Heinz-Ulrich Nennen | www.nennen-online.de

ZeitGeister | Philosophische Praxis

Akademie für Philosophische Psychologie

Category: Religion

EPG II

Oberseminar: Ethisch–Philosophisches Grundlagenstudium II

WS 2019 | freitags | 14:00–15:30 Uhr | Raum: 30.91–009

Beginn: 17. Okt. 2019 | Ende: 6. Febr. 2020

Universe333: Yoga­Bey­ond Hon­za & Clau­di­ne Bon­di; Beach, Austra­lia 2013. — Quel­le: Public Domain via Wiki­me­dia Commons.

Seit 2001 ist das Ethisch–Philosophische Grund­la­gen­stu­di­um (EPG) obligatorischer Bestand­teil des Lehramtsstudiums in Baden–Württemberg. Es besteht aus zwei Modu­len, EPG I und EPG II. — Ziel des EPG ist es, zukünf­ti­ge Leh­re­rIn­nen für wissenschafts– und berufs­ethi­sche Fra­gen zu sen­si­bi­li­sie­ren und sie dazu zu befähigen, sol­che Fra­gen selb­stän­dig behandeln zu kön­nen. The­ma­ti­siert werden die­se Fra­gen im Modul EPG II.

Um in allen die­sen Kon­flikt­fel­dern nicht nur zu bestehen, son­dern tat säch­lich ange­mes­sen, pro­blem­be­wußt und mehr oder min­der geschickt zu agie­ren, braucht es zunächst ein­mal die Gewiß­heit, daß immer auch Ermessens– und Gestal­tungs­spiel­räu­me zur Ver­fü­gung ste­hen. Im Hin­ter­grund ste­hen Idea­le wie Bildung, Ent­fal­tung der Per­sön­lich­keit, die Erfah­rung erfül­len­der Arbeit und Erzie­hungs­zie­le, die einer huma­ni­sti­schen Päd­ago­gik ent­spre­chen, bei der es eigent­lich dar­auf ankä­me, die Schü­ler bes­ser gegen eine Gesell­schaft in Schutz zu neh­men, die immer for­dern­der auf­tritt. In die­sem Sin­ne steht auch nicht ein­fach nur Aus­bil­dung, son­dern eben Bil­dung auf dem Programm.

Auf ein– und das­sel­be Pro­blem läßt sich unter­schied­lich reagie­ren, je nach per­sön­li­cher Ein­schät­zung las­sen sich ver­schie­de­ne Lösungs­an­sät­ze ver­tre­ten. Es ist daher hilf­reich, mög­lichst vie­le ver­schie­de­ne Stel­lung­nah­men, Maßnahmen und Ver­hal­tens­wei­sen syste­ma­tisch durch­zu­spie­len und zu erör­tern. Dann läßt sich bes­ser ein­schät­zen, wel­che davon den päd­ago­gi­schen Idea­len noch am ehe­sten gerecht werden.

So ent­steht all­mäh­lich das Bewußt­sein, nicht ein­fach nur agie­ren und reagie­ren zu müs­sen, son­dern bewußt gestal­ten zu kön­nen. Nichts ist hilf­rei­cher als die nöti­ge Zuver­sicht, in die­sen doch sehr anspruchs­vol­len Beruf nicht nur mit Selbst­ver­trau­en ein­zu­tre­ten, son­dern auch zuver­sicht­lich blei­ben zu kön­nen. Dabei ist es ganz beson­ders wich­tig, die Gren­zen der eige­nen Rol­le nicht nur zu sehen, son­dern auch zu wahren.

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Frauenbilder im Mythos

Oberseminar: Frauenbilder im Mythos

WS 2019 | donnerstags | 11:30–13:00 Uhr | Raum 30.91–110

Beginn: 17. Oktober 2019 | Ende: 6. Febr. 2020

Man sieht, daß sie eben­bür­tig sind, schließ­lich ist sie auch sei­ne Schwe­ster. — James Bar­ry: Jupi­ter and Juno on Mount Ida (um 1790f.) — Quel­le: Public Domain via Wiki­me­dia.

Die Rol­len vie­ler Frau­en­fi­gu­ren in den klas­si­schen Mythen zei­gen weit mehr als nur die Sei­te des Opfers (Hele­na), son­dern auch eine Viel­falt weib­li­cher Macht, durch die Stel­lung im Haus als Matro­ne (Hera), durch beson­de­re Fähig­kei­ten wie Ver­nunft (Athe­ne) oder auch Zau­be­rei (Medea), nicht zuletzt aber auch durch Ver­füh­rung (Salo­me). Auch tie­fen­psy­cho­lo­gi­sche Kon­flik­te spie­len hin­ein, wenn Gefühl, Wil­le, Kör­per und Geist eben nicht mit­ein­an­der har­mo­nie­ren (Anti­go­ne) oder wenn der Zwang zur Selbst­ver­leug­nung so groß wird, daß Psy­cho­sen aus­ge­lebt wer­den müs­sen (Dio­ny­sos). Des­wei­te­ren ist die offe­ne Zukunft im Pro­zeß der Selbst­er­mäch­ti­gung des Men­schen ein dau­er­haf­tes Pro­blem (Pan­do­ra).

Die­se Ver­an­stal­tung dient der Gegen­wart und dar­in der Selbst­re­flek­ti­on vor dem Hin­ter­grund einer huma­ni­sti­schen Bil­dung, deren Reiz dar­in besteht, sich men­tal und emo­tio­nal den ganz anders­ge­ar­te­ten Ver­hält­nis­sen in der Anti­ke aus­set­zen zu kön­nen, von denen uns vie­les bis auf den heu­ti­gen Tag noch immer tief berührt. Wir soll­ten die­se alten Zei­ten nicht men­tal über­win­den wol­len, denn es wür­de bereits genü­gen, ein­fach nur zu ver­ste­hen, was Kon­ven­tio­nen mit Men­schen machen können.

Bemer­kens­wert ist die in Sze­ne gesetz­te Empa­thie, als wäre das Werk eine Reak­ti­on auf das von Franz Stuck. — Her­mann Haase–Ilsenburg: Fare­well of the Ama­zon (1902). — Quel­le: Foto von Golf in der Wiki­pe­dia. via Wiki­me­dia, Lizenz: Crea­ti­ve Com­mons, CC-BY‑3.0.

Auch der Mythos um die Ama­zo­nen ist, neue­ren For­schun­gen zufol­ge, höchst inter­es­sant in der Deu­tung des­sen, was da wirk­lich auf dem Spie­le stand. Die Ver­hält­nis­se waren längst nicht mehr so ein­ver­nehm­lich wie vor­her, als es noch sehr weni­ge Men­schen gab und noch nicht die Ambi­ti­on, dar­aus Unter­ta­nen zu machen. — Viel­leicht ist unter sol­chen Bedin­gun­gen sogar die Blut­ra­che nicht so desa­strös, wie sie spä­ter sein wird.

Da sind Prin­zes­sin­nen wie Ari­ad­ne oder Medea, die ihr Schick­sal auf­bes­sern möch­ten und end­lich her­aus wol­len aus der eige­nen, als bar­ba­risch emp­fun­de­nen Kul­tur. Daher wür­den sie für einen hoch­wohl­ge­bo­re­nen grie­chi­schen Prin­zen mit Aus­sicht auf Königs­wür­den wirk­lich alles tun, bis hin zum Hoch­ver­rat des eige­nen Lan­des, der Göt­ter und der eige­nen Fami­lie, sogar bis hin zum Brudermord.

Zwar hat auch Ari­ad­ne ›ihrem Hel­den‹ The­seus ganz ent­schei­dend gehol­fen, den Mino­tau­rus im Laby­rinth von Knos­sos zu töten und wie­der her­aus­zu­fin­den, aber The­seus setzt die Schla­fen­de, also die ihm blind­lings Ver­trau­en­de ganz ein­fach auf der Insel Naxos aus. — Ihr wird aber ein atem­be­rau­bend über­ra­schend schö­nes Schick­sal zu Teil, der Wein­gott Dio­ny­sos ver­liebt sich in die schla­fen­de Schö­ne. Ohne­hin spielt die­ser Gott eine sehr wich­ti­ge Rol­le im Zuge der Frau­en­eman­zi­pa­ti­on, weil er end­lich Mög­lich­kei­ten schafft, daß gera­de auch Frau­en ›unge­zü­gelt‹ sein kön­nen und auch sein dürfen.

Franz Stuck: Ama­zo­ne zu Pfer­de (1897). Lower Sax­o­ny Sta­te Muse­um. — Quel­le: Public Domain via Wiki­me­dia.

Da sind die Opfer gött­li­cher Avan­cen wie Daph­ne, bei der die uner­wi­der­te, ja auf­dring­li­che Lie­be durch­ge­spielt wird, oder etwa Kas­san­dra, die allein für die Aus­sicht auf eine ein­zi­ge Lie­bes­nacht schon mal im vor­hin­ein von Apol­lon mit der Seher­ga­be belohnt wor­den ist, die sich aber stand­haft ver­wei­gert, so daß auch hier wie­der­um der Gott nicht zurück­neh­men kann, was nun ein­mal ver­lie­hen wor­den ist. Dafür aber konn­te er sie sehr wohl noch emp­find­lich tref­fen, die Seher­ga­be soll­te ihr erhal­ten blei­ben, allein, es wür­de ihr nur nie­mand mehr glauben.

Es sind vie­le, wirk­lich sehr ein­drucks­vol­le Bege­ben­hei­ten, einer­seits Stan­dard­si­tua­tio­nen, wie die Los­lö­sung vom Eltern­haus, die Ent­füh­rung der Braut, ero­ti­sche Aben­teu­er, unzwei­deu­ti­ge Ange­bo­te, aber auch ihre gewalt­sa­me Über­win­dung, wonach sie dann auf die­se Wei­se zur Frau ›gemacht‹ wor­den ist, wie etwa Hera durch Zeus, der sich in Gestalt eines bib­bern­den Kuckucks in die Nähe ihres Scho­ßes begibt.

John Wil­liam Water­hou­se: Jason and Medea (1907). — Quel­le: Public Domain via Wiki­me­dia.

Dann ist es — so will es die­se Geschlechter–Dramaturgie vor­ma­li­ger Zei­ten, um die Frau gesche­hen. Sie hat nicht auf­ge­paßt, ist hin­ters Licht geführt wor­den. Es genügt, der Gelieb­ten die Ehre zu neh­men, dann wird sie nolens volens ihren Über­wäl­ti­ger hei­ra­ten müs­sen. — Mög­lich ist alle­dings auch, daß hier sehr alte Erfah­run­gen reka­pi­tu­liert wer­den, der Frau­en­raub auch unter vor­zi­vi­li­sier­ten Völ­kern. Der Hin­ter­grund dürf­te der sein, daß es eine immens hohe Müt­ter­sterb­lich­keit gege­ben haben dürfte.

Wir sind inzwi­schen mei­len­weit ent­fernt von die­sen Ver­hält­nis­sen, und nur noch weni­ge wis­sen, was eigent­lich im Ritus der ent­führ­ten Braut noch so alles mit­schwingt. Aber vie­les von alle­dem spukt noch immer in den Köp­fen und Kör­pern her­um. Daher ist es so inter­es­sant, die­se eben­so schil­lern­den wie arche­ty­pi­schen Kon­stel­la­tio­nen ganz bewußt neu auszudeuten.

Alles ist Kon­ven­ti­on, ganz beson­ders kon­ven­tio­nell sind auch die gegen­wär­ti­gen Aus­ein­an­der­set­zun­gen, in denen vie­le Akti­vi­stIn­nen noch immer davon aus­ge­hen, daß Frau­en stets Opfer sind, die Opfer von Män­nern, daß Män­ner immer Täter sind und daß daher den Frau­en immer­zu Schutz gewährt wer­den müs­se. Genau das aber bewirkt nichts anders als die Auf­recht­erhal­tung über­kom­me­ner Ver­hält­nis­se, die längst nicht mehr dem Sta­te of the art im Dis­kurs über Gen­der gerecht werden.

Aber oft hin­ter­geht gera­de die­ser Dis­kurs sei­ne eige­nen Anfor­de­run­gen. Daher ist es so inter­es­sant, vor dem Hin­ter­grund unse­rer eige­nen Gegen­wart die dra­ma­ti­schen Situa­tio­nen, in die Frau­en im Mythos gera­ten, als sol­che zu deu­ten. — Wir spie­geln uns immer­zu selbst und dar­auf kommt es an. Daher geht es auch nicht ums Urtei­len, schon gar nicht ums Ver­ur­tei­len, son­dern ein­fach nur und immer wie­der ums Verstehen.

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EPG II

Oberseminar: Ethisch–Philosophisches Grundlagenstudium II

SS 2019 | freitags | 14:00–15:30 Uhr | Raum: 30.91–009

Beginn: 27. April 2019 | Ende: 27. Juli 2019

Universe333: Yoga­Bey­ond Hon­za & Clau­di­ne Bon­di; Beach, Austra­lia 2013. — Quel­le: Public Domain via Wiki­me­dia Commons.

Seit 2001 ist das Ethisch–Philosophische Grund­la­gen­stu­di­um (EPG) obligatorischer Bestand­teil des Lehramtsstudiums in Baden–Württemberg. Es besteht aus zwei Modu­len, EPG I und EPG II. — Ziel des EPG ist es, zukünf­ti­ge Leh­re­rIn­nen für wissenschafts– und berufs­ethi­sche Fra­gen zu sen­si­bi­li­sie­ren und sie dazu zu befähigen, sol­che Fra­gen selb­stän­dig behandeln zu kön­nen. The­ma­ti­siert werden die­se Fra­gen im Modul EPG II.

Um in allen die­sen Kon­flikt­fel­dern nicht nur zu bestehen, son­dern tat säch­lich ange­mes­sen, pro­blem­be­wußt und mehr oder min­der geschickt zu agie­ren, braucht es zunächst ein­mal die Gewiß­heit, daß immer auch Ermessens– und Gestal­tungs­spiel­räu­me zur Ver­fü­gung ste­hen. Im Hin­ter­grund ste­hen Idea­le wie Bildung, Ent­fal­tung der Per­sön­lich­keit, die Erfah­rung erfül­len­der Arbeit und Erzie­hungs­zie­le, die einer huma­ni­sti­schen Päd­ago­gik ent­spre­chen, bei der es eigent­lich dar­auf ankä­me, die Schü­ler bes­ser gegen eine Gesell­schaft in Schutz zu neh­men, die immer for­dern­der auf­tritt. In die­sem Sin­ne steht auch nicht ein­fach nur Aus­bil­dung, son­dern eben Bil­dung auf dem Programm.

Auf ein– und das­sel­be Pro­blem läßt sich unter­schied­lich reagie­ren, je nach per­sön­li­cher Ein­schät­zung las­sen sich ver­schie­de­ne Lösungs­an­sät­ze ver­tre­ten. Es ist daher hilf­reich, mög­lichst vie­le ver­schie­de­ne Stel­lung­nah­men, Maßnahmen und Ver­hal­tens­wei­sen syste­ma­tisch durch­zu­spie­len und zu erör­tern. Dann läßt sich bes­ser ein­schät­zen, wel­che davon den päd­ago­gi­schen Idea­len noch am ehe­sten gerecht werden.

So ent­steht all­mäh­lich das Bewußt­sein, nicht ein­fach nur agie­ren und reagie­ren zu müs­sen, son­dern bewußt gestal­ten zu kön­nen. Nichts ist hilf­rei­cher als die nöti­ge Zuver­sicht, in die­sen doch sehr anspruchs­vol­len Beruf nicht nur mit Selbst­ver­trau­en ein­zu­tre­ten, son­dern auch zuver­sicht­lich blei­ben zu kön­nen. Dabei ist es ganz beson­ders wich­tig, die Gren­zen der eige­nen Rol­le nicht nur zu sehen, son­dern auch zu wahren.

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Der Mensch als Maß?

Heinz–Ulrich Nen­nen: Der Mensch als Maß aller Din­ge? Über Prot­agoras, Pro­me­theus und die Büch­se der Pan­do­ra (Zeit­Gei­ster 1); tre­di­ti­on Ham­burg 2018. 232 S. – Paper­back 16,99 €, ISBN: 978–3‑7439–0090‑5. Hard­co­ver 26,99 € ISBN: 978–3‑7439–0091‑2. Erschei­nungs­da­tum: 11.12.2018.

Pan­do­ra ist das Abschieds­ge­schenk der abdan­ken­den olym­pi­schen Göt­ter, danach kommt nur noch der Mensch. Es soll­te kei­ne wei­te­re Dyna­stie von Göt­tern mehr geben. — Wir sind wer­den­de Göt­ter in einer Welt, die wir selbst erschaf­fen haben, für die wir auch ganz allein ver­ant­wort­lich sind. 

Mit sämt­li­chen gött­li­chen Gaben bedacht, ist Pan­do­ra die Alle­go­rie aller Ver­lockun­gen, wie sie nur zivi­li­sier­te Wel­ten bie­ten. Zugleich bringt sie auch alle damit ver­bun­de­nen Übel in die Welt. Um die Fra­ge nach dem War­um ran­ken sich seit­her vie­le Mei­ster­er­zäh­lun­gen. Grund genug, sie erneut zu befra­gen, um ›unse­re‹ Ant­wor­ten zu finden.

Also wie gehen wir um mit unse­rer Sou­ve­rä­ni­tät in Fra­gen von Moral, Gefühl und Selbst­be­stim­mung? Der Weg führt vom ersten Gewis­sen bis zur mul­ti­plen Iden­ti­tät, immer auf der Suche nach Sinn, Glück und Gebor­gen­heit. — Inzwi­schen tra­gen wir die Göt­ter in uns.

Die Rei­he Zeit­Gei­ster ist der Psy­cho­ge­ne­se gewid­met, denn Ori­en­tie­rungs­wis­sen ist von zuneh­men­der Bedeu­tung. Es geht um die neu­en Per­spek­ti­ven einer Phi­lo­so­phi­schen Psy­cho­lo­gie, die in den Mei­ster­er­zäh­lun­gen ein uraltes Ori­en­tie­rungs­wis­sen fin­det, das über­ra­schend aktu­ell ist.

Wenn der berühmt–berüchtigte Sophist Prot­agoras von Sokra­tes um Erläu­te­rung gebe­ten wird, was man denn nun gegen teu­res Geld bei ihm erler­nen kön­ne, dann zeigt sich ein tief­grei­fen­der Wan­del. — Nicht ein­mal mehr die Ein­füh­rung ins Erwach­se­nen­le­ben gehorcht noch der Tra­di­ti­on der Jäger. Die Kul­tur in den Städ­ten setzt eige­ne Maß­stä­be und bespie­gelt sich dabei selbst. Frag­lo­se Maß­stä­be sind nicht mehr vor­han­den: Der Mensch ist das Maß aller Dinge!

Prot­agoras erläu­tert anhand des Mythos von Pro­me­theus, es mang­le nicht an der nöti­gen Tech­nik, Städ­te zu errich­ten. Allein sie zu hal­ten, sei schier unmög­lich gewe­sen. — In der Tat muß­te die drin­gend gebo­te­ne Kunst der Poli­tik eigens von Her­mes im Auf­trag­des Zeus nach­ge­reicht wer­den. Und er, der Sophist, ver­mitt­le genau­die­se vakan­ten Kompetenzen.

Poli­tik ist die Kunst, stän­dig gegen­zu­steu­ern, wenn Gesell­schaf­ten wie­der ein­mal aus irgend­ei­nem Gleich­ge­wicht gera­ten. Die eigent­li­che ›Wild­nis‹, in der es zu bestehen gilt, liegt daher in den Städ­ten. — Seit­her muß also ›stu­diert‹ wer­den. Dann ist es durch­aus mög­lich, Kar­rie­re zu machen, auch ohne von Adel zu sein.
Pan­do­ra ist das Abschieds­ge­schenk der abdan­ken­den olym­pi­schen Göt­ter, danach kommt nur noch der Mensch. Mit sämt­li­chen gött­li­chen­Ga­ben bedacht, ist sie die Alle­go­rie aller Ver­lockun­gen, wie sie nurz­i­vi­li­sier­te Wel­ten bie­ten. Zugleich bringt sie auch alle Übel mit indie Welt, die vor­her nicht waren. — Um die Fra­ge nach dem War­um ran­ken sich seit­her vie­le Mei­ster­er­zäh­lun­gen. Grund genug, sie erneu­tzu befra­gen, um ›unse­re‹ Ant­wor­ten zu finden.

Phi­lo­so­phie kommt auf, wo Göt­ter schlecht gedacht wer­den. So ent­steht all­mäh­lich Sou­ve­rä­ni­tät in Fra­gen von Moral, Gefühl und Selbst. Der Weg führt vom ersten Gewis­sen bis zur mul­ti­plen Iden­ti­tät, immer auf der Suche nach Sinn, Glück und Geborgenheit.

Die Rei­he Zeit­Gei­ster ist der bis­her kaum bedach­ten Psy­cho­ge­ne­se gewid­met, dabei ist Ori­en­tie­rungs­wis­sen von zuneh­men­der Bedeu­tung. Es geht um die neu­en Per­spek­ti­ven einer Phi­lo­so­phi­schen Psy­cho­lo­gie, die in Zwei­fels­fäl­len immer wie­der auf die Ori­en­tie­rungs­ori­en­tie­rung durch Phi­lo­so­phi­sche Anthro­po­lo­gie zurück­grei­fen kann.

Alle Bän­de der Rei­he Zeit­Gei­ster erschei­nen bei tre­di­ti­on – wer­den aber auch hier suk­zes­si­ve zum Down­loads freigegeben.


Vorlesungen und Seminare


Das erschöpfte Selbst

Lucas Cra­nach der Älte­re: Melan­cho­lie. Natio­nal­ga­le­rie,
Kopenhagen.<fn>Public domain via Wiki­me­dia Commons.</fn>

Erläuterungen zur Psychogenese


Dialog und Diskurs

Schwebendes Denken

Bezau­bern­de Bil­der bezeu­gen, wie innig die Phi­lo­so­phie allem zuge­tan ist, was Flü­gel verleiht. 

Bei Hegel beginnt die Eule der Miner­va ihren Flug erst in der Däm­me­rung. – Pla­ton schil­dert das Auf­stei­gen zur Erkennt­nis mit der Alle­go­rie vom See­len­wa­gen, bei dem es dar­um geht, am Tri­umph­zug der Göt­ter über das nächt­li­che Fir­ma­ment, quer über die Milch­stra­ße bis hin zum Reich der Ideen teil­neh­men zu kön­nen. Aber den aller­mei­sten Zeit­ge­nos­sen feh­le es dabei an “Federn”, auch beherr­schen sie nicht die Selbstführung… 

Die Gedan­ken sind frei, es kommt dar­auf an, sie schwe­ben, flie­gen und auf­stei­gen zu las­sen. Es kommt dar­auf an, daß sie stets offen blei­ben, sich inspi­rie­ren zu lassen.

Phi­lo­so­phi­scher Salon Karlsruhe

Phi­lo­so­phi­sche Ambu­lanz Karlsruhe

Phi­lo­so­phi­scher Salon | B‑Si­de-Festi­val 2019 | Mün­ster

Philosophisches Café Münster

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Wenn her­kömm­li­che Ori­en­tie­run­gen unsi­cher wer­den, dann stel­len sich Fra­gen der Selbst­ori­en­tie­rung. Neue Ant­wor­ten las­sen sich jedoch erst fin­den, wenn zuvor genü­gend Abstand genom­men wird. Erst aus der Distanz läßt sich das Gan­ze umfas­send in den Blick neh­men. – Nur so kommt das Neue ins Den­ken und dazu ist Phi­lo­so­phie unver­zicht­bar. Phi­lo­so­phie­ren bedeu­tet, sich durch eige­nes Den­ken zu ori­en­tie­ren, gera­de dann, wenn vie­les in der Schwe­be ist.

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Neben dem phi­lo­so­phi­schen Dia­log als inten­si­ver Form, sich in The­men von exi­sten­ti­el­ler Bedeu­tung ein­zu­füh­len, um sie zu erör­tern, bie­tet das Phi­lo­so­phi­sche Café die Mög­lich­keit, auch in grö­ße­ren Grup­pen tie­fer mit­ein­an­der ins Gespräch zu kom­men. – Es gilt, nicht ein­fach nur die übli­chen Stand­punk­te zu ver­tre­ten, son­dern alle erdenk­li­chen Posi­tio­nen vor­be­halt­los zu erör­tern. So wird die Sache selbst all­mäh­lich gemein­sam ent­wickelt und nicht sel­ten las­sen sich ihr ganz neue Sei­ten abge­win­nen. Man­ches erscheint dann in ande­rem Licht, so daß sich auch für die eige­ne Stel­lung­nah­me ganz neue Per­spek­ti­ven eröffnen.

Das Phi­lo­so­phi­sche Café ver­steht sich als Forum für eine Phi­lo­so­phie, die erst im gemein­sa­men Gespräch auf­kom­men kann. Das The­ma wird in der Regel nicht vor­ge­ge­ben, es ergibt sich zwang­los fast wie von selbst. Der Gang des Gesprächs ist offen und dabei ist es nicht so ent­schei­dend, wie sich ande­re Phi­lo­so­phen bereits dazu geäu­ßert haben. Gewiß ist es anre­gend zur Kennt­nis zu neh­men, was bereits gesagt wor­den ist, aber viel wich­ti­ger ist es, sich selbst beim gemein­sa­men Phi­lo­so­phie­ren zu erfahren.

Über­zeu­gun­gen sol­len nicht ein­fach nur ver­tre­ten, son­dern dar­ge­legt wer­den. Die Situa­ti­on ist hand­lungs­ent­la­stet, nichts muß beschlos­sen wer­den. Nie­mand muß sich über­zeu­gen las­sen, denn wir über­zeu­gen uns ohne­hin immer nur selbst. Ent­schei­dend ist, das eige­ne Den­ken an den Tag zu legen. Erst dann wird jene Frei­heit spür­bar, von der die Höhen­flü­ge der Phi­lo­so­phie getra­gen wer­den. – Phi­lo­so­phie hat eben auch ihre Pra­xis: Es ist die Freu­de dar­an, wie unter­schied­lich die Per­spek­ti­ven doch sein können.

Kaum eine davon ist ohne Berech­ti­gung, aber nur weni­ge davon spre­chen wirk­lich fürs Gan­ze. Es gibt vie­le aber nicht unend­lich vie­le Hinisch­ten, aus denen sich die­sel­be Sache betrach­ten läßt. Ent­schei­dend sind daher vor allem sol­che Hin­sich­ten, die in der Sache wei­ter brin­gen und hel­fen, bes­ser zu ver­ste­hen, wor­auf es ankom­men könnte.

Für den Gang sol­cher Unter­su­chun­gen präg­te Hegel das Bild vom Flug der Eule der Miner­va und bei Pla­ton fin­det sich die Alle­go­rie vom See­len­wa­gen. Die­se bezau­bern­den Bil­der bezeu­gen, wie innig die Phi­lo­so­phie allem zuge­tan ist, was Flü­gel ver­leiht, weni­ger um abzu­he­ben, son­dern um einen guten Über­blick und neue Ein­blicke zu erhal­ten. – Alles was Flü­gel ver­leiht, hat daher einen sym­bo­li­schen Bezug zur Phi­lo­so­phie, weil Federn zum Schrei­ben tau­gen, weil sie Gedan­ken beflü­geln und weil dann nur noch die not­wen­di­ge Seh‑, Erkennt­nis- und Urteils­kraft dazu gehört, um erken­nen zu kön­nen, was sich in der Däm­me­rung abzu­zeich­nen beginnt.

Blaue_Stunde_MS-Flyer

Das ulti­ma­ti­ve Ziel sol­cher Rei­sen ist Pla­ton zufol­ge eine Expe­di­ti­on ins Reich der Ideen. Beim Aus­ritt zusam­men mit den Göt­tern über das nächt­li­che Fir­ma­ment alle 10.000 Jah­re kommt es dar­auf an, sehr schwe­re Him­mel­s­pas­sa­ge zu bestehen, mit einem all­zu mensch­li­chen Gespann aus einem guten und einem schlech­ten Pferd. Vie­le stür­zen dabei ab und fal­len unmit­tel­bar wie­der ins Sein ohne sich wie­der­erin­nern zu kön­nen. – Erst hin­ter die­ser schwie­ri­gen Him­mel­s­pas­sa­ge wür­de man zusam­men mit den Göt­tern die Ideen anschauen.

Es kommt dar­auf an, die Kunst des Schwe­bens zu beherr­schen. Dazu braucht es ‚Federn‘und die wach­sen nur denen die lie­ben, denn die Lie­be in ihrem hei­li­gen Wahn soll wie­der­um Ähn­lich­keit haben mit dem, wie denen zumu­te ist, die die Ideen erschau­en. Und Pla­ton zufol­ge ver­leiht gera­de die Phi­lo­so­phie sol­che Flü­gel, schließ­lich geht es ihr – nicht nur dem Namen nach, um die Lie­be zur Weisheit.

Sol­che Gesprä­che sind dazu ange­tan, die Sache selbst wie eine Feder durch den Atem aller, die mit­re­den und mit­den­ken, in der Schwe­be zu hal­ten, um beim gemein­sa­men Phi­lo­so­phie­ren wie im Flug ins Reich der Ideen unter­wegs zu sein.

Feder-big


Anthropologie der modernen Welt

Walter Crane: Die Rosse des Neptun. Neue Pinakothek München, Public Domain @ Wikimedia

Wal­ter Cra­ne: Die Ros­se des Nep­tun. Neue Pina­ko­thek Mün­chen, Public Domain @ Wiki­me­dia

Das multible Selbst

Die Göt­ter der Anti­ke sind wie die Stars unse­rer Tage, die Ster­ne von damals sind die Stern­chen von heu­te. Alle ihre ein­zel­nen Fähig­kei­ten, mit denen sie sich im Ver­lau­fe der Zeit ange­rei­chert haben, las­sen sich oft noch an den vie­len Bei­na­men erken­nen, es sind Spu­ren ver­ein­nahm­ter Häupt­lings­tü­mer, es sind die Gei­ster von Clans, Land­schaf­ten und Kul­tu­ren, die längst auf­ge­gan­gen sind im grö­ße­ren Gan­zen die­ser Göt­ter­ge­stal­ten. Gera­de Göt­ter ver­fü­gen über mul­ti­ple Iden­ti­tä­ten, daher fällt es ihnen so leicht, in frem­der Gestalt auf­zu­tre­ten, um sich selbst dabei doch treu zu blei­ben. Daher beherr­schen sie das Spiel mit den Mas­ken. Beson­ders Zeus wech­selt ein ums ande­re Mal für Lie­bes­aben­teu­er äußerst spek­ta­ku­lär die eige­ne Gestalt: Er nähert sich sei­ner spä­te­ren Gat­tin Hera als durch­näß­ter, zit­tern­der Kuckuck, als Stier der Euro­pa, als Schwan der Leda, als gol­de­ner Regen der Danaë und um den Hera­kles zu zeu­gen, ver­wan­delt er sich in Amphi­try­on, den Gat­ten der Alkmene.

Göt­ter wie Zeus beherr­schen ein­fach die­ses bedeu­ten­de Kunst­stück, sich auch in frem­der Gestalt noch immer selbst treu zu blei­ben. Im Pro­zeß der Zivi­li­sa­ti­on wird nicht nur die Außen­welt, son­dern auch die Innen­welt immer wei­ter aus­dif­fe­ren­ziert. Mit der Zivi­li­sa­ti­on, Ratio­na­li­tät und Moder­ne geht daher stets auch ein Pro­zeß der Psy­cho­ge­ne­se ein­her. Göt­ter haben uns dabei stets etwas vor­aus, sie ver­kör­pern die Idea­le, auf die es ankommt. Dem­entspre­chend läßt sich anhand der außer­or­dent­li­chen Fähig­kei­ten von Göt­ter die Zukunft der Psy­che able­sen. Das nun­mehr im Zuge der Psy­cho­ge­ne­se anste­hen­de mul­ti­ple Selbst wird sei­ner­seits über die­se ent­schei­den­de gött­li­che Fähig­keit ver­fü­gen, sich anver­wan­deln zu können.

Die klas­si­schen Ein­wän­de dage­gen, das sei kei­ne Wahr­haf­tig­keit mehr, son­dern eben Insze­nie­rung, es sei kei­ne Authen­ti­zi­tät, son­dern nur Vor­spie­ge­lung im Spie­le, kön­nen nicht mehr ver­fan­gen. Wir haben nicht eine ein­zig wah­re Natur, das ein­zig ver­bind­li­che Selbst oder irgend­ei­ne fixier­te Iden­ti­tät in uns, die ehr­lich­keits­hal­ber nur zum Aus­druck gebracht wer­den muß, wäh­rend alles ande­re nur Lug und Trug sein wür­de. Die Fra­ge nach der Wahr­haf­tig­keit eines Got­tes, der eine Meta­mor­pho­se voll­zo­gen hat, ist unan­ge­bracht, es kommt dar­auf an, was sich in der Wahr­neh­mung ereig­net. Ent­schei­dend ist das Erle­ben, etwa einem Schau­spie­ler abneh­men zu kön­nen, was er vor­gibt zu sein.

Wir alle spie­len Thea­ter, was eben nicht bedeu­tet, daß es uns nicht ernst damit wäre. Das Mas­ken­spiel ist dabei mehr als nur eine aus­ge­zeich­ne­te Meta­pho­rik für das, was sich da eigent­lich ereig­net, es ist der Bruch mit der nai­ven Erwar­tung, daß wir immer die­sel­ben sind und es auch blei­ben. Wer eine Mas­ke auf­setzt, über­nimmt eine Rol­le, wird somit zu jemand Ande­ren, wech­selt also die Identität.

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