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ZeitGeister | Philosophische Praxis

Akademie für Philosophische Psychologie

Category: Diskurs

EPG II b (online und Block)

Ober­se­mi­nar

EPG II b (Online)

Ethisch–Philosophisches Grundlagenstudium II

SS 2022 | Beginn: 30. Juni 2022 | Ende: 14. August 2022 | Online und Block
Ab 30. Juni 2022: 5 Semi­na­re online | don­ners­tags: 14:00–15:30 Uhr, sowie
3 Work­shops im Block: 12., 13., 14. August 2022 | 14–19 Uhr | Raum: 30.91–110

Zum Kommentar als PDF

Universe333: Yoga­Bey­ond Hon­za & Clau­di­ne Bon­di; Beach, Austra­lia 2013. — Quel­le: Public Domain via Wiki­me­dia Commons.

Zwischen den Stühlen

Eine Rol­le zu über­neh­men bedeu­tet, sie nicht nur zu spie­len, son­dern zu sein. Wer den Leh­rer­be­ruf ergreift, steht gewis­ser­ma­ßen zwi­schen vie­len Stüh­len, einer­seits wer­den höch­ste Erwar­tun­gen gehegt, ande­rer­seits gefällt sich die Gesell­schaft in abfäl­li­gen Reden. — Das mag damit zusam­men­hän­gen, daß jede® von uns eine mehr oder min­der glück­li­che, gelun­ge­ne, viel­leicht aber eben auch trau­ma­ti­sie­ren­de Schul­erfah­rung hin­ter sich gebracht hat.

Es sind vie­le poten­ti­el­le Kon­flikt­fel­der, die auf­kom­men kön­nen im beruf­li­chen All­tag von Leh­rern. Daß es dabei Ermes­senspiel­räu­me, Hand­lungs­al­ter­na­ti­ven und vor allem auch Raum gibt, sich selbst und die eige­nen Idea­le mit ins Spiel zu brin­gen, soll in die­sem Semi­nar nicht nur the­ma­ti­siert, son­dern erfahr­bar gemacht werden.

Das Selbst­ver­ständ­nis und die Pro­fes­sio­na­li­tät sind gera­de bei Leh­rern ganz ent­schei­dend dafür, ob die vie­len unter­schied­li­chen und mit­un­ter para­do­xen Anfor­de­run­gen erfolg­reich gemei­stert wer­den: Es gilt, bei Schü­lern Inter­es­se zu wecken, aber deren Lei­stun­gen auch zu bewer­ten. Dabei spie­len immer wie­der psy­cho­lo­gi­sche, sozia­le und päd­ago­gi­sche Aspek­te mit hin­ein, etwa wenn man nur an Sexua­li­tät und Puber­tät denkt. — Mit­un­ter ist es bes­ser, wenn mög­lich, lie­ber Projekt–Unterricht anzu­re­gen, wenn kaum mehr was geht.

Es gibt klas­si­sche Kon­flikt­li­ni­en, etwa Eltern–Lehrer–Gespräche, in denen nicht sel­ten die eige­nen, oft nicht eben guten Schul–Erfahrungen der Eltern mit hin­ein­spie­len. Aber auch inter­kul­tu­rel­le Kon­flik­te kön­nen auf­kom­men. Das alles macht neben­her auch Kom­pe­ten­zen in der Media­ti­on erfor­der­lich. — Einer­seits wird indi­vi­du­el­le För­de­rung, Enga­ge­ment, ja sogar Empa­thie erwar­tet, ande­rer­seits muß und soll gerecht bewer­tet wer­den. Das alles spielt sich ab vor dem Hin­ter­grund, daß dabei Lebens­chan­cen zuge­teilt werden.

Gera­de in letz­ter Zeit sind gestie­ge­ne Anfor­de­run­gen bei Inklu­si­on und Inte­gra­ti­on hin­zu­ge­kom­men. Auch Straf– und Dis­zi­pli­nar­maß­nah­men zäh­len zu den nicht eben ein­fa­chen Auf­ga­ben, die aller­dings wahr­ge­nom­men wer­den müs­sen. — Ein wei­te­rer, immer wie­der aku­ter und for­dern­der Bereich ist das Mob­bing, das sich gut ›durch­spie­len‹ läßt anhand von Inszenierungen.

Es gibt nicht das ein­zig rich­ti­ge pro­fes­sio­nel­le Ver­hal­ten, son­dern vie­le ver­schie­de­ne Beweg­grün­de, die sich erör­tern las­sen, was denn nun in einem kon­kre­ten Fall mög­lich, ange­mes­sen oder aber kon­tra­pro­duk­tiv sein könn­te. Päd­ago­gik kann viel aber nicht alles. Bei man­chen Pro­ble­men sind ande­re Dis­zi­pli­nen sehr viel erfah­re­ner und auch zustän­dig. — Unan­ge­brach­tes Enga­ge­ment kann selbst zum Pro­blem werden. 

Wich­tig ist ein pro­fes­sio­nel­les Selbst­ver­ständ­nis, wich­tig ist es, die eige­nen Gren­zen zu ken­nen, und mit­un­ter auch ein­fach mehr Lang­mut an den Tag zu legen. Zudem wer­den die Klas­sen immer hete­ro­ge­ner, so daß der klas­si­sche Unter­richt immer sel­te­ner wird. — Inklu­si­on, Inte­gra­ti­on oder eben Mul­ti­kul­tu­ra­li­tät gehö­ren inzwi­schen zum All­tag, machen aber Schu­le, Unter­richt und Leh­rer­sein nicht eben einfacher.

Gesell­schaft, Poli­tik, Wirt­schaft und Öffent­lich­keit set­zen zwar hohe Erwar­tun­gen in Schu­le und Leh­rer, gefal­len sich aber zugleich dar­in, den gan­zen Berufs­tand immer wie­der in ein unvor­teil­haf­tes Licht zu rücken. — Unver­ges­sen bleibt die Bemer­kung des ehe­ma­li­gen Kanz­lers Gehard Schrö­der, der ganz gene­rell die Leh­rer als fau­le Säcke bezeich­net hat.

„Ihr wißt doch ganz genau, was das für fau­le Säcke sind.“

Die­ses Bas­hing hat aller­dings Hin­ter­grün­de, die eben dar­in lie­gen dürf­ten, daß viel zu vie­le Schüler*innen ganz offen­bar kei­ne guten Schul­erfah­run­gen gemacht haben, wenn sie spä­ter als Eltern ihrer Kin­der wie­der die Schu­le aufsuchen.

Ausbildung oder Bildung?

Seit 2001 ist das Ethisch–Philosophische Grund­la­gen­stu­di­um (EPG) obli­ga­to­ri­scher Bestand­teil des Lehr­amts­stu­di­ums in Baden–Württemberg. Es besteht aus zwei Modu­len, EPG I und EPG II. — Ziel des EPG ist es, zukünf­ti­ge Leh­re­rIn­nen für wis­sen­schafts– und berufs­ethi­sche Fra­gen zu sen­si­bi­li­sie­ren und sie dazu zu befä­hi­gen, sol­che Fra­gen selb­stän­dig behan­deln zu kön­nen. The­ma­ti­siert wer­den die­se Fra­gen im Modul EPG II.

Um in allen die­sen Kon­flikt­fel­dern nicht nur zu bestehen, son­dern tat­säch­lich ange­mes­sen, pro­blem­be­wußt und mehr oder min­der geschickt zu agie­ren, braucht es zunächst ein­mal die Gewiß­heit, daß immer auch Ermes­sens– und Gestal­tungs­spiel­räu­me zur Ver­fü­gung ste­hen. Im Hin­ter­grund ste­hen Idea­le wie Bil­dung, Ent­fal­tung der Per­sön­lich­keit, die Erfah­rung erfül­len­der Arbeit und Erzie­hungs­zie­le, die einer huma­ni­sti­schen Päd­ago­gik ent­spre­chen, bei der es eigent­lich dar­auf ankä­me, die Schü­ler bes­ser gegen eine Gesell­schaft in Schutz zu neh­men, die immer for­dern­der auf­tritt. In die­sem Sin­ne steht auch nicht ein­fach nur Aus­bil­dung, son­dern eben Bil­dung auf dem Programm.

Auf ein– und das­sel­be Pro­blem läßt sich unter­schied­lich reagie­ren, je nach per­sön­li­cher Ein­schät­zung las­sen sich ver­schie­de­ne Lösungs­an­sät­ze ver­tre­ten. Es ist daher hilf­reich, mög­lichst vie­le ver­schie­de­ne Stel­lung­nah­men, Maß­nah­men und Ver­hal­tens­wei­sen syste­ma­tisch durch­zu­spie­len und zu erör­tern. Dann läßt sich bes­ser ein­schät­zen, wel­che davon den päd­ago­gi­schen Idea­len noch am ehe­sten gerecht werden.

So ent­steht all­mäh­lich das Bewußt­sein, nicht ein­fach nur agie­ren und reagie­ren zu müs­sen, son­dern bewußt gestal­ten zu kön­nen. Nichts ist hilf­rei­cher als die nöti­ge Zuver­sicht, in die­sen doch sehr anspruchs­vol­len Beruf nicht nur mit Selbst­ver­trau­en ein­zu­tre­ten, son­dern auch zuver­sicht­lich blei­ben zu kön­nen. Dabei ist es ganz beson­ders wich­tig, die Gren­zen der eige­nen Rol­le nicht nur zu sehen, son­dern auch zu wahren.

Stichworte für Themen

#„ADHS“ #Auf­merk­sam­keit #Bewer­tung in der Schu­le #Cyber­mob­bing #Digi­ta­li­sie­rung #Dis­zi­pli­nar­maß­nah­men #Eltern­ge­sprä­che #Erzie­hung und Bil­dung #Gen­der­di­ver­si­ty #Hel­den­rei­se und Per­sön­lich­keit in der Schu­le #Inklu­si­on #Interesse–Lernen–Leistung #Inter­kul­tu­rel­le Inklu­si­on #Isla­mis­mus #Kon­flik­te mit dem Islam in der Schu­le #Kon­flikt­in­ter­ven­ti­on durch Lehr­per­so­nen #Leh­re­rIn sein #Leh­rer­ge­sund­heit #Medi­en­ein­satz #Medi­en­kom­pe­tenz #Mit­be­stim­mung in der Schu­le #Mob­bing #Online-Unter­richt #Poli­ti­cal Cor­rect­ness #Pro­fes­sio­nel­les Selbst­ver­ständ­nis #Pro­jekt­un­ter­richt #Puber­tät #Refe­ren­da­ri­at #Respekt #Schu­le und Uni­ver­si­tät #Schul­fahr­ten #Schul­ver­wei­ge­rung #Sexua­li­tät und Schu­le #Stra­fen und Dis­zi­pli­nar­maß­nah­men #Zivi­ler Ungehorsam

Studienleistung

Eine regel­mä­ßi­ge und akti­ve Teil­nah­me am Dis­kurs ist wesent­lich für das Semi­nar­ge­sche­hen und daher obli­ga­to­risch. — Stu­di­en­lei­stung: Grup­pen­ar­beit, Prä­sen­ta­ti­on und Hausarbeit.


EPG II a (online)

Ober­se­mi­nar

EPG II a

Ethisch–Philosophisches Grundlagenstudium II

SS 2022 | frei­tags | 14:00–15:30 Uhr | online 

Beginn: 22. April 2022 | Ende: 29. Juli 2022

Zum Kommentar als PDF

Universe333: Yoga­Bey­ond Hon­za & Clau­di­ne Bon­di; Beach, Austra­lia 2013. — Quel­le: Public Domain via Wiki­me­dia Commons.

Zwischen den Stühlen

Eine Rol­le zu über­neh­men bedeu­tet, sie nicht nur zu spie­len, son­dern zu sein. Wer den Leh­rer­be­ruf ergreift, steht gewis­ser­ma­ßen zwi­schen vie­len Stüh­len, einer­seits wer­den höch­ste Erwar­tun­gen gehegt, ande­rer­seits gefällt sich die Gesell­schaft in abfäl­li­gen Reden. — Das mag damit zusam­men­hän­gen, daß jede® von uns eine mehr oder min­der glück­li­che, gelun­ge­ne, viel­leicht aber eben auch trau­ma­ti­sie­ren­de Schul­erfah­rung hin­ter sich gebracht hat.

Es sind vie­le poten­ti­el­le Kon­flikt­fel­der, die auf­kom­men kön­nen im beruf­li­chen All­tag von Leh­rern. Daß es dabei Ermes­senspiel­räu­me, Hand­lungs­al­ter­na­ti­ven und vor allem auch Raum gibt, sich selbst und die eige­nen Idea­le mit ins Spiel zu brin­gen, soll in die­sem Semi­nar nicht nur the­ma­ti­siert, son­dern erfahr­bar gemacht werden.

Das Selbst­ver­ständ­nis und die Pro­fes­sio­na­li­tät sind gera­de bei Leh­rern ganz ent­schei­dend dafür, ob die vie­len unter­schied­li­chen und mit­un­ter para­do­xen Anfor­de­run­gen erfolg­reich gemei­stert wer­den: Es gilt, bei Schü­lern Inter­es­se zu wecken, aber deren Lei­stun­gen auch zu bewer­ten. Dabei spie­len immer wie­der psy­cho­lo­gi­sche, sozia­le und päd­ago­gi­sche Aspek­te mit hin­ein, etwa wenn man nur an Sexua­li­tät und Puber­tät denkt. — Mit­un­ter ist es bes­ser, wenn mög­lich, lie­ber Projekt–Unterricht anzu­re­gen, wenn kaum mehr was geht.

Es gibt klas­si­sche Kon­flikt­li­ni­en, etwa Eltern–Lehrer–Gespräche, in denen nicht sel­ten die eige­nen, oft nicht eben guten Schul–Erfahrungen der Eltern mit hin­ein­spie­len. Aber auch inter­kul­tu­rel­le Kon­flik­te kön­nen auf­kom­men. Das alles macht neben­her auch Kom­pe­ten­zen in der Media­ti­on erfor­der­lich. — Einer­seits wird indi­vi­du­el­le För­de­rung, Enga­ge­ment, ja sogar Empa­thie erwar­tet, ande­rer­seits muß und soll gerecht bewer­tet wer­den. Das alles spielt sich ab vor dem Hin­ter­grund, daß dabei Lebens­chan­cen zuge­teilt werden.

Gera­de in letz­ter Zeit sind gestie­ge­ne Anfor­de­run­gen bei Inklu­si­on und Inte­gra­ti­on hin­zu­ge­kom­men. Auch Straf– und Dis­zi­pli­nar­maß­nah­men zäh­len zu den nicht eben ein­fa­chen Auf­ga­ben, die aller­dings wahr­ge­nom­men wer­den müs­sen. — Ein wei­te­rer, immer wie­der aku­ter und for­dern­der Bereich ist das Mob­bing, das sich gut ›durch­spie­len‹ läßt anhand von Inszenierungen.

Es gibt nicht das ein­zig rich­ti­ge pro­fes­sio­nel­le Ver­hal­ten, son­dern vie­le ver­schie­de­ne Beweg­grün­de, die sich erör­tern las­sen, was denn nun in einem kon­kre­ten Fall mög­lich, ange­mes­sen oder aber kon­tra­pro­duk­tiv sein könn­te. Päd­ago­gik kann viel aber nicht alles. Bei man­chen Pro­ble­men sind ande­re Dis­zi­pli­nen sehr viel erfah­re­ner und auch zustän­dig. — Unan­ge­brach­tes Enga­ge­ment kann selbst zum Pro­blem werden. 

Wich­tig ist ein pro­fes­sio­nel­les Selbst­ver­ständ­nis, wich­tig ist es, die eige­nen Gren­zen zu ken­nen, und mit­un­ter auch ein­fach mehr Lang­mut an den Tag zu legen. Zudem wer­den die Klas­sen immer hete­ro­ge­ner, so daß der klas­si­sche Unter­richt immer sel­te­ner wird. — Inklu­si­on, Inte­gra­ti­on oder eben Mul­ti­kul­tu­ra­li­tät gehö­ren inzwi­schen zum All­tag, machen aber Schu­le, Unter­richt und Leh­rer­sein nicht eben einfacher.

Gesell­schaft, Poli­tik, Wirt­schaft und Öffent­lich­keit set­zen zwar hohe Erwar­tun­gen in Schu­le und Leh­rer, gefal­len sich aber zugleich dar­in, den gan­zen Berufs­tand immer wie­der in ein unvor­teil­haf­tes Licht zu rücken. — Unver­ges­sen bleibt die Bemer­kung des ehe­ma­li­gen Kanz­lers Gehard Schrö­der, der ganz gene­rell die Leh­rer als fau­le Säcke bezeich­net hat.

„Ihr wißt doch ganz genau, was das für fau­le Säcke sind.“

Die­ses Bas­hing hat aller­dings Hin­ter­grün­de, die eben dar­in lie­gen dürf­ten, daß viel zu vie­le Schüler*innen ganz offen­bar kei­ne guten Schul­erfah­run­gen gemacht haben, wenn sie spä­ter als Eltern ihrer Kin­der wie­der die Schu­le aufsuchen.

Ausbildung oder Bildung?

Seit 2001 ist das Ethisch–Philosophische Grund­la­gen­stu­di­um (EPG) obli­ga­to­ri­scher Bestand­teil des Lehr­amts­stu­di­ums in Baden–Württemberg. Es besteht aus zwei Modu­len, EPG I und EPG II. — Ziel des EPG ist es, zukünf­ti­ge Leh­re­rIn­nen für wis­sen­schafts– und berufs­ethi­sche Fra­gen zu sen­si­bi­li­sie­ren und sie dazu zu befä­hi­gen, sol­che Fra­gen selb­stän­dig behan­deln zu kön­nen. The­ma­ti­siert wer­den die­se Fra­gen im Modul EPG II.

Um in allen die­sen Kon­flikt­fel­dern nicht nur zu bestehen, son­dern tat­säch­lich ange­mes­sen, pro­blem­be­wußt und mehr oder min­der geschickt zu agie­ren, braucht es zunächst ein­mal die Gewiß­heit, daß immer auch Ermes­sens– und Gestal­tungs­spiel­räu­me zur Ver­fü­gung ste­hen. Im Hin­ter­grund ste­hen Idea­le wie Bil­dung, Ent­fal­tung der Per­sön­lich­keit, die Erfah­rung erfül­len­der Arbeit und Erzie­hungs­zie­le, die einer huma­ni­sti­schen Päd­ago­gik ent­spre­chen, bei der es eigent­lich dar­auf ankä­me, die Schü­ler bes­ser gegen eine Gesell­schaft in Schutz zu neh­men, die immer for­dern­der auf­tritt. In die­sem Sin­ne steht auch nicht ein­fach nur Aus­bil­dung, son­dern eben Bil­dung auf dem Programm.

Auf ein– und das­sel­be Pro­blem läßt sich unter­schied­lich reagie­ren, je nach per­sön­li­cher Ein­schät­zung las­sen sich ver­schie­de­ne Lösungs­an­sät­ze ver­tre­ten. Es ist daher hilf­reich, mög­lichst vie­le ver­schie­de­ne Stel­lung­nah­men, Maß­nah­men und Ver­hal­tens­wei­sen syste­ma­tisch durch­zu­spie­len und zu erör­tern. Dann läßt sich bes­ser ein­schät­zen, wel­che davon den päd­ago­gi­schen Idea­len noch am ehe­sten gerecht werden.

So ent­steht all­mäh­lich das Bewußt­sein, nicht ein­fach nur agie­ren und reagie­ren zu müs­sen, son­dern bewußt gestal­ten zu kön­nen. Nichts ist hilf­rei­cher als die nöti­ge Zuver­sicht, in die­sen doch sehr anspruchs­vol­len Beruf nicht nur mit Selbst­ver­trau­en ein­zu­tre­ten, son­dern auch zuver­sicht­lich blei­ben zu kön­nen. Dabei ist es ganz beson­ders wich­tig, die Gren­zen der eige­nen Rol­le nicht nur zu sehen, son­dern auch zu wahren.

Stichworte für Themen

#„ADHS“ #Auf­merk­sam­keit #Bewer­tung in der Schu­le #Cyber­mob­bing #Digi­ta­li­sie­rung #Dis­zi­pli­nar­maß­nah­men #Eltern­ge­sprä­che #Erzie­hung und Bil­dung #Gen­der­di­ver­si­ty #Hel­den­rei­se und Per­sön­lich­keit in der Schu­le #Inklu­si­on #Interesse–Lernen–Leistung #Inter­kul­tu­rel­le Inklu­si­on #Isla­mis­mus #Kon­flik­te mit dem Islam in der Schu­le #Kon­flikt­in­ter­ven­ti­on durch Lehr­per­so­nen #Leh­re­rIn sein #Leh­rer­ge­sund­heit #Medi­en­ein­satz #Medi­en­kom­pe­tenz #Mit­be­stim­mung in der Schu­le #Mob­bing #Online-Unter­richt #Poli­ti­cal Cor­rect­ness #Pro­fes­sio­nel­les Selbst­ver­ständ­nis #Pro­jekt­un­ter­richt #Puber­tät #Refe­ren­da­ri­at #Respekt #Schu­le und Uni­ver­si­tät #Schul­fahr­ten #Schul­ver­wei­ge­rung #Sexua­li­tät und Schu­le #Stra­fen und Dis­zi­pli­nar­maß­nah­men #Zivi­ler Ungehorsam

Studienleistung

Eine regel­mä­ßi­ge und akti­ve Teil­nah­me am Dis­kurs ist wesent­lich für das Semi­nar­ge­sche­hen und daher obli­ga­to­risch. — Stu­di­en­lei­stung: Grup­pen­ar­beit, Prä­sen­ta­ti­on und Hausarbeit.


Schuld: Eine mächtige Kategorie

Johann Hein­rich Füss­li: Lady Mac­beth, schlaf­wan­delnd, (um 1783). — Quel­le: Public Domain via Wikimedia.

Gewissensbisse, die zum Wahnsinn führen

Der Dich­ter und Maler Johann Hein­rich Füss­li war der­art fas­zi­niert von den Wer­ken des Wil­liam Shake­speare, so daß er sich schon in jun­gen Jah­ren an Über­set­zun­gen ver­such­te. — Als Maler schuf er einen gan­zen Bilder–Zyklus mit berühm­ten Sze­nen, in denen die phan­ta­sti­sche Stim­mung ein­ge­fan­gen ist.

So insze­nier­te er auch die dra­ma­ti­sche Sze­ne: Lady Mac­beth V,1 von Wil­liam Shake­speare. Die tra­gi­sche Hel­din wird von Alp­träu­men geplagt und fin­det ein­fach kei­ne Ruhe mehr. Sie träumt mit offe­nen Augen und beginnt zu schlaf­wan­deln. — Und es scheint, als woll­te sie sämt­li­che Pla­ge­gei­ster ver­trei­ben, die Zeu­gen ihrer Unta­ten, von denen sie ver­folgt und um den Schlaf gebracht wird.

Die Sze­ne­rie führt das schlech­te Gewis­sen der Lady Mac­beth vor Augen. — Ihr Mann war zunächst dem König treu­er­ge­ben. Aber drei Hexen pro­phe­zei­en ihm, selbst zum König zu wer­den. Um dem ver­hei­ße­nen Schick­sal nun auf­zu­hel­fen, schrecken Mac­beth und sei­ne Lady selbst vor einem heim­tücki­schen Königs­mord nicht zurück.

Bei­de sind von blin­dem Ehr­geiz getrie­ben und ver­lie­ren im Ver­lauf der Ereig­nis­se auf­grund ihrer Ver­bre­chen zuerst ihre Mensch­lich­keit, dann ihr Glück und schließ­lich auch noch den Ver­stand, von ihrem See­len­heil ganz zu schwei­gen. — Dabei wirkt die Frau skru­pel­lo­ser als der Mann. Ähn­lich wie auch die Medea, setzt eine sehr viel ent­schie­de­ne­re Frau wirk­lich alles aufs Spiel, wäh­rend der Mann eher zag­haft erscheint. Dahin­ter dürf­te die Pro­ble­ma­tik ste­hen, daß Frau­en lan­ge Zeit nicht direkt auf­stei­gen konn­ten, nur über ihre Rol­le als Ehe­frau und Mutter.

Es kommt im fünf­ten Akt zu der im Bild von Füss­li dar­ge­stell­ten Sze­ne. Wäh­rend sich Mac­beth auf Burg Dun­si­na­ne mehr und mehr zum ver­bit­ter­ten, unglück­li­chen Tyran­nen wan­delt, wird Lady Mac­beth immer hef­ti­ger von Gewis­sens­bis­sen geplagt, denn die Schuld am Mord von King Dun­can ist unge­sühnt. — Alp­träu­me kom­men auf, sie beginnt im Schlaf zu wan­deln und die Phan­ta­sie nimmt Über­hand, bis sie schließ­lich den Ver­stand ver­liert und sich das Leben nimmt.

Das Gefühl, sich womög­lich gleich am gan­zen Kos­mos ver­sün­digt zu haben, durch eine Fre­vel­tat, dürf­te sehr früh auf­ge­kom­men sein. Es gibt vie­le Bei­spie­le dafür, daß durch ein Sakri­leg eine ›hei­li­ge Ord­nung‹ gestört wird, was nicht so blei­ben kann. — Bei­spie­le sind Sisy­phos, ein Trick­ster, der nicht ster­ben will und den Tod immer wie­der hin­ters Licht führt, oder Ixi­on, der erst­mals einen Mord an einem Ver­wand­ten beging.

Es gibt eine Klas­se von Mythen, die sich als Urzeit­my­then klas­si­fi­zie­ren las­sen. Väter ver­schlin­gen ihre Kin­der, die Welt bleibt im Cha­os, sie gewinnt gar kei­ne Gestalt. Tita­nen herr­schen, wobei der Ein­druck ent­steht, als wären sie die Ver­kör­pe­rung jener Gei­ster, mit denen die Scha­ma­nen der Vor­zeit noch umge­hen konn­ten. — Die klas­si­schen Mythen sind inso­fern auch ein Spie­gel der Zivi­li­sa­ti­on, weil sie die angeb­lich bar­ba­ri­schen Zei­ten zuvor als abso­lut bru­tal in Sze­ne setzen.

Erynnien, Furien, Rachegötter und Plagegeister

Fran­cis­co de Goya: Saturn ver­schlingt sei­nen Sohn (1820f). — Quel­le: Public Domain via Wikimedia.

Das sind auch Ammen­mär­chen der Zivi­li­sa­ti­on, die Rede ist dann von fin­ste­ren Zei­ten. Zugleich set­zen sich Mythen damit als Auf­klä­rung in Sze­ne, schließ­lich kün­den sie von der Über­win­dung die­ser Schreck­lich­kei­ten. Nicht nur der tech­ni­sche, zivi­li­sa­to­ri­sche Fort­schritt spielt bei alle­dem eine beträcht­li­che Rol­le, son­dern auch die Psy­cho­ge­ne­se. — Ver­mut­lich kommt Indi­vi­dua­lis­mus erst all­mäh­lich auf, eben­so wie das Bedürf­nis, sich selbst zu beobachten.

Die klas­si­schen Mythen insze­nie­ren nicht nur das Sakri­leg, sie errich­ten zugleich auch die Tabus dage­gen, indem man die Ereig­nis­se in eine viel frü­he­re Urzeit abschiebt und zugleich demon­striert, wie ent­setz­lich die Fol­gen mög­li­cher Tabu­brü­che tat­säch­lich sind.

Wenn etwas Unge­heu­er­li­ches gesche­hen ist, dann tre­ten bald schon Unge­heu­er auf den Plan. Als wür­de die Welt selbst dar­um rin­gen, in den Zustand der ›vor­ma­li­gen Har­mo­nie‹ wie­der zurück­zu­keh­ren. — Aber irgend­wie muß das Ver­ge­hen gesühnt wer­den. Es muß erst wie­der aus der Welt geschafft wer­den durch Buße, weil erst dann die ›hei­li­ge Ord­nung‹ wie­der her­ge­stellt wer­den kann.

Zugleich sind die Göt­ter selbst im Pro­zeß der Theo­ge­ne­se. Eine Göt­ter­dy­na­stie folgt auf die näch­ste. — Inter­es­sant sind die Reflek­tio­nen dar­über. So hat Kro­nos durch fort­ge­setz­te Kinds­tö­tung der Gaia vor­ent­hal­ten, was Müt­ter wol­len, die Kin­der auf­wach­sen sehen.

Der Mythos schil­dert in die­ser Vor­stu­fe einen Zustand, in dem nicht wirk­lich Ent­wick­lung statt­ha­ben konn­te. — Erst in der Ära von Zeus wird die Welt auf die Mensch­heit zen­triert. Dann tre­ten die glück­li­chen Göt­ter Athens sogar frei­wil­lig zurück, um im Zuge des Prometheus–Projektes der Mensch­heit die Welt zu überlassen.

Die Entstehung des Gewissens

Fran­çois Chiff­lart: Das Gewis­sen. 1877, Mai­sons de Vic­tor Hugo, Paris. — Quel­le: Public Domain via Wiki­me­dia.

Es ist ver­mut­lich der aus Ägyp­ten durch den Tem­pel­prie­ster Moses beim Aus­zug der Juden mit auf den Exodus genom­me­ne mono­the­isti­sche Gott, der bereits bei den Ägyp­tern mit einem all­se­hen­den Auge sym­bo­li­siert wur­de. Auch die Idee vom Jen­seits­ge­richt stammt aus Ägyp­ten, was zur bemer­kens­wer­ten Tra­di­ti­on der Ägyp­ti­schen Toten­bü­cher geführt hat, das Leben als Vor­be­rei­tung auf den Tod zu betrachten.

Mit der Bedro­hung durch das Jüng­ste Gericht des Lebens kommt eine Psy­cho­ge­ne­se in Gang, die eine syste­ma­ti­sche Selbst­be­ob­ach­tung erfor­der­lich macht. — Wenn ein all­ge­gen­wär­ti­ger und all­wis­sen­der Gott ohne­hin alles ›sieht‹, so daß man ihm nichts ver­ber­gen kann, dann scheint es ange­ra­ten zu sein, sich ein Gewis­sen zuzu­le­gen, um sich genau zu beob­ach­ten und ggf. zu kontrollieren.

Dem­entspre­chend ist Kain auf der Flucht vor dem ›all­se­hen­den Auge‹, weil er ›ver­ges­sen‹ hat, sich bei­zei­ten ein Gewis­sen zu ›machen‹. — Das ist aber nur eine, noch dazu weni­ger anspruchs­vol­le Deu­tung des ver­meint­li­chen Bru­der­mords. Aus Grün­den der Eth­no­lo­gie kön­nen Acker­bau­ern und Hir­ten kei­ne ›Brü­der‹ sein. Offen­bar hat sich der hier ver­ehr­te Gott, der das Opfer des Bau­ern ›ablehnt‹, noch nicht damit arran­giert, daß die Tier­op­fer sel­te­ner und die Opfer von Getrei­de und Früch­ten zuneh­men werden.

Kain auf der Flucht

Erst mit der Urba­ni­sie­rung erhält der Pro­zeß der Zivi­li­sa­ti­on sei­ne ent­schei­den­de Dyna­mik. Der alles ent­schei­den­de Impuls geht mit die­ser Got­tes­idee ein­her, mit der ganz all­mäh­lich auf­kom­men­den Vor­stel­lung eines Got­tes, der alles ›sieht‹. — Dem­entspre­chend illu­striert Fer­nand Cor­mon die Flucht des Kain unmit­tel­bar nach der Tat. Das Werk ist durch Vic­tor Hugo inspi­riert und schil­dert die Sze­ne auf gro­tes­ke Weise.

Der Plot selbst ist zutiefst para­dox: Kain ist Bau­er. Er lebt von den Früch­ten der Erde, fürch­tet sich jedoch schreck­lich vor dem neu­en tran­szen­den­ten Gott, der im Him­mel über den Wol­ken schwebt und der alles ›sieht‹. — Er ver­liert im Opfer­wett­streit, erschlägt sei­nen Kon­tra­hen­ten, ist aber von die­sem mis­sio­na­ri­schen Hir­ten offen­bar längst bekehrt wor­den, denn er fürch­tet sich fort­an wie wahn­sin­nig vor die­sem Gott. Dar­auf beginnt er eine hals­bre­che­ri­sche Flucht, um sich dem all­se­hen­den, all­wis­sen­den, all­ge­gen­wär­ti­gen Auge die­ses Got­tes doch noch zu entziehen.

Fer­nand Cor­mon: Kain. 1880, Musèe d’Orsay, Paris. — Quel­le: Public Domain via Wikimedia.


Psyche und Seele

Über Unterschiede, die wieder das Ganze in den Blick nehmen

Man glaubt, die Natur­wis­sen­schaf­ten an die Stel­le der Kir­che set­zen zu kön­nen und “alles” ist gut. Wis­sen­schaft kann aber Reli­gi­on gar nicht erset­zen. Außer­dem gehör­ten dann auch die Gei­stes­wis­sen­schaf­ten dazu.

Da man dann aber selbst den­ken und sich bil­den müß­te, bleibt man lie­ber auf der “siche­ren” Sei­te, bei “den” Fak­ten und ver­paßt letzt­lich alles, was Wert wäre, gelebt, emp­fun­den, gefei­ert, geliebt und sogar gehei­ligt zu werden. 

Die Natur­wis­sen­schaf­ten haben die Welt nur ent­zau­bert und eine lee­re Welt geschaf­fen, in der dann ein nihi­li­sti­scher Natu­ra­lis­mus die Leu­te erschreckt. Wich­tig wäre, daß Natur­wis­sen­schaft­ler nicht über Sachen reden, für die sie nicht zustän­dig sind. – Wie Juri Gaga­rin, der erste Kos­mo­naut, der getreu sei­ner Par­tei ver­laut­ba­ren ließ. Er wäre nach ein paar Erd­um­run­dun­gen nun schon ziem­lich weit im Kos­mos her­um­ge­kom­men, Gott habe er jedoch nicht gese­hen. – Hei­li­ge Einfalt!

Es gibt nicht nur Mate­rie, son­dern auch Geist, und wie man sieht, auch die Dis­zi­plin der Geist­lo­sig­keit. – Es gibt nicht nur natur­wis­sen­schaft­li­che Fak­ten, son­dern auch Nar­ra­ti­ve. Das ist übri­gens das, was in ande­ren Kul­tu­ren als der “Geist der Ahnen” bezeich­net wird. Es sind die Nar­ra­ti­ve, in denen die­ser “Geist” auf­be­wahrt wird, so daß man ihn jeder­zeit zu Rate zie­hen kann, in den alten Geschichten. 

Es gibt nicht nur Kör­per und Psy­che, son­dern auch Leib und See­le. Und dann gibt es auch noch den Geist. 

Vor allem der Unter­schied zwi­schen Psy­che und See­le hat es mir in letz­ter Zeit ange­tan. Um die Coro­na-Kri­se über­haupt noch ver­ste­hen zu kön­nen, habe ich gute alte Begrif­fe wie­der reak­ti­viert, so daß ich sie nun aktiv ver­wen­de. Es sind die Begrif­fe “Leib, See­le” und “Geist”.

Ich ver­mu­te näm­lich, daß die Psy­che wohl eher ein Teil unse­res Mas­ken­spiel ist. Sie ist also nicht so authen­tisch, wie wir glauben. 

Die Psy­che ist eher wie das “schlech­te Pferd” in Pla­tons See­len­wa­gen. – Wenn die­se Hypo­the­se stimmt, dann wäre die Psy­che ein Teil der “Mas­ke”, wie wir sie tra­gen, um uns selbst und ande­ren etwas vorzumachen. 

Wäh­rend die Psy­che viel Wert legt auf Äußer­lich­kei­ten, ob die Insze­nie­rung stimmt und den Vor­bil­dern aus maß­geb­li­chen Film­sze­nen “gerecht” wer­den kann. Legt die See­le, wenn man wie­der­um Pla­ton folgt, gro­ßen Wert auf das, was der Psy­che oft nur nach­ge­sagt wird, ech­te Gefüh­le, wirk­li­che Ver­bun­den­heit, wah­re Authen­ti­zi­tät, tie­fes Verstehen. 

Das ist alles nicht schlimm son­dern völ­lig in Ord­nung: Wir brau­chen alles, Mecha­nik, Mate­rie, Natur­wis­sen­schaf­ten, Fak­ten, Nar­ra­ti­ve, Psy­che, See­le und Geist. – Man soll­te nur eben immer auch wenig­stens ahnen, wor­auf es jeweils ankom­men könn­te, auf wel­cher Ebe­ne ein Phä­no­men ange­spro­chen wer­den muß. 

Wenn man in die­sen Ange­le­gen­hei­ten etwas bes­ser unter­schei­den möch­te, dann emp­feh­le ich Pla­ton. – Es ist berückend, wenn er im “Phai­dros” erklärt, was mit der See­le ist. 

Das wird ein­mal ver­an­schau­licht durch einen See­len­wa­gen, der von zwei Pfer­den gezo­gen und von einem Wagen­len­ker geführ­ten wird. Dabei wird die Bedeu­tung von Schön­heit und Lie­be für die See­le und deren Wie­der­ge­burt zur Dar­stel­lung gebracht.

Ein­mal in tau­send Jah­ren bre­chen die Göt­ter zum Tri­umph­zug über das Fir­ma­ment, über die Milch­stra­ße, auf, um bis an die Gren­zen die­ser Welt vor­zu­drin­gen, um im Jen­seits vom Jen­seits die Ideen zu schau­en. Mit dabei sind auch Men­schen, die aber Mühe und Not haben, gewis­se, schwie­ri­ge Him­mel­s­pas­sa­gen zu mei­stern, mit einem guten und einem schlech­ten Pferd. – Das ist der Plot.

Ich habe schon oft dar­über phi­lo­so­phiert, geschrie­ben und Vor­trä­ge gehal­ten, aber das Ori­gi­nal ist eben Pla­ton. – Es ist schön zu sehen, was er gese­hen hat.


“I’m not convinced.”

Die Vorwahl für das Land mit der Lizenz zum Lügen: 001

Am 5. Febru­ar 2003 warf US-Außen­mi­ni­ster Colin Powell dem Irak den Besitz von Mas­sen­ver­nich­tungs­waf­fen vor und begrün­de­te damit die US-Inter­ven­ti­on im Irak. Spä­ter ent­schul­dig­te sich Powell für die in der Rede ver­brei­te­ten Lügen.

Die „Bewei­se“ für die Exi­stenz von Mas­sen­ver­nich­tungs­waf­fen, die Powell an die­sem Tag vor­ge­legt hat­te und die als Begrün­dung für die spä­te­re Inter­ven­ti­on her­hal­ten muß­ten, bestan­den aus Mate­ri­al, daß vom ame­ri­ka­ni­schen Geheim­dienst mani­pu­liert wor­den war.

Powell sag­te: „Dies sind nicht Behaup­tun­gen. Wir geben ihnen Fak­ten und Schluss­fol­ge­run­gen auf der Basis soli­der geheim­dienst­li­cher Erkennt­nis­se.“ Zu den „Fak­ten und Schluss­fol­ge­run­gen“ gehört, dass der Irak wei­ter­hin über bio­lo­gi­sche und che­mi­sche Waf­fen ver­fügt. „Hier wird getäuscht, hier wird ver­steckt und verborgen.“

Durch Lug und Trug war ein Krieg begrün­det wor­den. Der demo­kra­ti­sche US-Sena­tor Hen­ry Wax­man unter­such­te ein Jahr nach Beginn des Irak­krie­ges alle Äuße­run­gen der Bush-Regie­rung und regi­strier­te bei 125 Auf­trit­ten 237 Irre­füh­run­gen. Aus­schmückun­gen, Unter­las­sun­gen, Ver­drän­gun­gen und Über­trei­bun­gen waren die Regel, nicht die Ausnahme. 

(Mal­te Leh­ming: Als mich ein Lüg­ner über­zeug­te. In: Der Tages­spie­gel. 14.06.2019.) 

“I’m not convinced.” (Joschka Fischer)

Auf der Münch­ner Sicher­heits­kon­fe­renz im Febru­ar 2003 kam es zu einem Wort­laut, der seit­her wie in Stein gemei­ßelt stets in Erin­ne­rung gehal­ten wer­den sollte. 

You have to make the case, 

and to make the case in a democracy 

you have to be con­vin­ced yourself, 

and excu­se me I am not convinced.

Um in einer Demo­kra­tie eine Ent­schei­dung zu tref­fen, müs­se man erst mal selbst davon über­zeugt sein. “Ent­schul­di­gung, aber ich bin nicht über­zeugt und ich kann mich nicht vor die Öffent­lich­keit stel­len und sagen, laßt uns in den Krieg zie­hen, wenn ich nicht dar­an glaube.“

Public Relations ist nur ein anderes Wort für Propaganda

Das erste Opfer des Krie­ges ist die Wahr­heit, heißt es. Nun, die Wahr­heit ist das zwei­te Opfer des Krie­ges, weil die Neu­tra­li­tät schon vor­her ver­lo­ren geht.“

(Caro­lin Emcke: Von den Krie­gen. Brie­fe an Freun­de. 1. Auf­la­ge. Fischer, Frank­furt am Main 2004. S. 287.) 

Es ist daher sehr zu emp­feh­len, genau dar­auf zu ach­ten, wel­che Medi­en bei Hetz­kam­pa­gnen mit­ma­chen. Die­se kön­nen nicht die Medi­en des Ver­trau­ens sein, weil sie selbst den Beweis gegen ihre Ver­trau­ens­wür­dig­keit antreten. 

Es kann ein­fach nicht mehr akzep­ta­bel sein, daß Lügen immer wie­der ver­ges­sen wer­den, ver­zie­hen auch?

„Wenn wir den Mecha­nis­mus und die Moti­ve des Grup­pen­den­kens ver­ste­hen, wird es mög­lich sein, die Mas­sen, ohne deren Wis­sen, nach unse­rem Wil­len zu kon­trol­lie­ren und zu steuern.“ 

(Edward Ber­nays, Mei­ster der Mani­pu­la­ti­on, Papst der Pro­pa­gan­da, Erfin­der der Public Relations)

Die Lizenz zur Lüge kann und darf kei­nem Land die­ser Welt zuge­stan­den werden.

Auf die Dis­kur­se kommt es an, auf die Wahr­heit, auf alle Wahrheiten. 

Alles, wirk­lich alles an Men­schen- und Lebens­er­fah­rung, alle erdenk­li­chen Nar­ra­ti­ve raten drin­gend davon ab, durch fort­ge­setz­tes Lügen am Ende jede Ver­trau­ens­wür­dig­keit zu verlieren.

Alle auf das Recht ande­rer Men­schen bezo­ge­ne Handlungen,
deren Maxi­me sich nicht mit der Publi­zi­tät verträgt,
sind unrecht.

(Imma­nu­el Kant: Zum ewi­gen Frie­den. Ein phi­lo­so­phi­scher Ent­wurf. In: Wer­ke, Bd. VI. S. 245.)

Nur ein Beispiel: Die Brutkastenlüge

Die beson­ders drei­ste Baby-Lüge für den Ersten Irak­krieg stammt von einer PR-Agentur:


Theodor Lessing und die Grenzen der Kritik

Pierre Mig­nard: Clio (1689). Die Muse der Geschichts­schrei­bunng mit Grif­fel, Buch und Trom­pe­te. Kei­ne der Musen dürf­te es schwie­ri­ger haben, denn was sie sieht, ist der­art him­mel­schrei­end, so daß man den Ein­druck bekommt, als woll­te sie bedau­ern, als hät­te sie ihren Blick zum Him­mel gerich­tet, weil sie um Ver­ge­bung bit­ten möchte.

Über den Dreiklang der Zivilisation: Zivilisierung, Kolonisierung, Vernichtung.

Von Ger­hard Haupt­mann wird berich­tet, er habe zeit­le­bens an Schlaf­lo­sig­keit gelit­ten und die Wän­de um sein Bett in sei­nem Haus auf Hid­den­see näch­tens mit Inschrif­ten ver­se­hen. Es ver­steht sich, daß nur eini­ge weni­ge die­ser nur zum Teil les­ba­ren Sen­ten­zen erhal­ten sind, eine davon lau­tet wie folgt:
Kri­tik wer­tet mei­stens nur nega­ti­ve Lei­stung, nicht positive.
(Inschrift lt. Foto­gra­phie, Ger­hart-Haupt­mann-Haus, Hid­den­see 2003.)
Es ist schon bezeich­nend, bei die­ser Bemer­kung, die kei­nes­wegs auf ihn gezielt war, doch unmit­tel­bar an Theo­dor Les­sing den­ken zu müs­sen, denn als einer der uner­bitt­lich­sten unter den zeit­ge­nös­si­schen Kri­ti­kern dürf­te Les­sing zwei­fels­frei gel­ten. Selbst wenn all­zu vie­le sei­ner Ankla­gen berech­tigt sind, selbst wenn ihm mit­un­ter zu Recht Visio­nä­res unter­stellt wird, sei­ne Angrif­fe sind äußerst ver­let­zend, so ver­let­zend, daß man sich in der Tat fra­gen muß, war­um eigentlich?
Der stets ange­spann­te Ton bei Les­sing könn­te aller­dings auch Aus­druck einer Hilf­lo­sig­keit sein, die sei­ner­zeit vie­le sei­ner Zeit­ge­nos­sen emp­fun­den haben dürf­ten, ein Unge­nü­gen am eige­nen Sprach- und Aus­drucks­ver­mö­gen ange­sichts des auf­kom­men­den Ungei­stes. Man moch­te noch so sehr am eige­nen Aus­drucks­ver­mö­gen arbei­ten, all­zu Vie­les schien bereits aus­ge­macht, als wäre ein jeder Arti­ku­la­ti­ons­ver­such zum Schei­tern ver­ur­teilt und müß­te sich noto­risch als nicht hin­rei­chend erwei­sen. Den Weni­gen unter den Zeit­ge­nos­sen, die sich nicht beir­ren lie­ßen, die kei­nes­falls und zu kei­nem Zeit­punkt mit ein­stim­men soll­ten, die neue Ton­la­ge zu tref­fen, dürf­te der­weil das eige­ne Schei­tern im Aus­druck um so hef­ti­ger bewußt gewor­den sein.
Was sich im Nach­hin­ein auch als Vor­zei­chen auf­kom­men­der Ver­zweif­lung deu­ten läßt, wird inmit­ten gewähl­ter Aus­drucks­wei­sen ganz beson­ders offen­kun­dig: So ver­wen­det Ernst Bloch zu jener Zeit durch­aus bewußt Moti­ve aus der Fäkal­spra­che, was er anson­sten nie tut. Gera­de die Wahl der Kraft­aus­drücke aber ist untrüg­li­cher Aus­druck einer Hilf­lo­sig­keit, die sich dar­in zeigt, daß die Gren­zen der Spra­che hin­läng­lich erreicht, wenn nicht bereits über­schrit­ten wur­den; schlim­mer noch, daß so etwas wie Sprach­ab­bau, Sprach­rück­gang, Ent­dif­fe­ren­zie­rung, Ver­lust von Wor­ten und Aus­drucks­mög­lich­kei­ten um sich grei­fen in jener Zeit: Zuerst wan­dern Wor­te aus, dann fol­gen Menschen.
Mit sei­ner Geschichts­phi­lo­so­phie kri­ti­siert Theo­dor Les­sing Geschichts­schrei­bung per se als Mythen–Bildung auf eine gleich­wohl sach­lich berech­tig­te wie dis­kur­siv äußerst pre­kä­re, weil kaum anschluß­fä­hi­ge Art und Wei­se. Das eigent­lich Pro­vo­zie­ren­de dabei ist der syste­ma­ti­sche Ver­zicht auf jed­we­de Ent­la­stung, unver­blümt soll Wahr­heit aus­ge­spro­chen wer­den, so das Selbst­ver­ständ­nis Les­sings, aber es sind Wahr­hei­ten, die nicht frei machen.
Bemer­kens­wert ist der noto­risch ein­ge­hal­te­ne Sicher­heits­ab­stand, den Zeit­ge­nos­sen stets ein­hal­ten, wenn von und über Theo­dor Les­sing die Rede ist. “Im Jahr 1919,” notiert Egon Frie­dell in sei­ner zwei­bän­di­gen Kul­tur­ge­schich­te der Neu­zeit, “erschien ein sehr merk­wür­di­ges Buch von Theo­dor Les­sing: ‘Geschich­te als Sinn­ge­bung des Sinn­lo­sen’, ein luzi­fe­risch küh­ner Ver­such, ergrei­fend in sei­ner blei­chen Nacht­schön­heit und eis­kla­ren Logi­zi­tät, viel­leicht der erste, die Fra­ge, was denn eigent­lich Geschich­te sei, zu Ende zu den­ken; mit jener Schär­fe, aber auch Zwei­schnei­dig­keit voll­zo­gen, die sol­chem ehr­furchts­lo­sen, sich zum Selbst­zweck set­zen­den Begin­nen anhaf­tet, ..” (Egon Frie­dell: Kul­tur­ge­schich­te der Neu­zeit. 2. Bde, Nörd­lin­gen 1976. Bd. 2. S. 949.)
Dann ruft Egon Frie­dell in sei­ner Rol­le als Mode­ra­tor der Kul­tur­ge­schich­te sich selbst mit auf den Plan, “ein Werk, von dem das Wort jenes ande­ren Les­sing gilt: ‘groß und abscheu­lich’, voll von gif­ti­gen Tief­ga­sen und nur in der Hand eines vor­sich­ti­gen Abschrei­bers, wie ich es bin, ohne ern­ste Gefah­ren.” (Ebd.)
Das Pro­blem mit Les­sing ist, daß man ihm nicht wird ver­wei­gern kön­nen, sich berech­tig­ter­wei­se zu echauf­fie­ren über vie­le aktu­el­le aber auch zeit­über­grei­fen­de Atti­tü­den sei­ner Zeit. Les­sing ist ein Abrech­ner, sein Stil ist der eines uner­bitt­li­chen Anklä­gers. Den­noch ver­steht er sich doch auch als Päd­ago­ge, so daß man fast erschreckt anfra­gen möch­te, was macht sei­ne Rede denn häu­fig so giftig?
Der­weil sagt er sei­ner Zeit, was nicht ein­mal die unse­re unum­wun­den bereit wäre, zu akzep­tie­ren. Die Theo­rie sei­ner Geschichts­phi­lo­so­phie ist ein aus­ge­mach­ter Kon­struk­ti­vis­mus, sein Kul­tur­re­la­ti­vis­mus und sei­ne Zivi­li­sa­ti­ons­kri­tik ist ein post­mo­der­ni­sti­scher Kon­struk­ti­vis­mus. Sinn in der Geschich­te, so lie­ße sich die Bot­schaft schließ­lich zusam­men­zie­hen, gibt es über­haupt kei­nen, außer dem, den wir ihr bei­geben. Die Leser­schaft wird mit der­ar­ti­gen Nega­tiv­aus­künf­ten durch­weg allein gelassen.
Kei­nes­wegs, so kon­sta­tiert Les­sing bereits in den Vor­be­mer­kun­gen, wer­de durch Geschich­te ein ver­bor­ge­ner Sinn, ein Kau­sal­zu­sam­men­hang oder eine Ent­wick­lung offen­bar, son­dern viel­mehr sei Geschichts­schrei­bung erst die Stif­tung die­ses Sinns. (Theo­dor Les­sing: Geschich­te als Sinn­ge­bung des Sinn­lo­sen. [Erst­ausg., Mün­chen 1919] Mün­chen 1983. Vgl. S. 15.) Sobald wir Wis­sen­schaft nicht mehr bloß beschrei­bend, son­dern erklä­rend betrach­te­ten, sei­en wir unwei­ger­lich auf Sinn­ge­bung ange­wie­sen. (Ebd. Vgl. S. 36.)
Daher wer­de sich die Geschichts­schrei­bung nie­mals in den Rang einer beschrei­ben­den Wis­sen­schaft erhe­ben, sie kön­ne nicht phä­no­me­no­lo­gisch arbei­ten, viel­mehr müs­se sie immer­zu Wirk­lich­keit für ande­re Wirk­lich­kei­ten unter­stel­len. (Ebd. vgl. S. 36f.) Es sei eine gro­ße Erdich­tung des Men­schen, so zu ver­fah­ren, als sei Kau­sa­li­tät das Nor­ma­le, als lie­ße sich Natur­kau­sa­li­tät über­tra­gen auf die Men­schen­ge­schich­te. (Ebd. vgl. S. 37f.) Moti­va­ti­on sei nicht die Hand­lung als sol­che, son­dern das Bild, wel­ches die Hand­lung ins Bewußt­sein wirft. (Ebd. vgl. S. 42.)
Dann setzt Les­sing mit sei­ner gleich­wohl nicht unbe­rech­tig­ten Sua­da ein, und es ist bemer­kens­wert, daß man sich des Ein­drucks nicht erweh­ren kann, hier läge womög­lich gar nicht der Text einer Geschichts­phi­lo­so­phie vor, viel­mehr die Rede eines Agi­ta­tors, viel­leicht in einem Büh­nen­stück, in einem poli­ti­schen Stück selbst­ver­ständ­lich. Es scheint, als müs­se man den Text akkla­mie­ren, viel­leicht sogar her­aus­brül­len, auf jeden Fall aber soll­te man ihn beim Vor­trag inszenieren:
“Wo denn eigent­lich lie­gen die Moti­ve der Geschich­te? Wer hat sie? Wer trägt sie empor? Ich mei­ne jene Moti­ve, von denen der Histo­ri­ker faselt, indem er etwa schreibt: ‘Der Han­dels­neid Eng­lands ver­schul­de­te den Krieg von 1914.’ ‘In edlem Zor­ne erhob sich das gesam­te Deutsch­land.’ ‘Der Ruf der Rache durch­zit­ter­te ganz Frank­reich.’ ‘Ganz Ita­li­en war von Begei­ste­rung durch­glüht’ usw.” (Ebd. S. 43.)
“Nun aber wird Geschich­te bekannt­lich von Über­le­ben­den geschrie­ben. Die Toten sind stumm. Und für den, der zuletzt übrig bleibt, ist eben alles, was vor ihm dage­we­sen ist, immer sinn­voll gewe­sen, inso­fern er es auf sei­ne Exi­stenz­form bezieht und bezie­hen muß, d.h. sich selbst und sein Sinn­sy­stem eben nur aus der gesam­ten Vor­ge­schich­te sei­ner Art begrei­fen kann. Immer schrei­ben Sie­ger die Geschich­te von Besieg­ten, Lebend­ge­blie­be­ne die von Toten.” (Ebd. S. 63.)
“Jedes Blatt Geschich­te, von der frü­he­sten Ahnen­zeit bis zur Gegen­wart, pre­digt immer und immer wie­der neu, daß histo­risch-poli­ti­sche Idea­le Umschrei­bun­gen für prak­ti­sche Absich­ten sind und nie etwas and­res sein kön­nen, wenn auch frei­lich jedes Volk das ande­re tot­zu­schla­gen oder zu begau­nern sucht in der hei­lig­sten und rein­sten Über­zeu­gung, die Kul­tur, den Welt­frie­den, die Sitt­lich­keit, das Recht und ich weiß nicht was alles zu ver­wirk­li­chen.” (S. 67.)
Der Anlaß zur for­cier­ten Phil­ip­pi­ka ist eine Beob­ach­tung, die sich in der Tat immer wie­der von Neu­em machen läßt, daß es ganz offen­bar in Geschichts­schrei­bung und Geschichts­be­wußt­sein nur ein ganz bestimm­tes maß­geb­li­ches Prin­zip zu geben scheint, wonach bemes­sen wird, ob und wie eine Hand­lung Ein­gang fin­det in die Anna­len der Geschich­te: Es ist ein­zig und allein ihr ‘Erfolg’. In die­sem Sin­ne schrei­ben dann eben stets die Sie­ger die Geschich­te der Besieg­ten, die­se aber sind stumm.
Es scheint, als legi­ti­miert der ‘Erfolg’ schluß­end­lich auch noch jed­we­de Per­fi­die und recht­fer­tigt post even­tum mit der Zeit auch vor der Geschich­te, denn all­mäh­lich ver­brei­tet sich all­ge­mein der Ein­druck, auch der ver­we­gen­ste und offen­kun­dig­ste Rechts­bruch sei schluß­end­lich doch legi­ti­miert, denn wer Erfolg hat, hat Recht und wird daher zumeist auch geläu­tert in die Anna­len der Geschich­te ein­ge­hen, – eine wahr­haft ernüch­tern­de Beob­ach­tung, die Theo­dor Les­sing hier zur Ankla­ge bringt.
In die­sem Sin­ne, so Les­sing, sei der histo­ri­sche Erfolg immer das Erste, der Wert­hal­tungs­aspekt aber das Zwei­te. Erfol­ge zie­hen dem­nach das Wirk­sam­wer­den dem­entspre­chen­der Wer­te erst nach sich, nicht umge­kehrt ver­bür­gen Wer­te den Erfolg. Les­sing, ohne­hin ein erklär­ter Geg­ner des Ent­wick­lungs­den­kens im Sin­ne von Dar­win und Spen­cer, kon­sta­tiert dem­zu­fol­ge, daß sich nicht das Wert­vol­le in der Geschich­te durch­setzt, son­dern daß sich eben als wert­voll durch­setzt, was sich durch­setzt, weil es sich durch­setzt. Zu Beginn sei­ner Unter­su­chun­gen kün­digt Les­sing an, was sich zei­gen werde:
“daß Ein­heit der Geschich­te nir­gend­wo besteht, wenn nicht in dem Akte der Ver­ein­heit­li­chung; – Wert der Geschich­te nir­gend­wo, wenn nicht im Akte der Wert­hal­tung. Sinn von Geschich­te ist allein jener Sinn, den ich mir selbst gebe, und geschicht­li­che Ent­wick­lung ist die Ent­wick­lung von Mir aus und zu Mir hin.” (Ebd. S. 19.) Kei­nes­wegs wer­de in der Geschich­te ein ver­bor­ge­ner Sinn, ein Kau­sal­zu­sam­men­hang, eine Ent­wick­lung offen­bar, son­dern Geschich­te sei Geschichts­schrei­bung, eben {\it Stif­tung die­ses Sin­nes, die Set­zung die­ses Kau­sal­zu­sam­men­hangs, die Erfin­dung die­ser Ent­wick­lung.” (Ebd. S. 15.)
Aller­dings: Nicht erst die Geschichts­dar­stel­lung, son­dern bereits die Bericht­erstat­tung hebt Ereig­nis­se her­vor, setzt sie in Rela­ti­on zu ande­ren Ereig­nis­sen und ver­schafft ihnen damit erst ihre Geschich­te, indem sie die Sto­ry zum Stoff lie­fert, die Geschich­ten hin­ter der Geschich­te. Die rei­nen Daten besa­gen fast gar nichts, es kommt dar­auf an, was man dar­aus macht. Inso­fern wird eine jede phi­lo­so­phi­sche Befas­sung mit Geschichts­schrei­bung die­ses not­wen­dig Zusätz­li­che betrach­ten, in sei­ner Not­wen­dig­keit und in sei­ner Zusätz­lich­keit zugleich.
Soll­te die Beob­ach­tung zutref­fen, die zuletzt in der Schlüs­sel­schrift von Theo­dor Les­sing über Geschich­te, Geschichts­schrei­bung und Sinn­ge­bung doch nur ange­deu­tet ist, so muß ein sol­cher Befund in der Tat ver­stö­ren. Ange­sichts des­sen, was Les­sing hier so vehe­ment vor Augen führt, scheint auch der letz­te ver­zwei­fel­te Aus­weg ver­schlos­sen, sich doch noch von die­sem Skan­da­lon zu distan­zie­ren, daß etwas Ent­schei­den­des an unse­rer Geschichts–Orientierung sehr wahr­schein­lich gene­rell nicht stimmt. Zugleich dürf­te es aller­dings eben­so schwer fal­len, Bewei­se für die­se Theo­rie anzu­tre­ten, denn Geschich­te ist immer schon geschrie­ben. Die Fra­ge, wie anders sie denn hät­te geschrie­ben wor­den sein müs­sen, lie­ße sich dage­gen kaum the­ma­ti­sie­ren. – Man wird aller­dings man­ches von dem, was Les­sing noch hat­te for­dern müs­sen, der heu­ti­gen Geschichts­schrei­bung inzwi­schen zugu­te hal­ten, wie etwa die Sozi­al­ge­schich­te oder auch die ‘Geschich­te von unten’.


Wenn Worte sich enthalten

Erlösung gibt es nur durch Sprache, aber was, wenn die Worte fehlen?

Wenn Wor­te feh­len, suchen wir stam­melnd nach Bei­spie­len: Es ist wie…, es ist wie…, es ist wie… – Ja wie denn? 

Wenn etwas gesagt wer­den soll, aber eigent­lich gar nicht klar ist, was denn jetzt und vor allem wie, dann ste­hen die, die sich jetzt mal äußern sol­len wie Leh­rer vor einer Klas­se von Schü­lern, die den Teu­fel tun wer­den, sich jetzt zu melden. 

Kei­nes der bekann­ten Wor­te wird sich bereit erklä­ren für ein sol­ches Him­mel­fahrts­kom­man­do, dar­stel­len zu sol­len, wie es denn so ist, ein Impf­geg­ner zu sein und gegen den Strom zu schwin­gen. Ein Stu­dent sag­te mal im Semi­nar, da müs­se man auf­pas­sen, nicht blaue Augen zu bekom­men, wenn man gegen den Strom schwimmt. Auf Nach­fra­ge erklär­te er dann das köst­li­che Bild, die blau­en Augen ent­stün­den durch Zusam­men­stö­ße mit ent­ge­gen­kom­men­den Fischen. 

Gust­ave Doré: Die baby­lo­ni­sche Sprach­ver­wir­rung (1865ff.).

Im Coro­na-Dis­kurs ist Ver­ste­hen aus vie­ler­lei Grün­den ganz beson­ders schwie­rig, weil im Hin­ter­grund tie­fe reli­giö­se Trau­ma­ta das Orche­ster der Gefüh­le diri­gie­ren und tag­täg­lich neue Äng­ste geschürt wer­den. Die mei­sten “Recht­gläu­bi­gen” bemer­ken nicht ein­mal, daß sie sich ange­paßt haben und tun­lichst nur ange­paß­te Wor­te ver­wen­den aber gar nicht die eige­nen. Vie­le beten nur nach und kom­men dann auch sehr schnell ins Stam­meln, wenn sie ihrer­seits begrün­den sol­len, was sie war­um für rich­tig halten. 

Tat­säch­lich ist es unge­heu­er schwer, etwas zu ver­ste­hen, in dem man sich gera­de befin­det. Man kann in einer Höh­le nicht erklä­ren, daß man sich in einer Höh­le befin­det, ohne daß die, denen man das gern mit­tei­len möch­te, schon mal davon gehört haben, daß es auch ein Außer­halb gibt. Das ist die berühm­te Alle­go­rie in Pla­tons Höh­len­gleich­nis mit dem sich Pla­ton an den Athe­nern bis in aller Ewig­keit revan­chiert, daß sie sei­nen gelieb­ten Leh­rer zum Tode ver­ur­teilt haben, weil er den Main­stream gestört hat beim Nichtdenken. 

Die Spra­che ist das Haus des Seins, sagt Heid­eg­ger und in der Tat ist die­se der “Wein­berg”, von dem die Chri­sten so gern reden. Die Erwei­te­rung des Aus­drucks­ver­mö­gens ist alles entscheidend. 

Das ist ja gera­de das Schlim­me an einem Trau­ma, es lastet auf der See­le, ohne daß man sich davon erleich­tern könn­te. Das wür­de nur gehen, wenn man es mit-tei­len wür­de. Aber dazu sind Wor­te nötig, die sich frei­wil­lig mel­den und sagen: Ich ver­su­che das jetzt mal. Aber die mei­sten die­ser muti­gen Wor­te kom­men dabei um. Mutig sein allein genügt näm­lich nicht.

Außer­dem ist da noch die Gram­ma­tik, und die ist weit mehr, als nur das, was man im Deutsch­un­ter­richt zu hören bekommt. In der Phi­lo­so­phie gibt es “Onto­lo­gien”, das sind “Seins­leh­ren”, die zu ande­ren Zei­ten ernst­haft ver­tre­ten und auch geglaubt wur­den, wo dann eben so Neben­säch­lich­kei­ten drin ste­hen, wie etwa die “Natur des Men­schen, des Man­nes oder auch der Frau”. 

Man soll­te nicht zu hart mit ande­ren Epo­chen ins Gericht gehen, denn die­se hat­ten auch ihre Pro­blem, nur ande­re als wir. – Man hat das eben geglaubt, daß es so etwas wie eine fixier­te Natur gibt und das war wohl auch gut so, weil einem die Welt ohne­hin bereits über den Kopf gewach­sen war. 

Nun nimmt im Zuge der Kul­tur­ge­schich­te das sprach­li­che Dif­fe­ren­zie­rungs­ver­mö­gen immer wei­ter zu. Daher braucht es stän­dig neue, bes­se­re, tie­fe­re Wor­te, aber auch die Gram­ma­tik muß sich öff­nen für die neu­en Fäl­le des Lebens. Sie darf und soll neu­en Lebens- und Emp­fin­dungs­for­men nicht ihre Exi­stenz­be­rech­ti­gung aberken­nen, indem sie gar nicht zuläßt, das so etwas über­haupt gesagt wer­den kann. – Wenn die Wor­te falsch sind, füh­ren sie in die Irre, wenn die Gram­ma­tik nicht mit­spielt, dann bleibt nur Stam­meln, das kei­ner versteht. 

Daher müs­sen wir mit dem, was wir zu sagen hät­ten, aber noch gar nicht wirk­lich mit-tei­len kön­nen, ziem­lich lan­ge hadern. Wir müs­sen mit der Schul­klas­se unse­rer Wor­te vie­le Dis­kus­sio­nen füh­ren, bis eini­ge sagen, ich ken­ne da wen, der das kann, den hole ich mal. – Wir brau­chen die Musen dazu, denn erst sie schen­ken uns die nöti­gen Inspi­ra­tio­nen, etwas Unsäg­li­ches doch zur Spra­che zu bringen. 

Einer der Ankla­ge­punk­te im Pro­zeß gegen Sokra­tes, neben dem ehren­wer­ten Vor­wurf, er wür­de die Jugend (zum Den­ken) ver­füh­ren, bestand dar­in, er wür­de “frem­de Göt­ter” ein­füh­ren. Man soll­te hier nicht auf der Über­hol­spur den­ken, son­dern das Gan­ze erst ein­mal auf sich, wie auf ein Kind wir­ken las­sen. Was kann das bedeu­ten, frem­de Göt­ter nicht ein­füh­ren zu dür­fen? – Das ist das Schö­ne am Den­ken, sich selbst dabei zuse­hen zu kön­nen, wie man “dahin­ter­kommt”. 

Also, die Grie­chen hat­ten den Poly­the­is­mus und das muß man wie­der­um auch betrach­ten als ziem­lich kost­spie­li­ge Ange­le­gen­heit. Man kennt das noch in der Debat­te über die Fei­er­ta­ge, wo doch damals die evan­ge­li­sche Kir­che einen Fei­er­tag abge­tre­ten hat, nur um der armen Wirt­schaft zu hel­fen. Ja, an Fei­er­ta­gen wird in vie­len Sek­to­ren nicht gear­bei­tet, son­dern gezahlt, vor allem von denen, die sonst immer kassieren. 

Sokra­tes sprach von sei­nem “Dai­mo­ni­on”, einer Art Geist, eine inne­re Stim­me, die er hört. Sie wür­de ihm nie etwas anra­ten zu tun, son­dern sich nur mel­den, sobald er etwas Ungu­tes zu tun beab­sich­ti­gen wür­de. – Wenn ich damals vom Athe­ner Gericht mit einem Gut­ach­ten betraut wor­den wäre, hät­te ich dar­zu­stel­len ver­sucht, daß es sich bei die­ser Instanz nicht um einen neu­en, frem­den Gott han­deln wür­de, der uner­laub­ter­wei­se ein­ge­führt wor­den sei, son­dern um eine Aus­dif­fe­ren­zie­rung in der Psy­che und in der See­le des Sokra­tes, die weg­wei­send wer­den soll­te, die sich hier nur aus­nahms­wei­se schon ein­mal mel­den würde. 

Ich stel­le mir also vor, daß es so etwas wie eine Ein­fuhr­be­hör­de für Göt­ter gege­ben haben muß. Wenn da also mit einer neu­en Unter­wer­fung auch die neu unter­wor­fe­nen Göt­ter ein­ge­führt wer­den müs­sen, dann wird man sich gefragt haben, also, haben wir die nicht schon, wer unse­re Göt­ter könn­te das machen? So hat Zeus an die hun­der­te zusätz­li­cher Namen, das sind alles Göt­ter aus ein­ver­leib­ten Häupt­lings­tü­mern oder König­rei­chen mit ihren höchst spe­zi­fi­schen Zuständigkeiten. 

Es ist uner­läß­lich, den Göt­tern und zwar allen das Ihri­ge zu geben, wo nicht, droht Ärger. Etwa als, kurz bevor die Athe­ner in den Krieg zogen, irgend­wel­che Jugend­li­chen an den Her­mes­stau­et­ten, die an den Stra­ßen zu Hun­der­ten stan­den, mal so eben die eri­gier­ten Penis­se abge­schla­gen haben. 

So ist etwa die Aphro­di­te mit rotem Haar, weil sie eben aus Zypern kommt, wo auch das Kup­fer her­stammt. Wenn man also die Aphro­di­te unge­bühr­lich behan­deln wür­de, ver­dirbt man es sich nicht nur mit der Schön­heit, son­dern auch mit den Frau­en, mit der Rol­le der Frau als sol­cher und dann auch noch mit den Zyprio­ten. – Daher muß allen Ern­stes eine Kom­mis­si­on dar­über ent­schei­den, was man denn mit einem kon­kre­ten Gott, der da neu auf­ge­tre­ten ist, anstel­len soll. Und man hat die neue Kom­pe­tenz des Sokra­tes ein­fach völ­lig falsch gedeu­tet und gar nicht verstanden. 

Wenn die Wor­te sich drücken, wenn die Gram­ma­tik die Arme ver­schränkt und bei so etwas nicht mit­ma­chen will, dann gibt die Spra­che mit Bedau­ern zu ver­ste­hen, daß sie da jetzt auch nicht wei­ter­hel­fen könn­te. Dann hat man ein Pro­blem mit sich und den Ande­ren. Man ver­steht sich selbst nicht wirk­lich, weil die Wor­te feh­len, man wird nicht ver­stan­den, weil die Gram­ma­tik streikt für sol­che Fäl­le und zugleich spu­ken da noch tie­fe reli­giö­se Trau­ma­ta, von denen die mei­sten nicht ein­mal etwas ahnen. 

Und dann wird zu Ver­glei­chen gegrif­fen, die ein­fach schräg rüber­kom­men müs­sen. Histo­ri­sche Ver­glei­che sind immer pro­ble­ma­tisch, weil es ja kon­kre­te Ver­hält­nis­se, Ereig­nis­se und Fol­gen sind, die sich so, auf die­sel­be Art und Wei­se, ganz gewiß nicht wie­der­ho­len. Ande­rer­seits sind wir dar­auf ange­wie­sen, mit Ana­lo­gien zu arbei­ten, wenn kein Wort sich traut, über­haupt Stel­lung zu nehmen. 

Wir soll­ten das, was die Spra­che ist und was sie aus­macht, was sie kann, wo sie ihre Gren­zen hat und was wir tun kön­nen, uns mehr Aus­druck zu ver­schaf­fen, end­lich anders sehen. Die­ses nach­rich­ten­tech­ni­sche Modell von Sen­der, Emp­fän­ger und Bot­schaft ist grot­ten­schlecht und abso­lut unangemessen. 

Es ist viel­mehr so, daß wir mit­ein­an­der im Dia­log koope­rie­ren müs­sen, wenn wir etwas vor­stell­bar machen wol­len, um dann erst das Urteil eines Freun­des oder einer Freun­din zu erbit­ten. Ande­re kön­nen uns erst dann wirk­lich etwas anra­ten, wenn sie uns ver-ste­hen, das heißt, wenn sie aus unse­rer Posi­ti­on her­aus ihre Stel­lung­nah­me abge­ben. – Zu hoch? Da kann ich dann auch nicht mehr helfen. 

Man ach­te bit­te ein­mal dar­auf, wie vie­le “Regie­an­wei­sun­gen” da ein­an­der gege­ben wer­den: “Nein, so ist das nicht. Du mußt Dir das anders vor­stel­len, etwa wie, wenn…” – Ver­ste­hen ist Arbeit, auch wenn das unter Freun­den nicht so gese­hen wird. Den­ken ist ähn­lich, es ist ein Dia­log der See­le mit sich selbst.

Und die­ses Boh­ren ganz dicker Bret­ter, wie Max Weber die Poli­tik cha­rak­te­ri­siert, um Gesin­nungs­tä­ter, Tugend­wäch­ter und Hitz­köp­fe von irgend­ei­ne Pro­pa­gan­da durch die Tat abzu­brin­gen, ist genau das. Poli­tik ist, wenn sie wirk­lich etwas lei­stet, der Ver­such, neue Zugän­ge zu fin­den, durch Spra­che, Ver­ste­hen und neue Gemeinsamkeiten. 

Das macht dann in der Tat den Jar­gon der Diplo­ma­tie so inter­es­sant. Was macht man, wenn man nicht ein­mal “Bezie­hun­gen” zuein­an­der hat? Man besucht sich, spricht mit­ein­an­der, sucht nach “Gemein­sam­kei­ten”, bis man dann eine “gemein­sa­me Gesprächs­grund­la­ge” fin­det, auf der wei­te­re “Kon­sul­ta­tio­nen” statt­fin­den kön­nen. Und das wäre nur der aller­an­fäng­lich­ste Anfang.

Impf­gläu­bi­ge wol­len immer gleich mit den Bei­tritts­ver­hand­lun­gen begin­nen. Sie spre­chen den Ungläu­bi­gen ein­fach ab, daß es so etwas wie sie über­haupt geben kön­ne. – Es ist aber naiv zu erwar­ten, daß es in der Coro­na-Kri­se nur einen ein­zig rich­ti­gen Glau­ben gibt. 

Coro­na ist nur so stark, weil vie­le unse­rer Syste­me erstaun­lich schwach sind. Es ist gut zu wis­sen, dann wird man in Zukunft weit weni­ger ver­trau­en, son­dern sehr viel mehr kri­tisch sein und blei­ben müs­sen. – Aber auch das muß erst ein­mal zur Spra­che gebracht wer­den, mit den rich­ti­gen Wor­ten und einer Gram­ma­tik, die neu­en Gedan­ken auf­ge­schlos­se­ner ist als die Angst­rhe­to­rik unse­rer Tage. 

Es bleibt nur, mit dem Kopf immer wie­der gegen die Gren­zen der Spra­che anzu­ren­nen und der­weil die Musen dar­um zu bit­ten, das Gespür für die rich­ti­gen Meta­phern zu schenken. 


Mangel an Denken, Geist und Kultur

Über Traumata, die aus ganz anderen Zeiten stammen

“Weil Harald Schmidt sei­nen Impf­sta­tus offen­lässt, wird gemut­maßt, daß er ein Corona–Leugner sei.”, kon­sta­tiert RND, das Redak­ti­ons­netz­werk Deutsch­land, geflis­sent­lich dar­um bemüht, blitz­ge­scheit zu wirken. 
Geht es noch? So ein­fach ist also inzwi­schen die Main­stream-Logik gewor­den. — Ist er getauft und ein “Kind Got­tes” oder ver­wei­gert er den Glau­ben an die Leh­re der hei­li­gen Mut­ter Kir­che, daß nur die “Tau­fe” gegen die Ver­su­chun­gen des Teu­fels Coro­na immun macht?

Die­se ver­schwur­bel­te Logik geht zurück auf ein uraltes reli­giö­ses Trau­ma, das über Gene­ra­tio­nen geschlum­mert hat im Unbe­wuß­ten derer, die wenig oder gar nicht über die Tie­fen der eige­nen See­le nach­den­ken. — Die Kir­che hat über Jahr­hun­der­te die Men­schen ein­ge­schüch­tert und in psy­cho­ti­sche Angst­zu­stän­de ver­setzt, so daß vie­le wirk­lich krank dar­an wur­den, gegen Gott gesün­digt zu haben.

Hie­ro­ny­mus Bosch: Der Gar­ten der Lüste, Aus­schnitt (1480ff).

Eine beson­de­re Rol­le dabei spiel­ten hoch­trau­ma­ti­sier­te Müt­ter, wie die von Augu­sti­nus, Albrecht Dürer, Imma­nu­el Kant oder auch Max Weber und vie­le ande­re Gei­stes­grö­ßen mehr, von denen unbe­kann­ten Namens mal zu schwei­gen, obwohl doch die­se sich gera­de man­gels Intel­lekt noch am wenig­sten zur Wehr set­zen konnten.

Die Fol­gen sind Depres­sio­nen, Schuld­ge­füh­le, Melan­cho­lie und das Gefühl, nicht wür­dig zu sein, über­haupt nicht würdig. 

Eine Poli­tik der Angst muß nicht unbe­dingt mit äußer­li­cher, also mili­tä­ri­scher, poli­zei­li­cher, psych­ia­tri­scher, sozi­al­ar­bei­te­ri­scher oder päd­ago­gi­scher Miß­hand­lung einhergehen. 
Es genügt auch eine Bedro­hung von See­le und Leib durch ele­men­ta­re Äng­ste, um Men­schen gefü­gig zu machen und in Läm­mer zu ver­wan­deln, die sich von den selbst­er­nann­ten Hir­ten bewa­chen und füh­ren las­sen. Die christ­li­che Mis­sio­nie­rung der Kel­ten war auch erst erfolg­reich, als man ihnen die Übel der Höl­le vor Augen führte. 
Ähn­lich ver­hielt es sich auch mit den unethi­schen Fern­seh-Bil­dern aus Ber­ga­mo. Über Nacht war ein Groß­teil des Main­streams “über­zeugt”. Dabei waren sie nur ein­ge­schüch­tert und total ver­äng­stigt, weil da uralte Äng­ste her­auf­be­schwo­ren wurden. 
Dabei wis­sen wir doch eigent­lich inzwi­schen, daß einer ein Mensch sein kann, sogar ein guter Mensch, der nicht getauft ist. Und, die Erkennt­nis des Tages: Es ist sogar auch mög­lich, die “Exi­stenz” von Coro­na NICHT in Zwei­fel zu zie­hen und den­noch kein Ver­trau­en zu haben, in die Impf­pro­phe­ten die­ser Tage. – Die Impf­gläu­bi­gen bege­hen einen Feh­ler, wenn sie nicht den “gan­zen Men­schen” sehen, der eben mehr ist als die Sum­me sei­ner Orga­ne im bio­lo­gi­schen Sinne.

Eines der Moti­ve, sich nicht imp­fen zu las­sen, liegt auch dar­in, einen indi­vi­du­el­len see­lisch-leib­li­chen Wider­stand zu emp­fin­den. Wer sich bis­her nie gegen die neue­sten Grip­pe­vi­ren hat imp­fen las­sen, viel­leicht gera­de auf­grund von man­geln­dem Ver­trau­en in die­se unse­re viel zu käuf­li­chen Wis­sen­schaf­ten, wird auch bei der Corona–Impfung, nach allem, was inzwi­schen bekannt wird, sich bestärkt füh­len in der eige­nen Skep­sis. Und vie­le wer­den sich ganz gewiß nicht einer Zwangs­tau­fe beugen.

Das mag in den Ohren derer, die an die Natur­wis­sen­schaf­ten “glau­ben” und das dann auch noch für die gan­ze Wis­sen­schaft hal­ten, “eso­te­risch” klin­gen. Dabei ist es nur der Wunsch und Wil­le auf “Ganz­heit­lich­keit”. Wir haben nicht nur Kör­per und Psy­che, son­dern auch Leib und See­le. Wir haben mit der Ent­zau­be­rung der Welt den Zugang zu vie­lem ver­lo­ren, was ande­re Kul­tu­ren noch hat­ten, so etwas wie das Gefühl einer kos­mi­schen Gebor­gen­heit. 
Die tran­szen­den­ta­le Obdach­lo­sig­keit führ­te im 19. Jahr­hun­dert zum Nihi­lis­mus, eine der gefähr­lich­sten Demü­ti­gun­gen, die dann zu vie­len Ver­zweif­lungs­ta­ten führt. Das zu leug­nen, daß wir auch Wesen sind, mit gro­ßen tran­szen­den­ta­len Wün­schen, ist die Schwä­che der szi­en­ti­sti­schen Kon­fes­si­on. Es ist ein halt­lo­ser, sub­stanz­lo­ser, abso­lut inhalts­lee­rer Glau­be dar­an, daß die Bana­li­sie­rung von allem, was mal hei­lig war, der Wis­sen­schaft letz­ter Schluß sein soll.
Inso­fern paßt auch die Coro­na-Poli­tik in die­se Welt­an­schau­ung, wenn man sich vor Augen führt, was alles geop­fert wur­de, wie etwa das See­len­heil von Kin­dern und Jugend­li­chen, die Grund­rech­te, die Frei­heit und vor allem die Fähig­kei­ten zur Selbstverantwortung. 
Man hat sofort die Ent­mün­di­gung betrie­ben und ein dem­entspre­chend geist­lo­ses, anti­hu­ma­nes, päd­ago­gisch gest­ri­ges Men­schen­bild in Kraft gesetzt, nur, um zu herr­schen. — Geist paßt nicht in die bor­nier­te Welt­an­schau­ung szi­en­ti­sti­scher Natu­ra­li­sten, die von Kul­tur über­haupt nichts ver­ste­hen und daher mei­nen, das kann alles weg, wo wir doch jetzt alle Coro­na haben und der Ver­su­cher unter uns weilt.
Daß dabei gro­ße Tei­le der Pres­se wie Inqui­si­to­ren auf­tre­ten, ist ein ganz böses Omen – für die Pres­se selbst. Sie wer­den damit nicht punk­ten, statt­des­sen wird der schon vor Jahr­zehn­ten von Jür­gen Haber­mas in sei­ner Habi­li­ta­ti­on dia­gno­sti­zier­te “Struk­tur­wan­del der Öffent­lich­keit” jetzt gera­de­zu “geboo­stert”. Die Qua­li­tät der Dis­kur­se im Inter­net steigt rapi­de, man emp­fin­det es als Erho­lung, end­lich nicht mehr belehrt oder umer­zo­gen zu wer­den von einer Pres­se, die sich selbst in ihrer Funk­ti­on mißversteht.
Da lobe ich mir die Nach­rich­ten im Fern­se­hen von “Welt”. Das geht so: “Sack Reis in Chi­na umge­kippt. Ruß­land macht die USA ver­ant­wort­lich, die EU schweigt.”  So möch­te ich es. Selig die Zei­ten, als es Beschwer­den gab, wenn der Nach­rich­ten­spre­che Köp­ke die Nase ver­zog, viel­leicht weil sie krib­bel­te und vie­le sich sofort beschwerten.
Es ist ver­ständ­lich, daß die bis­he­ri­gen Medi­en eine Hei­den­angst haben vor dem Inter­net und was es ermög­licht an einer noch wei­ter sich aus­dif­fe­ren­zie­ren­den Öffent­lich­keit. Dar­über zu spe­ku­lie­ren, müß­te eigent­lich dazu füh­ren, daß nur Qua­li­täts­me­di­en auf der einen und der Bou­le­vard auf der ande­ren Sei­te wer­den über­haupt über­le­ben können. 
Da aber ganz offen­bar fast allent­hal­ben die Qua­li­tät sinkt und immer weni­ger Dis­kurs statt­fin­det, son­dern Wer­tung, Ver­un­glimp­fung, Hyper­mo­ral und Erzie­hung, wird sich das, was bis­her eta­bliert war, immer wei­ter selbst schä­di­gen.  Auch die bis­he­ri­ge “reprä­sen­ta­ti­ve Demo­kra­tie” wird in the long run ganz all­mäh­lich obso­let, denn wir leben nicht mehr im Post­kut­schen­zeit­al­ter. Es braucht kei­ne Reprä­sen­tan­ten mehr, die für die spre­chen sol­len, die selbst die rich­ti­gen Wor­te nicht fin­den. Denn im Inter­net nimmt das sprach­li­che Dif­fe­ren­zie­rungs­ver­mö­gen, die Dia­log- und Dis­kurs­fä­hig­keit ganz rapi­de zu.

Und natür­lich wird es Wett­kämp­fe in Hate speech geben, bis alles raus ist und wirk­lich nichts mehr ein­fällt. Im Jar­gon der Diplo­ma­ten sind das “Anpas­sungs­schwie­rig­kei­ten”. — Der Popanz, der da auf­ge­baut wird, von wegen es dro­he Gefahr von Rechts, ist im eige­nen Inter­es­se maß­los über­trei­ben. Es gab immer die­se unter­ir­di­schen Stamm­tisch­pa­ro­len, sie sind nur zu ande­ren Zei­ten nicht publik gewor­den. Und jetzt mei­nen alle, denen es in den Kram paßt, da wür­de sich eine neue “rech­te” Gefahr auf­tür­men, für alle, die sich nicht füh­ren las­sen, son­dern sich selbst ori­en­tie­ren wol­len. Und dann wird alles in einen Topf gewor­fen: Unge­impft, Coro­na­leug­ner, Wis­sen­schafts­feind, Anti­de­mo­krat, Anti­se­mit, rechts­ra­di­kal, Verfassungsfeind.

Was, wenn auf den Mon­tags-Demos so all­mäh­lich auch FDP-Wäh­ler auf­tre­ten? Was, wenn ein klei­ner Regel­bruch nun ein­mal dazu gehört, zu einer Demon­stra­ti­on. Wenn das als Spa­zier­gang ver­kauft wird, dann soll­te es auch ein eben­sol­cher blei­ben. Das ist Kul­tur und die Poli­zei soll­te gute Mie­ne machen. – Aber viel­leicht sind ja auch man­che an einer Eska­la­ti­on interessiert?
Und was die Cau­sa Harald Schmidt anbe­langt, so berei­tet es mir ein gro­ßes Ver­gnü­gen, wie er alle an der Nase her­um­führt, die nicht nach­den­ken.  Man soll­te wis­sen, daß er, wor­über er sich selbst in einer Sen­dung ein­mal köst­lich amü­sant geäu­ßert hat, ein Hypo­chon­der ist. 
Da ist dann die­ses Intim­ver­hält­nis zwi­schen Leib und See­le der­art aktiv, so daß man nur die Wahl hat zwi­schen Skyl­la und Cha­ryb­dis, Pest oder Cholera.
Man erkrankt also ent­we­der an Coro­na oder an der Imp­fung. Es gibt aber noch ein Drit­tes: Man geht auf Distanz, ganz kon­se­quent, und das macht er. Wo das Pro­blem liegt? Im Man­gel an Den­ken, an Geist, an Kultur.

Mauern im Schlamm

Exakter Unsinn mit Metaphern

Das pas­siert, wenn man offen­bar nur Viro­lo­gie, bzw. Gesund­heits­öko­no­mie stu­diert hat. Dann fehlt die huma­ni­sti­sche Bil­dung, was zu sehen ist an der gro­tes­ken Unfä­hig­keit, mit Meta­phern über­haupt umge­hen zu kön­nen. — Dabei sind Modell­vor­stel­lun­gen gera­de in den Natur­wis­sen­schaf­ten, die ja angeb­lich nicht reden, son­dern nur rech­nen, von außer­or­dent­li­cher Bedeutung.

Bei die­sem irr­wit­zi­gen Gestam­mel über Rei­fen, Schlamm­pi­sten, Ber­ge und Mau­ern, bleibt nur Lud­wig Witt­gen­stein: “Wor­über man nicht reden kann, dar­über soll man schweigen.”

Es ist ein Anfän­ger­feh­ler beim Meta­pho­ri­sie­ren, den bei­de arg­los bege­hen: Es ist zunächst ein­mal drin­gend zu ver­mei­den, etwas Orga­ni­sches mit etwas Mecha­ni­schem gleich­zu­set­zen. Eine sol­che Über­tra­gung muß schief gehen. Bei­spiel: Frau­en sind wie Blu­men, Män­ner wie Rasen­mä­her. — Der Witz ent­steht allein durch die Unver­ein­bar­keit der Meta­phern. Und selbst­ver­ständ­lich wer­den Man­che die­se Aus­sa­ge als sol­che rhe­to­risch zu nut­zen ver­ste­hen. Das ist so.
Wer sich auf Meta­phern ein­läßt, soll­te schon wis­sen, was dann geschieht. Wer das nicht kann, ist eigent­lich nicht ein­mal Wis­sen­schaft­ler, weil die Fähig­keit, sich in und mit Model­len auch all­ge­mein ver­ständ­lich zu machen, schlicht­weg dazu gehört. — Man wird sich näm­lich schon fra­gen, wenn so gestam­melt wird, was Dro­sten und Lau­ter­bach eigent­lich wirk­lich ver­ste­hen und ver­stan­den haben, wenn sie so unbe­hol­fen reden und dabei völ­lig ver­las­sen sind von allen guten Gei­stern, die in der Spra­che wohnen.

Wenn etwa Ein­stein sagt: “Gott wür­felt nicht”. Dann will er zwar kei­ne Theo­lo­gie betrei­ben, son­dern “nur” den Uni­ver­sal­an­spruch der Mathe­ma­tik behaup­ten. Den­noch hat er zugleich auch Theo­lo­gie betrie­ben, denn wenn Gott über­haupt nicht wür­felt, dann wäre er gar kein The­ma mehr, nicht nur für die Phy­sik. Also hat er Theo­lo­gie betrie­ben und sich des­halb übernommen.

Das ist das Schö­ne, Amü­san­te und für Unbe­ru­fe­ne auch Bedroh­li­che beim Meta­pho­ri­sie­ren. Man kann förm­lich sehen, wie die aus man­geln­dem Sprach­ge­fühl oder auch, weil nicht zu Ende gedacht wor­den ist, falsch gewähl­ten Meta­phern dar­auf­hin post­wen­dend über den Red­ner her­fal­len oder ihm heim­tücki­sche Fal­len stel­len. Nicht sel­ten wird Red­nern dann etwas in den Mund legen, was sie gar nicht gesagt haben woll­ten. Ein berühm­tes Bei­spiel ist die Jenninger–Rede.
Wenn bei­spiels­wei­se irgend­wo die Lei­tung einer Insti­tu­ti­on wei­ter­ge­ge­ben wird, dann gibt es immer die­se gro­tes­ken Unbe­hol­fen­hei­ten, die zugleich sehr tief blicken las­sen. Die bei der “Wach­ab­lö­sung” all­seits belieb­te Meta­pher vom “Kapi­tän eines Schif­fes”, also dem “Steu­er­mann”, ist sel­ten schwer beherrsch­bar. – Daher ist es immer beson­ders span­nend, dabei zu sein, um zu sehen, wann und wie der Schiff­bruch sol­cher Red­ner kommt, die nicht sel­ten blank zie­hen, ohne es zu wollen. 
Hin­ter den Kulis­sen las­sen sich auf­grund der heim­tücki­schen Attacken wider­spen­sti­ger Nar­ra­ti­ve vie­le der eigent­li­chen Inten­tio­nen, der Selbst­zwei­fel und auch der Anma­ßun­gen ziem­lich genau erken­nen. Das geschieht unmit­tel­bar dann, sobald eine Meta­pho­rik faden­schei­nig wird und auf­ge­setzt erscheint, also nur benutzt aber nicht auch als sol­che ernst gemeint wer­den soll. 
“Benut­zen” las­sen sich Meta­phern schon mal gar nicht. — Das las­sen sich die anson­sten so hilf­rei­chen Gei­ster über­haupt nicht bie­ten, also wen­den sie sich gegen den, der sie als Gei­ster rief. Und tat­säch­lich, wer sich den Sprach­gei­stern nicht wür­dig, dank­bar und in gewis­ser Wei­se auch folg­sam erweist, hat auch anson­sten wohl auch noch ganz ande­re Schwä­chen. — Und ei den mei­sten steckt näm­lich Hybris dahin­ter und das fliegt auf, ange­sichts der Risi­ken, die die See­fahrt nicht nur meta­pho­risch nun ein­mal mit sich bringt. 
Mit Viro­lo­gie hat das alles nichts zu tun, aber mit Spra­che, Kul­tur, Ver­nunft und Geist, also mit einem Immun­sy­stem, das von ganz ande­rer Klas­se ist.
Schön ist die­ser Bei­trag, den ich hier emp­feh­len möch­te des­we­gen, weil er mir erheb­li­che Arbeit abnimmt. Ich woll­te die sprach­li­che Unbe­hol­fen­heit der Pro­fes­so­ren Dro­sten und Lau­ter­bach immer schon mal auf­spie­ßen, weil, wer so schlecht spricht, ein­fach Spott ver­dient. — Ich fand es aber irgend­wie fies, mir das alles eigens noch ein­mal anzu­hö­ren, um es mit den Mit­teln der Glos­se dann noch aufzuführen.

Schön, daß die­se Unbe­hol­fen­heit hier inein­an­der geschnit­ten wurden.

Die Narrative der Metaphern

Über die Magie der Sprache und die Macht der Bilder 

Nar­ra­ti­ve, immer wie­der ist von Nar­ra­ti­ven die Rede in letz­ter Zeit. Es ist eigent­lich nur ein ande­res Wort für eine Meta­pho­rik, wobei das Nar­ra­tiv schein­bar oder tat­säch­lich noch etwas Bekennt­nis­haf­tes hat, als wäre es ein Glau­bens­be­kennt­nis­se. Man kann mit­un­ter tat­säch­lich auch den Begriff “Welt­an­schau­ung” ein­set­zen. — Nar­ra­ti­ve sind zunächst ein­mal nichts wei­ter als Erzäh­lun­gen, muster­gül­ti­ge Typen von Erzäh­lun­gen, die wir ein­set­zen, um etwas zu ver­deut­li­chen aber auch, um ande­re über den Tisch zu ziehen. 

Nar­ra­ti­ve sind Meta­phern, also “Über­tra­gun­gen” von Sinn­zu­sam­men­hän­gen, die zumeist mit der Sache eigent­lich nicht das gering­ste zu tun haben. Nur wir stel­len die Ver­knüp­fung her, weil wir das Bild ver­ste­hen und glau­ben, wenn es sich mit der Sache auch so ver­hält, tat­säch­lich auch die Sache selbst ver­ste­hen zu kön­nen. — Man muß sich nicht schä­men, so schwer von Begriff zu sein. Das ist typisch mensch­lich und kommt in den här­te­sten Natur­wis­sen­schaf­ten vor.

Inter­es­san­ter­wei­se arbei­ten gera­de die Natur- und Tech­nik­wis­sen­schaf­ten, die sich so viel dar­auf zu Gute hal­ten, daß sie rech­nen und nicht reden, mit erstaun­lich vie­len Meta­phern. Wenn Ein­stein behaup­tet, “Gott wür­felt nicht”, dann will er kei­ne Theo­lo­gie betrei­ben, son­dern den uni­ver­sel­len Anspruch von Mathe­ma­tik deut­lich machen. — Soll­te aber der Schöp­fer rein gar nicht gewür­felt haben, dann braucht der Phy­si­ker gar kei­nen Gott mehr, dann gin­ge alles wie von selbst, eben “evo­lu­tio­när”. Und schon haben wir das näch­ste hochwissenschaftlich–literarische Bild vom Pro­zeß natür­li­cher Gene­se, wie Dar­win es beschrie­ben hat.

Inter­es­sant ist nun, daß Ein­stein, obwohl es ihm um Mathe­ma­tik ging, zugleich auch Theo­lo­gie betrie­ben hat, mit die­sem Nar­ra­tiv. Ob er es woll­te oder nicht, der Geist die­ser von ihm gewähl­ten For­mel besteht dar­auf, daß er auch das habe gesagt haben wol­len soll. Das ist nun der sprin­gen­de Punkt, Meta­pher unter­schie­ben uns Aus­sa­gen, die kon­se­quen­ter­wei­se aus dem Nar­ra­tiv fol­gen, aber sie unter­stel­len es in der Sache, also Vorsicht!

Dar­win als Affe, eine Anspie­lung auf sei­ne Evo­lu­ti­ons­theo­rie, die sei­ner­zeit unge­heu­er­lich erschien. In: The Hor­net maga­zi­ne, 22. März 1871.

Wer hat nicht immer­zu die­ses dar­win­sche Nar­ra­tiv im Kopf, das zumeist auch falsch ver­stan­den wird. Aber es ist nicht nur schön, son­dern vor allem bequem. Man kann sich damit man­ches erklä­ren, solan­ge man sich genü­gend kos­mi­sche Zeit nimmt. Aber das Nar­ra­tiv ent­stammt dem sei­ner­zeit so rasen­den Früh­ka­pi­ta­lis­mus. Die­ses dau­ern­de Gere­de vom Über­le­ben des Stärk­sten ist typisch deutsch, weil im Ori­gi­nal von “to fit in”, also vom Ein­ge­paßt­sein gespro­chen wird. Es über­lebt also unter Selek­ti­ons­be­din­gun­gen genau das­je­ni­ge Indi­vi­du­um, das am besten “ange­paßt ist”, näm­lich an sei­ne Umwelt. — Es ist schön, über Nar­ra­ti­ve zu ver­fü­gen, so weit die Füße tra­gen. Inter­es­sant wird es, wenn sie aber kollabieren. 

Die Zeit ist näm­lich dank­bar, ver­weist sie doch so gern kapi­ta­li­stisch auf die als Natur­zu­stand beschrie­be­nen Ver­hält­nis­se der frei­en Wild­bahn, was angeb­lich auf die “freie Wirt­schaft” und vor allem auf die “frei­en Märk­te” zutref­fen soll. Dabei wird schnell sicht­bar, daß es auch Ammen­mär­chen sind, die gern erzählt wer­den, wenn mit sol­chen Nar­ra­ti­ven eine unso­li­da­ri­sche Poli­tik des wirt­schaft­li­chen Frei­beu­ter­tums als “natür­lich” legi­ti­miert wer­den soll. — Ein rus­si­scher Anar­chist, Fürst Igor Kro­pot­kin, hat ein ande­res Nar­ra­tiv dage­gen gesetzt, das auch mit der Dar­win­schen Evo­lu­ti­ons­theo­rie kom­pa­ti­bel ist, das Prin­zip von der “Gegen­sei­ti­gen Hil­fe”, daß sich eben die Beu­te­tie­re zusam­men­tun kön­nen, um den Habicht abstür­zen zu las­sen, eben durch Schwarmintelligenz. 

Nun dürf­te klar gewor­den sein, wie sehr mit Nar­ra­ti­ven die Richt­li­ni­en der Poli­tik bestimmt wer­den, durch die Macht der Bil­der. Dage­gen wie­der­um kann man sich nur ver­wah­ren durch ein wenig huma­ni­sti­sche Bil­dung und durch Meta­phoro­lo­gie. Es macht aber auch Freu­de, ein sol­ches Bild ernst zu neh­men wie ein Kind, um dann immer wei­ter zu fra­gen: Also wenn in der Natur die Zeit reich­lich knapp ist wegen der Fein­de und der drin­gend not­wen­di­gen Fort­pflan­zung, wie­viel Zeit hat eigent­lich eine Orchi­dee, wenn sie mit einer Inno­va­ti­on her­aus­kom­men möch­te, um am “Markt” zu bestehen?

Jean-Bap­ti­ste Bar­la: Flo­re illu­strée de Nice et des Alpes-Mari­ti­mes, Ico­no­gra­phie des orchi­dées. Nice 1868.

Also, wenn sich eine Orchi­dee eine Inno­va­ti­on hat ein­fal­len las­sen wie die, einen Hum­mel­hin­tern zu simu­lie­ren, nebst dazu pas­sen­der Phe­ro­mo­ne, um Hum­mel­männ­chen rasend wild zu machen, so daß sie die Blü­te begat­ten und dabei miß­braucht wer­den, um Bestäu­bungs­ar­beit für die Pflan­ze zu lei­sten, dann möch­te ich gern wis­sen, wie lan­ge Zeit die Orchi­dee hat­te, den Hum­mel­hin­ter doch eini­ger­ma­ßen echt hin­zu­be­kom­men. Wenig­stens fal­len die Männ­chen ein­mal dar­auf her­ein, dann sinkt die Begei­ste­rung sta­ti­stisch gese­hen rapi­de ab. 

Genau­so ver­hält sich das mit den Bil­dern, sie sind wie Zau­ber­künst­ler und machen uns was vor. Man soll­te aber immer dort­hin schau­en, wovon man abge­lenkt wird durch die Macht der Bil­der. Es ist so schön, etwas ver­stan­den zu haben, es ist aber schlimm, auf einem Holz­weg zu sein. — Vie­le derer, die von Nar­ra­ti­ven spre­chen, mei­nen vor allem die mani­pu­la­ti­ve Macht, die sie selbst nut­zen oder viel­leicht auch auf­klä­ren helfen. 

Seit Goe­thes Zau­ber­lehr­ling ist es offi­zi­ell, daß man die Gei­ster, die man ruft auch wie­der los­wer­den muß. Es ist eine Erfah­rung, die jedes Kind macht, daß eine klei­ne Flam­me nur ein wenig Nah­rung braucht und schon wächst sie einem über den Kopf. — Man soll­te also bei der Wahl der Meta­pho­rik ganz beson­ders vor­sich­tig sein. Dar­um geht es eigent­lich, wenn in der Diplo­ma­tie so schön ver­klau­su­liert von der Suche nach einer “gemein­sa­men Gesprächs­grund­la­ge” gespro­chen wird, das sind die ent­schei­den­den Narrative. 

Wenn bei­spiels­wei­se in der aktu­el­len Corona–Krise so etwas wie eine “mora­li­sche Pflicht” kon­sta­tiert wird, sich aus Grün­den der “Soli­da­ri­tät” imp­fen zu las­sen, dann steckt ein Nar­ra­tiv dahin­ter, das man nicht wirk­lich tei­len muß. Man kann nicht nur, son­dern soll­te zurück­fra­gen, ob die­se, unse­re Gesell­schaft denn ihrer­seits soli­da­risch ist, oder nicht viel­mehr betont lieb­los. Nimmt sie denn die Rück­sicht auf die Armen und Schwa­chen, denen es im Ver­lauf die­ser Kri­se immer schlech­ter ergeht? Nimmt sie denn Rück­sicht auf die Pfle­ge­kräf­te und nicht viel­mehr auf maro­de Ver­hält­nis­se im Gesund­heits­sy­stem, die sie selbst zu ver­ant­wor­ten hat, als man Kli­ni­ken zu Spe­ku­la­ti­ons­ob­jek­ten gemacht hat? 

Der Zau­ber­trick, den man durch­schau­en soll­te, liegt dar­in, bewußt die Unter­schie­de zu ver­decken zwi­schen Gesell­schaft und Gemein­schaft. Eine Gemein­schaft kann und darf Soli­da­ri­tät ihren Mit­glie­dern abver­lan­gen und sogar erwar­ten, eine Gesell­schaft wie die unse­re, kann es, je weni­ger sie vom Geist der Gemein­schaft beseelt ist, umso weni­ger. So erklä­ren sich auch die Unter­schie­de im Staats­ver­trau­en. Die Nord­län­der sind nie so ver­führt, betro­gen und miß­braucht wor­den von ihrem eige­nen Staat wie die Deut­schen. Da wäre mal Abbit­te zu lei­sten. Die Sonn­tags­re­den an den Kranz­ab­wurf­stel­len der Repu­blik sind inzwi­schen nicht mehr statt­haft. Wer will das denn noch glau­ben, daß hier in unse­rem Lan­de die Grund­rech­te gewahrt wer­den, wenn sie bei der ersten Bela­stung aus­ge­setzt werden?

Ganz anders, wenn es sich um wirk­li­che Gemein­schaft han­delt. In der Afri­ka­ni­schen Phi­lo­so­phie ist „Ubun­tu“, der afri­ka­ni­sche Glau­be dar­an, daß wir das, was wir sind, den Men­schen um uns her­um ver­dan­ken. — Wäh­rend es hier bei uns nur eine Leih­mut­ter, eine Nan­ny und eine Pri­vat­schu­le braucht, um ein Kind zu ‘erzie­hen’, neh­men Afri­ka­ner bekannt­lich gan­ze Dör­fer dazu.

So gese­hen ist der ‘freie’ Westen ein­fach nur geistig–soziales Ent­wick­lungs­land. Wir soll­ten daher die Phi­lo­so­phie der Afri­ka­ner end­lich zur Kennt­nis neh­men, dann wür­de es auch bei uns mit der Soli­da­ri­tät funk­tio­nie­ren. — Nur Gemein­schaf­ten kön­nen Soli­da­ri­tät zu erwar­ten, Gesell­schaf­ten mitnichten.

Daher steht in sol­chen Kul­tu­ren der Aus­gang eines Ritu­als oft­mals von vorn­her­ein fest, Beschlüs­se kön­nen nur ein­stim­mig gefaßt wer­den. Alles wird getan, auf daß bloß kei­ne Ant­ago­nis­men auf­tre­ten. Es soll und darf kei­ne Ver­lie­rer geben. — Ein in die­sem Zusam­men­hang belieb­tes und instruk­ti­ves Bei­spiel stammt von dem Eth­no­lo­gen K. E. Read:
“Als die Gahuku–Gama auf Neu­gui­nea anfin­gen, Fuß­ball zu spie­len, konn­ten zwei geg­ne­ri­sche Klans tage­lang um den Aus­gang spie­len — so lan­ge, wie es not­wen­dig war, um ein Unent­schie­den zu erzie­len”. (K. E. Read: Lea­der­ship and Con­sen­sus in a New Gui­nea Socie­ty. In: Ame­ri­can Anthro­po­lo­gist, 1959, N.S., 61 (3). S. 428, zit. n.: Heinz-Ulrich Nen­nen: Öko­lo­gie im Dis­kurs. Zu Grund­fra­gen der Anthro­po­lo­gie und Öko­lo­gie und zur Ethik der Wis­sen­schaf­ten. Mit einem Geleit­wort von Die­ter Birn­ba­cher; Opla­den 1991. S. 51.)

‘Gewin­nen’ bedeu­tet im Sym­bo­lis­mus sol­cher Kul­tu­ren ‘töten’. — Ich fra­ge mich da immer: Wer sind eigent­lich die Primitiven? 

Meta­phern sind frem­de, eigen­sin­ni­ge aber auch hilf­rei­che Gei­ster der Sinn­stif­tung, auf die wir ange­wie­sen sind, weil wir anson­sten “nur Bahn­hof ver­ste­hen”, wie jene Sol­da­ten, die nur nach Hau­se woll­ten, also “Bahn­hof” hören woll­ten. — Da wir nun ein­mal die Sachen nicht gleich durch­schau­en, son­dern nur mit über­tra­ge­nen Bil­dern indi­rekt deu­ten kön­nen, müs­sen wir uns behel­fen mit Sprach­bil­dern, Dia­lo­gen und Diskursen. 

Der Jar­gon der Diplo­ma­ten in sei­ner trocke­nen, über­sach­li­chen, minu­tiö­sen Klein­ka­riert­heit läßt durch­blicken, wor­auf es ankommt, wenn man sich auf eine “For­mel” als “gemein­sa­me Gesprächs­grund­la­ge” einigt, so daß bald die “Ver­hand­lun­gen auf die­ser Grund­la­ge” begin­nen kön­nen. — Die Wahl des Nar­ra­tivs ist aber auch wie ein Got­tes­ur­teil, denn nie­mand weiß im Vor­aus genau, ob die gewähl­te Meta­pher für die eige­nen Inter­es­sen die not­wen­di­gen Gele­gen­hei­ten bie­ten wird, um mög­lichst viel her­aus­ver­han­deln zu kön­nen für die eige­nen Seite. 

Unse­re Spra­che ist ein Wun­der­werk, bei dem wir uns zu behel­fen wis­sen, um Sachen zur Spra­che zu brin­gen, für die die Wor­te ver­sa­gen. Es hat etwas mit Magie zu tun, dann zu sehen, wie ein Bild die Ima­gi­na­ti­on augen­blick­lich gefan­gen nimmt und alles glaubt, urplötz­lich zu ver­ste­hen. Dabei ver­steht man vor allem das Bild und glaubt, damit auch in der Sache wei­ter­zu­kom­men. Vorsicht!

Wenn eine Meta­pho­rik im Ver­lauf eines Gesprächs aus dem Ruder läuft und immer mehr in eine uner­wünsch­te, nicht mehr kon­struk­ti­ve Rich­tung ver­läuft, dann soll­te man das sagen und dar­auf­hin vor­schla­gen, gemein­sam die Rich­tung zu ver­än­dern. Es ist wie im Netz­plan einer U‑Bahn. Wich­tig ist, sich zuvor mög­lichst offen und höf­lich und dank­bar von der nun­mehr zu ver­las­sen­den meta­pho­ri­schen “Linie” zu verabschieden. 

Sie muß offi­zi­ell ver­ab­schie­det wer­den, wie ein Geist, der anson­sten unge­müt­lich wer­den könn­te. Auch kom­men Zuhö­rer, die nicht ganz bei der Sache sind, mit abstru­sen Rück­fra­gen, wor­auf ein heil­lo­ses Durch­ein­an­der ent­ste­hen kann. — Daher trifft das Bild vom “Mit­neh­men” sol­che Pro­zes­se der Ver­stän­di­gung über Ver­ste­hen so gut. 

Immer­hin tut man sich da mit mäch­ti­gen Gei­stern zusam­men, die erheb­li­che Pro­ble­me berei­ten kön­nen und schnell eine gewis­se Eitel­keit an den Tag legen, wenn sie nicht gewür­digt wer­den. Meta­phern wol­len im Gei­ste ihres Nar­ra­tiv gewür­digt wer­den, es darf und kann daher nur das gesagt wer­den, was die­sem Geist ent­spricht. — Wenn das aber beim besten Wil­len nicht geht, muß die Meta­pho­rik aus­ge­tauscht wer­den. Aber die ande­ren müs­sen dabei mit­ge­hen, anson­sten wird man unter Umstän­den das Nach­se­hen haben. 

Cas­par David Fried­rich: Das Eis­meer (1823f.)

Wer sich auf eine Meta­pho­rik ein­läßt, ver­spricht sich etwas davon, also einen Gewinn von Ver­ste­hen, einen Zuge­winn an Sinn oder viel­leicht auch die Über­zeu­gung Anders­den­ken­der. Aber das kann alles schei­tern. Es gibt daher zwei Meta­phern, die unser Sein dar­stel­len, die Meta­pher vom Thea­ter und die von der See­fahrt. Dabei kön­nen die Plan­ken, die beim Unter­gang blei­ben, zu den Bret­tern wer­den, die die Welt bedeuten. 

Nar­ra­ti­ve zu benut­zen, ist aben­teu­er­lich wie eine See­fahrt aufs offe­ne Meer, was zu ande­ren Zei­ten noch viel ris­kan­ter war. Die Risi­ken beim Meta­pho­ri­sie­ren sind der­weil nicht etwa klei­ner, son­dern eher grö­ßer gewor­den, weil unse­re Ansprü­che auf Begrün­dun­gen selbst grö­ßer gewor­den sind.

Wenn ein Red­ner sei­nen Schiff­bruch erlei­det, dann ver­merkt das Pro­to­koll im Bun­des­tag dar­über eine “all­ge­mei­ne Hei­ter­keit” vor allem dann, wenn einer am Geist einer selbst gewähl­ten Meta­pho­rik schei­tert, wie etwa der FDP–Abgeordnete Gün­ter Ver­heu­gen, der eine etwas degou­tan­te Vor­la­ge von Josch­ka Fischer ver­such­te, in einen Tref­fer zu ver­wan­deln aber ein Eigen­tor schießt: 

“Immer­hin gelingt es auch Gün­ter Ver­heu­gen in sei­ner Rede, Kohl und das Hohe Haus zu amü­sie­ren. Ver­heu­gen spricht kri­tisch von einem ‘Kanz­ler des Still­stands, der in sich ruht wie ein chi­ne­si­scher Bud­dha’. Kohl ruft dazwi­schen: ‘Gefällt mir gut.’ Ver­heu­gen fas­sungs­los: ‘Gefällt Ihnen gut?’ ” Man sieht, wie Kohl augen­blick­lich von der Regie­rungs­bank zum Tele­fon­hö­rer greift. 

Minu­ten spä­ter erläu­tert Kohl, “war­um er den Ver­gleich mit Bud­dha so schät­ze. Von der Regie­rungs­bank aus habe er sich tele­fo­nisch infor­miert und aus einem Lexi­kon erfah­ren, daß Bud­dha als Per­sön­lich­keit ‘sich durch Lebens­ernst, Sinn für das Wirk­li­che und Nöti­ge, Mäßi­gung und Aus­dau­er’ aus­ge­zeich­net habe. Jetzt muß selbst Ver­heu­gen lachen. Kohl bedankt sich für soviel Lob von der SPD und sagt: ‘So hat mich mei­ne Par­tei nie ver­wöhnt.’ Was Bud­dhas Eigen­schaf­ten ange­he, so sei er bereit, ‘all das zu akzep­tie­ren’. Eine Ein­schrän­kung macht der Pfäl­zer jedoch: ‘Mit der Mäßi­gung hab’ ich gewis­se Pro­ble­me, die tei­le ich mit dem Vor­sit­zen­den der Grü­nen-Frak­ti­on, eine der weni­gen Gemein­sam­kei­ten. Kohl ver­gleicht sich im Par­la­ment mit Josch­ka Fischer.” (Mar­tin S. Lam­beck: “So hat mich mei­ne Par­tei nie ver­wöhnt”. Schlag­ab­tausch mit Respekt: “Bud­dha” Kohl zwi­schen Fischers Häme und Ver­heu­gens “Lob”. In: Die Welt, 9.11.1995.)

Die Tita­nic, die Meta­pher aller Schiffs­me­ta­phern, als Inbe­griff von Hybris und als Demü­ti­gung des moder­nen Größenwahns.

Es gibt eini­ge wirk­lich schil­lern­de Bespie­le für die Eigen­dy­na­mik der Nar­ra­ti­ve und den Schiff­bruch von Red­nern. — Eine Meta­pho­rik hat eben ihr Nar­ra­tiv und dem muß man fol­gen. Wer einen sol­chen Geist ruft, wird sich nolens volens auf das Schick­sal ein­las­sen müs­sen, unmit­tel­bar dar­auf nicht mehr wirk­lich der Herr des Ver­fah­rens zu sein, so auch bei einer Bege­ben­heit, die der Mün­ste­ra­ner Phi­lo­soph Hans Blu­men­berg erwähnt.

“In der Haus­halts­de­bat­te schil­dert ein Abge­ord­ne­ter der Regie­rungs­ko­ali­ti­on den festen Kurs, den das Staats­schiff dank der koalier­ten Besat­zung habe, und ver­gleicht die Oppo­si­ti­on mit unru­hi­gen Pas­sa­gie­ren, die einen Nach­hol­kurs in Navi­ga­ti­on neh­men müß­ten, um eines Tages wie­der auf die Kom­man­do­brücke zu kommen.
Zwi­schen­ruf der Oppo­si­ti­on: ›Wir sit­zen nicht in einem
Boot.‹ —
Red­ner: ›Ich spre­che von dem Schiff unse­res Lan­des, und
dazu gehö­ren Sie doch!‹ —
Zwi­schen­ruf Weh­ner: ›Er ist ein blin­der Passagier!‹ —
Zwi­schen­ruf Oppo­si­ti­on: ›Sie sit­zen bald auf Grund, wenn
Sie so weitermachen.‹ —
Als der Red­ner sei­nen Vor­trag mit noch­ma­li­gem Gebrauch
der Meta­pher schließt: ›Weil die­ses Schiff den richtigen
Kurs hat und damit es wei­ter­hin gute Fahrt macht …,‹
bekommt er beim Abgang als letz­ten Ruf:
›Und Sie sind der Klabautermann.‹”

(Hans Blu­men­berg: Schiff­bruch mit Zuschau­er. Para­dig­ma einer Daseins­me­ta­pher. Frank­furt am Main 1979. Anm. 5, S. 14.)

Die Wahl der Meta­pher ist ent­schei­dend, je nach­dem erhält man Zuspruch vom Geist einer Meta­pher und ihrem Nar­ra­tiv oder aber eine Abfuhr. Dabei haben wir die Wahl zwi­schen Hafen und offe­ner See nicht wirk­lich. Betrach­tet aus der unmensch­li­chen Lan­ge­wei­le im Para­dies­gar­ten war die neue App vom Baum der Erkennt­nis, also selbst­stän­dig zwi­schen dem Guten und dem Bösen unter­schei­den zu kön­nen, ein­fach zu verlockend.

Aber auch damals schon wur­de das Klein­ge­druck­te im Para­diesver­trag zu schnell weg­ge­klickt, denn dort steht, daß es unend­lich lang dau­ern könn­te, bis Men­schen zu Göt­tern wer­den, mit allem, was dazu gehört nicht nur an Mäch­ten, son­dern auch an Kompetenzen. 

Einst­wei­len soll­te gut über­legt wer­den, ob man nun die “Ehe als Hafen” mit para­die­si­scher Lan­ge­wei­le betrach­tet oder eher als “See­fahrt” mit der Aus­sicht auf Kata­stro­phen. Der in allem sehr zurück­hal­ten­de Cas­par David Fried­rich hat lie­ber ein See­stück gewählt, denn er moch­te sich erst spät über­haupt dazu entschließen.
Cas­par David Fried­rich und Caro­li­ne Bom­mer ver­lob­ten sich im Jahr 1816. Mit sei­ner Beru­fung in die Dresd­ner Aka­de­mie im Dezem­ber 1816 bekam der Maler 150 Taler Gehalt und konn­te sich somit eine Fami­lie lei­sten. Er war damals 42 Jah­re alt.

Bei dem Paar han­delt es sich um den Künst­ler selbst und sei­ne jun­ge Frau Caro­li­ne Bom­mer. Fried­rich galt zeit­le­bens als „men­schen­scheu­er Melan­cho­li­ker“. Umso grö­ßer war das Erstau­nen sei­ner Freun­de und Bekann­ten, als der 44–Jährige am 21. Janu­ar 1818 die 19 Jah­re jün­ge­re Caro­li­ne Bom­mer heiratete. 

Bei dem im Bild dar­ge­stell­ten Paar han­delt es sich um den Künst­ler selbst und sei­ne jun­ge Frau Caro­li­ne Bom­mer. Die Hoch­zeit fand am 21. Janu­ar 1818 in der Dresd­ner Kreuz­kir­che statt, ohne Fried­richs Ver­wandt­schaft. — Der Ehe­mann setz­te sei­ne Ver­wand­ten erst eine Woche nach der Ehe­schlie­ßung per Brief dar­über in Kennt­nis, nach­dem sei­ne Frau ihn dazu gedrängt hat­te. In dem Brief offen­bar­te er auch sei­ne Anschau­un­gen über den neu­en Zustand der Ehe:

„… mei­ne Frau fängt bereits an, unru­hig zu wer­den und hat mich wie­der­holt malen erin­nert zu schrei­ben; denn auch sie will schrei­ben um mit ihren neu­en Brü­dern bekann­ter zu wer­den. Es ist doch ein schnur­rig Ding wenn man eine Frau hat, schnur­rig ist wenn man eine Wirth­schaft hat, sei sie auch noch so klein; schnur­rig ist wenn mei­ne Frau mir Mit­tags zu Tische zu kom­men ein­la­det. Und end­lich ist es schnur­rig wenn ich jetzt des Abends fein zu Hau­se blei­be, und nicht wie sonst im Frei­en umher lau­fe. Auch ist es mir gar schnur­rig daß alles was ich jetzt unter­neh­me immer mit Rück­sicht auf mei­ne Frau geschieht und gesche­hen muß.“ (Zit. n.: Wiki­pe­dia: Caro­li­ne Friedrich.)