­che, das Netz der Net­ze unter Kon­trol­le zu bekom­men. – Aber so viel läßt sich jetzt schon mit Gewiß­heit sagen: Es wird nicht gelin­gen. Wenn es eine Ener­gie­quel­le gibt, von der die Kul­tur­ge­schich­te ange­trie­ben wird, dann ist es die Sehn­sucht nach Indi­vi­dua­li­tät und indi­vi­du­el­ler Anerkennung.

In die­sen Zei­ten ist ein „Tal der Ahnungs­lo­sen“, wie noch in der DDR, als die Anten­nen bei Dres­den nicht hoch genug sein konn­ten, um West­fern­se­hen zu emp­fan­gen, gar nicht mehr denk­bar. In den hin­ter­letz­ten Win­keln der Welt wis­sen alle, daß woan­ders ein ande­res Leben geführt und ande­re Wer­te gelebt wer­den. Die dog­ma­ti­sche Begrün­dung der „Hir­ten“, Tugend­wäch­ter und Gesin­nungs­wäch­ter, ver­fängt ein­fach nicht mehr. Es gibt immer Alternativen!

Auch im gar nicht mehr ganz so frei­en Westen zei­gen sich Ver­än­de­run­gen. Die Dis­kur­se fin­den nicht mehr nur in der „System­pres­se“ statt, son­dern über­all. Und sie wer­den der­art divers, so daß sich man­che Ver­tre­ter der Pres­se in Mis­sio­na­re ver­wan­delt haben, die wie vor Zei­ten in frem­den Län­dern den „Aber­glau­ben“ bekämpf­ten, um ihre „fro­he Bot­schaft“ vor­zu­be­rei­ten. – Ganz so froh war die Bot­schaft für die Nati­ves dann doch nicht, wenn man bedenkt, daß außer­eu­ro­päi­schen Kul­tu­ren ein­fach der eige­nen Iden­ti­tät beraubt wur­de, um sie unter die Fuch­tel frem­der Herr­schaft zu zwin­gen und Geschäf­te auf ihre Kosten zu machen.

Der Westen hat unend­li­ches Leid über alle erdenk­li­chen Kul­tu­ren gebracht. Schwei­gen wir hier von den Nie­der­lan­den, von Bel­gi­en oder Frank­reich. Um nur ein Bei­spiel zu brin­gen: Die Bri­ten haben wäh­rend ihrer Besat­zungs­zeit den Indern die Sin­nen­freu­de aus­ge­trie­ben, weil sie bei sich zuhau­se gera­de ihren Vik­to­ria­nis­mus hat­ten und den Frau­en gar kei­ne und schon gar kei­ne eige­ne Lust zuge­ste­hen moch­ten. – Noch heu­te zei­gen sich die trau­ma­ti­schen Spät­fol­gen in Indi­en anhand von Gewalt­ver­bre­chen mit sexu­el­lem Hintergrund.

Die frem­de Herr­schaft ist zwar abge­zo­gen, man hat aber seit­her kei­nen eige­nen Umgang mit Sin­nen­freu­den mehr, son­dern eine repres­si­ve Scheu und ein Scham­emp­fin­den, unter dem es bro­delt und kocht. – Die Kul­tur wur­de mut­wil­lig zer­stört, nur um Geschäf­te zu machen. Es fehlt der Respekt vor dem Geist, wo immer nur aufs Mate­ri­el­le gestarrt wird.

Man den­ke nur an den Opi­um­han­del in Chi­na. Das geschah, um die eigent­lich sta­bi­le Kul­tur in Chi­na emp­find­lich zu schwä­chen und das Land mit­hil­fe die­ser Sucht in die Kniee zu zwin­gen. – Der Westen möge sich also bit­te nicht so auf­spie­len, er soll­te erst ein­mal Buße tun, im Geden­ken an die­se Ver­bre­chen. Und wenn man bedenkt, daß ein Gut­teil der Lan­des­gren­zen von den Bri­ten gezo­gen wur­de, in Afri­ka und in Asi­en, bewußt mit­ten durch Stam­mes­ge­bie­te, weil man den Hader immer wie­der für eige­ne Zwecke instru­men­ta­li­sie­ren wollte.

Man kann inzwi­schen erstaun­lich viel über mie­se Machen­schaf­ten wis­sen. Das mei­ste davon ist nicht ein­mal mehr geheim, son­dern läßt sich im Zwei­fels­fall mit Links sehr schnell doku­men­tie­ren. Das ist es, was das Netz aus­macht. – So war es eine Stern­stun­de, als die Pla­ne­s­pot­ter an ver­schie­de­nen Flug­hä­fen der Welt ihre Beob­ach­tun­gen unter­ein­an­der abstimm­ten und dann publik wur­de, daß es regel­rech­te Fol­ter­flü­ge im Auf­trag der CIA gab und daß die USA in Euro­pa gehei­me Gefäng­nis­se betreibt.

Wir ste­hen erst am Anfang einer neu­en, unüber­seh­bar mäch­ti­gen Kul­tur­re­vo­lu­ti­on. So etwas dau­ert meh­re­re Gene­ra­tio­nen und das Netz läuft sich gera­de erst warm.

Auf eine Medi­en­re­vo­lu­ti­on folgt immer eine Kul­tur­re­vo­lu­ti­on, weil ja nun noch mehr Men­schen mit­ein­an­der ins Gespräch kom­men, ohne daß sich Herr­scher oder Prie­ster noch dazwi­schen­schal­ten könnten.

Zuvor ent­schied die Kir­che, ob und wie ein Text das Licht der Öffent­lich­keit erblick­te. Aber der Buch­druck mach­te die Kon­trol­le der Kom­mu­ni­ka­ti­on durch die Kir­che unmög­lich. Fort­an ent­schie­den schnell nam­haft wer­den­de Drucker, was sie drucken woll­ten, aus ganz eige­nen Moti­ven her­aus. – Dar­auf ging die Zen­sur von der Kir­che an den Staat über.

Mar­tin Luther hielt nicht viel vom Buch­druck, aber bös­ar­ti­ge Kari­ka­tu­ren über Papst und Kir­che brach­ten sei­ner Refor­ma­ti­on erst den rich­ti­gen Schwung. Der Papst als Schwein mit der drei­fa­chen Kro­ne, das konn­ten auch Leu­te ver­ste­hen, die noch nicht des Lesens mäch­tig waren.

Dar­auf kam die Zei­tungs­pres­se und mit ihr kamen Par­la­men­te, Par­tei­en und Poli­ti­ker. Und mit dem Radio kamen tota­li­tä­re Syste­me auf, wie Faschis­mus oder Sozia­lis­mus. Neue Medi­en sind zu vie­ler­lei ein­setz­bar, im Guten wie auch im Bösen. – Der­weil split­tet „die“ Öffent­lich­keit sich immer wei­ter auf. Es gibt nicht mehr die ein­zig wah­re herr­schen­de Mei­nung aller Wohl­mei­nen­den und Wohlinformierten.

Man­che unter den Poli­ti­kern kom­men in ihrer neu­en Rol­le gar nicht mehr an. Sie kön­nen sich nicht mehr als „Reprä­sen­tan­ten“ ver­ste­hen, als Volks­ver­tre­ter, weil das „Volk“ selbst mün­dig gewor­den ist und nie­man­den mehr braucht, der noch das Wort stell­ver­tre­tend ergreift.

Die Zei­ten sind ver­gan­gen, als Poli­ti­ker noch in aller Eitel­keit beton­ten, sie sei­en die näch­ste Woche wie­der in der Haupt­stadt. Dort wür­den sie dann tur­nus­mä­ßig auf irgend­ei­ne Wich­tig­keit von Mensch tref­fen, um bei Gele­gen­heit das gemein­sa­me Anlie­gen umso dring­li­cher vor­zu­tra­gen. – Man soll­te sich auf­ge­ho­ben, ernst genom­men, ver­stan­den und ver­tre­ten fühlen.

Jetzt braucht es sie nicht mehr, die­se Form der Reprä­sen­ta­ti­ve Demo­kra­tie, weil sich alle selbst aus­drücken und inso­fern auch reprä­sen­tie­ren kön­nen. Es gilt, end­lich mehr Demo­kra­tie zu wagen. – War­um wäh­len wir den Bun­des­prä­si­den­ten nicht online? Wahl­män­ner braucht es nicht mehr, also auch nicht mehr eine Bundesversammlung.

Die Rol­le von Reli­gi­ons­für­sten, Prie­stern und „Hir­ten“ ist vakant gewor­den. Daher ist es auch kein Skan­dal mehr, wenn sich ein Bischof aus dem Ruhr­ge­biet vor etwa 10 Jah­ren in vol­ler Über­zeu­gung noch gegen die gleich­ge­schlecht­li­che Eltern­schaft aus­sprach, von wegen, das sei „wider­na­tür­lich“, Kin­der bräuch­ten nun ein­mal Vater und Mut­ter. Das ist inzwi­schen ein­fach nur noch eine belie­bi­ge Mei­nungs­äu­ße­rung. – Rosa von Praun­heim saß mit in der Dis­kus­si­ons­run­de und sag­te baff nicht ohne Schmun­zeln: Daß er das noch mal erle­ben dürfte!

Es ist alles auch ein biß­chen viel, was sich in den letz­ten Jahr­zehn­ten so alles radi­kal gewan­delt hat. Und Man­chen geht es noch immer nicht schnell genug. Dage­gen hilft eine Sen­tenz von Niklas Luh­mann: Vie­le wür­den immer­zu noch mehr Ver­än­de­run­gen ver­lan­gen, ohne aber zu beden­ken, „wie schnell wir schon fahren“.

Jede Inter­ven­ti­on führt zu Gegen-Reak­tio­nen von Sei­ten der Sozia­len Syste­me, die sich ihrer­seits auf die ver­än­der­ten “Umwelt­be­din­gun­gen” ein­stel­len, wie die Mine­ral­öl-Spe­ku­lan­ten, die bei der Gele­gen­heit ganz außer­or­dent­li­che Gewin­ne erwirt­schaf­ten wer­den. – Das stützt übri­gens auch einen schlim­men Ver­dacht, dem bedin­gungs­lo­sen Grund­ein­kom­men gegenüber.

Im Prin­zip kann man nur für ein Grund­ge­halt sein, wenn es denn wirk­lich so kom­men wür­de, wie es im Traum erscheint: Eine Gesell­schaft, in der Men­schen ein­an­der durch Krea­ti­vi­tät beglücken, die sich end­lich dar­auf ver­stün­de, die vie­len schlum­mern­den Talen­te in vie­len von uns zu erwecken. Wäre das nicht wirk­lich lebens­wert und sogar lie­bens­wert? – Aber wie beim Tan­kra­batt wür­de schluß­end­lich nur eines die Fol­ge eines sol­chen Grund­ein­kom­mens sein: Die Mie­ten wür­den stei­gen, weil Ver­mie­ter nun ein­mal mit Miet­wohn­raum spe­ku­lie­ren, um mög­lichst hohe Gewin­ne zu erzielen.

Nein, die Welt ist über­haupt nicht ein­fach. Das Getue von Poli­ti­kern mit ihrem Hang zum Inter­ven­tio­nis­mus ist Buden­zau­ber. Des­we­gen hat man den Tan­kra­batt auch nicht an dem Groß­han­del gege­ben, dann wäre er an den Tank­stel­len ange­kom­men. Auf den Hype kam es an, auf die Show, what ever it costs.

Die Reli­gi­on soll die­ser Tage durch eine deter­mi­ni­sti­sche Wis­sen­schaft ersetzt wer­den, die päpst­li­cher sein soll als der Papst. – „Fol­low the Sci­ence?“, da fragt sich nur wohin. Im übri­gen, gibt es etwas Düm­me­res als die­sen Spruch?

Man kann eine Hür­de auch neh­men, indem man sie nicht etwa über­springt, son­dern “unter­bie­tet”, wie Trump, John­son, Erdo­gan, Putin, Jong-un oder auch wie die Tali­ban. Wenn man nur die Frau­en oder auch die Anders­den­ken­den aus vor­ge­scho­be­nen Glau­bens­grün­den mög­lichst radi­kal unter­drückt, dann wird alles wie­der gut. – Sor­ry, wel­cher Gott soll­te dar­an Gefal­len finden?

Um abzu­len­ken wer­den Pro­ble­me zur Not auch künst­lich erzeugt und dann „gelöst“. Im Hin­ter­grund ste­hen zumeist tie­fer lie­gen­de Res­sen­ti­ments gegen die Moder­ne, gegen jede Eman­zi­pa­ti­on und vor allem gegen Ver­nunft und Geist. Alles soll so blei­ben wie es ist, bes­ser noch, alles soll so wer­den, wie es ein­mal war, als alles angeb­lich noch gut war. – Aber auch das funk­tio­niert mit Sicher­heit nicht.

Der trei­ben­de Fak­tor im Pro­zeß der Zivi­li­sa­ti­on ist Indi­vi­dua­li­sie­rung. Alle suchen so gut sie kön­nen nach sich selbst, wol­len sich spü­ren und sehen las­sen kön­nen in ihrer Ein­zig­ar­tig­keit. Aber die Wenig­sten wis­sen von sich, wer sie eigent­lich sind oder sein wol­len, ganz unab­hän­gig vom Sol­len. – Was hilft?

Phi­lo­so­phie kann hel­fen, wenn es dar­um geht, mehr Boden unter die Füße zu bekom­men. Man kann nicht alles zugleich anzwei­feln und soll­te schon gar nicht den Ast absä­gen, auf dem man sitzt. Der Rei­he nach, also mit Metho­de geht das durch­aus. – Wich­tig und wesent­lich ist aber vor allem eines, daß gere­det wird. Es braucht Dia­lo­ge und Dis­kur­se vor allem über das, was pein­lich sein könn­te, über Äng­ste, Gefüh­le, Sehn­süch­te, Gelü­ste, Unsi­cher­hei­ten, Rol­len­kon­flik­te. Wenn immer mehr Men­schen ein­an­der authen­tisch begeg­nen, dann kön­nen Dia­lo­ge ent­ste­hen, die den Hori­zont wirk­lich erwei­tern. Dann könn­te es auch sein, daß man­che die­ser Bann­flü­che bre­chen, mit denen wir uns und unse­res­glei­chen immer­zu klein machen und klein halten.

Der­zeit ist jedoch allent­hal­ben ein Man­gel an Geist, an Beschei­den­heit und ein Man­gel an Gelas­sen­heit zu ver­zeich­nen. Man glaubt ernst­haft, über­all hin­ein­pfu­schen zu kön­nen, ohne wirk­lich eine Ahnung zu haben von dem, was da eigent­lich vor sich geht in den Systemen.

Wer hat denn die Endo­kri­no­lo­gie wirk­lich so auf dem Schirm, daß die Wir­kung künst­li­cher Hor­mon­ga­ben nicht nur so unge­fähr ver­stan­den wird, son­dern in ihrer gan­zen Wech­sel­wir­kung bis hin­auf zur See­le, zur Psy­che und bis hin zum Geist beur­tei­len zu kön­nen? – Es müß­te schon ein Uni­ver­sal­ge­nie sein, daß es so nicht mehr geben kann. Also braucht es den Streit der Fakul­tä­ten, aber kei­ne Ein­heits­par­tei, kei­ne Ein­heits­wis­sen­schaft und auch kei­nen Einheitsbrei.

In der Tat steht ein Kurs­wech­sel an, der Aus­stieg aus dem Car­bon-Zeit­al­ter und der Ein­stieg in die Welt der rege­ne­ra­ti­ven Ener­gie. – Poli­tik kann im Namen des Staa­tes die Rah­men­be­din­gun­gen schaf­fen oder auch ver­än­dern. Popu­lis­mus ist aber kontraproduktiv.

Ein schö­nes Bei­spiel für gelun­ge­ne Poli­tik ist das Patent­recht. Ein Erfin­der wird sei­ne Erfin­dung geheim hal­ten wol­len, weil er nichts davon hät­te, wenn ande­re ern­ten, was er gesät hat. – Genau das aber wäre nicht im Sin­ne von Wirt­schaft und Gesell­schaft. Deren Inter­es­se besteht viel­mehr dar­in, daß Paten­te öffent­lich gemacht wer­den. – Also ver­bürgt sich der Staat dafür, daß die Rech­te des Urhe­bers gewahrt blei­ben. Dafür muß aber die Erfin­dung öffent­lich gemacht wer­den, und der Erfin­der erhält dar­auf sein Patent, mit dem er am Markt mit den Ver­wer­tern auf­tre­ten und ver­han­deln kann. Es braucht also eigent­lich nicht viel, um ganz gewal­tig etwas zu ver­än­dern, so daß es auf den rich­ti­gen Kurs kommt.

In der chi­ne­si­schen Phi­lo­so­phie gibt es dazu ein Prin­zip, es ist das „Wu Wei“, was bedeu­tet „Nicht-Tun“. Damit ist aber kei­nes­wegs „Nichts­tun“ gemeint, viel­mehr geht es um eine Phi­lo­so­phie der Inter­ven­ti­on. Es kommt dar­auf an, mit gering­fü­gi­gen Ein­grif­fen die ent­schei­den­den Rei­ze zu set­zen, um einen Kurs­wech­sel in die gewünsch­te Rich­tung zu bewir­ken. Das macht gute Poli­tik zur Kunst.

Das macht gute Päd­ago­gik, gute Psy­cho­lo­gie, gute Phi­lo­so­phie aus. In den Dia­lo­gen sind Men­to­ren nur anwe­send und tun dabei, rein äußer­lich betrach­tet, nicht son­der­lich viel. Sie “mode­rie­ren” und sind wie die Kata­ly­sa­to­ren in der Che­mie oder in der Bio­lo­gie. – Wenn und solan­ge sie anwe­send sind, wird aber das Unmög­li­che möglich.

Reak­tio­nen, für die eigent­lich anspruchs­vol­le Rah­men­be­din­gun­gen erfor­der­lich sind, gehen ohne Pro­ble­me von­stat­ten, als wäre ein ganz beson­de­rer Zau­ber im Spiel. – Die Meme, also gute Ideen haben etwas von sol­cher Zau­ber­kraft. Wesent­lich ist, daß ein Geist auf­kommt, der die Musen zur Hil­fe rufen kann, so daß man sich vor Begei­ste­rung vor so vie­ler guter Ein­fäl­le kaum noch erweh­ren kann.

Dann gilt es, mit bewuß­ter Unter­küh­lung die ein­zel­nen Optio­nen zu prü­fen und womög­lich ins Kon­zept zu brin­gen. Das wäre gute Poli­tik, das ist aber bereits Kunst und viel­leicht auch Phi­lo­so­phie, wenn denn das Gute, Schö­ne und Wah­re wirk­lich zusam­men­ge­bracht wer­den könnten.

Wenn sich im Dia­log die erlö­sen­den Wor­te ein­stel­len, so daß wir end­lich sagen kön­nen, was schon längst soll­te gesagt und ver­stan­den wor­den sein, erst dann kom­men wir uns selbst und ein­an­der näher in einem Ver­ste­hen, das sei­ne Basis gefun­den hat. Das sind Momen­te des Glücks, für die es zu leben sich lohnt.

Die Wirk­lich­keit selbst wird immer viel­fäl­ti­ger, nur schwarz-weiß oder wenig­sten grau zu den­ken, sie Slo­ter­di­jk anregt, ist noch immer nicht far­big. Aber das wäre viel­leicht auch ein wenig zu viel des Guten. – Dage­gen ist aber auch der kau­sal­fe­ti­schi­sti­sche Ungeist kei­nes­wegs dazu ange­tan, wirk­lich auf gute Ideen zu kommen.

Johan König: Athe­ne und die Neun Musen an der Quel­le von Hip­okre­ne (1624).

Wie wäre es, wenn sich die Ver­nunft und die Musen zusam­men­tun? – Wenn ich dar­über spe­ku­lie­re, wie die Ver­nunft es wohl macht, wenn sie ein Modell des­sen erstel­len soll, wor­auf es ins­ge­samt ankommt, dann wird es doch wohl nicht im Sin­ne der MINT-Fächer sein, nicht im Sin­ne der viel­be­ru­fe­ne “Ratio­na­li­tät” oder “Wis­sen­schaft­lich­keit”, denn es gibt so vie­le davon wie Göt­ter im Pantheon.

Der Leit­stern kann nicht der allent­hal­ben bemüh­te Kau­sal-Feti­schis­mus sein, der in der Coro­na-Kri­se schon so viel gei­sti­ge Ver­wir­rung gestif­tet hat. Nein, die Ver­nunft opti­miert sich in Hin­sicht auf Schön­heit, als Ein­heit des Wah­ren, Schö­nen und Guten. – Die­ser Meta-Dis­kurs soll­te end­lich an die Stel­le der Papst­kir­che tre­ten, um die alten Göt­ter eben­so wie die Musen dazu zu bewe­gen, ihre uralten Kämp­fe, Tän­ze und Inspi­ra­tio­nen wie­der aufzunehmen.

Ich bin dagegen, dafür sein zu müssen

Frei­heit sei “Ein­sicht in die Not­wen­dig­keit”, die­ser Satz von Hegel hat es in sich. Und genau die­ser Fall ist jetzt ein­ge­tre­ten. – Coro­na war nur der Vor­krieg, danach kam wirk­li­cher Krieg und auch wie­der die obli­ga­to­ri­schen Denk­ver­bo­te. Aber mit der ent­stan­de­nen Zer­ris­sen­heit zwi­schen Herz und Kopf rech­nen und leben zu ler­nen, ist das Gebot der Stunde.

Wie die­se Wirk­lich­keit erzeugt und arran­giert wur­de, ist das eine. Aber nun ist die­ser Krieg in der Welt und daher stellt sich die Fra­ge, wie damit umzu­ge­hen sei. – Und wie­der sind die USA ver­ant­wort­lich für die ent­stan­de­ne Situa­ti­on. Man hät­te einen ande­ren Putin haben kön­nen, aber die USA woll­ten eben die­sen und kei­nen ande­ren. – Es liegt nicht im Inter­es­se der USA, daß sich euro­päi­scher Geist und rus­si­sche Wei­te zusam­men­tun. Und natür­lich wäre dabei sehr viel mehr Demo­kra­tie zu wagen gewe­sen, end­lich auch in Russ­land, wo man von der Zaren­herr­schaft in die Dik­ta­tur und dann in Auto­kra­tie und Olig­ar­chie gera­ten ist.

Was wäre gewor­den, wenn EU und RU im “Euro­päi­schen Haus” näher zusam­men­ge­kom­men wären, anstatt sich aus­ein­an­der divi­die­ren zu las­sen? Natür­lich wäre ein ande­rer Putin in einem ande­ren Russ­land am Ruder. Putin hät­te ern­ten kön­nen, was Gor­bat­schow gesät hat. Ob er sich dann auch so demo­kra­tie­feind­lich und des­po­tisch ent­wickelt hät­te, ist zwar noch immer eine Fra­ge der Spe­ku­la­ti­on. Aber gera­de auch die Inter­es­sen von Euro­pa sind immer wie­der mut­wil­lig ver­letzt wor­den. Rei­hen­wei­se wur­den Nach­bar­staa­ten von den USA desta­bi­li­siert, bis sich die Flücht­lings­strö­me in Bewe­gung setz­ten, was dann allent­hal­ben zu ungu­ten Ten­den­zen geführt hat.

Jean-Léon Gérô­me: Die Wahr­heit kommt aus ihrem Brun­nen (1896).

Wer oder was ist also der “Feind”? Es sind demo­kra­tie­feind­li­che Staa­ten mit reli­giö­sen oder ideo­lo­gi­schen Iden­ti­tä­ten, die dazu nei­gen, Krie­ge anzu­zet­teln, um Demo­kra­tien zu hin­ter­ge­hen. Heu­che­lei spielt in der schwar­zen Kunst der Kulis­sen­schie­be­rei eine ganz gro­ße Rol­le. Dar­in liegt die Mei­ster­schaft der USA, selbst her­bei­ge­führ­te Ent­wick­lun­gen so erschei­nen zu las­sen, daß die Welt wie­der ein­mal in die Guten und die Bösen unter­teilt wer­den kann. Dabei sind die Ban­ker von Black­rock und die Söld­ner von Black­wa­ter nur zwei Sei­ten der­sel­ben Medail­le. Die dun­kel­sten Machen­schaf­ten wer­den von Pri­vat­ar­meen betrie­ben, so daß die Staa­ten im Lich­te der Öffent­lich­keit ihre Hän­de heu­chelnd in Unschuld waschen können.

Nicht die Medi­en sind das Pro­blem, son­dern man­che ihrer Ver­tre­ter und vor allem jene dar­un­ter, die sich selbst zu Gesin­nungs­wäch­tern ernannt haben und dazu nei­gen, mün­di­ge Bür­ger umer­zie­hen zu wol­len. Es ist eini­ges an neu­er Unsi­cher­heit ent­stan­den, vie­les, was ver­läß­lich schien, hat sich als brü­chig erwie­sen. Die ent­wür­di­gen­den Ver­un­glimp­fun­gen der Anders­den­ken­den ist gera­de nicht der Aus­druck einer offe­nen Gesell­schaft mit Demo­kra­tie und Gedankenfreiheit.

Die Impf­skep­ti­ker von gestern sind die “Putin-Ver­ste­her” von heu­te. Die Pazi­fi­sten haben die Rol­le der “Covidio­ten” über­nom­men, und die Rus­sen sind wie die Unge­impf­ten, die auch schon mal zur Umer­zie­hung in Beu­ge­haft genom­men wer­den soll­ten, damit sie zur Ein­sicht kom­men und sich “bes­sern”.

Alle die­se Aus­ein­an­der­set­zun­gen sind aller­dings auch “Anpas­sungs­schwie­rig­kei­ten” an eine der größ­ten Medi­en-Revo­lu­tio­nen seit Erfin­dung der Schrift. Urhe­ber und Ver­stär­ker bei alle­dem ist die Kom­mu­ni­ka­ti­on im Netz der Net­ze. Es läßt sich in der neue­ren Mensch­heits­ge­schich­te nach­wei­sen, daß neu auf­kom­men­de Medi­en wie Spra­che, Schrift, Buch­druck, Pres­se und Radio stets ganz gewal­ti­ge gesell­schaft­li­che und kul­tu­rel­le Umbrü­chen auslösen.

Der­weil hal­ten sich die Des­po­ten und Schlaf­wand­ler aller Zei­ten viel dar­auf zugu­te, daß sie ja doch nur “gerech­te” Krie­ge füh­ren. Aber nicht auf die angeb­lich so “gro­ße” Ver­gan­gen­heit längst unter­ge­gan­ge­ner Rei­che kommt es an, son­dern auf die noch viel grö­ße­re Zukunft des Mensch­seins. – Der gehei­me Plan der Natur, die im Men­schen ein Auge auf­schlägt, um sich selbst zu betrach­ten, ist allen Ten­den­zen und Laten­zen im Zuge der Mensch­heits­ent­wick­lung zufol­ge sehr ein­deu­tig. Es geht um mehr Selbst­ori­en­tie­rung, Indi­vi­dua­li­tät, Selbst­be­stim­mung und Eman­zi­pa­ti­on, also um immer weni­ger angeb­lich für­sorg­li­che Entmündigungen.

Die Scha­fe brau­chen kei­ne Guten Hir­ten mehr, um sich füh­ren, bevor­mun­den und klein hal­ten zu las­sen. Der Des­po­tis­mus muß zu immer mehr Gewalt grei­fen, weil er nicht mehr gedul­det wird. Eman­zi­pa­ti­on steht auf dem Pro­gramm der Welt­ge­schich­te. Das Tota­li­tä­re muß unter­ge­hen, weil es der Mensch­heit kaum mehr zuträg­li­che Dien­ste lei­stet, sich tat­säch­lich wei­ter und höher zu ent­wickeln, durch Auf­klä­rung, Bil­dung und indi­vi­du­el­les Urteilsvermögen.

Im Ver­lauf der näch­sten Zeit wird sich zei­gen, wie wenig sich digi­ta­le Kom­mu­ni­ka­ti­on wird zäh­men las­sen, so wie zuvor noch Men­schen gezähmt, gebro­chen und dres­siert wur­den. Nicht nur die­se Päd­ago­gik, auch die­ses Poli­tik ist von vor­ge­stern. – Die Gedan­ken sind frei und seit erst die freie Kom­mu­ni­ka­ti­on hin­zu­kom­men ist, ist unan­ge­paß­tes Den­ken bald schon in aller Munde.

Luther moch­te sei­ner­zeit den Buch­druck ganz und gar nicht, was ihn jedoch nicht dar­an gehin­dert hat, sich das neue Medi­um für sei­ne Refor­ma­ti­on zu Nut­ze zu machen. – Nicht ein­mal die Kir­che hat dar­auf ihre des­po­ti­sche Macht zur Gedan­ken­kon­trol­le wah­ren kön­nen, als der Buch­druck auf­kam. Was erst wird sein, wenn die Kom­mu­ni­ka­ti­on immer gren­zen­lo­ser wird?

“Dia­lek­tik” ist nicht das, was die Ein­peit­scher ver­kün­den, son­dern ein stän­di­ges Hin und Her für alle die­je­ni­gen, die sich selbst ein eige­nes Urteil bil­den möch­ten. – Natür­lich muß die­ser Krieg so schnell wie mög­lich durch Ver­hand­lun­gen been­det wer­den. Aber es gibt auch Akteu­re, die ihn gar nicht been­det sehen wol­len, weil man­che ihr eige­nes Süpp­chen kochen. Sol­che Kriegs­spe­ku­lan­ten kön­nen in allen erdenk­li­chen Lagern sit­zen, um je nach Inter­es­se wahl­wei­se im Schafs­fell oder auch im Wolfs­fell aufzutreten.

Aber nun kommt die­ser omi­nö­se dia­lek­ti­sche Umschlag: Die USA haben es durch Geheim­po­li­tik und Kulis­sen­schie­be­rei wie­der ein­mal erreicht, daß es fast danach aus­sieht, als wäre so etwas wie “Arma­ged­don”, die­ser hoch­re­li­gi­ös moti­vier­te, apo­ka­lyp­ti­sche “letz­te Kampf zwi­schen den Mäch­ten des Guten und denen des Bösen” nicht mehr aus­ge­schlos­sen wer­den kann. – Die­sem reli­gi­ös moti­vier­ten Wahn der USA ste­hen nicht min­der unzeit­ge­mä­ße Auto­kra­ten gegen­über, denen zuzu­trau­en ist, daß sie auch vor dem Ein­satz von Atom­waf­fen nicht zurück­schrecken. Und Euro­pa ist jetzt der Spiel­ball, um den gekämpft wird, auf den alle nur noch eintreten.

Das viel zu lang wäh­ren­de 19. Jahr­hun­dert schien end­lich been­det wor­den zu sein mit der Wie­der­ver­ei­ni­gung. Es war ein unend­lich lan­ger Abschied von Mon­ar­chien und Mili­tär­dik­ta­tu­ren auf der gan­zen Welt. Zwei Welt­krie­ge wur­den her­auf­be­schwo­ren, nur weil die Mäch­ti­gen im Zuge der auf­kom­men­den Moder­ne “ihre” Macht nicht tei­len woll­ten. Und das alles nur, um irgend­wel­che Pri­vi­le­gi­en nach Alt­vä­ter-Sit­te gegen demo­kra­ti­sche und huma­ni­sti­sche “Ver­ir­run­gen” zu verteidigen.

Nun ist aus­ge­rech­net die­ser reak­tio­nä­re Zeit­geist wie ein Unto­ter wie­der auf­er­stan­den, in sei­ner gan­zen unauf­ge­klär­ten, inhu­ma­nen und psy­cho­ti­schen Imper­ti­nenz. Und schon wird das Gere­de wie­der mar­kig und zackig, wenn Waf­fen ver­scho­ben wer­den, als wären es Hilfs­gü­ter ganz im Geist der Humanität.

Frie­dens­tau­ben tra­gen jetzt Uni­form, man soll das Sel­ber­den­ken ein­stel­len, weil schon wie­der nur noch mög­lichst schnel­les, radi­ka­les Han­deln bes­ser sein soll als jedes Nach­den­ken. – Es war schon selt­sam, daß immer mehr Frau­en den Krieg erklä­ren in den Talk­shows und nicht mehr die Rie­ge derer, die doch immer auch den Ein­druck erweck­ten, als wäre der Krieg auch eine Lust.

Hat sich da etwas ver­än­dert? Hof­fent­lich ja, aber wenn, dann nur in der Theo­rie. Die Pra­xis steht noch aus, in dem Beweis, wie Demo­kra­tie und Huma­ni­tät zu ver­tei­di­gen sind. – Zunächst ein­mal ist die­se Kon­stel­la­ti­on mut­wil­lig her­bei­ge­führt wor­den, der letz­te Schritt war nur der, ihn dann auch zu begin­nen. Die Fal­ken haben es wie­der ein­mal geschafft, den Tau­ben vor­zu­gau­keln, sie sei­en wel­che von ihnen. – Die öffent­li­che Mei­nung ist das eigent­li­che Land, das ange­grif­fen, ver­tei­digt und erobert wer­den soll.

Ich bin dage­gen, daß ich dafür sein muß, der putin­schen Aggres­si­on die Stirn zu bie­ten. Ich bin dage­gen, daß die­ser Krieg zwi­schen Demo­kra­tie und Dik­ta­tur mut­wil­lig vom Zaun gebro­chen wor­den ist. So wird die anste­hen­de Lek­ti­on nur noch schmerz­vol­ler. – Es kann aber auch nicht mehr ange­hen, daß eine Rie­ge von Olig­ar­chen die Welt, die Gedan­ken, Reich­tü­mer und Mei­nun­gen ein­fach unter sich auf­teilt und ande­ren nicht ein­mal mehr Gedan­ken­frei­heit gewährt. Allein der Zynis­mus der Macht spricht Bände.

Die erste wahr­haf­te Demo­kra­tie ist in Athen ent­stan­den, in einer ver­gleich­ba­ren Bedro­hung durch das viel mäch­ti­ge­re Reich der Per­ser. Sogar das Ora­kel von Del­phi wech­sel­te vor­sorg­lich die Sei­ten, riet zur Unter­wer­fung und setz­te damit auf die fal­sche Sei­te, zum Nach­teil der eige­nen Repu­ta­ti­on. – In die­ser Situa­ti­on konn­te der hoch­wohl­ge­bo­re­ne Adel die Lasten des anste­hen­den Krie­ges nicht mehr stan­des­ge­mäß tra­gen und auch allein bewäl­ti­gen. Es galt, eine Flot­te zu bau­en, um dann die Bür­ger zu moti­vie­ren, auf eige­ne Kosten in den Krieg zu zie­hen. – Aber wer aus frei­en Stücken mit in den Krieg zieht, um die eige­ne Frei­heit zu ver­tei­di­gen, wird die­sel­be Frei­heit auch gegen­über dem eige­nen Staat gel­tend machen, darauf ent­stand die erste Basis-Demo­kra­tie der Welt. 

Mit der Renais­sance führ­te die Wie­der­erin­ne­rung an die­se Epo­che zum Huma­nis­mus, und die­ser steht seit­her immer wie­der neu auf dem Spiel. Her­aus­ge­for­dert wird er durch üble Men­schen­bil­der im Auf­trag von Reli­gio­nen, Ideo­lo­gien, Wirt­schafts- und vor allem Macht­in­ter­es­sen. – Dar­auf­hin wur­den oft bar­ba­ri­sche Exzes­se in Sze­ne gesetzt, die eine Wei­ter­ent­wick­lung der Mensch­heit immer wie­der um Jahr­zehn­te, wenn nicht um Jahr­hun­der­te zurück­war­fen. Dage­gen das huma­ni­sti­sche Men­schen­bild hoch­zu­hal­ten und auch zu ver­tei­di­gen, ist selbst ein ehren­wer­tes Motiv.

Aber gera­de den Hitz­köp­fen ist in einer sol­chen Kri­se gar nicht zu trau­en, schon gar nicht den Kulis­sen­schie­bern, und das all­fäl­li­ge Mora­li­sie­ren ist nichts wei­ter als gei­sti­ge Umwelt­ver­schmut­zung. Da erdrei­sten sich man­che, die eige­ne Ein­falt zum Maß aller Din­ge zu erklä­ren. – Für wirk­lich gro­ße Fra­gen gibt es kei­ne ein­fa­chen Lösun­gen, son­dern nur eine reflek­tie­ren­de Hal­tung, die dar­auf Wert legt, die Wür­de zu wah­ren und Wider­sprü­che aus­zu­hal­ten. Nur dann sind wir wach genug, im Hin und Her zwi­schen Herz und Kopf immer wie­der neu den Aus­gleich für unse­re Stel­lung­nah­men und Ent­schei­dun­gen zu finden.

Das ändert jedoch nichts dar­an, daß auch ande­re Kon­se­quen­zen gezo­gen wer­den müs­sen, vor allem das Ende der Nibe­lun­gen­treue. Seit Jah­ren haben die USA mit ihrer gan­zen Poli­tik der Demü­ti­gung, Her­ab­set­zung und mit der geziel­ten Ein­fluß­nah­me in der Ukrai­ne dar­auf hin­ge­ar­bei­tet, für Russ­land ein neu­es Afgha­ni­stan zu erschaf­fen. Aber nun soll nicht mehr nur Russ­land, son­dern zugleich auch die EU ganz ent­schei­dend geschwächt wer­den. Bei­de sol­len zu Pro­vinz­mäch­ten wer­den, um in der näch­sten Aus­ein­an­der­set­zung mit Chi­na nicht mehr stö­ren zu können.

Zugleich besteht die Gefahr, daß der Huma­nis­mus erneut eine kata­stro­pha­le Nie­der­la­ge erlebt. Denn die­ser ist es eigent­lich, der gede­mü­tigt wer­den soll. Die Angrif­fe rich­ten sich gegen den alt­eu­ro­päi­schen Geist, gegen Demo­kra­tie, Eman­zi­pa­ti­on, Indi­vi­dua­lis­mus, Mei­nungs­frei­heit, Phi­lo­so­phie und gegen die Idee vom ewi­gen Frie­den. – Euro­pa muß sich end­lich lösen von der Nibe­lun­gen­treue zu den USA, die ihre Spie­le spie­len und ihre Inter­es­sen ver­fol­gen, dabei aber immer wie­der ver­hee­ren­de Kon­flik­te aus­lö­sen, gro­ße Schä­den anrich­ten und sehr viel neu­en Haß erzeu­gen, der sich spä­ter wie­der in neu­en Kon­flik­ten ent­la­den wird.

Im Zen­trum ste­hen momen­tan aber Des­po­ten, die von vor­ge­stern sind. Sie wis­sen, daß ihre Zeit längst abge­lau­fen ist. Daher mach­te Putin die­sen letz­ten Ver­such, nach alter Manier ein­fach zu erobern, was sich nicht stand­haft genug zu erweh­ren ver­steht. Und die Kol­le­gen unter den Des­po­ten wer­den der­weil sehr genau beob­ach­ten, wie weit Putin mit sei­nen Über­grif­fen kommt, um sich an sei­nem Schick­sal ein Bei­spiel zu neh­men. Und den­noch gilt: Gewalt ist kei­ne Lösung son­dern nur ein Zeug­nis gei­sti­ger Armut.

Daher ist es nicht nur nach­voll­zieh­bar, son­dern akzep­ta­bel, mit dem Her­zen ande­rer Mei­nung zu sein, im Wider­spruch und im Wider­stand zu den neun­mal­klu­gen Scharf­ma­chern, die sich wie­der ein­mal selbst berau­schen am eige­nen Wahn. – Wozu haben wir ein Gewis­sen? Was bedeu­tet uns die Fähig­keit, Zukünf­te vor­weg­neh­men zu kön­nen, um dar­an das eige­ne Ent­schei­den und Han­deln immer wie­der neu aus­zu­rich­ten, wenn man aus­ge­rech­net in der Kri­se auf Dem­ago­gen, Hitz­köp­fe oder auf die Mani­pu­la­tio­nen von Geheim­dien­sten, Pro­pa­gan­da und Gesin­nungs­wäch­tern hereinfällt?

Ich bin von Her­zen dage­gen, daß ich aus Ver­nunft­grün­den dafür sein muß, die­sen Feh­de­hand­schuh auf­zu­he­ben. Aus Ein­sicht in die Not­wen­dig­keit bin ich dafür, die­ser Kon­fron­ta­ti­on, die­sem Des­po­tis­mus die Stirn zu bie­ten und das bedeu­tet: Es gilt, der Will­kür­herr­schaft von Des­po­ten und Kulis­sen­schie­bern end­lich ent­ge­gen­zu­tre­ten und dafür zu sor­gen, daß deren Poli­tik welt­weit nicht mehr auf­geht. Die Zei­ten, als im Abso­lu­tis­mus sich noch ein­zel­ne Herr­scher selbst zum Staat erklär­ten und eben­das auch so mein­ten, wenn sie “wir” sag­ten, waren ein aber­wit­zi­ges Durch­gangs­sta­di­um in der Neue­ren Geschich­te, das end­lich vor­bei sein sollte.

Es gibt nur einen Grund, die Ver­tei­di­gung gegen die­sen Krieg zu recht­fer­ti­gen, wenn es schluß­end­lich auf mehr Demo­kra­tie, mehr Huma­ni­tät und weni­ger dunk­le Machen­schaf­ten hin­aus­läuft. Es ist an der Zeit, dem stän­di­ge Zün­deln der USA end­lich Ein­halt zu gebie­ten. Es scheint, als läge eines der Moti­ve, die Welt andau­ernd mit neu­en Kon­flik­ten zu über­zie­hen auch dar­in, im eige­nen Land von einem dro­hen­den Bür­ger­krieg abzu­len­ken. Man sorgt stän­dig für neue äuße­re Fein­de, um den Haß im eige­nen Land damit zu übertünchen.

Was bei alle­dem über­haupt nicht geheu­er sein kann, ließ sich bereits in der Coro­na-Kri­se beob­ach­ten. Es war ein Rück­fall in vor­ma­li­ge Zei­ten, in ein längst über­wun­den geglaub­tes Sta­di­um der Ent­wick­lung – aus Grün­den der Angst und der Panik­ma­che. Genau damit spie­len Des­po­ten immer wie­der, aber auch Poli­ti­ker in Demo­kra­tien auf der Grund­la­ge von Staa­ten, die wie Mon­ster im Zaum gehal­ten wer­den müssen.

Gewal­ten­tei­lung, Rechts­staat­lich­keit und die Balan­ce of Power sind inzwi­schen uner­läß­lich gewor­den, es reicht aber noch immer nicht. Noch mehr Demo­kra­tie ist erfor­der­lich, noch mehr Bil­dung, Ent­wick­lung, Eman­zi­pa­ti­on. Also genau das Gegen­teil des­sen, was den Auto­kra­ten und den sich allent­hal­ben berei­chern­den Olig­ar­chen genehm ist. Sie sol­len nicht mehr von die­ser Welt sein, denn sie stam­men aus dem letz­ten, eigent­lich toten 19. Jahr­hun­dert, das jetzt wie ein Zom­bie die Gemü­ter erschrickt. – Sich nicht ein­schüch­tern zu las­sen und nicht erpress­bar zu sein, ist von größ­ter Bedeu­tung. Auch und gera­de Demo­kra­tien müs­sen wehr­haft sein, nur ganz anders, als es sich die Mili­ta­ri­sten und Bel­li­zi­sten wünschen.

Ein Krieg im Namen der Demo­kra­tie ist nur dann legi­tim, wenn mehr Demo­kra­tie dabei her­aus­kommt. Erst dann läßt sich auch das Herz gewin­nen. Es ist ein Aus­druck der Wür­de, sich nicht ein­schüch­tern, ver­äng­sti­gen und unter­drücken zu las­sen. – Aber in Russ­land sind demo­kra­ti­sche Erfah­run­gen noch gar nicht gemacht, son­dern immer nur ver­hin­dert wor­den. Und die Demü­ti­gun­gen, die zuletzt vom Westen her gezielt adres­siert wur­den, taten ihr übri­ges, eben nicht den Weg der Huma­ni­tät in die Zukunft, son­dern den der Gewalt in die Ver­gan­gen­heit zu wählen.

Bei alle­dem soll­te man den huma­nen Geist zu wür­di­gen wis­sen, denn gera­de der Umgang mit Gede­mü­tig­ten ist ganz beson­ders hei­kel. In Kri­sen und Kon­flik­ten die Wür­de der Ver­lie­rer zu wah­ren und dafür ver­läß­lich zu sor­gen, daß sich gera­de sie sich gewür­digt füh­len dür­fen, kön­nen und auch sol­len, das ist die höch­ste Kunst jeder Diplo­ma­tie. – Aber schon seit Jah­ren fin­det immer weni­ger Diplo­ma­tie statt, Demü­ti­gun­gen wer­den bewußt aus­ge­spro­chen, es wur­de betont undi­plo­ma­tisch pro­vo­ziert, weil nicht der Frie­den, son­dern der Krieg gewählt wor­den ist, lan­ge bevor Putin sei­nen Marsch­be­fehl gab.


Stoibern und Drosten

Inkompetenzkompensationskompetenz

Ja, die gibt es wirk­lich. Odo Mar­quardt hat sie ent­deckt, die Kom­pe­tenz der Phi­lo­so­phen als Stunt­man in Kom­pe­tenz­fra­gen. Wenn man des näch­tens durch uni­ver­si­tä­re Kata­kom­ben streif­te und aus irgend­ei­nem der Räu­me gro­ße Hei­ter­keit zu ver­neh­men war, dann konn­te man sich viel­leicht dar­an erfreu­en, einer Rede des begna­de­ten Bedeu­tungs­künst­lers Odo Mar­quardt beizuwohnen.

So beginnt er sei­nen Vor­trag “Inkom­pe­tenz­kom­pen­sa­ti­ons­kom­pe­tenz? Über Kom­pe­tenz und Inkom­pe­tenz der Phi­lo­so­phie” mit einer maka­bren Geschich­te, die gleich auf den Kopf zu spre­chen kommt, um den es gehen soll, den phi­lo­so­phi­schen Kopf.

Bei einem chi­ne­si­schen Hen­ker­wett­streit – so wird erzählt – geriet der zwei­te Fina­list in die Ver­le­gen­heit, eine schier unüber­biet­bar prä­zi­se Ent­haup­tung durch sei­nen Kon­kur­ren­ten, der vor ihm dran war, über­bie­ten zu müs­sen. Es herrsch­te Span­nung. Mit schar­fer Klin­ge führ­te er sei­nen Streich. Jedoch der Kopf des zu Ent­haup­ten­den fiel nicht, und der also schein­bar noch nicht ent­haup­te­te Delin­quent blick­te den Hen­ker erstaunt und fra­gend an. Drauf die­ser zu ihm: nicken Sie mal.

Mich inter­es­siert, was die­ser Kopf denkt, bevor er nickt; denn das müß­te doch Ähn­lich­keit haben mit Gedan­ken der Phi­lo­so­phie über sich selber.

Wenn genü­gend hin­ter­sin­ni­ger Witz, also Geist vor­han­den ist, dann ist auch die Spra­che in ihrem Ele­ment. Schließ­lich muß der Geist die Wor­te, denen wir anver­trau­en wol­len, was wir mit­tei­len möch­ten, erst ‘besee­len’. Die­se gei­ster­haf­te Gei­stig­keit kommt von den Meta­phern, die man sich her­bei­ruft, um mit ihnen wie im Zir­kus nicht unge­fähr­li­che Dres­sur­stück­chen vor­zu­füh­ren. – Das Span­nen­de dar­an ist aller­dings, daß Meta­pho­ri­sie­ren schief gehen kann und zwar ganz gewaltig.

Auch das hat wie­der­um einen aus­ge­zeich­ne­ten Unter­hal­tungs­wert. Dann fehlt aller­dings der Geist, der dem Gesag­ten die See­le ein­haucht. Aber in den Vor­stel­lungs­wel­ten auf­merk­sa­mer Zuhö­rer kön­nen Gei­ster auch durch demon­stra­ti­ve Abwe­sen­heit eine Bot­schaft abset­zen. Dann geht so gut wie alles schief, was schief gehen kann. – Dann steckt der Geist im unbe­rück­sich­tig­ten Hin­ter­sinn, der in der letz­ten Rei­he sei­ne Faxen macht und den ord­nungs­ge­mä­ßen Ablauf der Zie­hung der Wor­te als Glücks­tref­fer so rich­tig sabotiert.

Eines der erle­sen­sten Demon­stra­tio­nen sprach­li­cher Inkom­pe­tenz ist die unver­geß­li­che Rede des dama­li­gen Mini­ster­prä­si­den­ten Edmund Stoi­ber, der sich für eine Strecke mit dem Trans­ra­pid zwi­schen Mün­che­ner Haupt­bahn­hof und Flug­ha­fen stark machen woll­te. Er hat­te dabei etwas vor Augen, das ihm auf­grund sprach­li­chen Unver­mö­gens oder auch, weil er einen schlech­ten Tag gehabt haben mag, ein­fach nicht gelang, eigent­lich eine Bana­li­tät zum Aus­druck zu brin­gen: Eine Flug­rei­se vom Mün­che­ner Flug­ha­fen könn­te bereits im Haupt­bahn­hof begin­nen, des­halb sol­le man sich doch die Vor­zü­ge nicht nur vor Augen füh­ren, son­dern nicht ent­ge­hen las­sen und die Strecke für den Trans­ra­pid end­lich befür­wor­ten und bauen.

Es ist ein unver­ges­se­nes Werk der Sprach­kunst, weil man sieht, was alles schief gehen kann. Ich weiß, es ist böse, aber die Scha­den­freu­de berei­tet gera­de auch eine gro­ße, halb­ver­bo­te­ne Freu­de, die in die­sen fin­ste­ren Zei­ten auch etwas Ent­la­sten­des haben kann. – Also katho­lisch gese­hen, ist es nur eine läß­li­che Sün­de, auf eine Samm­lung hin­zu­wei­sen, die Ken­ner der Rede­kunst bei You­tube zusam­men­ge­tra­gen haben unter dem Titel “Stoi­bers Gestam­mel­te Wer­ke”. Die Trans-Rapid-Rede fin­det sich dort gleich zu Beginn.

Gut gestoi­bert ist halb gedro­stet. Ich kom­me dar­auf, weil mir man­che Ähn­lich­kei­ten ist Auge fal­len und ich gera­de dabei bin, nach­zu­voll­zie­hen, war­um der NDR-Pod­cast von Prof. Dr. Chri­sti­an Hein­rich Maria Dro­sten sich so gro­ßer Beliebt­heit erfreut, seit den Anfän­gen unse­rer Pan-Hysterie.

Ich den­ke mal, daß es vie­le Gei­stes­wis­sen­schaft­ler sein müs­sen, die ehr­furchts­voll lau­schen, wenn da jemand so ähn­lich stam­melt, wie Stoi­ber. Und ich fra­ge mich: Kann es sein, daß vie­le Kol­le­gen aus den Gei­stes­wis­sen­schaf­ten dem Natur­wis­sen­schaft­ler sei­nen unbe­hol­fe­nen Umgang mit Spra­che gern nach­se­hen? – Ist es mög­lich, daß sie dar­in sogar eine beson­de­res Zei­chen von Kom­pe­tenz sehen?


Nähe und Enge

Wenn es eng wird ums Herz

“Wann Krieg beginnt, das kann man wis­sen, aber wann beginnt der Vor­krieg. Falls es da Regeln gäbe, müß­te man sie wei­ter­sa­gen.” (Chri­sta Wolf: Kas­san­dra. Vor­aus­set­zun­gen einer Erzäh­lung. Frank­fur­ter Poetik–Vorlesungen; Darm­stadt, Neu­wied 1983. S. 76f.)

Es gibt einen ethisch nicht zuläs­si­gen Tier­ver­such: Zwei Rat­ten wer­den in einen Käfig gesperrt, der eine ziem­lich klar defi­nier­te Grö­ße unter­schrei­tet. Dann gehen sich bei­de augen­blick­lich an die Gur­gel, bis nur noch eine übrig bleibt. 
Auf mehr­tä­gi­gen Ver­an­stal­tun­gen gibt es die­sen magi­schen 3. Tag. Auch da gehen sich Teil­neh­mer aus einem inne­ren Zwang her­aus an, weil irgend­ei­ne Geduld am Ende ist und man vom vie­len Weg­lä­cheln all­mäh­lich Gesichts­krämp­fe bekommt. — Es ist auch komisch, wenn gleich ganz vie­le wie auf ein gehei­mes Kom­man­do ziem­lich unver­mit­telt und auf­grund von Nich­tig­kei­ten plötz­lich auf­ein­an­der losgehen.
Wenn man als Refe­rent spä­ter dazu kommt und wis­sen möch­te, wie die Stim­mung so ist, kann man sehr gut Teil­neh­me­rin­nen befra­gen. Frau­en haben es wie selbst­ver­ständ­lich auf dem Schirm, wer mit wem, war­um nicht und wes­we­gen. — Ich bin da immer bass erstaunt, wie leicht frau Grup­pen­dy­na­mik dur­schau­en kann, weil ich dazu mit Bord­mit­teln ziem­lich lan­ge brau­che, bis ich es auch sehe.

Jérô­me-Mar­tin Lang­lois: Cas­san­dra fleht Miner­va an, sich an Ajax zu rächen (1810).

Es ist über­aus wich­tig, hin­ter die Kulis­sen zu schau­en. Das ist auch der Sinn von Höf­lich­keit, denn es gilt, ande­ren zuvor­kom­mend zu begeg­nen, so daß sie gar nicht erst Beklem­mun­gen bekom­men, son­dern sich wohl­füh­len, ver­stan­den, geach­tet, gewür­digt. — Das läßt sich sehr schön bei Knig­ge stu­die­ren, dem es mit­nich­ten um den Ein­satz des Fisch­mes­sers geht. 
Tat­säch­lich ist Gesell­schaft immer auch Thea­ter. Wir spie­len unse­re Rol­len und dabei uns selbst und ande­ren etwas vor. Aber was wäre die Alter­na­ti­ve? — Der Unter­ti­tel bei Knig­ge lau­tet, vom Umgang mit Men­schen. Dabei geht es um eine Diplo­ma­tie, die alles ande­re ist als Schmei­che­lei oder Mani­pu­la­ti­on. Aller­dings ist dazu ein wenig Lebens­art und Lebens­er­fah­rung erfor­der­lich und vor allem ein huma­ni­sti­scher Geist. 
Das Rol­len­spiel ist ja selbst wie­der ein Medi­um, eine Spra­che, mit der wir uns dar­stel­len. Das wird einem klar bei einer Emp­feh­lung, die Knig­ge gibt: Sei­ner­zeit war die Bewe­gungs­frei­heit nicht so wie heu­te. Nur Ade­li­ge und Hand­werks­ge­sel­len durf­ten und muß­ten rei­sen, um sich in der wei­ten Welt zu bewei­sen. In der Tat lernt man sich selbst am besten in der Frem­de ken­nen und vor allem dann, wie man mit dem Unbe­kann­ten umge­hen muß. 
Wenn man in der Stadt eine Kut­sche gemie­tet hat und die Kut­scher wie ver­rückt los­fah­ren, soll­te man sich kei­nes­wegs dar­über beschwe­ren. Es geht nur um eine Bela­stungs­pro­be. Wenn näm­lich die Räder schwach sind, dann soll­ten sie hier und jetzt bre­chen – aber nicht im Wald, wo bekannt­lich die Räu­ber sind. 
Die mei­sten Pro­ble­me ent­ste­hen durch nicht the­ma­ti­sier­tes Miß­ver­ste­hen. Es ist fal­sche Höf­lich­keit, irgend­ei­ne Form zu wah­ren, aber nicht auf das zu spre­chen zu kom­men, was wirk­lich von Bedeu­tung ist, um ein­an­der zu ver­ste­hen. — Das ist vor­aus­set­zungs­rei­cher als gedacht. Zunächst müß­te man erst ein­mal sich selbst ver­ste­hen und dann auch den Ande­ren. Dann braucht man eine gemein­sa­me Gesprächs­grund­la­ge, wie es schon im Jar­gon der Diplo­ma­ten heißt. Das alles ver­langt der Spra­che der­art viel ab, so daß vie­le lie­ber alles weg­lä­cheln und Meta–Toleranz–Gepflogenheiten vor sich her­tra­gen oder auch Par­tei­nah­men, je nach Tages­be­fehl, was 
noch mehr Pro­ble­me bereitet.
Die Welt ist in der Tat abhän­gig vom Wil­len und von der Vor­stel­lung, die man sich dar­über macht oder auch nur machen läßt. Das hat die Coro­na-Kri­se leid­lich unter Beweis gestellt. Die Gren­zen zwi­schen dem Öffent­li­chen und dem Pri­va­ten, zwi­schen Gesell­schaft und Gemein­schaft, wur­den stän­dig ver­letzt. Man hat sich in eine Stim­mung aus Panik, Furcht und Bedro­hung ver­set­zen und dau­er­haft hal­ten lassen.
Und jetzt erscheint es so, als wäre Coro­na nur eine Art Vor­krieg gewe­sen. Die Pola­ri­sie­rung der Gesell­schaft, der Kul­tur, man­cher Gemein­schaf­ten und das Gefühl, im Ande­ren eine infek­tiö­se Bedro­hung zu sehen und Nähe gene­rell fürch­ten zu müs­sen, sich auf nichts mehr ver­las­sen zu kön­nen, schon gar nicht auf das eige­ne Immun­sy­stem, das hat alles sehr viel mehr Scha­den ange­rich­tet, als man­che bereit wären, sich zuzugestehen.
Auch ist es kein Zufall, daß nun­mehr mit mög­lichst gro­ßer Öffent­lich­keit die­ses toxi­sche Männ­lich­keits­geh­abe wie­der fröh­li­che Urstän­de fei­ert. — Wie war es noch, als Deut­sche in den Krieg fuh­ren? Das taten sie ja nur, um dort mit ihrer neu­en, fran­zö­si­schen Gelieb­ten auf der Chaus­see de Ely­see fla­nie­ren zu gehen. Zurück kamen sie, wenn über­haupt, zutiefst traumatisiert.
Die Welt­krie­ge haben die­se Schat­ten­fi­gu­ren des pre­kä­ren Mas­ku­li­nis­mus erzeugt, einen manisch-depres­si­ven Män­ner­typ, der nicht spre­chen kann über die Scheuß­lich­kei­ten, die nicht wie­der ver­schwin­den wol­len. Also liegt er den gan­zen Tag auf der Couch, bekommt aber ein­mal am Tag sei­nen Anfall, die gan­ze Fami­lie zu vermöbeln.
Das gegen­wär­ti­ge, affen­haf­te Brust­klop­fen der Macho­ma­nie ist ja nur das, was im Vor­krieg demon­striert wird. Spä­ter wird sich die Gesell­schaft in gro­ßer Dank­bar­keit für die erbrach­ten Opfer von die­sen Hel­den nur noch ange­wi­dert abwen­den. Also was soll das?
Es ist kein Kunst­stück, gegen den Krieg zu sein, gegen jeden, weil das ein­fach für nichts gut ist. Außer­dem befand man sich schon immer in der bes­se­ren Gesell­schaft mit denen, die sich ein eige­nes Urteils­ver­mö­gen zutrau­en und auch zumu­ten moch­ten. — Zwi­schen der Zustim­mung zur Imp­fung und der Zustim­mung zum Krieg gibt es eine gespen­sti­sche Gemeinsamkeit.
I am not con­vin­ced. — Wo kommt nur das Bedürf­nis nach Haß her? Ist es nicht eine viel zu spä­te Reak­ti­on dar­auf, daß man sich wie­der ein­mal hat viel zu viel Duld­sam­keit abver­langt, zu viel Nähe zuge­mu­tet und zu wenig Ver­ste­hen auf­ge­bracht hat? War­um weh­ren sich so weni­ge gegen Über­grif­fe und lächeln sich weg? War­um kommt es dazu, daß man irgend­wann ein­fach platzt, wenn es bereits zu spät ist? Das ist fal­sche Höf­lich­keit, das ist Feig­heit, Unbe­darft­heit, Unselbst­stän­dig­keit, Unsi­cher­heit, Unmündigkeit.
War­um haben so vie­le die Gele­gen­heit zum Bas­hing nicht ver­strei­chen las­sen, um auch mal ganz kräf­tig aus­zu­tei­len? — Die Grün­de lie­gen woan­ders, in einem all­ge­mei­nen Unglück­lich­sein, das mit dem eigent­li­chen Anlaß kaum etwas zu tun hat. 
In einem Man­gel an Den­ken und Spra­che lie­gen die eigent­li­chen Grün­de. Daher lau­fen die Kon­flik­te völ­lig aus dem Ruder nach dem Mot­to: Und was ich Dir über­haupt immer schon mal sagen woll­te…! — Macht­wor­te sind Ver­laut­ba­run­gen einer Ohn­macht, aus Grün­den der Spra­che, des Den­kens und aus Man­gel an Geist.
Als Etho­lo­gen einem Volk ohne Fern­se­her vom Welt­krieg erzähl­ten, haben sich die­se zunächst köst­lich amü­siert. So etwas bräuch­ten sie auch mal. Offen­bar dach­ten sie an eine zünf­ti­ge Wirts­haus­schlä­ge­rei, die sie auch noch nicht kann­ten. — In einem Sci­ence Fic­tion las ich mal über eine frem­de Spe­zi­es, sie sei­en ursprüng­lich sehr krie­ge­risch gewe­sen, dann aber hät­ten sie sich selbst immer wei­ter pazi­fi­ziert. Aber von Zeit zu Zeit bräuch­ten sie noch eine Drang­wä­sche, ein bemer­kens­wer­tes Wort für das, was da gera­de vor sich geht.
Es ist vie­len zu eng gewor­den. Es wäre aber bes­ser, ein­an­der mehr Raum zu gewäh­ren. Raum gewäh­ren kann man auch durch mehr Ver­ständ­nis, etwa für die, die sich gera­de völ­lig ver­un­si­chert in den Geschäf­ten bewe­gen, daß jetzt kei­ne Mas­ken­pflicht mehr herrscht. Aber wo kom­men wir da jetzt hin, wenn jeder wie­der macht was er oder sie will! – Genau das ist das Pro­blem, die­ses unaus­ge­spro­che­ne Miß­trau­en, der ver­bor­ge­ne Selbst– und Menschenhaß.
Der Libe­ra­lis­mus steht einer rechts­ka­tho­li­sche Tie­fen­ge­sin­nung gegen­über und einer Rei­he von selbst­über­zeug­ten Bes­ser­wis­sern, die in sich das Poten­ti­al zum guten Dik­ta­tor ver­spü­ren. Nicht nur Krieg, son­dern auch Dik­ta­tur scheint wie­der machbar.
Aber der Libe­ra­lis­mus hat den Huma­nis­mus auf sei­ner Sei­te. Er kann sagen, war­um wir uns in unse­rer Frei­heit selbst fin­den und ent­wickeln müs­sen. Nur so wird aus Men­schen das, was sich aus ihrer Eman­zi­pa­ti­ons­ge­schich­te längst her­aus­le­sen läßt, Wesen indi­vi­du­el­ler Weis­heit, Selbst­ver­ant­wor­tung, Empa­thie, Authen­ti­zi­tät und einem immens gestie­ge­nen Verbalisierungsvermögen.
Erst wenn wir sagen kön­nen, was mit uns und der Welt nicht stimmt, wenn wir auch in der Bewegt­heit noch die Con­ten­an­ce bewah­ren kön­nen, um uns gleich­wohl nicht unter­but­tern zu las­sen, erst dann sind wir auf dem rich­ti­gen Weg. — Dabei ist die Bezeich­nung Homo sapi­ens bis­lang nur eine Anmaßung.
Die letz­te aller Kom­pe­ten­zen ist die schwer­ste von allen, das ist in jeder Ent­wick­lung so. Sich selbst mode­rie­ren zu kön­nen, freund­schaft­lich, ver­ständ­nis­voll und hoff­nungs­voll, das ist ein­zig das, was zählt. Der Staat hat über­haupt nicht das Recht, sich da ein­zu­mi­schen. Er hat nicht die Auf­ga­be, über die Gesell­schaft zu herr­schen, er hat ihr zu die­nen, um sie dar­in zu unter­stüt­zen, zu sich selbst zu kom­men. — In Päd­ago­gik und Psy­cho­lo­gie ist das der sta­te of the art, alle Eltern wis­sen das.