Heinz-Ulrich Nennen | www.nennen-online.de

ZeitGeister | Philosophische Praxis

Akademie für Philosophische Psychologie

Category: Diskurs

Die Vernunft, die Musen und das Glück

Über Momente des Glücks, für die zu leben sich lohnt

In der Medi­zin set­zen nicht-inva­si­ve Ein­grif­fe inzwi­schen neue Maß­stä­be. Der­weil betreibt die Poli­tik noch immer hemds­är­me­li­gen Inter­ven­tio­nis­mus. Ver­nunft oder gar Geist sind unerwünscht.

So ist die Homöo­pa­thie die­ser Tage gestri­chen wor­den von den Fort­bil­dun­gen für Ärz­ten. Sie paßt nicht mehr in die­se selbst­ver­lieb­te Zeit. Man glaubt, grö­ße­re Pro­ble­me nur mit schwe­ren Waf­fen „lösen“ zu kön­nen. – Es wäre aber zu emp­feh­len, mehr über Sozia­le Syste­me zur Kennt­nis zu nehmen.

Die Maul­af­fen-Per­for­mance aus Coro­nas Zei­ten wird unbe­irrt wei­ter fort­ge­setzt. Dabei ist die Welt längst aus dem Rhyth­mus gera­ten, weil Poli­ti­ker in vie­len Län­dern allen Ern­stes mein­ten, sie könn­ten auf Hand­steue­rung umschal­ten. Grö­ßen­wahn inmit­ten einer Kri­se ist das Dümm­ste, was pas­sie­ren kann.

Es gibt näm­lich gar kein Cock­pit, kei­ne Brücke mit Kapi­tän und Steu­er­mann. Sozia­le Syste­me haben alle ihren eige­nen Auto­pi­lo­ten. Sie steu­ern sich selbst, ganz im Sin­ne ihrer inter­nen Codes, ob Poli­tik, Wis­sen­schaft, Gesund­heit, Recht, Reli­gi­on, Kunst oder Lie­be. – Es gibt kei­ne Hebel der Macht. Das sind naï­ve Vor­stel­lun­gen, die eigent­lich nie der Wirk­lich­keit entsprachen.

Aller­dings gibt es mehr oder min­der gro­ße Dumm­hei­ten, die anfangs noch naiv, dann aber fahr­läs­sig und bald schon unver­ant­wort­lich wer­den. „Gut gemeint“ ist nicht „gut gemacht“, bei­lei­be nicht.

Wer sich kei­nen Kopf macht, kann ihn auch nicht ver­lie­ren, das glau­ben wohl man­che von denen, die immer vor­ne­weg sind:

„So tu doch was!“

„Was soll ich denn tun?“

„Das weiß ich auch nicht. -

Aber tu doch end­lich irgendwas!“

Auch das 9 Euro-Ticket ist wie­der so eine pre­kä­re Mei­ster­lei­stung. Es ist über­haupt kei­ne gute Idee, gleich gan­ze Syste­me zu maro­die­ren, so wie zuvor noch die Kli­ni­ken in der Coro­na-Kri­se. Inzwi­schen sit­zen alle erdenk­li­chen Leu­te spa­ßes­hal­ber im Zug und neh­men denen die Plät­ze weg, die nur zur Arbeit fah­ren. – Das Bahn-Bas­hing ist jetzt zur Frei­zeit­un­ter­hal­tung geworden.

Oder der staat­li­che Tan­kra­batt, der nicht wirk­lich an der Tank­säu­le ankommt, weil er vor­her abge­fischt wird. Und dann regen sich alle wie­der auf über die bösen Spe­ku­lan­ten. – Es war sei­ner­zeit eine Freu­de, als man­che davon kalt erwischt wur­den im Lockdown.

Sie hat­ten gro­ße Kon­tin­gen­te an Sprit in Ter­min­ge­schäf­ten erwor­ben aber gar kei­ne eige­nen Lager­ka­pa­zi­tä­ten. Als sie die Ware zum erhöh­ten Preis abneh­men soll­ten, muß­ten man­che drauf­zah­len, damit ihnen irgend­wer das Zeug zum Dum­ping­preis noch vor der Lie­fe­rung abkauft.

Was kann Poli­tik? Wenn sie klug, viel­leicht sogar ver­nünf­tig oder even­tu­ell auch geist­reich wäre, dann könn­te sie eini­ges bewir­ken. Aber nicht durch Södern, Flick­schu­ste­rei und Popu­lis­mus. Jetzt mal eben eine Über­ge­winn­steu­er zu beschlie­ßen, ist bereits am wis­sen­schaft­li­chen Dienst geschei­tert. Das geht glück­li­cher­wei­se nicht auch noch, weil ein paar Grund­ge­set­ze im Wege stehen.

Wir haben Pri­vat­wirt­schaft und die­se setzt sich selbst ihre Zie­le, wie jedes ande­re System auch. – Schlech­te Poli­tik bringt aber die Syste­me der­art aus der Rou­ti­ne, so daß Desa­ster nicht mehr aus­ge­schlos­sen sind. So war und ist der Umgang des Staa­tes mit Bahn, Bil­dung und Gesund­heit ein­fach nur kata­stro­phal. Mal eben Kin­der­gär­ten und Schu­len schlie­ßen, das war auch wie­der so eine Meisterleistung.

Ins Gesund­heits­we­sen hat die Poli­tik der­art krass hin­ein­re­giert, so daß der eigent­li­che Zweck längst ins Hin­ter­tref­fen gera­ten ist. Geht es wirk­lich noch um Gesund­heit, wo die Fall­pau­scha­len alles beherrschen?

Neu­er­dings sind bereits die ersten Inve­sto­ren auf beson­ders lukra­ti­ve Arzt­pra­xen auf­merk­sam gewor­den? Kran­ken­häu­ser sind bereits Spe­ku­la­ti­ons­ob­jek­te, die natür­lich nur noch vor­hal­ten, was sich ren­tiert, nicht gesund­heit­lich, son­dern eben öko­no­misch. – Und die Vor­fi­nan­zie­rung teu­rer Gerä­te für Fach­arzt­pra­xen ist offen­bar die näch­ste Stufe.

Aber die Pati­en­ten spie­len mit und las­sen sich brav von Ter­min zu Ter­min schicken. Es pas­siert ja was, es wird ja was getan. Auf den Dos­siers der Labor­un­ter­su­chun­gen fin­den sich Hand­rei­chun­gen für den wer­ten Leser, für die man kei­nen Arzt mehr braucht. – Es ist aus­ge­wie­sen, was als „nor­mal” gilt und was gemes­sen wur­de. Aber die Nor­ma­li­tät wur­de als sol­che oft aus ganz ande­ren Grün­den beschlos­sen, die mit Gesund­heit selbst nichts zu tun hat. So sind die Wer­te für Blut­druck immer wie­der gesenkt wor­den und die Zahl der Pati­en­ten stieg. Die wun­der­sa­me Ver­meh­rung gibt es also auch in der Medizin.

Wer wird sich da noch ver­trau­ens­voll in die Hän­de sol­cher Weiß­kit­tel bege­ben? – Aber die Leu­te ver­trau­en doch nur zu gern, um die eige­nen Ver­ant­wor­tung nicht spü­ren und schon gar nicht tra­gen zu müs­sen. Wir leben in Zei­ten eines neu­en Paternalismus.

Die Aller­mei­sten kon­su­mie­ren ihre eige­ne Unmün­dig­keit. Sie wol­len mit der eige­nen Erkran­kung höchst­selbst eigent­lich nichts zu tun haben. Also sind sie auch nicht wirk­lich bei der Sache, dabei soll­te es doch eigent­lich um Hei­lung gehen.

Krank­heit ist dann kein Weg mehr, son­dern nur wie Kalk im Was­ser­kes­sel, der weg­ge­macht wer­den soll. Wenn ein Lei­den „nur” psy­chisch bedingt ist, dann ist es eher so etwas wie pure Ein­bil­dung. – Nur, was sich mes­sen läßt, hat ein Recht dar­auf, über­haupt ernst genom­men zu wer­den. Kann man Geist­lo­sig­keit messen?

Der neue Dis­kurs über Depres­si­on, der inter­es­san­ter­wei­se von nam­haf­ten Come­di­ans wie Schmidt, Strä­ter und Krö­mer ange­sto­ßen wur­de, dürf­te aller­dings nicht ohne Wir­kung blei­ben. – Es gibt zu den­ken, daß aus­ge­rech­net die Lustig­sten unter den Mit­men­schen die erfor­der­li­che Elo­quenz auf­brin­gen, end­lich zu sagen, daß der Clown hin­ter sei­ner Mas­ke weint und wie ihm dabei zu Mute ist.

Wir leben in beweg­ten Zei­ten. Es ist Cha­os genug, mehr geht eigent­lich nicht. – Im Hin­ter­grund steht eine Medi­en­re­vo­lu­ti­on, die ihres­glei­chen sucht. Nur noch die Erfin­dung des Buch­drucks kann der Kul­tur­re­vo­lu­ti­on, die nun ansteht, über­haupt noch das Was­ser reichen.

Unter die­sen Umstän­den ver­än­dert sich auch die Rol­le von Poli­ti­kern ganz radi­kal. Daher rüh­ren auch die fort­wäh­ren­den Ver­su­che, das Netz der Net­ze unter Kon­trol­le zu bekom­men. – Aber so viel läßt sich jetzt schon mit Gewiß­heit sagen: Es wird nicht gelin­gen. Wenn es eine Ener­gie­quel­le gibt, von der die Kul­tur­ge­schich­te ange­trie­ben wird, dann ist es die Sehn­sucht nach Indi­vi­dua­li­tät und indi­vi­du­el­ler Anerkennung.

In die­sen Zei­ten ist ein „Tal der Ahnungs­lo­sen“, wie noch in der DDR, als die Anten­nen bei Dres­den nicht hoch genug sein konn­ten, um West­fern­se­hen zu emp­fan­gen, gar nicht mehr denk­bar. In den hin­ter­letz­ten Win­keln der Welt wis­sen alle, daß woan­ders ein ande­res Leben geführt und ande­re Wer­te gelebt wer­den. Die dog­ma­ti­sche Begrün­dung der „Hir­ten“, Tugend­wäch­ter und Gesin­nungs­wäch­ter, ver­fängt ein­fach nicht mehr. Es gibt immer Alternativen!

Auch im gar nicht mehr ganz so frei­en Westen zei­gen sich Ver­än­de­run­gen. Die Dis­kur­se fin­den nicht mehr nur in der „System­pres­se“ statt, son­dern über­all. Und sie wer­den der­art divers, so daß sich man­che Ver­tre­ter der Pres­se in Mis­sio­na­re ver­wan­delt haben, die wie vor Zei­ten in frem­den Län­dern den „Aber­glau­ben“ bekämpf­ten, um ihre „fro­he Bot­schaft“ vor­zu­be­rei­ten. – Ganz so froh war die Bot­schaft für die Nati­ves dann doch nicht, wenn man bedenkt, daß außer­eu­ro­päi­schen Kul­tu­ren ein­fach der eige­nen Iden­ti­tät beraubt wur­de, um sie unter die Fuch­tel frem­der Herr­schaft zu zwin­gen und Geschäf­te auf ihre Kosten zu machen.

Der Westen hat unend­li­ches Leid über alle erdenk­li­chen Kul­tu­ren gebracht. Schwei­gen wir hier von den Nie­der­lan­den, von Bel­gi­en oder Frank­reich. Um nur ein Bei­spiel zu brin­gen: Die Bri­ten haben wäh­rend ihrer Besat­zungs­zeit den Indern die Sin­nen­freu­de aus­ge­trie­ben, weil sie bei sich zuhau­se gera­de ihren Vik­to­ria­nis­mus hat­ten und den Frau­en gar kei­ne und schon gar kei­ne eige­ne Lust zuge­ste­hen moch­ten. – Noch heu­te zei­gen sich die trau­ma­ti­schen Spät­fol­gen in Indi­en anhand von Gewalt­ver­bre­chen mit sexu­el­lem Hintergrund.

Die frem­de Herr­schaft ist zwar abge­zo­gen, man hat aber seit­her kei­nen eige­nen Umgang mit Sin­nen­freu­den mehr, son­dern eine repres­si­ve Scheu und ein Scham­emp­fin­den, unter dem es bro­delt und kocht. – Die Kul­tur wur­de mut­wil­lig zer­stört, nur um Geschäf­te zu machen. Es fehlt der Respekt vor dem Geist, wo immer nur aufs Mate­ri­el­le gestarrt wird.

Man den­ke nur an den Opi­um­han­del in Chi­na. Das geschah, um die eigent­lich sta­bi­le Kul­tur in Chi­na emp­find­lich zu schwä­chen und das Land mit­hil­fe die­ser Sucht in die Kniee zu zwin­gen. – Der Westen möge sich also bit­te nicht so auf­spie­len, er soll­te erst ein­mal Buße tun, im Geden­ken an die­se Ver­bre­chen. Und wenn man bedenkt, daß ein Gut­teil der Lan­des­gren­zen von den Bri­ten gezo­gen wur­de, in Afri­ka und in Asi­en, bewußt mit­ten durch Stam­mes­ge­bie­te, weil man den Hader immer wie­der für eige­ne Zwecke instru­men­ta­li­sie­ren wollte.

Man kann inzwi­schen erstaun­lich viel über mie­se Machen­schaf­ten wis­sen. Das mei­ste davon ist nicht ein­mal mehr geheim, son­dern läßt sich im Zwei­fels­fall mit Links sehr schnell doku­men­tie­ren. Das ist es, was das Netz aus­macht. – So war es eine Stern­stun­de, als die Pla­ne­s­pot­ter an ver­schie­de­nen Flug­hä­fen der Welt ihre Beob­ach­tun­gen unter­ein­an­der abstimm­ten und dann publik wur­de, daß es regel­rech­te Fol­ter­flü­ge im Auf­trag der CIA gab und daß die USA in Euro­pa gehei­me Gefäng­nis­se betreibt.

Wir ste­hen erst am Anfang einer neu­en, unüber­seh­bar mäch­ti­gen Kul­tur­re­vo­lu­ti­on. So etwas dau­ert meh­re­re Gene­ra­tio­nen und das Netz läuft sich gera­de erst warm.

Auf eine Medi­en­re­vo­lu­ti­on folgt immer eine Kul­tur­re­vo­lu­ti­on, weil ja nun noch mehr Men­schen mit­ein­an­der ins Gespräch kom­men, ohne daß sich Herr­scher oder Prie­ster noch dazwi­schen­schal­ten könnten.

Zuvor ent­schied die Kir­che, ob und wie ein Text das Licht der Öffent­lich­keit erblick­te. Aber der Buch­druck mach­te die Kon­trol­le der Kom­mu­ni­ka­ti­on durch die Kir­che unmög­lich. Fort­an ent­schie­den schnell nam­haft wer­den­de Drucker, was sie drucken woll­ten, aus ganz eige­nen Moti­ven her­aus. – Dar­auf ging die Zen­sur von der Kir­che an den Staat über.

Mar­tin Luther hielt nicht viel vom Buch­druck, aber bös­ar­ti­ge Kari­ka­tu­ren über Papst und Kir­che brach­ten sei­ner Refor­ma­ti­on erst den rich­ti­gen Schwung. Der Papst als Schwein mit der drei­fa­chen Kro­ne, das konn­ten auch Leu­te ver­ste­hen, die noch nicht des Lesens mäch­tig waren.

Dar­auf kam die Zei­tungs­pres­se und mit ihr kamen Par­la­men­te, Par­tei­en und Poli­ti­ker. Und mit dem Radio kamen tota­li­tä­re Syste­me auf, wie Faschis­mus oder Sozia­lis­mus. Neue Medi­en sind zu vie­ler­lei ein­setz­bar, im Guten wie auch im Bösen. – Der­weil split­tet „die“ Öffent­lich­keit sich immer wei­ter auf. Es gibt nicht mehr die ein­zig wah­re herr­schen­de Mei­nung aller Wohl­mei­nen­den und Wohlinformierten.

Man­che unter den Poli­ti­kern kom­men in ihrer neu­en Rol­le gar nicht mehr an. Sie kön­nen sich nicht mehr als „Reprä­sen­tan­ten“ ver­ste­hen, als Volks­ver­tre­ter, weil das „Volk“ selbst mün­dig gewor­den ist und nie­man­den mehr braucht, der noch das Wort stell­ver­tre­tend ergreift.

Die Zei­ten sind ver­gan­gen, als Poli­ti­ker noch in aller Eitel­keit beton­ten, sie sei­en die näch­ste Woche wie­der in der Haupt­stadt. Dort wür­den sie dann tur­nus­mä­ßig auf irgend­ei­ne Wich­tig­keit von Mensch tref­fen, um bei Gele­gen­heit das gemein­sa­me Anlie­gen umso dring­li­cher vor­zu­tra­gen. – Man soll­te sich auf­ge­ho­ben, ernst genom­men, ver­stan­den und ver­tre­ten fühlen.

Jetzt braucht es sie nicht mehr, die­se Form der Reprä­sen­ta­ti­ve Demo­kra­tie, weil sich alle selbst aus­drücken und inso­fern auch reprä­sen­tie­ren kön­nen. Es gilt, end­lich mehr Demo­kra­tie zu wagen. – War­um wäh­len wir den Bun­des­prä­si­den­ten nicht online? Wahl­män­ner braucht es nicht mehr, also auch nicht mehr eine Bundesversammlung.

Die Rol­le von Reli­gi­ons­für­sten, Prie­stern und „Hir­ten“ ist vakant gewor­den. Daher ist es auch kein Skan­dal mehr, wenn sich ein Bischof aus dem Ruhr­ge­biet vor etwa 10 Jah­ren in vol­ler Über­zeu­gung noch gegen die gleich­ge­schlecht­li­che Eltern­schaft aus­sprach, von wegen, das sei „wider­na­tür­lich“, Kin­der bräuch­ten nun ein­mal Vater und Mut­ter. Das ist inzwi­schen ein­fach nur noch eine belie­bi­ge Mei­nungs­äu­ße­rung. – Rosa von Praun­heim saß mit in der Dis­kus­si­ons­run­de und sag­te baff nicht ohne Schmun­zeln: Daß er das noch mal erle­ben dürfte!

Es ist alles auch ein biß­chen viel, was sich in den letz­ten Jahr­zehn­ten so alles radi­kal gewan­delt hat. Und Man­chen geht es noch immer nicht schnell genug. Dage­gen hilft eine Sen­tenz von Niklas Luh­mann: Vie­le wür­den immer­zu noch mehr Ver­än­de­run­gen ver­lan­gen, ohne aber zu beden­ken, „wie schnell wir schon fahren“.

Jede Inter­ven­ti­on führt zu Gegen-Reak­tio­nen von Sei­ten der Sozia­len Syste­me, die sich ihrer­seits auf die ver­än­der­ten „Umwelt­be­din­gun­gen” ein­stel­len, wie die Mine­ral­öl-Spe­ku­lan­ten, die bei der Gele­gen­heit ganz außer­or­dent­li­che Gewin­ne erwirt­schaf­ten wer­den. – Das stützt übri­gens auch einen schlim­men Ver­dacht, dem bedin­gungs­lo­sen Grund­ein­kom­men gegenüber.

Im Prin­zip kann man nur für ein Grund­ge­halt sein, wenn es denn wirk­lich so kom­men wür­de, wie es im Traum erscheint: Eine Gesell­schaft, in der Men­schen ein­an­der durch Krea­ti­vi­tät beglücken, die sich end­lich dar­auf ver­stün­de, die vie­len schlum­mern­den Talen­te in vie­len von uns zu erwecken. Wäre das nicht wirk­lich lebens­wert und sogar lie­bens­wert? – Aber wie beim Tan­kra­batt wür­de schluß­end­lich nur eines die Fol­ge eines sol­chen Grund­ein­kom­mens sein: Die Mie­ten wür­den stei­gen, weil Ver­mie­ter nun ein­mal mit Miet­wohn­raum spe­ku­lie­ren, um mög­lichst hohe Gewin­ne zu erzielen.

Nein, die Welt ist über­haupt nicht ein­fach. Das Getue von Poli­ti­kern mit ihrem Hang zum Inter­ven­tio­nis­mus ist Buden­zau­ber. Des­we­gen hat man den Tan­kra­batt auch nicht an dem Groß­han­del gege­ben, dann wäre er an den Tank­stel­len ange­kom­men. Auf den Hype kam es an, auf die Show, what ever it costs.

Die Reli­gi­on soll die­ser Tage durch eine deter­mi­ni­sti­sche Wis­sen­schaft ersetzt wer­den, die päpst­li­cher sein soll als der Papst. – „Fol­low the Sci­ence?“, da fragt sich nur wohin. Im übri­gen, gibt es etwas Düm­me­res als die­sen Spruch?

Man kann eine Hür­de auch neh­men, indem man sie nicht etwa über­springt, son­dern „unter­bie­tet”, wie Trump, John­son, Erdo­gan, Putin, Jong-un oder auch wie die Tali­ban. Wenn man nur die Frau­en oder auch die Anders­den­ken­den aus vor­ge­scho­be­nen Glau­bens­grün­den mög­lichst radi­kal unter­drückt, dann wird alles wie­der gut. – Sor­ry, wel­cher Gott soll­te dar­an Gefal­len finden?

Um abzu­len­ken wer­den Pro­ble­me zur Not auch künst­lich erzeugt und dann „gelöst“. Im Hin­ter­grund ste­hen zumeist tie­fer lie­gen­de Res­sen­ti­ments gegen die Moder­ne, gegen jede Eman­zi­pa­ti­on und vor allem gegen Ver­nunft und Geist. Alles soll so blei­ben wie es ist, bes­ser noch, alles soll so wer­den, wie es ein­mal war, als alles angeb­lich noch gut war. – Aber auch das funk­tio­niert mit Sicher­heit nicht.

Der trei­ben­de Fak­tor im Pro­zeß der Zivi­li­sa­ti­on ist Indi­vi­dua­li­sie­rung. Alle suchen so gut sie kön­nen nach sich selbst, wol­len sich spü­ren und sehen las­sen kön­nen in ihrer Ein­zig­ar­tig­keit. Aber die Wenig­sten wis­sen von sich, wer sie eigent­lich sind oder sein wol­len, ganz unab­hän­gig vom Sol­len. – Was hilft?

Phi­lo­so­phie kann hel­fen, wenn es dar­um geht, mehr Boden unter die Füße zu bekom­men. Man kann nicht alles zugleich anzwei­feln und soll­te schon gar nicht den Ast absä­gen, auf dem man sitzt. Der Rei­he nach, also mit Metho­de geht das durch­aus. – Wich­tig und wesent­lich ist aber vor allem eines, daß gere­det wird. Es braucht Dia­lo­ge und Dis­kur­se vor allem über das, was pein­lich sein könn­te, über Äng­ste, Gefüh­le, Sehn­süch­te, Gelü­ste, Unsi­cher­hei­ten, Rol­len­kon­flik­te. Wenn immer mehr Men­schen ein­an­der authen­tisch begeg­nen, dann kön­nen Dia­lo­ge ent­ste­hen, die den Hori­zont wirk­lich erwei­tern. Dann könn­te es auch sein, daß man­che die­ser Bann­flü­che bre­chen, mit denen wir uns und unse­res­glei­chen immer­zu klein machen und klein halten.

Der­zeit ist jedoch allent­hal­ben ein Man­gel an Geist, an Beschei­den­heit und ein Man­gel an Gelas­sen­heit zu ver­zeich­nen. Man glaubt ernst­haft, über­all hin­ein­pfu­schen zu kön­nen, ohne wirk­lich eine Ahnung zu haben von dem, was da eigent­lich vor sich geht in den Systemen.

Wer hat denn die Endo­kri­no­lo­gie wirk­lich so auf dem Schirm, daß die Wir­kung künst­li­cher Hor­mon­ga­ben nicht nur so unge­fähr ver­stan­den wird, son­dern in ihrer gan­zen Wech­sel­wir­kung bis hin­auf zur See­le, zur Psy­che und bis hin zum Geist beur­tei­len zu kön­nen? – Es müß­te schon ein Uni­ver­sal­ge­nie sein, daß es so nicht mehr geben kann. Also braucht es den Streit der Fakul­tä­ten, aber kei­ne Ein­heits­par­tei, kei­ne Ein­heits­wis­sen­schaft und auch kei­nen Einheitsbrei.

In der Tat steht ein Kurs­wech­sel an, der Aus­stieg aus dem Car­bon-Zeit­al­ter und der Ein­stieg in die Welt der rege­ne­ra­ti­ven Ener­gie. – Poli­tik kann im Namen des Staa­tes die Rah­men­be­din­gun­gen schaf­fen oder auch ver­än­dern. Popu­lis­mus ist aber kontraproduktiv.

Ein schö­nes Bei­spiel für gelun­ge­ne Poli­tik ist das Patent­recht. Ein Erfin­der wird sei­ne Erfin­dung geheim hal­ten wol­len, weil er nichts davon hät­te, wenn ande­re ern­ten, was er gesät hat. – Genau das aber wäre nicht im Sin­ne von Wirt­schaft und Gesell­schaft. Deren Inter­es­se besteht viel­mehr dar­in, daß Paten­te öffent­lich gemacht wer­den. – Also ver­bürgt sich der Staat dafür, daß die Rech­te des Urhe­bers gewahrt blei­ben. Dafür muß aber die Erfin­dung öffent­lich gemacht wer­den, und der Erfin­der erhält dar­auf sein Patent, mit dem er am Markt mit den Ver­wer­tern auf­tre­ten und ver­han­deln kann. Es braucht also eigent­lich nicht viel, um ganz gewal­tig etwas zu ver­än­dern, so daß es auf den rich­ti­gen Kurs kommt.

In der chi­ne­si­schen Phi­lo­so­phie gibt es dazu ein Prin­zip, es ist das „Wu Wei“, was bedeu­tet „Nicht-Tun“. Damit ist aber kei­nes­wegs „Nichts­tun“ gemeint, viel­mehr geht es um eine Phi­lo­so­phie der Inter­ven­ti­on. Es kommt dar­auf an, mit gering­fü­gi­gen Ein­grif­fen die ent­schei­den­den Rei­ze zu set­zen, um einen Kurs­wech­sel in die gewünsch­te Rich­tung zu bewir­ken. Das macht gute Poli­tik zur Kunst.

Das macht gute Päd­ago­gik, gute Psy­cho­lo­gie, gute Phi­lo­so­phie aus. In den Dia­lo­gen sind Men­to­ren nur anwe­send und tun dabei, rein äußer­lich betrach­tet, nicht son­der­lich viel. Sie „mode­rie­ren” und sind wie die Kata­ly­sa­to­ren in der Che­mie oder in der Bio­lo­gie. – Wenn und solan­ge sie anwe­send sind, wird aber das Unmög­li­che möglich.

Reak­tio­nen, für die eigent­lich anspruchs­vol­le Rah­men­be­din­gun­gen erfor­der­lich sind, gehen ohne Pro­ble­me von­stat­ten, als wäre ein ganz beson­de­rer Zau­ber im Spiel. – Die Meme, also gute Ideen haben etwas von sol­cher Zau­ber­kraft. Wesent­lich ist, daß ein Geist auf­kommt, der die Musen zur Hil­fe rufen kann, so daß man sich vor Begei­ste­rung vor so vie­ler guter Ein­fäl­le kaum noch erweh­ren kann.

Dann gilt es, mit bewuß­ter Unter­küh­lung die ein­zel­nen Optio­nen zu prü­fen und womög­lich ins Kon­zept zu brin­gen. Das wäre gute Poli­tik, das ist aber bereits Kunst und viel­leicht auch Phi­lo­so­phie, wenn denn das Gute, Schö­ne und Wah­re wirk­lich zusam­men­ge­bracht wer­den könnten.

Wenn sich im Dia­log die erlö­sen­den Wor­te ein­stel­len, so daß wir end­lich sagen kön­nen, was schon längst soll­te gesagt und ver­stan­den wor­den sein, erst dann kom­men wir uns selbst und ein­an­der näher in einem Ver­ste­hen, das sei­ne Basis gefun­den hat. Das sind Momen­te des Glücks, für die es zu leben sich lohnt.

Die Wirk­lich­keit selbst wird immer viel­fäl­ti­ger, nur schwarz-weiß oder wenig­sten grau zu den­ken, sie Slo­ter­di­jk anregt, ist noch immer nicht far­big. Aber das wäre viel­leicht auch ein wenig zu viel des Guten. – Dage­gen ist aber auch der kau­sal­fe­ti­schi­sti­sche Ungeist kei­nes­wegs dazu ange­tan, wirk­lich auf gute Ideen zu kommen.

Johan König: Athe­ne und die Neun Musen an der Quel­le von Hip­okre­ne (1624).

Wie wäre es, wenn sich die Ver­nunft und die Musen zusam­men­tun? – Wenn ich dar­über spe­ku­lie­re, wie die Ver­nunft es wohl macht, wenn sie ein Modell des­sen erstel­len soll, wor­auf es ins­ge­samt ankommt, dann wird es doch wohl nicht im Sin­ne der MINT-Fächer sein, nicht im Sin­ne der viel­be­ru­fe­ne „Ratio­na­li­tät” oder „Wis­sen­schaft­lich­keit”, denn es gibt so vie­le davon wie Göt­ter im Pantheon.

Der Leit­stern kann nicht der allent­hal­ben bemüh­te Kau­sal-Feti­schis­mus sein, der in der Coro­na-Kri­se schon so viel gei­sti­ge Ver­wir­rung gestif­tet hat. Nein, die Ver­nunft opti­miert sich in Hin­sicht auf Schön­heit, als Ein­heit des Wah­ren, Schö­nen und Guten. – Die­ser Meta-Dis­kurs soll­te end­lich an die Stel­le der Papst­kir­che tre­ten, um die alten Göt­ter eben­so wie die Musen dazu zu bewe­gen, ihre uralten Kämp­fe, Tän­ze und Inspi­ra­tio­nen wie­der aufzunehmen.

Nähe und Enge

Wenn es eng wird ums Herz

„Wann Krieg beginnt, das kann man wis­sen, aber wann beginnt der Vor­krieg. Falls es da Regeln gäbe, müß­te man sie wei­ter­sa­gen.” (Chri­sta Wolf: Kas­san­dra. Vor­aus­set­zun­gen einer Erzäh­lung. Frank­fur­ter Poetik–Vorlesungen; Darm­stadt, Neu­wied 1983. S. 76f.)

Es gibt einen ethisch nicht zuläs­si­gen Tier­ver­such: Zwei Rat­ten wer­den in einen Käfig gesperrt, der eine ziem­lich klar defi­nier­te Grö­ße unter­schrei­tet. Dann gehen sich bei­de augen­blick­lich an die Gur­gel, bis nur noch eine übrig bleibt. 
Auf mehr­tä­gi­gen Ver­an­stal­tun­gen gibt es die­sen magi­schen 3. Tag. Auch da gehen sich Teil­neh­mer aus einem inne­ren Zwang her­aus an, weil irgend­ei­ne Geduld am Ende ist und man vom vie­len Weg­lä­cheln all­mäh­lich Gesichts­krämp­fe bekommt.—Es ist auch komisch, wenn gleich ganz vie­le wie auf ein gehei­mes Kom­man­do ziem­lich unver­mit­telt und auf­grund von Nich­tig­kei­ten plötz­lich auf­ein­an­der losgehen.
Wenn man als Refe­rent spä­ter dazu kommt und wis­sen möch­te, wie die Stim­mung so ist, kann man sehr gut Teil­neh­me­rin­nen befra­gen. Frau­en haben es wie selbst­ver­ständ­lich auf dem Schirm, wer mit wem, war­um nicht und wes­we­gen. —Ich bin da immer bass erstaunt, wie leicht frau Grup­pen­dy­na­mik dur­schau­en kann, weil ich dazu mit Bord­mit­teln ziem­lich lan­ge brau­che, bis ich es auch sehe.

Jérô­me-Mar­tin Lang­lois: Cas­san­dra fleht Miner­va an, sich an Ajax zu rächen (1810).

Es ist über­aus wich­tig, hin­ter die Kulis­sen zu schau­en. Das ist auch der Sinn von Höf­lich­keit, denn es gilt, ande­ren zuvor­kom­mend zu begeg­nen, so daß sie gar nicht erst Beklem­mun­gen bekom­men, son­dern sich wohl­füh­len, ver­stan­den, geach­tet, gewür­digt. —Das läßt sich sehr schön bei Knig­ge stu­die­ren, dem es mit­nich­ten um den Ein­satz des Fisch­mes­sers geht. 
Tat­säch­lich ist Gesell­schaft immer auch Thea­ter. Wir spie­len unse­re Rol­len und dabei uns selbst und ande­ren etwas vor. Aber was wäre die Alter­na­ti­ve? —Der Unter­ti­tel bei Knig­ge lau­tet, vom Umgang mit Men­schen. Dabei geht es um eine Diplo­ma­tie, die alles ande­re ist als Schmei­che­lei oder Mani­pu­la­ti­on. Aller­dings ist dazu ein wenig Lebens­art und Lebens­er­fah­rung erfor­der­lich und vor allem ein huma­ni­sti­scher Geist. 
Das Rol­len­spiel ist ja selbst wie­der ein Medi­um, eine Spra­che, mit der wir uns dar­stel­len. Das wird einem klar bei einer Emp­feh­lung, die Knig­ge gibt: Sei­ner­zeit war die Bewe­gungs­frei­heit nicht so wie heu­te. Nur Ade­li­ge und Hand­werks­ge­sel­len durf­ten und muß­ten rei­sen, um sich in der wei­ten Welt zu bewei­sen. In der Tat lernt man sich selbst am besten in der Frem­de ken­nen und vor allem dann, wie man mit dem Unbe­kann­ten umge­hen muß. 
Wenn man in der Stadt eine Kut­sche gemie­tet hat und die Kut­scher wie ver­rückt los­fah­ren, soll­te man sich kei­nes­wegs dar­über beschwe­ren. Es geht nur um eine Bela­stungs­pro­be. Wenn näm­lich die Räder schwach sind, dann soll­ten sie hier und jetzt bre­chen – aber nicht im Wald, wo bekannt­lich die Räu­ber sind. 
Die mei­sten Pro­ble­me ent­ste­hen durch nicht the­ma­ti­sier­tes Miß­ver­ste­hen. Es ist fal­sche Höf­lich­keit, irgend­ei­ne Form zu wah­ren, aber nicht auf das zu spre­chen zu kom­men, was wirk­lich von Bedeu­tung ist, um ein­an­der zu ver­ste­hen. —Das ist vor­aus­set­zungs­rei­cher als gedacht. Zunächst müß­te man erst ein­mal sich selbst ver­ste­hen und dann auch den Ande­ren. Dann braucht man eine gemein­sa­me Gesprächs­grund­la­ge, wie es schon im Jar­gon der Diplo­ma­ten heißt. Das alles ver­langt der Spra­che der­art viel ab, so daß vie­le lie­ber alles weg­lä­cheln und Meta–Toleranz–Gepflogenheiten vor sich her­tra­gen oder auch Par­tei­nah­men, je nach Tages­be­fehl, was 
noch mehr Pro­ble­me bereitet.
Die Welt ist in der Tat abhän­gig vom Wil­len und von der Vor­stel­lung, die man sich dar­über macht oder auch nur machen läßt. Das hat die Coro­na-Kri­se leid­lich unter Beweis gestellt. Die Gren­zen zwi­schen dem Öffent­li­chen und dem Pri­va­ten, zwi­schen Gesell­schaft und Gemein­schaft, wur­den stän­dig ver­letzt. Man hat sich in eine Stim­mung aus Panik, Furcht und Bedro­hung ver­set­zen und dau­er­haft hal­ten lassen.
Und jetzt erscheint es so, als wäre Coro­na nur eine Art Vor­krieg gewe­sen. Die Pola­ri­sie­rung der Gesell­schaft, der Kul­tur, man­cher Gemein­schaf­ten und das Gefühl, im Ande­ren eine infek­tiö­se Bedro­hung zu sehen und Nähe gene­rell fürch­ten zu müs­sen, sich auf nichts mehr ver­las­sen zu kön­nen, schon gar nicht auf das eige­ne Immun­sy­stem, das hat alles sehr viel mehr Scha­den ange­rich­tet, als man­che bereit wären, sich zuzugestehen.
Auch ist es kein Zufall, daß nun­mehr mit mög­lichst gro­ßer Öffent­lich­keit die­ses toxi­sche Männ­lich­keits­geh­abe wie­der fröh­li­che Urstän­de fei­ert. —Wie war es noch, als Deut­sche in den Krieg fuh­ren? Das taten sie ja nur, um dort mit ihrer neu­en, fran­zö­si­schen Gelieb­ten auf der Chaus­see de Ely­see fla­nie­ren zu gehen. Zurück kamen sie, wenn über­haupt, zutiefst traumatisiert.
Die Welt­krie­ge haben die­se Schat­ten­fi­gu­ren des pre­kä­ren Mas­ku­li­nis­mus erzeugt, einen manisch-depres­si­ven Män­ner­typ, der nicht spre­chen kann über die Scheuß­lich­kei­ten, die nicht wie­der ver­schwin­den wol­len. Also liegt er den gan­zen Tag auf der Couch, bekommt aber ein­mal am Tag sei­nen Anfall, die gan­ze Fami­lie zu vermöbeln.
Das gegen­wär­ti­ge, affen­haf­te Brust­klop­fen der Macho­ma­nie ist ja nur das, was im Vor­krieg demon­striert wird. Spä­ter wird sich die Gesell­schaft in gro­ßer Dank­bar­keit für die erbrach­ten Opfer von die­sen Hel­den nur noch ange­wi­dert abwen­den. Also was soll das?
Es ist kein Kunst­stück, gegen den Krieg zu sein, gegen jeden, weil das ein­fach für nichts gut ist. Außer­dem befand man sich schon immer in der bes­se­ren Gesell­schaft mit denen, die sich ein eige­nes Urteils­ver­mö­gen zutrau­en und auch zumu­ten moch­ten. —Zwi­schen der Zustim­mung zur Imp­fung und der Zustim­mung zum Krieg gibt es eine gespen­sti­sche Gemeinsamkeit.
I am not con­vin­ced. —Wo kommt nur das Bedürf­nis nach Haß her? Ist es nicht eine viel zu spä­te Reak­ti­on dar­auf, daß man sich wie­der ein­mal hat viel zu viel Duld­sam­keit abver­langt, zu viel Nähe zuge­mu­tet und zu wenig Ver­ste­hen auf­ge­bracht hat? War­um weh­ren sich so weni­ge gegen Über­grif­fe und lächeln sich weg? War­um kommt es dazu, daß man irgend­wann ein­fach platzt, wenn es bereits zu spät ist? Das ist fal­sche Höf­lich­keit, das ist Feig­heit, Unbe­darft­heit, Unselbst­stän­dig­keit, Unsi­cher­heit, Unmündigkeit.
War­um haben so vie­le die Gele­gen­heit zum Bas­hing nicht ver­strei­chen las­sen, um auch mal ganz kräf­tig aus­zu­tei­len? —Die Grün­de lie­gen woan­ders, in einem all­ge­mei­nen Unglück­lich­sein, das mit dem eigent­li­chen Anlaß kaum etwas zu tun hat. 
In einem Man­gel an Den­ken und Spra­che lie­gen die eigent­li­chen Grün­de. Daher lau­fen die Kon­flik­te völ­lig aus dem Ruder nach dem Mot­to: Und was ich Dir über­haupt immer schon mal sagen wollte…!—Machtworte sind Ver­laut­ba­run­gen einer Ohn­macht, aus Grün­den der Spra­che, des Den­kens und aus Man­gel an Geist.
Als Etho­lo­gen einem Volk ohne Fern­se­her vom Welt­krieg erzähl­ten, haben sich die­se zunächst köst­lich amü­siert. So etwas bräuch­ten sie auch mal. Offen­bar dach­ten sie an eine zünf­ti­ge Wirts­haus­schlä­ge­rei, die sie auch noch nicht kann­ten. —In einem Sci­ence Fic­tion las ich mal über eine frem­de Spe­zi­es, sie sei­en ursprüng­lich sehr krie­ge­risch gewe­sen, dann aber hät­ten sie sich selbst immer wei­ter pazi­fi­ziert. Aber von Zeit zu Zeit bräuch­ten sie noch eine Drang­wä­sche, ein bemer­kens­wer­tes Wort für das, was da gera­de vor sich geht.
Es ist vie­len zu eng gewor­den. Es wäre aber bes­ser, ein­an­der mehr Raum zu gewäh­ren. Raum gewäh­ren kann man auch durch mehr Ver­ständ­nis, etwa für die, die sich gera­de völ­lig ver­un­si­chert in den Geschäf­ten bewe­gen, daß jetzt kei­ne Mas­ken­pflicht mehr herrscht. Aber wo kom­men wir da jetzt hin, wenn jeder wie­der macht was er oder sie will! – Genau das ist das Pro­blem, die­ses unaus­ge­spro­che­ne Miß­trau­en, der ver­bor­ge­ne Selbst– und Menschenhaß.
Der Libe­ra­lis­mus steht einer rechts­ka­tho­li­sche Tie­fen­ge­sin­nung gegen­über und einer Rei­he von selbst­über­zeug­ten Bes­ser­wis­sern, die in sich das Poten­ti­al zum guten Dik­ta­tor ver­spü­ren. Nicht nur Krieg, son­dern auch Dik­ta­tur scheint wie­der machbar.
Aber der Libe­ra­lis­mus hat den Huma­nis­mus auf sei­ner Sei­te. Er kann sagen, war­um wir uns in unse­rer Frei­heit selbst fin­den und ent­wickeln müs­sen. Nur so wird aus Men­schen das, was sich aus ihrer Eman­zi­pa­ti­ons­ge­schich­te längst her­aus­le­sen läßt, Wesen indi­vi­du­el­ler Weis­heit, Selbst­ver­ant­wor­tung, Empa­thie, Authen­ti­zi­tät und einem immens gestie­ge­nen Verbalisierungsvermögen.
Erst wenn wir sagen kön­nen, was mit uns und der Welt nicht stimmt, wenn wir auch in der Bewegt­heit noch die Con­ten­an­ce bewah­ren kön­nen, um uns gleich­wohl nicht unter­but­tern zu las­sen, erst dann sind wir auf dem rich­ti­gen Weg.—Dabei ist die Bezeich­nung Homo sapi­ens bis­lang nur eine Anmaßung.
Die letz­te aller Kom­pe­ten­zen ist die schwer­ste von allen, das ist in jeder Ent­wick­lung so. Sich selbst mode­rie­ren zu kön­nen, freund­schaft­lich, ver­ständ­nis­voll und hoff­nungs­voll, das ist ein­zig das, was zählt. Der Staat hat über­haupt nicht das Recht, sich da ein­zu­mi­schen. Er hat nicht die Auf­ga­be, über die Gesell­schaft zu herr­schen, er hat ihr zu die­nen, um sie dar­in zu unter­stüt­zen, zu sich selbst zu kommen.—In Päd­ago­gik und Psy­cho­lo­gie ist das der sta­te of the art, alle Eltern wis­sen das.

EPG II b (online und Block)

Ober­se­mi­nar

EPG II b (Online)

Ethisch–Philosophisches Grundlagenstudium II

SS 2022 | Beginn: 30. Juni 2022 | Ende: 14. August 2022 | Online und Block
Ab 30. Juni 2022: 5 Semi­na­re online | don­ners­tags: 14:00–15:30 Uhr, sowie
3 Work­shops im Block: 12., 13., 14. August 2022 | 14–19 Uhr | Raum: 30.91–110

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Universe333: Yoga­Bey­ond Hon­za & Clau­di­ne Bon­di; Beach, Austra­lia 2013.—Quelle: Public Domain via Wiki­me­dia Commons.

Zwischen den Stühlen

Eine Rol­le zu über­neh­men bedeu­tet, sie nicht nur zu spie­len, son­dern zu sein. Wer den Leh­rer­be­ruf ergreift, steht gewis­ser­ma­ßen zwi­schen vie­len Stüh­len, einer­seits wer­den höch­ste Erwar­tun­gen gehegt, ande­rer­seits gefällt sich die Gesell­schaft in abfäl­li­gen Reden.—Das mag damit zusam­men­hän­gen, daß jede® von uns eine mehr oder min­der glück­li­che, gelun­ge­ne, viel­leicht aber eben auch trau­ma­ti­sie­ren­de Schul­erfah­rung hin­ter sich gebracht hat.

Es sind vie­le poten­ti­el­le Kon­flikt­fel­der, die auf­kom­men kön­nen im beruf­li­chen All­tag von Leh­rern. Daß es dabei Ermes­senspiel­räu­me, Hand­lungs­al­ter­na­ti­ven und vor allem auch Raum gibt, sich selbst und die eige­nen Idea­le mit ins Spiel zu brin­gen, soll in die­sem Semi­nar nicht nur the­ma­ti­siert, son­dern erfahr­bar gemacht werden.

Das Selbst­ver­ständ­nis und die Pro­fes­sio­na­li­tät sind gera­de bei Leh­rern ganz ent­schei­dend dafür, ob die vie­len unter­schied­li­chen und mit­un­ter para­do­xen Anfor­de­run­gen erfolg­reich gemei­stert wer­den: Es gilt, bei Schü­lern Inter­es­se zu wecken, aber deren Lei­stun­gen auch zu bewer­ten. Dabei spie­len immer wie­der psy­cho­lo­gi­sche, sozia­le und päd­ago­gi­sche Aspek­te mit hin­ein, etwa wenn man nur an Sexua­li­tät und Puber­tät denkt.—Mitunter ist es bes­ser, wenn mög­lich, lie­ber Projekt–Unterricht anzu­re­gen, wenn kaum mehr was geht.

Es gibt klas­si­sche Kon­flikt­li­ni­en, etwa Eltern–Lehrer–Gespräche, in denen nicht sel­ten die eige­nen, oft nicht eben guten Schul–Erfahrungen der Eltern mit hin­ein­spie­len. Aber auch inter­kul­tu­rel­le Kon­flik­te kön­nen auf­kom­men. Das alles macht neben­her auch Kom­pe­ten­zen in der Media­ti­on erforderlich.—Einerseits wird indi­vi­du­el­le För­de­rung, Enga­ge­ment, ja sogar Empa­thie erwar­tet, ande­rer­seits muß und soll gerecht bewer­tet wer­den. Das alles spielt sich ab vor dem Hin­ter­grund, daß dabei Lebens­chan­cen zuge­teilt werden.

Gera­de in letz­ter Zeit sind gestie­ge­ne Anfor­de­run­gen bei Inklu­si­on und Inte­gra­ti­on hin­zu­ge­kom­men. Auch Straf– und Dis­zi­pli­nar­maß­nah­men zäh­len zu den nicht eben ein­fa­chen Auf­ga­ben, die aller­dings wahr­ge­nom­men wer­den müssen.—Ein wei­te­rer, immer wie­der aku­ter und for­dern­der Bereich ist das Mob­bing, das sich gut ›durch­spie­len‹ läßt anhand von Inszenierungen.

Es gibt nicht das ein­zig rich­ti­ge pro­fes­sio­nel­le Ver­hal­ten, son­dern vie­le ver­schie­de­ne Beweg­grün­de, die sich erör­tern las­sen, was denn nun in einem kon­kre­ten Fall mög­lich, ange­mes­sen oder aber kon­tra­pro­duk­tiv sein könn­te. Päd­ago­gik kann viel aber nicht alles. Bei man­chen Pro­ble­men sind ande­re Dis­zi­pli­nen sehr viel erfah­re­ner und auch zuständig.—Unangebrachtes Enga­ge­ment kann selbst zum Pro­blem werden. 

Wich­tig ist ein pro­fes­sio­nel­les Selbst­ver­ständ­nis, wich­tig ist es, die eige­nen Gren­zen zu ken­nen, und mit­un­ter auch ein­fach mehr Lang­mut an den Tag zu legen. Zudem wer­den die Klas­sen immer hete­ro­ge­ner, so daß der klas­si­sche Unter­richt immer sel­te­ner wird.—Inklusion, Inte­gra­ti­on oder eben Mul­ti­kul­tu­ra­li­tät gehö­ren inzwi­schen zum All­tag, machen aber Schu­le, Unter­richt und Leh­rer­sein nicht eben einfacher.

Gesell­schaft, Poli­tik, Wirt­schaft und Öffent­lich­keit set­zen zwar hohe Erwar­tun­gen in Schu­le und Leh­rer, gefal­len sich aber zugleich dar­in, den gan­zen Berufs­tand immer wie­der in ein unvor­teil­haf­tes Licht zu rücken.—Unvergessen bleibt die Bemer­kung des ehe­ma­li­gen Kanz­lers Gehard Schrö­der, der ganz gene­rell die Leh­rer als fau­le Säcke bezeich­net hat.

„Ihr wißt doch ganz genau, was das für fau­le Säcke sind.“

Die­ses Bas­hing hat aller­dings Hin­ter­grün­de, die eben dar­in lie­gen dürf­ten, daß viel zu vie­le Schüler*innen ganz offen­bar kei­ne guten Schul­erfah­run­gen gemacht haben, wenn sie spä­ter als Eltern ihrer Kin­der wie­der die Schu­le aufsuchen.

Ausbildung oder Bildung?

Seit 2001 ist das Ethisch–Philosophische Grund­la­gen­stu­di­um (EPG) obli­ga­to­ri­scher Bestand­teil des Lehr­amts­stu­di­ums in Baden–Württemberg. Es besteht aus zwei Modu­len, EPG I und EPG II.—Ziel des EPG ist es, zukünf­ti­ge Leh­re­rIn­nen für wis­sen­schafts– und berufs­ethi­sche Fra­gen zu sen­si­bi­li­sie­ren und sie dazu zu befä­hi­gen, sol­che Fra­gen selb­stän­dig behan­deln zu kön­nen. The­ma­ti­siert wer­den die­se Fra­gen im Modul EPG II.

Um in allen die­sen Kon­flikt­fel­dern nicht nur zu bestehen, son­dern tat­säch­lich ange­mes­sen, pro­blem­be­wußt und mehr oder min­der geschickt zu agie­ren, braucht es zunächst ein­mal die Gewiß­heit, daß immer auch Ermes­sens– und Gestal­tungs­spiel­räu­me zur Ver­fü­gung ste­hen. Im Hin­ter­grund ste­hen Idea­le wie Bil­dung, Ent­fal­tung der Per­sön­lich­keit, die Erfah­rung erfül­len­der Arbeit und Erzie­hungs­zie­le, die einer huma­ni­sti­schen Päd­ago­gik ent­spre­chen, bei der es eigent­lich dar­auf ankä­me, die Schü­ler bes­ser gegen eine Gesell­schaft in Schutz zu neh­men, die immer for­dern­der auf­tritt. In die­sem Sin­ne steht auch nicht ein­fach nur Aus­bil­dung, son­dern eben Bil­dung auf dem Programm.

Auf ein– und das­sel­be Pro­blem läßt sich unter­schied­lich reagie­ren, je nach per­sön­li­cher Ein­schät­zung las­sen sich ver­schie­de­ne Lösungs­an­sät­ze ver­tre­ten. Es ist daher hilf­reich, mög­lichst vie­le ver­schie­de­ne Stel­lung­nah­men, Maß­nah­men und Ver­hal­tens­wei­sen syste­ma­tisch durch­zu­spie­len und zu erör­tern. Dann läßt sich bes­ser ein­schät­zen, wel­che davon den päd­ago­gi­schen Idea­len noch am ehe­sten gerecht werden.

So ent­steht all­mäh­lich das Bewußt­sein, nicht ein­fach nur agie­ren und reagie­ren zu müs­sen, son­dern bewußt gestal­ten zu kön­nen. Nichts ist hilf­rei­cher als die nöti­ge Zuver­sicht, in die­sen doch sehr anspruchs­vol­len Beruf nicht nur mit Selbst­ver­trau­en ein­zu­tre­ten, son­dern auch zuver­sicht­lich blei­ben zu kön­nen. Dabei ist es ganz beson­ders wich­tig, die Gren­zen der eige­nen Rol­le nicht nur zu sehen, son­dern auch zu wahren.

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Studienleistung

Eine regel­mä­ßi­ge und akti­ve Teil­nah­me am Dis­kurs ist wesent­lich für das Semi­nar­ge­sche­hen und daher obligatorisch.—Studienleistung: Grup­pen­ar­beit, Prä­sen­ta­ti­on und Hausarbeit.


EPG II a (online)

Ober­se­mi­nar

EPG II a

Ethisch–Philosophisches Grundlagenstudium II

SS 2022 | frei­tags | 14:00–15:30 Uhr | online 

Beginn: 22. April 2022 | Ende: 29. Juli 2022

Zum Kommentar als PDF

Universe333: Yoga­Bey­ond Hon­za & Clau­di­ne Bon­di; Beach, Austra­lia 2013.—Quelle: Public Domain via Wiki­me­dia Commons.

Zwischen den Stühlen

Eine Rol­le zu über­neh­men bedeu­tet, sie nicht nur zu spie­len, son­dern zu sein. Wer den Leh­rer­be­ruf ergreift, steht gewis­ser­ma­ßen zwi­schen vie­len Stüh­len, einer­seits wer­den höch­ste Erwar­tun­gen gehegt, ande­rer­seits gefällt sich die Gesell­schaft in abfäl­li­gen Reden.—Das mag damit zusam­men­hän­gen, daß jede® von uns eine mehr oder min­der glück­li­che, gelun­ge­ne, viel­leicht aber eben auch trau­ma­ti­sie­ren­de Schul­erfah­rung hin­ter sich gebracht hat.

Es sind vie­le poten­ti­el­le Kon­flikt­fel­der, die auf­kom­men kön­nen im beruf­li­chen All­tag von Leh­rern. Daß es dabei Ermes­senspiel­räu­me, Hand­lungs­al­ter­na­ti­ven und vor allem auch Raum gibt, sich selbst und die eige­nen Idea­le mit ins Spiel zu brin­gen, soll in die­sem Semi­nar nicht nur the­ma­ti­siert, son­dern erfahr­bar gemacht werden.

Das Selbst­ver­ständ­nis und die Pro­fes­sio­na­li­tät sind gera­de bei Leh­rern ganz ent­schei­dend dafür, ob die vie­len unter­schied­li­chen und mit­un­ter para­do­xen Anfor­de­run­gen erfolg­reich gemei­stert wer­den: Es gilt, bei Schü­lern Inter­es­se zu wecken, aber deren Lei­stun­gen auch zu bewer­ten. Dabei spie­len immer wie­der psy­cho­lo­gi­sche, sozia­le und päd­ago­gi­sche Aspek­te mit hin­ein, etwa wenn man nur an Sexua­li­tät und Puber­tät denkt.—Mitunter ist es bes­ser, wenn mög­lich, lie­ber Projekt–Unterricht anzu­re­gen, wenn kaum mehr was geht.

Es gibt klas­si­sche Kon­flikt­li­ni­en, etwa Eltern–Lehrer–Gespräche, in denen nicht sel­ten die eige­nen, oft nicht eben guten Schul–Erfahrungen der Eltern mit hin­ein­spie­len. Aber auch inter­kul­tu­rel­le Kon­flik­te kön­nen auf­kom­men. Das alles macht neben­her auch Kom­pe­ten­zen in der Media­ti­on erforderlich.—Einerseits wird indi­vi­du­el­le För­de­rung, Enga­ge­ment, ja sogar Empa­thie erwar­tet, ande­rer­seits muß und soll gerecht bewer­tet wer­den. Das alles spielt sich ab vor dem Hin­ter­grund, daß dabei Lebens­chan­cen zuge­teilt werden.

Gera­de in letz­ter Zeit sind gestie­ge­ne Anfor­de­run­gen bei Inklu­si­on und Inte­gra­ti­on hin­zu­ge­kom­men. Auch Straf– und Dis­zi­pli­nar­maß­nah­men zäh­len zu den nicht eben ein­fa­chen Auf­ga­ben, die aller­dings wahr­ge­nom­men wer­den müssen.—Ein wei­te­rer, immer wie­der aku­ter und for­dern­der Bereich ist das Mob­bing, das sich gut ›durch­spie­len‹ läßt anhand von Inszenierungen.

Es gibt nicht das ein­zig rich­ti­ge pro­fes­sio­nel­le Ver­hal­ten, son­dern vie­le ver­schie­de­ne Beweg­grün­de, die sich erör­tern las­sen, was denn nun in einem kon­kre­ten Fall mög­lich, ange­mes­sen oder aber kon­tra­pro­duk­tiv sein könn­te. Päd­ago­gik kann viel aber nicht alles. Bei man­chen Pro­ble­men sind ande­re Dis­zi­pli­nen sehr viel erfah­re­ner und auch zuständig.—Unangebrachtes Enga­ge­ment kann selbst zum Pro­blem werden. 

Wich­tig ist ein pro­fes­sio­nel­les Selbst­ver­ständ­nis, wich­tig ist es, die eige­nen Gren­zen zu ken­nen, und mit­un­ter auch ein­fach mehr Lang­mut an den Tag zu legen. Zudem wer­den die Klas­sen immer hete­ro­ge­ner, so daß der klas­si­sche Unter­richt immer sel­te­ner wird.—Inklusion, Inte­gra­ti­on oder eben Mul­ti­kul­tu­ra­li­tät gehö­ren inzwi­schen zum All­tag, machen aber Schu­le, Unter­richt und Leh­rer­sein nicht eben einfacher.

Gesell­schaft, Poli­tik, Wirt­schaft und Öffent­lich­keit set­zen zwar hohe Erwar­tun­gen in Schu­le und Leh­rer, gefal­len sich aber zugleich dar­in, den gan­zen Berufs­tand immer wie­der in ein unvor­teil­haf­tes Licht zu rücken.—Unvergessen bleibt die Bemer­kung des ehe­ma­li­gen Kanz­lers Gehard Schrö­der, der ganz gene­rell die Leh­rer als fau­le Säcke bezeich­net hat.

„Ihr wißt doch ganz genau, was das für fau­le Säcke sind.“

Die­ses Bas­hing hat aller­dings Hin­ter­grün­de, die eben dar­in lie­gen dürf­ten, daß viel zu vie­le Schüler*innen ganz offen­bar kei­ne guten Schul­erfah­run­gen gemacht haben, wenn sie spä­ter als Eltern ihrer Kin­der wie­der die Schu­le aufsuchen.

Ausbildung oder Bildung?

Seit 2001 ist das Ethisch–Philosophische Grund­la­gen­stu­di­um (EPG) obli­ga­to­ri­scher Bestand­teil des Lehr­amts­stu­di­ums in Baden–Württemberg. Es besteht aus zwei Modu­len, EPG I und EPG II.—Ziel des EPG ist es, zukünf­ti­ge Leh­re­rIn­nen für wis­sen­schafts– und berufs­ethi­sche Fra­gen zu sen­si­bi­li­sie­ren und sie dazu zu befä­hi­gen, sol­che Fra­gen selb­stän­dig behan­deln zu kön­nen. The­ma­ti­siert wer­den die­se Fra­gen im Modul EPG II.

Um in allen die­sen Kon­flikt­fel­dern nicht nur zu bestehen, son­dern tat­säch­lich ange­mes­sen, pro­blem­be­wußt und mehr oder min­der geschickt zu agie­ren, braucht es zunächst ein­mal die Gewiß­heit, daß immer auch Ermes­sens– und Gestal­tungs­spiel­räu­me zur Ver­fü­gung ste­hen. Im Hin­ter­grund ste­hen Idea­le wie Bil­dung, Ent­fal­tung der Per­sön­lich­keit, die Erfah­rung erfül­len­der Arbeit und Erzie­hungs­zie­le, die einer huma­ni­sti­schen Päd­ago­gik ent­spre­chen, bei der es eigent­lich dar­auf ankä­me, die Schü­ler bes­ser gegen eine Gesell­schaft in Schutz zu neh­men, die immer for­dern­der auf­tritt. In die­sem Sin­ne steht auch nicht ein­fach nur Aus­bil­dung, son­dern eben Bil­dung auf dem Programm.

Auf ein– und das­sel­be Pro­blem läßt sich unter­schied­lich reagie­ren, je nach per­sön­li­cher Ein­schät­zung las­sen sich ver­schie­de­ne Lösungs­an­sät­ze ver­tre­ten. Es ist daher hilf­reich, mög­lichst vie­le ver­schie­de­ne Stel­lung­nah­men, Maß­nah­men und Ver­hal­tens­wei­sen syste­ma­tisch durch­zu­spie­len und zu erör­tern. Dann läßt sich bes­ser ein­schät­zen, wel­che davon den päd­ago­gi­schen Idea­len noch am ehe­sten gerecht werden.

So ent­steht all­mäh­lich das Bewußt­sein, nicht ein­fach nur agie­ren und reagie­ren zu müs­sen, son­dern bewußt gestal­ten zu kön­nen. Nichts ist hilf­rei­cher als die nöti­ge Zuver­sicht, in die­sen doch sehr anspruchs­vol­len Beruf nicht nur mit Selbst­ver­trau­en ein­zu­tre­ten, son­dern auch zuver­sicht­lich blei­ben zu kön­nen. Dabei ist es ganz beson­ders wich­tig, die Gren­zen der eige­nen Rol­le nicht nur zu sehen, son­dern auch zu wahren.

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Studienleistung

Eine regel­mä­ßi­ge und akti­ve Teil­nah­me am Dis­kurs ist wesent­lich für das Semi­nar­ge­sche­hen und daher obligatorisch.—Studienleistung: Grup­pen­ar­beit, Prä­sen­ta­ti­on und Hausarbeit.


Schuld: Eine mächtige Kategorie

Johann Hein­rich Füss­li: Lady Mac­beth, schlaf­wan­delnd, (um 1783).—Quelle: Public Domain via Wikimedia.

Gewissensbisse, die zum Wahnsinn führen

Der Dich­ter und Maler Johann Hein­rich Füss­li war der­art fas­zi­niert von den Wer­ken des Wil­liam Shake­speare, so daß er sich schon in jun­gen Jah­ren an Über­set­zun­gen versuchte.—Als Maler schuf er einen gan­zen Bilder–Zyklus mit berühm­ten Sze­nen, in denen die phan­ta­sti­sche Stim­mung ein­ge­fan­gen ist.

So insze­nier­te er auch die dra­ma­ti­sche Sze­ne: Lady Mac­beth V,1 von Wil­liam Shake­speare. Die tra­gi­sche Hel­din wird von Alp­träu­men geplagt und fin­det ein­fach kei­ne Ruhe mehr. Sie träumt mit offe­nen Augen und beginnt zu schlafwandeln.—Und es scheint, als woll­te sie sämt­li­che Pla­ge­gei­ster ver­trei­ben, die Zeu­gen ihrer Unta­ten, von denen sie ver­folgt und um den Schlaf gebracht wird.

Die Sze­ne­rie führt das schlech­te Gewis­sen der Lady Mac­beth vor Augen.—Ihr Mann war zunächst dem König treu­er­ge­ben. Aber drei Hexen pro­phe­zei­en ihm, selbst zum König zu wer­den. Um dem ver­hei­ße­nen Schick­sal nun auf­zu­hel­fen, schrecken Mac­beth und sei­ne Lady selbst vor einem heim­tücki­schen Königs­mord nicht zurück.

Bei­de sind von blin­dem Ehr­geiz getrie­ben und ver­lie­ren im Ver­lauf der Ereig­nis­se auf­grund ihrer Ver­bre­chen zuerst ihre Mensch­lich­keit, dann ihr Glück und schließ­lich auch noch den Ver­stand, von ihrem See­len­heil ganz zu schweigen.—Dabei wirkt die Frau skru­pel­lo­ser als der Mann. Ähn­lich wie auch die Medea, setzt eine sehr viel ent­schie­de­ne­re Frau wirk­lich alles aufs Spiel, wäh­rend der Mann eher zag­haft erscheint. Dahin­ter dürf­te die Pro­ble­ma­tik ste­hen, daß Frau­en lan­ge Zeit nicht direkt auf­stei­gen konn­ten, nur über ihre Rol­le als Ehe­frau und Mutter.

Es kommt im fünf­ten Akt zu der im Bild von Füss­li dar­ge­stell­ten Sze­ne. Wäh­rend sich Mac­beth auf Burg Dun­si­na­ne mehr und mehr zum ver­bit­ter­ten, unglück­li­chen Tyran­nen wan­delt, wird Lady Mac­beth immer hef­ti­ger von Gewis­sens­bis­sen geplagt, denn die Schuld am Mord von King Dun­can ist ungesühnt.—Alpträume kom­men auf, sie beginnt im Schlaf zu wan­deln und die Phan­ta­sie nimmt Über­hand, bis sie schließ­lich den Ver­stand ver­liert und sich das Leben nimmt.

Das Gefühl, sich womög­lich gleich am gan­zen Kos­mos ver­sün­digt zu haben, durch eine Fre­vel­tat, dürf­te sehr früh auf­ge­kom­men sein. Es gibt vie­le Bei­spie­le dafür, daß durch ein Sakri­leg eine ›hei­li­ge Ord­nung‹ gestört wird, was nicht so blei­ben kann.—Beispiele sind Sisy­phos, ein Trick­ster, der nicht ster­ben will und den Tod immer wie­der hin­ters Licht führt, oder Ixi­on, der erst­mals einen Mord an einem Ver­wand­ten beging.

Es gibt eine Klas­se von Mythen, die sich als Urzeit­my­then klas­si­fi­zie­ren las­sen. Väter ver­schlin­gen ihre Kin­der, die Welt bleibt im Cha­os, sie gewinnt gar kei­ne Gestalt. Tita­nen herr­schen, wobei der Ein­druck ent­steht, als wären sie die Ver­kör­pe­rung jener Gei­ster, mit denen die Scha­ma­nen der Vor­zeit noch umge­hen konnten.—Die klas­si­schen Mythen sind inso­fern auch ein Spie­gel der Zivi­li­sa­ti­on, weil sie die angeb­lich bar­ba­ri­schen Zei­ten zuvor als abso­lut bru­tal in Sze­ne setzen.

Erynnien, Furien, Rachegötter und Plagegeister

Fran­cis­co de Goya: Saturn ver­schlingt sei­nen Sohn (1820f).—Quelle: Public Domain via Wikimedia.

Das sind auch Ammen­mär­chen der Zivi­li­sa­ti­on, die Rede ist dann von fin­ste­ren Zei­ten. Zugleich set­zen sich Mythen damit als Auf­klä­rung in Sze­ne, schließ­lich kün­den sie von der Über­win­dung die­ser Schreck­lich­kei­ten. Nicht nur der tech­ni­sche, zivi­li­sa­to­ri­sche Fort­schritt spielt bei alle­dem eine beträcht­li­che Rol­le, son­dern auch die Psychogenese.—Vermutlich kommt Indi­vi­dua­lis­mus erst all­mäh­lich auf, eben­so wie das Bedürf­nis, sich selbst zu beobachten.

Die klas­si­schen Mythen insze­nie­ren nicht nur das Sakri­leg, sie errich­ten zugleich auch die Tabus dage­gen, indem man die Ereig­nis­se in eine viel frü­he­re Urzeit abschiebt und zugleich demon­striert, wie ent­setz­lich die Fol­gen mög­li­cher Tabu­brü­che tat­säch­lich sind.

Wenn etwas Unge­heu­er­li­ches gesche­hen ist, dann tre­ten bald schon Unge­heu­er auf den Plan. Als wür­de die Welt selbst dar­um rin­gen, in den Zustand der ›vor­ma­li­gen Har­mo­nie‹ wie­der zurückzukehren.—Aber irgend­wie muß das Ver­ge­hen gesühnt wer­den. Es muß erst wie­der aus der Welt geschafft wer­den durch Buße, weil erst dann die ›hei­li­ge Ord­nung‹ wie­der her­ge­stellt wer­den kann.

Zugleich sind die Göt­ter selbst im Pro­zeß der Theo­ge­ne­se. Eine Göt­ter­dy­na­stie folgt auf die nächste.—Interessant sind die Reflek­tio­nen dar­über. So hat Kro­nos durch fort­ge­setz­te Kinds­tö­tung der Gaia vor­ent­hal­ten, was Müt­ter wol­len, die Kin­der auf­wach­sen sehen.

Der Mythos schil­dert in die­ser Vor­stu­fe einen Zustand, in dem nicht wirk­lich Ent­wick­lung statt­ha­ben konnte.—Erst in der Ära von Zeus wird die Welt auf die Mensch­heit zen­triert. Dann tre­ten die glück­li­chen Göt­ter Athens sogar frei­wil­lig zurück, um im Zuge des Prometheus–Projektes der Mensch­heit die Welt zu überlassen.

Die Entstehung des Gewissens

Fran­çois Chiff­lart: Das Gewis­sen. 1877, Mai­sons de Vic­tor Hugo, Paris.—Quelle: Public Domain via Wiki­me­dia.

Es ist ver­mut­lich der aus Ägyp­ten durch den Tem­pel­prie­ster Moses beim Aus­zug der Juden mit auf den Exodus genom­me­ne mono­the­isti­sche Gott, der bereits bei den Ägyp­tern mit einem all­se­hen­den Auge sym­bo­li­siert wur­de. Auch die Idee vom Jen­seits­ge­richt stammt aus Ägyp­ten, was zur bemer­kens­wer­ten Tra­di­ti­on der Ägyp­ti­schen Toten­bü­cher geführt hat, das Leben als Vor­be­rei­tung auf den Tod zu betrachten.

Mit der Bedro­hung durch das Jüng­ste Gericht des Lebens kommt eine Psy­cho­ge­ne­se in Gang, die eine syste­ma­ti­sche Selbst­be­ob­ach­tung erfor­der­lich macht.—Wenn ein all­ge­gen­wär­ti­ger und all­wis­sen­der Gott ohne­hin alles ›sieht‹, so daß man ihm nichts ver­ber­gen kann, dann scheint es ange­ra­ten zu sein, sich ein Gewis­sen zuzu­le­gen, um sich genau zu beob­ach­ten und ggf. zu kontrollieren.

Dem­entspre­chend ist Kain auf der Flucht vor dem ›all­se­hen­den Auge‹, weil er ›ver­ges­sen‹ hat, sich bei­zei­ten ein Gewis­sen zu ›machen‹.—Das ist aber nur eine, noch dazu weni­ger anspruchs­vol­le Deu­tung des ver­meint­li­chen Bru­der­mords. Aus Grün­den der Eth­no­lo­gie kön­nen Acker­bau­ern und Hir­ten kei­ne ›Brü­der‹ sein. Offen­bar hat sich der hier ver­ehr­te Gott, der das Opfer des Bau­ern ›ablehnt‹, noch nicht damit arran­giert, daß die Tier­op­fer sel­te­ner und die Opfer von Getrei­de und Früch­ten zuneh­men werden.

Kain auf der Flucht

Erst mit der Urba­ni­sie­rung erhält der Pro­zeß der Zivi­li­sa­ti­on sei­ne ent­schei­den­de Dyna­mik. Der alles ent­schei­den­de Impuls geht mit die­ser Got­tes­idee ein­her, mit der ganz all­mäh­lich auf­kom­men­den Vor­stel­lung eines Got­tes, der alles ›sieht‹.—Dementsprechend illu­striert Fer­nand Cor­mon die Flucht des Kain unmit­tel­bar nach der Tat. Das Werk ist durch Vic­tor Hugo inspi­riert und schil­dert die Sze­ne auf gro­tes­ke Weise.

Der Plot selbst ist zutiefst para­dox: Kain ist Bau­er. Er lebt von den Früch­ten der Erde, fürch­tet sich jedoch schreck­lich vor dem neu­en tran­szen­den­ten Gott, der im Him­mel über den Wol­ken schwebt und der alles ›sieht‹.—Er ver­liert im Opfer­wett­streit, erschlägt sei­nen Kon­tra­hen­ten, ist aber von die­sem mis­sio­na­ri­schen Hir­ten offen­bar längst bekehrt wor­den, denn er fürch­tet sich fort­an wie wahn­sin­nig vor die­sem Gott. Dar­auf beginnt er eine hals­bre­che­ri­sche Flucht, um sich dem all­se­hen­den, all­wis­sen­den, all­ge­gen­wär­ti­gen Auge die­ses Got­tes doch noch zu entziehen.

Fer­nand Cor­mon: Kain. 1880, Musèe d’Orsay, Paris.—Quelle: Public Domain via Wikimedia.


Psyche und Seele

Über Unterschiede, die wieder das Ganze in den Blick nehmen

Man glaubt, die Natur­wis­sen­schaf­ten an die Stel­le der Kir­che set­zen zu kön­nen und „alles” ist gut. Wis­sen­schaft kann aber Reli­gi­on gar nicht erset­zen. Außer­dem gehör­ten dann auch die Gei­stes­wis­sen­schaf­ten dazu.

Da man dann aber selbst den­ken und sich bil­den müß­te, bleibt man lie­ber auf der „siche­ren” Sei­te, bei „den” Fak­ten und ver­paßt letzt­lich alles, was Wert wäre, gelebt, emp­fun­den, gefei­ert, geliebt und sogar gehei­ligt zu werden. 

Die Natur­wis­sen­schaf­ten haben die Welt nur ent­zau­bert und eine lee­re Welt geschaf­fen, in der dann ein nihi­li­sti­scher Natu­ra­lis­mus die Leu­te erschreckt. Wich­tig wäre, daß Natur­wis­sen­schaft­ler nicht über Sachen reden, für die sie nicht zustän­dig sind. – Wie Juri Gaga­rin, der erste Kos­mo­naut, der getreu sei­ner Par­tei ver­laut­ba­ren ließ. Er wäre nach ein paar Erd­um­run­dun­gen nun schon ziem­lich weit im Kos­mos her­um­ge­kom­men, Gott habe er jedoch nicht gese­hen. – Hei­li­ge Einfalt!

Es gibt nicht nur Mate­rie, son­dern auch Geist, und wie man sieht, auch die Dis­zi­plin der Geist­lo­sig­keit. – Es gibt nicht nur natur­wis­sen­schaft­li­che Fak­ten, son­dern auch Nar­ra­ti­ve. Das ist übri­gens das, was in ande­ren Kul­tu­ren als der „Geist der Ahnen” bezeich­net wird. Es sind die Nar­ra­ti­ve, in denen die­ser „Geist” auf­be­wahrt wird, so daß man ihn jeder­zeit zu Rate zie­hen kann, in den alten Geschichten. 

Es gibt nicht nur Kör­per und Psy­che, son­dern auch Leib und See­le. Und dann gibt es auch noch den Geist. 

Vor allem der Unter­schied zwi­schen Psy­che und See­le hat es mir in letz­ter Zeit ange­tan. Um die Coro­na-Kri­se über­haupt noch ver­ste­hen zu kön­nen, habe ich gute alte Begrif­fe wie­der reak­ti­viert, so daß ich sie nun aktiv ver­wen­de. Es sind die Begrif­fe „Leib, See­le” und „Geist”.

Ich ver­mu­te näm­lich, daß die Psy­che wohl eher ein Teil unse­res Mas­ken­spiel ist. Sie ist also nicht so authen­tisch, wie wir glauben. 

Die Psy­che ist eher wie das „schlech­te Pferd” in Pla­tons See­len­wa­gen. – Wenn die­se Hypo­the­se stimmt, dann wäre die Psy­che ein Teil der „Mas­ke”, wie wir sie tra­gen, um uns selbst und ande­ren etwas vorzumachen. 

Wäh­rend die Psy­che viel Wert legt auf Äußer­lich­kei­ten, ob die Insze­nie­rung stimmt und den Vor­bil­dern aus maß­geb­li­chen Film­sze­nen „gerecht” wer­den kann. Legt die See­le, wenn man wie­der­um Pla­ton folgt, gro­ßen Wert auf das, was der Psy­che oft nur nach­ge­sagt wird, ech­te Gefüh­le, wirk­li­che Ver­bun­den­heit, wah­re Authen­ti­zi­tät, tie­fes Verstehen. 

Das ist alles nicht schlimm son­dern völ­lig in Ord­nung: Wir brau­chen alles, Mecha­nik, Mate­rie, Natur­wis­sen­schaf­ten, Fak­ten, Nar­ra­ti­ve, Psy­che, See­le und Geist. – Man soll­te nur eben immer auch wenig­stens ahnen, wor­auf es jeweils ankom­men könn­te, auf wel­cher Ebe­ne ein Phä­no­men ange­spro­chen wer­den muß. 

Wenn man in die­sen Ange­le­gen­hei­ten etwas bes­ser unter­schei­den möch­te, dann emp­feh­le ich Pla­ton. – Es ist berückend, wenn er im „Phai­dros” erklärt, was mit der See­le ist. 

Das wird ein­mal ver­an­schau­licht durch einen See­len­wa­gen, der von zwei Pfer­den gezo­gen und von einem Wagen­len­ker geführ­ten wird. Dabei wird die Bedeu­tung von Schön­heit und Lie­be für die See­le und deren Wie­der­ge­burt zur Dar­stel­lung gebracht.

Ein­mal in tau­send Jah­ren bre­chen die Göt­ter zum Tri­umph­zug über das Fir­ma­ment, über die Milch­stra­ße, auf, um bis an die Gren­zen die­ser Welt vor­zu­drin­gen, um im Jen­seits vom Jen­seits die Ideen zu schau­en. Mit dabei sind auch Men­schen, die aber Mühe und Not haben, gewis­se, schwie­ri­ge Him­mel­s­pas­sa­gen zu mei­stern, mit einem guten und einem schlech­ten Pferd. – Das ist der Plot.

Ich habe schon oft dar­über phi­lo­so­phiert, geschrie­ben und Vor­trä­ge gehal­ten, aber das Ori­gi­nal ist eben Pla­ton. – Es ist schön zu sehen, was er gese­hen hat.


„I’m not convinced.”

Die Vorwahl für das Land mit der Lizenz zum Lügen: 001

Am 5. Febru­ar 2003 warf US-Außen­mi­ni­ster Colin Powell dem Irak den Besitz von Mas­sen­ver­nich­tungs­waf­fen vor und begrün­de­te damit die US-Inter­ven­ti­on im Irak. Spä­ter ent­schul­dig­te sich Powell für die in der Rede ver­brei­te­ten Lügen.

Die „Bewei­se“ für die Exi­stenz von Mas­sen­ver­nich­tungs­waf­fen, die Powell an die­sem Tag vor­ge­legt hat­te und die als Begrün­dung für die spä­te­re Inter­ven­ti­on her­hal­ten muß­ten, bestan­den aus Mate­ri­al, daß vom ame­ri­ka­ni­schen Geheim­dienst mani­pu­liert wor­den war.

Powell sag­te: „Dies sind nicht Behaup­tun­gen. Wir geben ihnen Fak­ten und Schluss­fol­ge­run­gen auf der Basis soli­der geheim­dienst­li­cher Erkennt­nis­se.“ Zu den „Fak­ten und Schluss­fol­ge­run­gen“ gehört, dass der Irak wei­ter­hin über bio­lo­gi­sche und che­mi­sche Waf­fen ver­fügt. „Hier wird getäuscht, hier wird ver­steckt und verborgen.“

Durch Lug und Trug war ein Krieg begrün­det wor­den. Der demo­kra­ti­sche US-Sena­tor Hen­ry Wax­man unter­such­te ein Jahr nach Beginn des Irak­krie­ges alle Äuße­run­gen der Bush-Regie­rung und regi­strier­te bei 125 Auf­trit­ten 237 Irre­füh­run­gen. Aus­schmückun­gen, Unter­las­sun­gen, Ver­drän­gun­gen und Über­trei­bun­gen waren die Regel, nicht die Ausnahme. 

(Mal­te Leh­ming: Als mich ein Lüg­ner über­zeug­te. In: Der Tages­spie­gel. 14.06.2019.) 

„I’m not convinced.” (Joschka Fischer)

Auf der Münch­ner Sicher­heits­kon­fe­renz im Febru­ar 2003 kam es zu einem Wort­laut, der seit­her wie in Stein gemei­ßelt stets in Erin­ne­rung gehal­ten wer­den sollte. 

You have to make the case, 

and to make the case in a democracy 

you have to be con­vin­ced yourself, 

and excu­se me I am not convinced.

Um in einer Demo­kra­tie eine Ent­schei­dung zu tref­fen, müs­se man erst mal selbst davon über­zeugt sein. „Ent­schul­di­gung, aber ich bin nicht über­zeugt und ich kann mich nicht vor die Öffent­lich­keit stel­len und sagen, laßt uns in den Krieg zie­hen, wenn ich nicht dar­an glaube.“

Public Relations ist nur ein anderes Wort für Propaganda

Das erste Opfer des Krie­ges ist die Wahr­heit, heißt es. Nun, die Wahr­heit ist das zwei­te Opfer des Krie­ges, weil die Neu­tra­li­tät schon vor­her ver­lo­ren geht.“

(Caro­lin Emcke: Von den Krie­gen. Brie­fe an Freun­de. 1. Auf­la­ge. Fischer, Frank­furt am Main 2004. S. 287.) 

Es ist daher sehr zu emp­feh­len, genau dar­auf zu ach­ten, wel­che Medi­en bei Hetz­kam­pa­gnen mit­ma­chen. Die­se kön­nen nicht die Medi­en des Ver­trau­ens sein, weil sie selbst den Beweis gegen ihre Ver­trau­ens­wür­dig­keit antreten. 

Es kann ein­fach nicht mehr akzep­ta­bel sein, daß Lügen immer wie­der ver­ges­sen wer­den, ver­zie­hen auch?

„Wenn wir den Mecha­nis­mus und die Moti­ve des Grup­pen­den­kens ver­ste­hen, wird es mög­lich sein, die Mas­sen, ohne deren Wis­sen, nach unse­rem Wil­len zu kon­trol­lie­ren und zu steuern.“ 

(Edward Ber­nays, Mei­ster der Mani­pu­la­ti­on, Papst der Pro­pa­gan­da, Erfin­der der Public Relations)

Die Lizenz zur Lüge kann und darf kei­nem Land die­ser Welt zuge­stan­den werden.

Auf die Dis­kur­se kommt es an, auf die Wahr­heit, auf alle Wahrheiten. 

Alles, wirk­lich alles an Men­schen- und Lebens­er­fah­rung, alle erdenk­li­chen Nar­ra­ti­ve raten drin­gend davon ab, durch fort­ge­setz­tes Lügen am Ende jede Ver­trau­ens­wür­dig­keit zu verlieren.

Alle auf das Recht ande­rer Men­schen bezo­ge­ne Handlungen,
deren Maxi­me sich nicht mit der Publi­zi­tät verträgt,
sind unrecht.

(Imma­nu­el Kant: Zum ewi­gen Frie­den. Ein phi­lo­so­phi­scher Ent­wurf. In: Wer­ke, Bd. VI. S. 245.)

Nur ein Beispiel: Die Brutkastenlüge

Die beson­ders drei­ste Baby-Lüge für den Ersten Irak­krieg stammt von einer PR-Agentur:


Theodor Lessing und die Grenzen der Kritik

Pierre Mig­nard: Clio (1689). Die Muse der Geschichts­schrei­bunng mit Grif­fel, Buch und Trom­pe­te. Kei­ne der Musen dürf­te es schwie­ri­ger haben, denn was sie sieht, ist der­art him­mel­schrei­end, so daß man den Ein­druck bekommt, als woll­te sie bedau­ern, als hät­te sie ihren Blick zum Him­mel gerich­tet, weil sie um Ver­ge­bung bit­ten möchte.

Über den Dreiklang der Zivilisation: Zivilisierung, Kolonisierung, Vernichtung.

Von Ger­hard Haupt­mann wird berich­tet, er habe zeit­le­bens an Schlaf­lo­sig­keit gelit­ten und die Wän­de um sein Bett in sei­nem Haus auf Hid­den­see näch­tens mit Inschrif­ten ver­se­hen. Es ver­steht sich, daß nur eini­ge weni­ge die­ser nur zum Teil les­ba­ren Sen­ten­zen erhal­ten sind, eine davon lau­tet wie folgt:
Kri­tik wer­tet mei­stens nur nega­ti­ve Lei­stung, nicht positive.
(Inschrift lt. Foto­gra­phie, Ger­hart-Haupt­mann-Haus, Hid­den­see 2003.)
Es ist schon bezeich­nend, bei die­ser Bemer­kung, die kei­nes­wegs auf ihn gezielt war, doch unmit­tel­bar an Theo­dor Les­sing den­ken zu müs­sen, denn als einer der uner­bitt­lich­sten unter den zeit­ge­nös­si­schen Kri­ti­kern dürf­te Les­sing zwei­fels­frei gel­ten. Selbst wenn all­zu vie­le sei­ner Ankla­gen berech­tigt sind, selbst wenn ihm mit­un­ter zu Recht Visio­nä­res unter­stellt wird, sei­ne Angrif­fe sind äußerst ver­let­zend, so ver­let­zend, daß man sich in der Tat fra­gen muß, war­um eigentlich?
Der stets ange­spann­te Ton bei Les­sing könn­te aller­dings auch Aus­druck einer Hilf­lo­sig­keit sein, die sei­ner­zeit vie­le sei­ner Zeit­ge­nos­sen emp­fun­den haben dürf­ten, ein Unge­nü­gen am eige­nen Sprach- und Aus­drucks­ver­mö­gen ange­sichts des auf­kom­men­den Ungei­stes. Man moch­te noch so sehr am eige­nen Aus­drucks­ver­mö­gen arbei­ten, all­zu Vie­les schien bereits aus­ge­macht, als wäre ein jeder Arti­ku­la­ti­ons­ver­such zum Schei­tern ver­ur­teilt und müß­te sich noto­risch als nicht hin­rei­chend erwei­sen. Den Weni­gen unter den Zeit­ge­nos­sen, die sich nicht beir­ren lie­ßen, die kei­nes­falls und zu kei­nem Zeit­punkt mit ein­stim­men soll­ten, die neue Ton­la­ge zu tref­fen, dürf­te der­weil das eige­ne Schei­tern im Aus­druck um so hef­ti­ger bewußt gewor­den sein.
Was sich im Nach­hin­ein auch als Vor­zei­chen auf­kom­men­der Ver­zweif­lung deu­ten läßt, wird inmit­ten gewähl­ter Aus­drucks­wei­sen ganz beson­ders offen­kun­dig: So ver­wen­det Ernst Bloch zu jener Zeit durch­aus bewußt Moti­ve aus der Fäkal­spra­che, was er anson­sten nie tut. Gera­de die Wahl der Kraft­aus­drücke aber ist untrüg­li­cher Aus­druck einer Hilf­lo­sig­keit, die sich dar­in zeigt, daß die Gren­zen der Spra­che hin­läng­lich erreicht, wenn nicht bereits über­schrit­ten wur­den; schlim­mer noch, daß so etwas wie Sprach­ab­bau, Sprach­rück­gang, Ent­dif­fe­ren­zie­rung, Ver­lust von Wor­ten und Aus­drucks­mög­lich­kei­ten um sich grei­fen in jener Zeit: Zuerst wan­dern Wor­te aus, dann fol­gen Menschen.
Mit sei­ner Geschichts­phi­lo­so­phie kri­ti­siert Theo­dor Les­sing Geschichts­schrei­bung per se als Mythen–Bildung auf eine gleich­wohl sach­lich berech­tig­te wie dis­kur­siv äußerst pre­kä­re, weil kaum anschluß­fä­hi­ge Art und Wei­se. Das eigent­lich Pro­vo­zie­ren­de dabei ist der syste­ma­ti­sche Ver­zicht auf jed­we­de Ent­la­stung, unver­blümt soll Wahr­heit aus­ge­spro­chen wer­den, so das Selbst­ver­ständ­nis Les­sings, aber es sind Wahr­hei­ten, die nicht frei machen.
Bemer­kens­wert ist der noto­risch ein­ge­hal­te­ne Sicher­heits­ab­stand, den Zeit­ge­nos­sen stets ein­hal­ten, wenn von und über Theo­dor Les­sing die Rede ist. „Im Jahr 1919,” notiert Egon Frie­dell in sei­ner zwei­bän­di­gen Kul­tur­ge­schich­te der Neu­zeit, „erschien ein sehr merk­wür­di­ges Buch von Theo­dor Les­sing: ‚Geschich­te als Sinn­ge­bung des Sinn­lo­sen‘, ein luzi­fe­risch küh­ner Ver­such, ergrei­fend in sei­ner blei­chen Nacht­schön­heit und eis­kla­ren Logi­zi­tät, viel­leicht der erste, die Fra­ge, was denn eigent­lich Geschich­te sei, zu Ende zu den­ken; mit jener Schär­fe, aber auch Zwei­schnei­dig­keit voll­zo­gen, die sol­chem ehr­furchts­lo­sen, sich zum Selbst­zweck set­zen­den Begin­nen anhaf­tet, ..” (Egon Frie­dell: Kul­tur­ge­schich­te der Neu­zeit. 2. Bde, Nörd­lin­gen 1976. Bd. 2. S. 949.)
Dann ruft Egon Frie­dell in sei­ner Rol­le als Mode­ra­tor der Kul­tur­ge­schich­te sich selbst mit auf den Plan, „ein Werk, von dem das Wort jenes ande­ren Les­sing gilt: ‚groß und abscheu­lich‘, voll von gif­ti­gen Tief­ga­sen und nur in der Hand eines vor­sich­ti­gen Abschrei­bers, wie ich es bin, ohne ern­ste Gefah­ren.” (Ebd.)
Das Pro­blem mit Les­sing ist, daß man ihm nicht wird ver­wei­gern kön­nen, sich berech­tig­ter­wei­se zu echauf­fie­ren über vie­le aktu­el­le aber auch zeit­über­grei­fen­de Atti­tü­den sei­ner Zeit. Les­sing ist ein Abrech­ner, sein Stil ist der eines uner­bitt­li­chen Anklä­gers. Den­noch ver­steht er sich doch auch als Päd­ago­ge, so daß man fast erschreckt anfra­gen möch­te, was macht sei­ne Rede denn häu­fig so giftig?
Der­weil sagt er sei­ner Zeit, was nicht ein­mal die unse­re unum­wun­den bereit wäre, zu akzep­tie­ren. Die Theo­rie sei­ner Geschichts­phi­lo­so­phie ist ein aus­ge­mach­ter Kon­struk­ti­vis­mus, sein Kul­tur­re­la­ti­vis­mus und sei­ne Zivi­li­sa­ti­ons­kri­tik ist ein post­mo­der­ni­sti­scher Kon­struk­ti­vis­mus. Sinn in der Geschich­te, so lie­ße sich die Bot­schaft schließ­lich zusam­men­zie­hen, gibt es über­haupt kei­nen, außer dem, den wir ihr bei­geben. Die Leser­schaft wird mit der­ar­ti­gen Nega­tiv­aus­künf­ten durch­weg allein gelassen.
Kei­nes­wegs, so kon­sta­tiert Les­sing bereits in den Vor­be­mer­kun­gen, wer­de durch Geschich­te ein ver­bor­ge­ner Sinn, ein Kau­sal­zu­sam­men­hang oder eine Ent­wick­lung offen­bar, son­dern viel­mehr sei Geschichts­schrei­bung erst die Stif­tung die­ses Sinns. (Theo­dor Les­sing: Geschich­te als Sinn­ge­bung des Sinn­lo­sen. [Erst­ausg., Mün­chen 1919] Mün­chen 1983. Vgl. S. 15.) Sobald wir Wis­sen­schaft nicht mehr bloß beschrei­bend, son­dern erklä­rend betrach­te­ten, sei­en wir unwei­ger­lich auf Sinn­ge­bung ange­wie­sen. (Ebd. Vgl. S. 36.)
Daher wer­de sich die Geschichts­schrei­bung nie­mals in den Rang einer beschrei­ben­den Wis­sen­schaft erhe­ben, sie kön­ne nicht phä­no­me­no­lo­gisch arbei­ten, viel­mehr müs­se sie immer­zu Wirk­lich­keit für ande­re Wirk­lich­kei­ten unter­stel­len. (Ebd. vgl. S. 36f.) Es sei eine gro­ße Erdich­tung des Men­schen, so zu ver­fah­ren, als sei Kau­sa­li­tät das Nor­ma­le, als lie­ße sich Natur­kau­sa­li­tät über­tra­gen auf die Men­schen­ge­schich­te. (Ebd. vgl. S. 37f.) Moti­va­ti­on sei nicht die Hand­lung als sol­che, son­dern das Bild, wel­ches die Hand­lung ins Bewußt­sein wirft. (Ebd. vgl. S. 42.)
Dann setzt Les­sing mit sei­ner gleich­wohl nicht unbe­rech­tig­ten Sua­da ein, und es ist bemer­kens­wert, daß man sich des Ein­drucks nicht erweh­ren kann, hier läge womög­lich gar nicht der Text einer Geschichts­phi­lo­so­phie vor, viel­mehr die Rede eines Agi­ta­tors, viel­leicht in einem Büh­nen­stück, in einem poli­ti­schen Stück selbst­ver­ständ­lich. Es scheint, als müs­se man den Text akkla­mie­ren, viel­leicht sogar her­aus­brül­len, auf jeden Fall aber soll­te man ihn beim Vor­trag inszenieren:
„Wo denn eigent­lich lie­gen die Moti­ve der Geschich­te? Wer hat sie? Wer trägt sie empor? Ich mei­ne jene Moti­ve, von denen der Histo­ri­ker faselt, indem er etwa schreibt: ‚Der Han­dels­neid Eng­lands ver­schul­de­te den Krieg von 1914.‘ ‚In edlem Zor­ne erhob sich das gesam­te Deutsch­land.‘ ‚Der Ruf der Rache durch­zit­ter­te ganz Frank­reich.‘ ‚Ganz Ita­li­en war von Begei­ste­rung durch­glüht‘ usw.” (Ebd. S. 43.)
„Nun aber wird Geschich­te bekannt­lich von Über­le­ben­den geschrie­ben. Die Toten sind stumm. Und für den, der zuletzt übrig bleibt, ist eben alles, was vor ihm dage­we­sen ist, immer sinn­voll gewe­sen, inso­fern er es auf sei­ne Exi­stenz­form bezieht und bezie­hen muß, d.h. sich selbst und sein Sinn­sy­stem eben nur aus der gesam­ten Vor­ge­schich­te sei­ner Art begrei­fen kann. Immer schrei­ben Sie­ger die Geschich­te von Besieg­ten, Lebend­ge­blie­be­ne die von Toten.” (Ebd. S. 63.)
„Jedes Blatt Geschich­te, von der frü­he­sten Ahnen­zeit bis zur Gegen­wart, pre­digt immer und immer wie­der neu, daß histo­risch-poli­ti­sche Idea­le Umschrei­bun­gen für prak­ti­sche Absich­ten sind und nie etwas and­res sein kön­nen, wenn auch frei­lich jedes Volk das ande­re tot­zu­schla­gen oder zu begau­nern sucht in der hei­lig­sten und rein­sten Über­zeu­gung, die Kul­tur, den Welt­frie­den, die Sitt­lich­keit, das Recht und ich weiß nicht was alles zu ver­wirk­li­chen.” (S. 67.)
Der Anlaß zur for­cier­ten Phil­ip­pi­ka ist eine Beob­ach­tung, die sich in der Tat immer wie­der von Neu­em machen läßt, daß es ganz offen­bar in Geschichts­schrei­bung und Geschichts­be­wußt­sein nur ein ganz bestimm­tes maß­geb­li­ches Prin­zip zu geben scheint, wonach bemes­sen wird, ob und wie eine Hand­lung Ein­gang fin­det in die Anna­len der Geschich­te: Es ist ein­zig und allein ihr ‚Erfolg‘. In die­sem Sin­ne schrei­ben dann eben stets die Sie­ger die Geschich­te der Besieg­ten, die­se aber sind stumm.
Es scheint, als legi­ti­miert der ‚Erfolg‘ schluß­end­lich auch noch jed­we­de Per­fi­die und recht­fer­tigt post even­tum mit der Zeit auch vor der Geschich­te, denn all­mäh­lich ver­brei­tet sich all­ge­mein der Ein­druck, auch der ver­we­gen­ste und offen­kun­dig­ste Rechts­bruch sei schluß­end­lich doch legi­ti­miert, denn wer Erfolg hat, hat Recht und wird daher zumeist auch geläu­tert in die Anna­len der Geschich­te ein­ge­hen, – eine wahr­haft ernüch­tern­de Beob­ach­tung, die Theo­dor Les­sing hier zur Ankla­ge bringt.
In die­sem Sin­ne, so Les­sing, sei der histo­ri­sche Erfolg immer das Erste, der Wert­hal­tungs­aspekt aber das Zwei­te. Erfol­ge zie­hen dem­nach das Wirk­sam­wer­den dem­entspre­chen­der Wer­te erst nach sich, nicht umge­kehrt ver­bür­gen Wer­te den Erfolg. Les­sing, ohne­hin ein erklär­ter Geg­ner des Ent­wick­lungs­den­kens im Sin­ne von Dar­win und Spen­cer, kon­sta­tiert dem­zu­fol­ge, daß sich nicht das Wert­vol­le in der Geschich­te durch­setzt, son­dern daß sich eben als wert­voll durch­setzt, was sich durch­setzt, weil es sich durch­setzt. Zu Beginn sei­ner Unter­su­chun­gen kün­digt Les­sing an, was sich zei­gen werde:
„daß Ein­heit der Geschich­te nir­gend­wo besteht, wenn nicht in dem Akte der Ver­ein­heit­li­chung; – Wert der Geschich­te nir­gend­wo, wenn nicht im Akte der Wert­hal­tung. Sinn von Geschich­te ist allein jener Sinn, den ich mir selbst gebe, und geschicht­li­che Ent­wick­lung ist die Ent­wick­lung von Mir aus und zu Mir hin.” (Ebd. S. 19.) Kei­nes­wegs wer­de in der Geschich­te ein ver­bor­ge­ner Sinn, ein Kau­sal­zu­sam­men­hang, eine Ent­wick­lung offen­bar, son­dern Geschich­te sei Geschichts­schrei­bung, eben {\it Stif­tung die­ses Sin­nes, die Set­zung die­ses Kau­sal­zu­sam­men­hangs, die Erfin­dung die­ser Ent­wick­lung.” (Ebd. S. 15.)
Aller­dings: Nicht erst die Geschichts­dar­stel­lung, son­dern bereits die Bericht­erstat­tung hebt Ereig­nis­se her­vor, setzt sie in Rela­ti­on zu ande­ren Ereig­nis­sen und ver­schafft ihnen damit erst ihre Geschich­te, indem sie die Sto­ry zum Stoff lie­fert, die Geschich­ten hin­ter der Geschich­te. Die rei­nen Daten besa­gen fast gar nichts, es kommt dar­auf an, was man dar­aus macht. Inso­fern wird eine jede phi­lo­so­phi­sche Befas­sung mit Geschichts­schrei­bung die­ses not­wen­dig Zusätz­li­che betrach­ten, in sei­ner Not­wen­dig­keit und in sei­ner Zusätz­lich­keit zugleich.
Soll­te die Beob­ach­tung zutref­fen, die zuletzt in der Schlüs­sel­schrift von Theo­dor Les­sing über Geschich­te, Geschichts­schrei­bung und Sinn­ge­bung doch nur ange­deu­tet ist, so muß ein sol­cher Befund in der Tat ver­stö­ren. Ange­sichts des­sen, was Les­sing hier so vehe­ment vor Augen führt, scheint auch der letz­te ver­zwei­fel­te Aus­weg ver­schlos­sen, sich doch noch von die­sem Skan­da­lon zu distan­zie­ren, daß etwas Ent­schei­den­des an unse­rer Geschichts–Orientierung sehr wahr­schein­lich gene­rell nicht stimmt. Zugleich dürf­te es aller­dings eben­so schwer fal­len, Bewei­se für die­se Theo­rie anzu­tre­ten, denn Geschich­te ist immer schon geschrie­ben. Die Fra­ge, wie anders sie denn hät­te geschrie­ben wor­den sein müs­sen, lie­ße sich dage­gen kaum the­ma­ti­sie­ren. – Man wird aller­dings man­ches von dem, was Les­sing noch hat­te for­dern müs­sen, der heu­ti­gen Geschichts­schrei­bung inzwi­schen zugu­te hal­ten, wie etwa die Sozi­al­ge­schich­te oder auch die ‚Geschich­te von unten‘.


Wenn Worte sich enthalten

Erlösung gibt es nur durch Sprache, aber was, wenn die Worte fehlen?

Wenn Wor­te feh­len, suchen wir stam­melnd nach Bei­spie­len: Es ist wie…, es ist wie…, es ist wie… – Ja wie denn? 

Wenn etwas gesagt wer­den soll, aber eigent­lich gar nicht klar ist, was denn jetzt und vor allem wie, dann ste­hen die, die sich jetzt mal äußern sol­len wie Leh­rer vor einer Klas­se von Schü­lern, die den Teu­fel tun wer­den, sich jetzt zu melden. 

Kei­nes der bekann­ten Wor­te wird sich bereit erklä­ren für ein sol­ches Him­mel­fahrts­kom­man­do, dar­stel­len zu sol­len, wie es denn so ist, ein Impf­geg­ner zu sein und gegen den Strom zu schwin­gen. Ein Stu­dent sag­te mal im Semi­nar, da müs­se man auf­pas­sen, nicht blaue Augen zu bekom­men, wenn man gegen den Strom schwimmt. Auf Nach­fra­ge erklär­te er dann das köst­li­che Bild, die blau­en Augen ent­stün­den durch Zusam­men­stö­ße mit ent­ge­gen­kom­men­den Fischen. 

Gust­ave Doré: Die baby­lo­ni­sche Sprach­ver­wir­rung (1865ff.).

Im Coro­na-Dis­kurs ist Ver­ste­hen aus vie­ler­lei Grün­den ganz beson­ders schwie­rig, weil im Hin­ter­grund tie­fe reli­giö­se Trau­ma­ta das Orche­ster der Gefüh­le diri­gie­ren und tag­täg­lich neue Äng­ste geschürt wer­den. Die mei­sten „Recht­gläu­bi­gen” bemer­ken nicht ein­mal, daß sie sich ange­paßt haben und tun­lichst nur ange­paß­te Wor­te ver­wen­den aber gar nicht die eige­nen. Vie­le beten nur nach und kom­men dann auch sehr schnell ins Stam­meln, wenn sie ihrer­seits begrün­den sol­len, was sie war­um für rich­tig halten. 

Tat­säch­lich ist es unge­heu­er schwer, etwas zu ver­ste­hen, in dem man sich gera­de befin­det. Man kann in einer Höh­le nicht erklä­ren, daß man sich in einer Höh­le befin­det, ohne daß die, denen man das gern mit­tei­len möch­te, schon mal davon gehört haben, daß es auch ein Außer­halb gibt. Das ist die berühm­te Alle­go­rie in Pla­tons Höh­len­gleich­nis mit dem sich Pla­ton an den Athe­nern bis in aller Ewig­keit revan­chiert, daß sie sei­nen gelieb­ten Leh­rer zum Tode ver­ur­teilt haben, weil er den Main­stream gestört hat beim Nichtdenken. 

Die Spra­che ist das Haus des Seins, sagt Heid­eg­ger und in der Tat ist die­se der „Wein­berg”, von dem die Chri­sten so gern reden. Die Erwei­te­rung des Aus­drucks­ver­mö­gens ist alles entscheidend. 

Das ist ja gera­de das Schlim­me an einem Trau­ma, es lastet auf der See­le, ohne daß man sich davon erleich­tern könn­te. Das wür­de nur gehen, wenn man es mit-tei­len wür­de. Aber dazu sind Wor­te nötig, die sich frei­wil­lig mel­den und sagen: Ich ver­su­che das jetzt mal. Aber die mei­sten die­ser muti­gen Wor­te kom­men dabei um. Mutig sein allein genügt näm­lich nicht.

Außer­dem ist da noch die Gram­ma­tik, und die ist weit mehr, als nur das, was man im Deutsch­un­ter­richt zu hören bekommt. In der Phi­lo­so­phie gibt es „Onto­lo­gien”, das sind „Seins­leh­ren”, die zu ande­ren Zei­ten ernst­haft ver­tre­ten und auch geglaubt wur­den, wo dann eben so Neben­säch­lich­kei­ten drin ste­hen, wie etwa die „Natur des Men­schen, des Man­nes oder auch der Frau”. 

Man soll­te nicht zu hart mit ande­ren Epo­chen ins Gericht gehen, denn die­se hat­ten auch ihre Pro­blem, nur ande­re als wir. – Man hat das eben geglaubt, daß es so etwas wie eine fixier­te Natur gibt und das war wohl auch gut so, weil einem die Welt ohne­hin bereits über den Kopf gewach­sen war. 

Nun nimmt im Zuge der Kul­tur­ge­schich­te das sprach­li­che Dif­fe­ren­zie­rungs­ver­mö­gen immer wei­ter zu. Daher braucht es stän­dig neue, bes­se­re, tie­fe­re Wor­te, aber auch die Gram­ma­tik muß sich öff­nen für die neu­en Fäl­le des Lebens. Sie darf und soll neu­en Lebens- und Emp­fin­dungs­for­men nicht ihre Exi­stenz­be­rech­ti­gung aberken­nen, indem sie gar nicht zuläßt, das so etwas über­haupt gesagt wer­den kann. – Wenn die Wor­te falsch sind, füh­ren sie in die Irre, wenn die Gram­ma­tik nicht mit­spielt, dann bleibt nur Stam­meln, das kei­ner versteht. 

Daher müs­sen wir mit dem, was wir zu sagen hät­ten, aber noch gar nicht wirk­lich mit-tei­len kön­nen, ziem­lich lan­ge hadern. Wir müs­sen mit der Schul­klas­se unse­rer Wor­te vie­le Dis­kus­sio­nen füh­ren, bis eini­ge sagen, ich ken­ne da wen, der das kann, den hole ich mal. – Wir brau­chen die Musen dazu, denn erst sie schen­ken uns die nöti­gen Inspi­ra­tio­nen, etwas Unsäg­li­ches doch zur Spra­che zu bringen. 

Einer der Ankla­ge­punk­te im Pro­zeß gegen Sokra­tes, neben dem ehren­wer­ten Vor­wurf, er wür­de die Jugend (zum Den­ken) ver­füh­ren, bestand dar­in, er wür­de „frem­de Göt­ter” ein­füh­ren. Man soll­te hier nicht auf der Über­hol­spur den­ken, son­dern das Gan­ze erst ein­mal auf sich, wie auf ein Kind wir­ken las­sen. Was kann das bedeu­ten, frem­de Göt­ter nicht ein­füh­ren zu dür­fen? – Das ist das Schö­ne am Den­ken, sich selbst dabei zuse­hen zu kön­nen, wie man „dahin­ter­kommt”. 

Also, die Grie­chen hat­ten den Poly­the­is­mus und das muß man wie­der­um auch betrach­ten als ziem­lich kost­spie­li­ge Ange­le­gen­heit. Man kennt das noch in der Debat­te über die Fei­er­ta­ge, wo doch damals die evan­ge­li­sche Kir­che einen Fei­er­tag abge­tre­ten hat, nur um der armen Wirt­schaft zu hel­fen. Ja, an Fei­er­ta­gen wird in vie­len Sek­to­ren nicht gear­bei­tet, son­dern gezahlt, vor allem von denen, die sonst immer kassieren. 

Sokra­tes sprach von sei­nem „Dai­mo­ni­on”, einer Art Geist, eine inne­re Stim­me, die er hört. Sie wür­de ihm nie etwas anra­ten zu tun, son­dern sich nur mel­den, sobald er etwas Ungu­tes zu tun beab­sich­ti­gen wür­de. – Wenn ich damals vom Athe­ner Gericht mit einem Gut­ach­ten betraut wor­den wäre, hät­te ich dar­zu­stel­len ver­sucht, daß es sich bei die­ser Instanz nicht um einen neu­en, frem­den Gott han­deln wür­de, der uner­laub­ter­wei­se ein­ge­führt wor­den sei, son­dern um eine Aus­dif­fe­ren­zie­rung in der Psy­che und in der See­le des Sokra­tes, die weg­wei­send wer­den soll­te, die sich hier nur aus­nahms­wei­se schon ein­mal mel­den würde. 

Ich stel­le mir also vor, daß es so etwas wie eine Ein­fuhr­be­hör­de für Göt­ter gege­ben haben muß. Wenn da also mit einer neu­en Unter­wer­fung auch die neu unter­wor­fe­nen Göt­ter ein­ge­führt wer­den müs­sen, dann wird man sich gefragt haben, also, haben wir die nicht schon, wer unse­re Göt­ter könn­te das machen? So hat Zeus an die hun­der­te zusätz­li­cher Namen, das sind alles Göt­ter aus ein­ver­leib­ten Häupt­lings­tü­mern oder König­rei­chen mit ihren höchst spe­zi­fi­schen Zuständigkeiten. 

Es ist uner­läß­lich, den Göt­tern und zwar allen das Ihri­ge zu geben, wo nicht, droht Ärger. Etwa als, kurz bevor die Athe­ner in den Krieg zogen, irgend­wel­che Jugend­li­chen an den Her­mes­stau­et­ten, die an den Stra­ßen zu Hun­der­ten stan­den, mal so eben die eri­gier­ten Penis­se abge­schla­gen haben. 

So ist etwa die Aphro­di­te mit rotem Haar, weil sie eben aus Zypern kommt, wo auch das Kup­fer her­stammt. Wenn man also die Aphro­di­te unge­bühr­lich behan­deln wür­de, ver­dirbt man es sich nicht nur mit der Schön­heit, son­dern auch mit den Frau­en, mit der Rol­le der Frau als sol­cher und dann auch noch mit den Zyprio­ten. – Daher muß allen Ern­stes eine Kom­mis­si­on dar­über ent­schei­den, was man denn mit einem kon­kre­ten Gott, der da neu auf­ge­tre­ten ist, anstel­len soll. Und man hat die neue Kom­pe­tenz des Sokra­tes ein­fach völ­lig falsch gedeu­tet und gar nicht verstanden. 

Wenn die Wor­te sich drücken, wenn die Gram­ma­tik die Arme ver­schränkt und bei so etwas nicht mit­ma­chen will, dann gibt die Spra­che mit Bedau­ern zu ver­ste­hen, daß sie da jetzt auch nicht wei­ter­hel­fen könn­te. Dann hat man ein Pro­blem mit sich und den Ande­ren. Man ver­steht sich selbst nicht wirk­lich, weil die Wor­te feh­len, man wird nicht ver­stan­den, weil die Gram­ma­tik streikt für sol­che Fäl­le und zugleich spu­ken da noch tie­fe reli­giö­se Trau­ma­ta, von denen die mei­sten nicht ein­mal etwas ahnen. 

Und dann wird zu Ver­glei­chen gegrif­fen, die ein­fach schräg rüber­kom­men müs­sen. Histo­ri­sche Ver­glei­che sind immer pro­ble­ma­tisch, weil es ja kon­kre­te Ver­hält­nis­se, Ereig­nis­se und Fol­gen sind, die sich so, auf die­sel­be Art und Wei­se, ganz gewiß nicht wie­der­ho­len. Ande­rer­seits sind wir dar­auf ange­wie­sen, mit Ana­lo­gien zu arbei­ten, wenn kein Wort sich traut, über­haupt Stel­lung zu nehmen. 

Wir soll­ten das, was die Spra­che ist und was sie aus­macht, was sie kann, wo sie ihre Gren­zen hat und was wir tun kön­nen, uns mehr Aus­druck zu ver­schaf­fen, end­lich anders sehen. Die­ses nach­rich­ten­tech­ni­sche Modell von Sen­der, Emp­fän­ger und Bot­schaft ist grot­ten­schlecht und abso­lut unangemessen. 

Es ist viel­mehr so, daß wir mit­ein­an­der im Dia­log koope­rie­ren müs­sen, wenn wir etwas vor­stell­bar machen wol­len, um dann erst das Urteil eines Freun­des oder einer Freun­din zu erbit­ten. Ande­re kön­nen uns erst dann wirk­lich etwas anra­ten, wenn sie uns ver-ste­hen, das heißt, wenn sie aus unse­rer Posi­ti­on her­aus ihre Stel­lung­nah­me abge­ben. – Zu hoch? Da kann ich dann auch nicht mehr helfen. 

Man ach­te bit­te ein­mal dar­auf, wie vie­le „Regie­an­wei­sun­gen” da ein­an­der gege­ben wer­den: „Nein, so ist das nicht. Du mußt Dir das anders vor­stel­len, etwa wie, wenn…” – Ver­ste­hen ist Arbeit, auch wenn das unter Freun­den nicht so gese­hen wird. Den­ken ist ähn­lich, es ist ein Dia­log der See­le mit sich selbst.

Und die­ses Boh­ren ganz dicker Bret­ter, wie Max Weber die Poli­tik cha­rak­te­ri­siert, um Gesin­nungs­tä­ter, Tugend­wäch­ter und Hitz­köp­fe von irgend­ei­ne Pro­pa­gan­da durch die Tat abzu­brin­gen, ist genau das. Poli­tik ist, wenn sie wirk­lich etwas lei­stet, der Ver­such, neue Zugän­ge zu fin­den, durch Spra­che, Ver­ste­hen und neue Gemeinsamkeiten. 

Das macht dann in der Tat den Jar­gon der Diplo­ma­tie so inter­es­sant. Was macht man, wenn man nicht ein­mal „Bezie­hun­gen” zuein­an­der hat? Man besucht sich, spricht mit­ein­an­der, sucht nach „Gemein­sam­kei­ten”, bis man dann eine „gemein­sa­me Gesprächs­grund­la­ge” fin­det, auf der wei­te­re „Kon­sul­ta­tio­nen” statt­fin­den kön­nen. Und das wäre nur der aller­an­fäng­lich­ste Anfang.

Impf­gläu­bi­ge wol­len immer gleich mit den Bei­tritts­ver­hand­lun­gen begin­nen. Sie spre­chen den Ungläu­bi­gen ein­fach ab, daß es so etwas wie sie über­haupt geben kön­ne. – Es ist aber naiv zu erwar­ten, daß es in der Coro­na-Kri­se nur einen ein­zig rich­ti­gen Glau­ben gibt. 

Coro­na ist nur so stark, weil vie­le unse­rer Syste­me erstaun­lich schwach sind. Es ist gut zu wis­sen, dann wird man in Zukunft weit weni­ger ver­trau­en, son­dern sehr viel mehr kri­tisch sein und blei­ben müs­sen. – Aber auch das muß erst ein­mal zur Spra­che gebracht wer­den, mit den rich­ti­gen Wor­ten und einer Gram­ma­tik, die neu­en Gedan­ken auf­ge­schlos­se­ner ist als die Angst­rhe­to­rik unse­rer Tage. 

Es bleibt nur, mit dem Kopf immer wie­der gegen die Gren­zen der Spra­che anzu­ren­nen und der­weil die Musen dar­um zu bit­ten, das Gespür für die rich­ti­gen Meta­phern zu schenken. 


Mangel an Denken, Geist und Kultur

Über Traumata, die aus ganz anderen Zeiten stammen

„Weil Harald Schmidt sei­nen Impf­sta­tus offen­lässt, wird gemut­maßt, daß er ein Corona–Leugner sei.”, kon­sta­tiert RND, das Redak­ti­ons­netz­werk Deutsch­land, geflis­sent­lich dar­um bemüht, blitz­ge­scheit zu wirken. 
Geht es noch? So ein­fach ist also inzwi­schen die Main­stream-Logik geworden.—Ist er getauft und ein „Kind Got­tes” oder ver­wei­gert er den Glau­ben an die Leh­re der hei­li­gen Mut­ter Kir­che, daß nur die „Tau­fe” gegen die Ver­su­chun­gen des Teu­fels Coro­na immun macht?

Die­se ver­schwur­bel­te Logik geht zurück auf ein uraltes reli­giö­ses Trau­ma, das über Gene­ra­tio­nen geschlum­mert hat im Unbe­wuß­ten derer, die wenig oder gar nicht über die Tie­fen der eige­nen See­le nachdenken.—Die Kir­che hat über Jahr­hun­der­te die Men­schen ein­ge­schüch­tert und in psy­cho­ti­sche Angst­zu­stän­de ver­setzt, so daß vie­le wirk­lich krank dar­an wur­den, gegen Gott gesün­digt zu haben.

Hie­ro­ny­mus Bosch: Der Gar­ten der Lüste, Aus­schnitt (1480ff).

Eine beson­de­re Rol­le dabei spiel­ten hoch­trau­ma­ti­sier­te Müt­ter, wie die von Augu­sti­nus, Albrecht Dürer, Imma­nu­el Kant oder auch Max Weber und vie­le ande­re Gei­stes­grö­ßen mehr, von denen unbe­kann­ten Namens mal zu schwei­gen, obwohl doch die­se sich gera­de man­gels Intel­lekt noch am wenig­sten zur Wehr set­zen konnten.

Die Fol­gen sind Depres­sio­nen, Schuld­ge­füh­le, Melan­cho­lie und das Gefühl, nicht wür­dig zu sein, über­haupt nicht würdig. 

Eine Poli­tik der Angst muß nicht unbe­dingt mit äußer­li­cher, also mili­tä­ri­scher, poli­zei­li­cher, psych­ia­tri­scher, sozi­al­ar­bei­te­ri­scher oder päd­ago­gi­scher Miß­hand­lung einhergehen. 
Es genügt auch eine Bedro­hung von See­le und Leib durch ele­men­ta­re Äng­ste, um Men­schen gefü­gig zu machen und in Läm­mer zu ver­wan­deln, die sich von den selbst­er­nann­ten Hir­ten bewa­chen und füh­ren las­sen. Die christ­li­che Mis­sio­nie­rung der Kel­ten war auch erst erfolg­reich, als man ihnen die Übel der Höl­le vor Augen führte. 
Ähn­lich ver­hielt es sich auch mit den unethi­schen Fern­seh-Bil­dern aus Ber­ga­mo. Über Nacht war ein Groß­teil des Main­streams „über­zeugt”. Dabei waren sie nur ein­ge­schüch­tert und total ver­äng­stigt, weil da uralte Äng­ste her­auf­be­schwo­ren wurden. 
Dabei wis­sen wir doch eigent­lich inzwi­schen, daß einer ein Mensch sein kann, sogar ein guter Mensch, der nicht getauft ist. Und, die Erkennt­nis des Tages: Es ist sogar auch mög­lich, die „Exi­stenz” von Coro­na NICHT in Zwei­fel zu zie­hen und den­noch kein Ver­trau­en zu haben, in die Impf­pro­phe­ten die­ser Tage. – Die Impf­gläu­bi­gen bege­hen einen Feh­ler, wenn sie nicht den „gan­zen Men­schen” sehen, der eben mehr ist als die Sum­me sei­ner Orga­ne im bio­lo­gi­schen Sinne.

Eines der Moti­ve, sich nicht imp­fen zu las­sen, liegt auch dar­in, einen indi­vi­du­el­len see­lisch-leib­li­chen Wider­stand zu emp­fin­den. Wer sich bis­her nie gegen die neue­sten Grip­pe­vi­ren hat imp­fen las­sen, viel­leicht gera­de auf­grund von man­geln­dem Ver­trau­en in die­se unse­re viel zu käuf­li­chen Wis­sen­schaf­ten, wird auch bei der Corona–Impfung, nach allem, was inzwi­schen bekannt wird, sich bestärkt füh­len in der eige­nen Skep­sis. Und vie­le wer­den sich ganz gewiß nicht einer Zwangs­tau­fe beugen.

Das mag in den Ohren derer, die an die Natur­wis­sen­schaf­ten „glau­ben” und das dann auch noch für die gan­ze Wis­sen­schaft hal­ten, „eso­te­risch” klin­gen. Dabei ist es nur der Wunsch und Wil­le auf „Ganz­heit­lich­keit”. Wir haben nicht nur Kör­per und Psy­che, son­dern auch Leib und See­le. Wir haben mit der Ent­zau­be­rung der Welt den Zugang zu vie­lem ver­lo­ren, was ande­re Kul­tu­ren noch hat­ten, so etwas wie das Gefühl einer kos­mi­schen Gebor­gen­heit. 
Die tran­szen­den­ta­le Obdach­lo­sig­keit führ­te im 19. Jahr­hun­dert zum Nihi­lis­mus, eine der gefähr­lich­sten Demü­ti­gun­gen, die dann zu vie­len Ver­zweif­lungs­ta­ten führt. Das zu leug­nen, daß wir auch Wesen sind, mit gro­ßen tran­szen­den­ta­len Wün­schen, ist die Schwä­che der szi­en­ti­sti­schen Kon­fes­si­on. Es ist ein halt­lo­ser, sub­stanz­lo­ser, abso­lut inhalts­lee­rer Glau­be dar­an, daß die Bana­li­sie­rung von allem, was mal hei­lig war, der Wis­sen­schaft letz­ter Schluß sein soll.
Inso­fern paßt auch die Coro­na-Poli­tik in die­se Welt­an­schau­ung, wenn man sich vor Augen führt, was alles geop­fert wur­de, wie etwa das See­len­heil von Kin­dern und Jugend­li­chen, die Grund­rech­te, die Frei­heit und vor allem die Fähig­kei­ten zur Selbstverantwortung. 
Man hat sofort die Ent­mün­di­gung betrie­ben und ein dem­entspre­chend geist­lo­ses, anti­hu­ma­nes, päd­ago­gisch gest­ri­ges Men­schen­bild in Kraft gesetzt, nur, um zu herr­schen.—Geist paßt nicht in die bor­nier­te Welt­an­schau­ung szi­en­ti­sti­scher Natu­ra­li­sten, die von Kul­tur über­haupt nichts ver­ste­hen und daher mei­nen, das kann alles weg, wo wir doch jetzt alle Coro­na haben und der Ver­su­cher unter uns weilt.
Daß dabei gro­ße Tei­le der Pres­se wie Inqui­si­to­ren auf­tre­ten, ist ein ganz böses Omen – für die Pres­se selbst. Sie wer­den damit nicht punk­ten, statt­des­sen wird der schon vor Jahr­zehn­ten von Jür­gen Haber­mas in sei­ner Habi­li­ta­ti­on dia­gno­sti­zier­te „Struk­tur­wan­del der Öffent­lich­keit” jetzt gera­de­zu „geboo­stert”. Die Qua­li­tät der Dis­kur­se im Inter­net steigt rapi­de, man emp­fin­det es als Erho­lung, end­lich nicht mehr belehrt oder umer­zo­gen zu wer­den von einer Pres­se, die sich selbst in ihrer Funk­ti­on mißversteht.
Da lobe ich mir die Nach­rich­ten im Fern­se­hen von „Welt”. Das geht so: „Sack Reis in Chi­na umge­kippt. Ruß­land macht die USA ver­ant­wort­lich, die EU schweigt.”  So möch­te ich es. Selig die Zei­ten, als es Beschwer­den gab, wenn der Nach­rich­ten­spre­che Köp­ke die Nase ver­zog, viel­leicht weil sie krib­bel­te und vie­le sich sofort beschwerten.
Es ist ver­ständ­lich, daß die bis­he­ri­gen Medi­en eine Hei­den­angst haben vor dem Inter­net und was es ermög­licht an einer noch wei­ter sich aus­dif­fe­ren­zie­ren­den Öffent­lich­keit. Dar­über zu spe­ku­lie­ren, müß­te eigent­lich dazu füh­ren, daß nur Qua­li­täts­me­di­en auf der einen und der Bou­le­vard auf der ande­ren Sei­te wer­den über­haupt über­le­ben können. 
Da aber ganz offen­bar fast allent­hal­ben die Qua­li­tät sinkt und immer weni­ger Dis­kurs statt­fin­det, son­dern Wer­tung, Ver­un­glimp­fung, Hyper­mo­ral und Erzie­hung, wird sich das, was bis­her eta­bliert war, immer wei­ter selbst schä­di­gen.  Auch die bis­he­ri­ge „reprä­sen­ta­ti­ve Demo­kra­tie” wird in the long run ganz all­mäh­lich obso­let, denn wir leben nicht mehr im Post­kut­schen­zeit­al­ter. Es braucht kei­ne Reprä­sen­tan­ten mehr, die für die spre­chen sol­len, die selbst die rich­ti­gen Wor­te nicht fin­den. Denn im Inter­net nimmt das sprach­li­che Dif­fe­ren­zie­rungs­ver­mö­gen, die Dia­log- und Dis­kurs­fä­hig­keit ganz rapi­de zu.

Und natür­lich wird es Wett­kämp­fe in Hate speech geben, bis alles raus ist und wirk­lich nichts mehr ein­fällt. Im Jar­gon der Diplo­ma­ten sind das „Anpassungsschwierigkeiten”.—Der Popanz, der da auf­ge­baut wird, von wegen es dro­he Gefahr von Rechts, ist im eige­nen Inter­es­se maß­los über­trei­ben. Es gab immer die­se unter­ir­di­schen Stamm­tisch­pa­ro­len, sie sind nur zu ande­ren Zei­ten nicht publik gewor­den. Und jetzt mei­nen alle, denen es in den Kram paßt, da wür­de sich eine neue „rech­te” Gefahr auf­tür­men, für alle, die sich nicht füh­ren las­sen, son­dern sich selbst ori­en­tie­ren wol­len. Und dann wird alles in einen Topf gewor­fen: Unge­impft, Coro­na­leug­ner, Wis­sen­schafts­feind, Anti­de­mo­krat, Anti­se­mit, rechts­ra­di­kal, Verfassungsfeind.

Was, wenn auf den Mon­tags-Demos so all­mäh­lich auch FDP-Wäh­ler auf­tre­ten? Was, wenn ein klei­ner Regel­bruch nun ein­mal dazu gehört, zu einer Demon­stra­ti­on. Wenn das als Spa­zier­gang ver­kauft wird, dann soll­te es auch ein eben­sol­cher blei­ben. Das ist Kul­tur und die Poli­zei soll­te gute Mie­ne machen. – Aber viel­leicht sind ja auch man­che an einer Eska­la­ti­on interessiert?
Und was die Cau­sa Harald Schmidt anbe­langt, so berei­tet es mir ein gro­ßes Ver­gnü­gen, wie er alle an der Nase her­um­führt, die nicht nach­den­ken.  Man soll­te wis­sen, daß er, wor­über er sich selbst in einer Sen­dung ein­mal köst­lich amü­sant geäu­ßert hat, ein Hypo­chon­der ist. 
Da ist dann die­ses Intim­ver­hält­nis zwi­schen Leib und See­le der­art aktiv, so daß man nur die Wahl hat zwi­schen Skyl­la und Cha­ryb­dis, Pest oder Cholera.
Man erkrankt also ent­we­der an Coro­na oder an der Imp­fung. Es gibt aber noch ein Drit­tes: Man geht auf Distanz, ganz kon­se­quent, und das macht er. Wo das Pro­blem liegt? Im Man­gel an Den­ken, an Geist, an Kultur.