• Anthropologie,  Diskurs,  Ethik,  Götter und Gefühle,  Identität und Individualismus,  Ironie,  Moderne,  Motive der Mythen,  Philosophie,  Platon,  Professionalität,  Psyche,  Psychosophie,  Schönheit,  Seele,  Technikethik,  Theorien der Kultur,  Traum,  Urbanisierung der Seele,  Utopie,  Wissenschaftlichkeit,  Zeitgeist,  Zivilisation

    Über mich

    Prof. Dr. phil. Heinz-Ulrich Nennen

    Hoch­schul­leh­rer für Phi­lo­so­phie an der Uni­ver­si­tät Karls­ru­he.

    Phi­lo­so­phi­sche Pra­xis Münster,

    für alle Zwei­fels­fäl­le des Lebens, des Den­kens und nicht zuletzt der Gefühle.

    Email: heinz-ulrich.nennen@t‑online.de

    Motto:

    Zunächst muß

    das Eigent­li­che

    zur Spra­che gebracht werden,

    denn nur so kommt das Neue ins Denken.

    Von dort kann es in die Welt gelan­gen und spätestens

    dann wird es auch im eige­nen Leben nicht ganz ohne Wir­kung bleiben.

    Etwas ausführlicher:

    Ich bin Pro­fes­sor für Phi­lo­so­phie an der Uni­ver­si­tät Karls­ru­he (KIT). Im west­fä­li­schen Mün­ster betrei­be ich eine Phi­lo­so­phi­sche Ambu­lanz, eine Bera­tung zur Selbst­be­ra­tung, denn Phi­lo­so­phie ist ein Gespräch der See­le mit sich selbst.

    In Mün­ster habe ich Phi­lo­so­phie, Sozio­lo­gie und Erzie­hungs­wis­sen­schaft stu­diert und 1989 mit einer Dis­ser­ta­ti­on unter dem Titel Öko­lo­gie im Dis­kurs pro­mo­viert. Dar­in habe ich den sei­ner­zeit auf­kom­men­de Dis­kur­se über Öko­lo­gie in sei­ner gan­zen Viel­falt der Tech­nik- und Zivi­li­sa­ti­ons­kri­tik doku­men­tiert und die Hin­ter­grün­de syste­ma­tisch rekon­stru­iert. – Dem­nach gibt es drei mög­li­che Begrün­dun­gen für Umweltschutz:

    • prag­ma­tisch-anthro­po­zen­trisch, weil es auf Dau­er unsin­nig ist, sich selbst die Lebens- und Exi­stenz­grund­la­gen zu entziehen
    • ethisch-mora­lisch, weil es gebo­ten erscheint, sich ver­pflich­tet zu füh­len, nach­fol­gen­den Gene­ra­tio­nen, ande­ren Lebe­we­sen oder auch Göt­tern gegenüber
    • ästhe­tisch, weil etwa ein Baum weit mehr ist als eine Sau­er­stoff­spen­der, son­dern eben auch ein Erleb­nis, was übri­gens alles ande­re als banal ist

    Mit der Dis­ser­ta­ti­on zeig­te sich bereits der Schwer­punkt mei­ner Arbeit: Mich inter­es­sie­ren Dis­kur­se im Gro­ßen und Gan­zen aber auch Dia­lo­ge im Klei­nen und Per­sön­li­chen. Ich bin Dia­log­part­ner und Dis­kurs­ana­ly­ti­ker: Einer­seits inter­es­siert mich die Fra­ge, wie das Neue ins Den­ken kommt, ande­rer­seits, wie Dia­lo­ge und Dis­kur­se sol­che Trans­for­ma­tio­nen schaf­fen. – Daher arbei­te ich gern inter-dis­zi­pli­när, an den Gren­zen zwi­schen Psy­cho­lo­gie, Anthro­po­lo­gie, Kul­tur­wis­sen­schaft und eben Philosophie.

    Nach einer 10-jäh­ri­gen Tätig­keit als Wis­sen­schaft­ler im Bereich Dis­kurs an der Aka­de­mie für Tech­nik­fol­gen­ab­schät­zung, hat­te ich gestie­ge­nes Inter­es­se dar­an, ein­mal einen Dis­kurs im Pro­zeß, also in “Wild­form” zu beob­ach­ten, zu beschrei­ben und wäh­rend­des­sen zeit­gleich zu analysieren.

    Im Som­mer 1999 bot sich die­se Gele­gen­heit. Anläß­lich des Skan­dals um die Elmau­er Rede, die der Phi­lo­soph Peter Slo­ter­di­jk gehal­ten hat­te, kam es zu einem Medi­en-Hype son­der­glei­chen, mit mehr als 1000 Zei­tungs­ar­ti­keln, Kom­men­ta­ren und Berich­ten. Als ich sei­ner­zeit im Radio davor erfuhr, wuß­te ich, daß es “mein” The­ma sein würde.

    In einem 700-sei­ti­gen Buch, das auch der Habi­li­ta­ti­on dien­te, habe ich die­sen soeben auf­kom­men­den Skan­dal um die angeb­lich faschi­sto­ide Rede des Phi­lo­so­phen Peter Slo­ter­di­jk in Echt­zeit rekon­stru­iert. Es war ein Phi­lo­so­phi­sches Expe­ri­ment mit der Fra­ge, ob es gelin­gen kann, einen Dis­kurs nicht nur zu beob­ach­ten, son­dern zugleich auch auf den Aus­gang der Slo­ter­di­jk-Debat­te zu spe­ku­lie­ren, noch wäh­rend der Aus­gang des Skan­dals noch offen war.

    Die War­nung dage­gen ist bekannt: 

    “Und hät­test Du geschwie­gen, wärst Du Phi­lo­soph geblieben.” 

    Ich bin davon über­zeugt, daß es mög­lich ist, Phi­lo­so­phie in Echt­zeit betrei­ben zu kön­nen, also wäh­rend der Pro­zeß noch läuft. Erst dann hat auch unser Ver­nunft­ver­mö­gen wirk­lich eine Chan­ce, sich zu bewei­sen. – Bei die­sem phi­lo­so­phi­schen Expe­ri­ment ging es mir um den Beweis, daß es unter gewis­sen metho­di­schen Bedin­gun­gen sehr wohl mög­lich sein kann, Phi­lo­so­phie in Echt­zeit betreiben.

    Die Metho­de geht auf man­che Über­le­gung und Beob­ach­tung mei­ner rund 10-jäh­ri­gen Tätig­keit als Wis­sen­schaft­ler im Bereich Dis­kurs an der Stutt­gar­ter Aka­de­mie für Tech­nik­fol­gen­ab­schät­zung zurück. Dort wur­de 1993 im Zuge der Aus­ein­an­der­set­zun­gen um Atom­kraft (wie Geg­ner sagen), resp.  Kern­ener­gie (wie Befür­wor­ter sagen) und Kli­ma­schutz, von der Lan­des­re­gie­rung in Baden-Würt­tem­berg ein “Thinktank” zur Erfor­schung und zur Bewer­tung von Tech­nik­fol­gen gegrün­det, um mehr Wis­sen­schaft und mehr Dis­kurs in die mit­un­ter sehr dra­ma­tisch geführ­ten Aus­ein­an­der­set­zun­gen um neue Tech­no­lo­gien zu brin­gen. Die Poli­tik war sei­ner­zeit in die­sen Fra­gen mit ihrem Latein am Ende, – das ist eben der Augen­blick, in dem neue Insti­tu­tio­nen wie eine sol­che TA-Aka­de­mie gegrün­det werden.

    Zu Metho­de: Schaut man sich unse­re Urtei­le, Bewer­tun­gen und Ein­schät­zun­gen genau­er an, so set­zen sie sich zusam­men aus einer Viel­zahl von Aus­sa­gen, die aus unter­schied­lich­sten Sek­to­ren stam­men, die wir aber häu­fig nur zum Teil selbst über­prüft haben. Die Fra­ge ist dann immer, wie sicher, wie ent­schei­dend, wie bela­stungs­fä­hig unse­re Vor­an­nah­men wirk­lich sind. Noch ent­schei­den­der ist es, zu spü­ren, wo die Grund­la­gen und Vor­aus­set­zun­gen nicht wirk­lich sicher sind. 

    Das erzeugt eine gewis­sen Offen­heit, auch unge­wohn­ten und ande­ren Per­spek­ti­ven gegen­über. Es geht ums Ver­ste­hen, daher ist jedes “Mit­tel” Recht. Im Hin­ter­grund steht schließ­lich eine Phi­lo­so­phie, die schon beur­tei­len und bewer­ten wird, ob der neue, viel­leicht unge­wohn­te Gedan­ke es mög­lich macht, zu sehen, was sich hin­ter den Kulis­sen abspielt. 

    Die Kunst besteht nun genau dar­in, ein jedes mög­li­che Gesamt­ur­teil immer wie­der auf­zu­lö­sen in sei­ne Tei­le, aus denen es zusam­men gesetzt ist, um das eige­ne Urteils­ver­mö­gen noch­mals selbst beur­tei­len zu können.

    Wer sich des­sen bewußt ist, soll­te daher wis­sen, was wir eigent­lich wis­sen müß­ten aber viel­leicht gar nicht wis­sen kön­nen, so daß wir uns die Begrenzt­heit unse­res eige­nen Urteils­ver­mö­gens genau­er vor Augen füh­ren können.

    “Und hät­test Du geschwie­gen, wärst Du Phi­lo­soph geblie­ben!” Die­se War­nung hat gute Grün­de, denn zwi­schen dem Erha­be­nen und dem Lächer­li­chen liegt nur ein ein­zi­ger Schritt. 

    In der Phi­lo­so­phie geht es daher um die Fra­ge, wie­viel wir vom Gan­zen wirk­lich ver­stan­den haben. Zu Phi­lo­so­phie­ren bedeu­tet, ein fei­nes Gespür dafür zu ent­wickeln, wie weit ein­zel­ne Aus­sa­gen jeweils tra­gen, wann ein Wort sei­ne Bedeu­tung zu ver­lie­ren beginnt, wann irgend etwas an einer Aus­sa­gen nicht mehr zutref­fend sein kann.

    Daher arbei­te ich sehr inten­siv über Sym­bo­le, Mythen und Mär­chen und ins­be­son­de­re auch über Göt­ter­fi­gu­ren, weil sich dar­in, weil sich dahin­ter man­ches ver­birgt, was unse­rem Den­ken in abstrak­ten Begrif­fen wie­der mehr Inhalt, mehr Leben und Geist ver­mit­teln kann.

    Phi­lo­so­phie ist weit mehr als nur trocke­ne Theo­rie und eis­kal­te Metho­de. Sie hat auch eine Pra­xis, die sich ganz anders dar­stellt, die nicht nur sehr unter­halt­sam son­dern auch erhei­ternd sein kann. – Das Lachen ist schließ­lich ein immer wie­der­keh­ren­der Topos in der Philosophie.

    Phi­lo­so­phie ist nicht nur Theo­rie son­dern auch Pra­xis, geleb­te Pra­xis. Sie setzt daher eine gei­sti­ge Mobi­li­tät vor­aus, die dar­auf aus ist, stän­dig den Stand­ort zu wech­seln, um dabei nicht sel­ten auch die eige­ne Posi­ti­on, also sich selbst zu riskieren.

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    Über die Pflicht zum Ungehorsam gegen den Staat

    Über Menschenwürde und Impfzwang

    Viel war immer von „Wür­de“ die Rede, gera­de in Deutsch­land. Die­ser Begriff war wie ein Fetisch, man hob ihn sehr hoch und höher. Aber den aller­mei­sten war das Gemein­te so faß­bar wie die Begrif­fe Leib und Seele.

    Und da nun die „har­ten“ Wis­sen­schaf­ten kei­nen Zugang haben zu alle­dem, ist es eigent­lich schlecht bestellt um das, was gemeint sein könn­te. Allen­falls wird wider­wil­lig noch so etwas wie Psy­che zuge­stan­den aber dann auch nur mit einem Man­ko. Wenn etwas „psy­cho­lo­gisch bedingt“ ist, dann ist es zugleich „nur psy­cho­lo­gisch“.  Es ist gewis­ser­ma­ßen grund­los, weil es ja nun kei­ne „kau­sa­le“ Ursa­che gibt, oder?

    Das ist der bor­nier­te Mate­ria­lis­mus einer Kul­tur, die inzwi­schen gefähr­lich geist­los gewor­den ist, wie sich an der aktu­el­len Debat­te um den Impf­zwang zeigt.

    „Wür­de“ ist unfaß­bar für alle die­je­ni­gen, die mei­nen, es gäbe nur eine ein­zi­ge Wahr­heit, näm­lich die­je­ni­ge, die sich in Zah­len mes­sen und natur­wis­sen­schaft­lich the­ma­ti­sie­ren läßt. Ja und Lie­be wird zur Hor­mon­stö­rung, ist es nicht so? Und Schön­heit kommt von außen, tau­send Influen­ce­rIn­nen kön­nen nicht irren?

    Alles, was nicht ins Pro­kru­sten­bett die­ser Unbil­dung paßt, wird pas­send gemacht. Das geht so weit, daß Bio­lo­gIn­nen in den Talk­shows der Repu­blik unwi­der­spro­chen zwi­schen Glau­ben und Wahr­heit unter­schei­den, um dann “die Wahr­heit” für sich zu rekla­mie­ren. Und alles ande­re ist Hokus­po­kus? – Ich muß doch sehr bitten.

    Das Niveau ist inzwi­schen unter­ir­disch. Die so scheel beäug­te Psy­che geht gera­de über Hecken und Zäu­ne. Es geht schon längst nicht mehr um kör­per­li­che Gesund­heit. Wir haben es mit einer Mas­sen­hy­ste­rie zu tun, die nun Sün­den­böcke braucht, weil aus alle­dem, was man sich ver­spro­chen hat, durch Imp­fen wie­der­zu­ge­win­nen, nichts wie erwar­tet gekom­men ist. 

    Dabei wur­de von Anfang an rück­sichts­los alles ins Opfer­feu­er gewor­fen, ob es das See­len­heil von Kin­dern ist, denen man sag­te, sie wür­den den Tod brin­gen oder die Wür­de der Ster­ben­den und Demen­ten, die ohne jede mensch­li­che Berüh­rung weg­däm­mern und ster­ben. Die Liste ist inzwi­schen unüber­seh­bar, was da an Schä­den ange­rich­tet wor­den ist.

    „Wür­de“ ist ein höchst inti­mes Selbst­ver­hält­nis zwi­schen Ich und Selbst, Kör­per und Psy­che, Leib und See­le, Sinn­lich­keit und Geist. Es ist die­ser selt­sa­me Wider­spruch, daß wir von den einen nicht ein­mal flüch­tig berührt wer­den möch­ten, wäh­rend wir uns den ande­ren mit­un­ter vor­be­halt­los hin­ge­ben kön­nen. Das hat etwas mit einem Ver­trau­en zu tun, das nicht ein­ge­for­dert wer­den kann.

    Was haben wir denn für Bil­der im Kopf, wenn „unser Kör­per“ gera­de mit etwas ringt? Das sind Nar­ra­ti­ve, die wir uns durch den täg­li­chen Wis­sen­schafts­jour­na­lis­mus ein­fan­gen. Als ob das alles wäre, um zu sagen, wer und was „wir“ denn so alles „sind“.

    Naiv sind weni­ger die der Eso­te­rik Ver­bun­de­nen, sie ver­su­chen wenig­stens eige­ne Wor­te zu fin­den für die­ses Intim­ver­hält­nis. Wäh­rend die ande­ren nur ihre Geist­lo­sig­keit demon­strie­ren und einen längst arbeits­los gewor­de­nen Kir­chen­glau­ben nun­mehr auf „die“ Wis­sen­schaft rich­ten, ja wel­che denn?  Es gab zu allen Zei­ten ein­fa­che Gemü­ter und die­se wuß­ten dar­um. Nur, inzwi­schen hal­ten sich die­se auch noch für auf­ge­klärt, wenn sie dar­an gehen, ande­re zu beleh­ren, um sie auf den rich­ti­gen Glau­bens­weg zu bringen.

    Der Mensch lebt nicht vom Brot allein und das Leben ist der höch­sten Güter nicht; vie­les, unend­lich vie­les ist schon gesagt wor­den dar­über, daß es Din­ge gibt zwi­schen Him­mel und Erde, zwi­schen Kör­per und Geist, von denen sich unse­re Wissenschafts–Weisheiten nun wirk­lich nicht ein­mal eine Vor­stel­lung machen können.

    Alle die­se Schu­ster soll­ten bei ihren Lei­sten blei­ben, denn es ist zwi­schen Tech­nik– und Natur­wis­sen­schaf­ten einer­seits und zwi­schen Gei­stes– und Kul­tur­wis­sen­schaf­ten ande­rer­seits zu unter­schei­den. Und die Bor­niert­heit man­cher Fach­ver­tre­ter und ihrer Nach­be­ter soll­te uns nicht dar­über hin­weg­täu­schen, daß wir es mit einer kom­ple­xen und auch tief­grün­di­gen Wirk­lich­keit zu tun haben.  Wir haben eine Innen­welt, die es mit den unend­li­chen Wei­ten des Kos­mos spie­lend auf­neh­men kann, wenn man bedenkt, wer und was in unse­rer Phan­ta­sie so alles leib­haf­tig ist.

    Als ich in einem Thinktank vor­zei­ten des­öf­te­ren inter­dis­zi­pli­nä­re Exper­ten­krei­se mode­riert habe, gab es nicht sel­ten die­se Kind­lich­keit im Auf­tre­ten von Sach­ver­stän­di­gen, wenn sie mal für etwas nicht zustän­dig sind, son­dern ande­re, noch dazu kon­kur­rie­ren­de Dis­zi­pli­nen. Man muß­te dann schon ener­gisch wer­den, um sie dahin zu bewe­gen, nur über ihre Sache spre­chen, wovon sie schließ­lich etwas ver­ste­hen aber nicht ande­re schlecht reden.  Genau das aber geschieht nun in die­ser Gesell­schaft. Da sucht eine auf­ge­hetz­te Mehr­heit nach Sün­den­böcken und erklärt alle Anders­den­ken­den zu „Gefähr­dern“.

    Die Mehr­heit hat nicht das Recht, sich so eine Min­der­heit zu erschaf­fen, um dann über sie her­zu­fal­len, nur weil sie sich hat Angst machen und mit fal­schen Ver­spre­chun­gen und trü­ge­ri­schen Hoff­nun­gen ins Bocks­horn jagen las­sen. Die Gesell­schaft hat nicht das Recht, so zu tun, als sei sie eine Gemein­schaft und hät­te dem­entspre­chen­de Rech­te. Gera­de unse­re real exi­stie­ren­de Gesell­schaft ist sozi­al käl­ter als vie­le ande­re, daher hat sie sogar noch weni­ger Rech­te als jene. 

    Der Staat hat nicht das Recht, ein Impf­re­gi­ster auf­zu­bau­en, denn bereits das ver­letzt die Wür­de im Daten­schutz und die infor­ma­tio­nel­le Selbst­be­stim­mung. Und der Staat hat schon gar nicht das Recht, in das inti­me Ver­hält­nis zwi­schen mir und mei­nem Kör­per ein­zu­grei­fen. Das wäre mehr als die Ver­let­zung mei­ner Wür­de, das wäre bereits Miß­hand­lung. Nur eine Ver­ge­wal­ti­gung wäre noch übler.

    Und für Neun­mal­klu­ge: Wenn ich in eine Alko­hol­kon­trol­le gera­te und gefragt wer­den, ob ich mit einer „frei­wil­li­gen Alko­hol­kon­trol­le“ ein­ver­stan­den sei, dann fra­ge ich stets, was dar­an frei­wil­lig sein soll. Wenn nicht, dann müs­se ich eben mit zur Wache kom­men, wo mir zwangs­wei­se Blut für einen Alko­hol­test abge­nom­men wür­de, erklär­te mir der Beam­te.  Da habe ich ihm wie­der­um erklärt, daß das kei­ne Frei­wil­lig­keit sei. Ver­deut­licht habe ich es ihm am Bei­spiel sei­ner Kol­le­gin, die dane­ben stand. Wenn ich die­se auf­for­dern wür­de, mich nicht abzu­wei­sen, wenn ich ihr wür­de nahe­tre­ten wol­len, weil ich anson­sten „Maß­nah­men“ ergrei­fen wür­de, was das dann wäre. Nöti­gung min­de­stens, viel­leicht Frei­heits­be­rau­bung, viel­leicht mehr.

    Nur, wenn ich mit einem Fahr­zeug am Stra­ßen­ver­kehr teil­neh­me, gebe ich gewis­ser­ma­ßen einen Teil mei­ner Grund­rech­te preis. Soll­te mir das nicht geheu­er sein, könn­te aber auch auf das Fah­ren ver­zich­ten…  In der Coro­na-Kri­se habe ich die­se Alter­na­ti­ve nicht, ich kann nicht nicht leben oder mal eben auswandern.

    Die Geschich­te wie­der­holt sich nicht, das ist eines der meist­ge­glaub­ten Stan­dards, und dann wer­den immer wie­der Ana­lo­gien gesucht, wohl, weil wir dann doch aus den Feh­lern der Geschich­te ler­nen wol­len. Ich den­ke in den letz­ten Wochen des­öf­te­ren an die berühmt-berüch­tig­te Schrift von Hen­ry David Tho­reau: Über die Pflicht zum Unge­hor­sam gegen den Staat:

    „Auf die­se Wei­se kon­fron­tiert der Staat nie das Inne­re eines, intel­lek­tu­ell oder mora­lisch, son­dern nur sei­nen Kör­per, sei­ne Sin­ne. Der Staat ist nicht mit über­le­ge­ner Weis­heit oder Red­lich­keit aus­ge­rü­stet, er besitzt nur über­le­ge­ne phy­si­sche Stär­ke. Ich bin nicht gebo­ren, um mich zwin­gen zu las­sen. Ich will nach mei­ner eige­nen Art atmen. Laßt uns sehen, wer der Stär­ke­re ist.“ (Hen­ry David Tho­reau: Uber die Pflicht zum Unge­hor­sam gegen den Staat. 1849. S. 9.)

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    Technikethik

    Tech­nik­ethik:

    Tech­ni­sche Ent­wick­lun­gen kon­tro­vers reflektieren

    Kolloquium 

    WS 2021 | don­ners­tags | 14:00–15:30 | Online
    Beginn: 28. Okt. 2021 | Ende: 10. Febr. 2022

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    Von Ver­ant­wor­tung ist immer wie­der die Rede. Ja, sie ist vakant und der Lauf der Welt ist alles ande­re als ver­trau­ens­er­weckend. Der gute Wil­le allein genügt nicht. Zu unter­schei­den sind min­de­stens das Sub­jekt der Ver­ant­wor­tung, der Ver­ant­wor­tungs­be­reich und die Ver­ant­wor­tungs­in­stanz, (ehe­dem Gott und jetzt?).

    Es gilt näher hin­zu­se­hen, wenn wir Fra­gen der Ver­ant­wor­tung ange­hen wol­len, denn der Begriff ist mehr­di­men­sio­nal. Der Karls­ru­her Tech­nik­phi­lo­soph Gün­ter Ropohl hat das Gan­ze auf eine For­mel mit sie­ben Varia­blen gebracht: Wer ver­ant­wor­tet was, wofür, wes­we­gen, wovor, wann, wie? Wir müs­sen doch nicht alles machen, was wir kön­nen. Wie weit geht ihre (per­sön­li­che) Ver­ant­wor­tung wirklich?

    Die­ses Kol­lo­qui­um soll Fra­gen der Tech­nik­ethik prak­tisch erfahr­bar machen. Das wird anhand von Fall­stu­di­en aus ihren eige­nen zukünf­ti­gen Berufs­fel­dern gesche­hen, die sich aus unter­schied­li­chen Per­spek­ti­ven dis­ku­tie­ren las­sen. Dabei kommt es weni­ger auf das Ergeb­nis an, son­dern auf die Qua­li­tät und den Aus­tausch der vor­ge­brach­ten Argumente.

    Betrei­ben wir also Tech­nik­ethik ganz kon­kret. Neh­men wir uns rea­le Situa­tio­nen vor: sei­en es der Abgas­skan­dal, Stel­lung­nah­men zum Ein­satz von Gen­ma­ni­pu­la­ti­on, der Ein­sturz der Brücke in Genua, Unfäl­le im Rah­men von Fahr­ten mit auto­no­men Pkw — oder was immer Sie umtreibt. Tun wir so, als wären wir unmit­tel­bar dabei und hät­ten etwas zu sagen. Insze­nie­ren wir die Kon­tro­ver­sen, in denen Tech­nik­li­ni­en gestal­tet wer­den, um sie am eige­nen Leib zu
    erfah­ren. Die Ver­an­stal­tung soll Ihnen dazu die­nen, Erfah­run­gen zu machen, die spä­ter womög­lich auf Sie zukom­men. Es ist dann fast wie ein Pri­vi­leg, sich spä­ter dar­an zurück­er­in­nern zu kön­nen, so etwas Ähn­li­ches schon ein­mal durch­ge­spielt zu haben.

    Nein, wir müs­sen es nicht.
    Aber?
    Aber wir wer­den es machen.
    Und wes­halb?
    Weil wir nicht ertra­gen, wenn der klein­ste Zwei­fel bleibt,
    ob wir es wirk­lich können.

    (Hans Blu­men­berg)

    Dirck van Babu­ren: Pro­me­theus wird von Vul­kan ange­ket­tet (1623). — Quel­le: Public Domain via Wiki­me­dia. — Pro­me­theus, der Gott des Fort­schritts, wird auf Geheiß des Zeus, unter Auf­sicht des Göt­ter­bo­ten Her­mes, vom Gott der Tech­nik Vul­kan an einen Fel­sen im Kau­ka­sus geschmie­det. Sein Ver­ge­hen: Er hat aus Men­schen­lie­be die Tech­nik zu den Men­schen gebracht. Die­se soll­ten dar­auf den Fort­schritt eini­ge Jahr­tau­sen­de nicht mehr zu Gesicht bekommen.

    Die Zei­ten sind vor­bei, als Inge­nieu­re und Inge­nieu­rin­nen fast jede wei­te­re Ver­ant­wor­tung noch zurück­wie­sen mit den Wor­ten, sie wür­den die Tech­nik nur her­stel­len, sei­en aber nicht ver­ant­wort­lich dafür, was dar­aus wür­de. — Aber machen wir uns nichts vor, Ver­su­che, den tech­ni­schen Fort­schritt auf ›bes­se­re‹ Bah­nen zu len­ken, gab es vie­le. Unver­ges­sen ist das Wort von Ulrich Beck: Die Ethik spielt im Modell der ver­selb­stän­dig­ten Wis­sen­schaf­ten die Rol­le einer Fahr­rad­brem­se am Inter­con­ti­nen­tal Flugzeug. 

    For­de­run­gen nach Ethik, Ver­ant­wor­tung, Tech­nik­fol­gen­ab­schät­zung, nach­hal­ti­gem Wachs­tum und Kil­ma­schutz wer­den tag­täg­lich erho­ben und sind nicht unpro­ble­ma­tisch, denn es ist auch Über­for­de­rung im Spiel. Wofür sind wir als Ein­zel­ne ver­ant­wort­lich und wie soll denn die Gesamt­ver­ant­wor­tung wahr­ge­nom­men wer­den? All­mäh­lich wird es Zeit. Wer gibt die Tech­nik­zie­le vor oder gene­rie­ren sie sich selbst? 

    Was vie­le Ver­schwö­rungs­theo­rien noch unter­stel­len: Es gibt sie nicht, die Schalt­zen­tra­len der Macht, in denen die Zie­le des Fort­schritts vor­ge­ge­ben, der Kurs ein­ge­stellt und die Ent­wick­lun­gen koor­di­niert wer­den. Zwei­fels­oh­ne spie­len Tech­nik und Wirt­schaft eine gro­ße Rol­le, aber auch Poli­tik und Kultur.

    Der blaue Pla­net ist zur Anthro­po­sphä­re gewor­den. Inzwi­schen wur­de bereits ein neu­es Erd­zeit­al­ter aus­ge­ru­fen, das Anthro­po­zän. Die Zivi­li­sa­ti­on ist nun­mehr alles ent­schei­dend für das Schick­sal des gan­zen Pla­ne­ten und die Zukunft der Mensch­heit. Die Erde ist zum Raum­schiff gewor­den. Wir rasen durch einen lebens­feind­li­chen Raum, hin­ter uns eine erst kur­ze Epi­so­de der Zivi­li­sa­ti­on und vor uns eine Zukunft, die mit sich selbst auf Kol­li­si­ons­kurs geht.

    Wenn es sie denn gäbe, die Kommando–Brücke, in der die Navi­ga­ti­on vor­ge­nom­men wird, wenn wir dort­hin­ein gelan­gen könn­ten, es wäre der Schock unse­res Lebens. Denn die Pilo­ten­kan­zel ist leer, alles steht auf Auto­pi­lot und nie­mand wäre in der Lage, den Flug ›von Hand‹ zu steu­ern. Dabei ist das Gan­ze kei­nes­wegs nur eine Fra­ge der Tech­nik, son­dern auch eine von Poli­tik, Wirt­schaft, Recht, Kul­tur, Wis­sen­schaft und vie­lem ande­ren mehr.

    Jan Cos­siers: Car­ry­ing Fire (ca. 1630). Pro­me­theus stiehlt das Feu­er aus der Werk­statt des Vul­kan. Es ist nicht das Herd­feu­er, das hat­ten die Men­schen schon sehr lang. Es ist das Metall­ur­gen­feu­er, womit die Bron­ze­zeit begann und
    dann auch die Zivi­li­sa­ti­on. — Quel­le: Public Domain via Wikimedia.

    Daher genügt es längst nicht mehr, ein­fach nur ›gute‹ Tech­nik zu machen, Pro­ble­me prag­ma­tisch zu lösen, im Sin­ne des ›sta­te of the art‹ zu ent­wickeln, Nor­men und Vor­schrif­ten ein­zu­hal­ten usw. usf. — Dar­über hin­aus stellt sich vor allem auch die Fra­ge, wie weit denn die per­sön­li­che Ver­ant­wor­tung rei­chen soll. Es ist nicht allein die Tech­nik, die den Fort­schritt bestimmt, es sind vie­le ver­schie­de­nen Fak­to­ren, die eine Rol­le spie­len. — Die Rol­len im Mythos vom Pro­me­theus, der den tech­ni­schen Fort­schritt zur Dar­stel­lung bringt, las­sen die Zusam­men­hän­ge erahnen. 

    Da ist der Men­schen­freund Pro­me­theus, der mit besten Absich­ten die Ent­wick­lung anfacht, aber eigent­lich nicht sehr glück­lich agiert. Da ist Vul­kan, der Tech­ni­ker, der alles tut, was ihm auf­ge­tra­gen wird. Er murrt zwar, als er den geschätz­ten Kol­le­gen anket­ten soll, aber er tut es. Da ist Zeus, der ein ambi­va­len­tes Ver­hält­nis zur Mensch­heit hat und daher hin und her­ge­ris­sen ist über das Prometheus–Projekt. Da ist Athe­ne, die Göt­tin der Weis­heit, die den neu­en Zivi­li­sa­ti­ons­men­schen eine See­le ein­haucht. Sie spen­det auch die Wis­sen­schaft und die Ver­nunft. Außer­dem ist da noch Pan­do­ra, die mit allen Gaben Beschenk­te, die die Gaben der abdan­ken­den Göt­ter zu den Men­schen bringt, aber eben auch die damit ver­bun­de­nen Übel. Und da ist noch Epi­me­theus, ein Melan­cho­li­ker, der sich in Pan­do­ra ver­liebt. — Das dürf­te genü­gen, die ver­schie­de­nen Sei­ten und Inter­es­sen zu cha­rak­te­ri­sie­ren, die dafür sor­gen, daß der Fort­schritt eben einen bestimm­ten Gang nimmt.

    Als der Mün­che­ner Sozio­lo­gie Ulrich Beck im Jah­re 1958 den Ein­tritt in die Risi­ko­ge­sell­schaft dia­gno­sti­zier­te, sah er den technisch–ökonomischen Fort­schritt über­la­gert von immer grö­ße­ren, unge­plan­ten Neben­fol­gen, grenz­über­schrei­ten­den Umwelt­pro­ble­men und glo­ba­len Fol­gen Es gibt inzwi­schen einen Grad an Kom­ple­xi­tät, der sich nicht mehr steu­ern oder gar beherr­schen läßt. Eigent­lich müß­ten alle unse­re Inno­va­tio­nen unter­halb die­ser Schwel­le blei­ben, aber das Gegen­teil ist der Fall. Also wofür sind Tech­ni­ker, Inge­nieu­re und Inge­nieu­rin­nen wirk­lich ver­ant­wort­lich? Wel­cher Teil der Ver­ant­wor­tung fällt ande­ren zu?

    Har­ry Bates: Akt (1891). Auf Geheiß des Zeus wur­de von Vul­kan eine Frau erschaf­fen, mit allen Gaben der Göt­ter aus­ge­stat­tet und von Her­mes zu den Men­schen gebracht. Sie brach­te jedoch nicht nur die Fähig­kei­ten der Göt­ter, son­dern auch die damit ver­bun­de­nen Übel auf die Erde. — Quel­le: Public Domain via Wikimedia.

    Es ist kei­ne unpro­ble­ma­ti­sche Ent­wick­lung, daß in den letz­ten Jahr­zehn­ten immer mehr Ver­ant­wor­tung auf Ein­zel­ne über­tra­gen wur­de, wäh­rend die Gesamt­ver­ant­wor­tung sich immer wei­ter ver­flüch­tigt. Wer ver­ant­wort­lich sein soll, muß gestal­ten, muß auch anders ent­schei­den kön­nen, erst dann kann Ver­ant­wor­tung zuge­schrie­ben wer­den. — Inso­fern ist der Anspruch auf Ethik und Moral das eine, wie damit ganz prak­tisch umge­gan­gen wer­den kann, ist das ande­re. Sich ver­ant­wort­lich zu füh­len für Ver­hält­nis­se, die nicht in der eige­nen Macht ste­hen, ist daher nicht unpro­ble­ma­tisch. Wer Ver­ant­wor­tung über­nimmt, muß ›Nein sagen‹ kön­nen oder ›So nicht!‹.

    In die­sem Semi­nar sol­len sol­che Kon­flik­te in Wert­fra­gen, Ziel­kon­flik­ten und der mora­li­schen Inte­gri­tät durch­ge­spielt wer­den. Das geschieht anhand von Bei­spie­len ein­schlä­gi­ger Dilemma–Situationen. Mit­un­ter sind die Rah­men­be­din­gun­gen schon pro­ble­ma­tisch, etwa wenn es gilt, unter den Bedin­gun­gen schlech­ter Kom­mu­ni­ka­ti­ons­ver­hält­nis­se und aus Sor­ge um die eige­ne Repu­ta­ti­on fach­lich kom­pe­tent und mora­lisch inte­ger zu han­deln. Dazu bedarf es eini­ger Erfah­run­gen, die genau­so wich­tig sind wie das gan­ze tech­ni­sche Know–how.

    Dazu hat der Kon­stan­zer Phi­lo­soph und Wis­sen­schafts­theo­re­ti­ker Jür­gen Mit­tel­straß eine hilf­rei­che Unter­schei­dung geprägt: Zum tech­ni­schen Ver­fü­gungs­wis­sen gehört auch ein eben­so wich­ti­ges Ori­en­tie­rungs­wis­sen. Das eine sagt uns wie, das ande­re aber wozu. — Mit­un­ter gera­ten aber das Wie und das Wozu in Wider­sprü­che. Die Tech­nik­ge­schich­te ist voll sol­cher Bei­spie­le, wo erst sehr viel spä­ter sich Neben­fol­gen mit kolos­sa­len Wir­kun­gen zei­gen, bis sie end­lich wahr­ge­nom­men und the­ma­ti­siert werden.

    Und natür­lich stellt sich immer wie­der die Fra­ge, ob es nicht doch eine ›bes­se­re‹ Tech­nik gibt, eine, die von vorn­her­ein weni­ger Neben­fol­gen hat. Tech­ni­ku­to­pien sind daher eine wich­ti­ge Ori­en­tie­rungs­hil­fe, vor allem dann, wenn kri­tisch damit umge­gan­gen wird. Wesent­lich ist es, die ver­schie­de­nen Aspek­te erör­tern zu kön­nen und nicht zuletzt, ande­re zu über­zeu­gen. Dazu ist kri­ti­sches Den­ken erfor­der­lich. Daher geht es um die ethi­sche, poli­ti­sche, öko­no­mi­sche und öko­lo­gi­sche Ver­ant­wor­tung im Inge­nieur­we­sen. Erst das macht ›gute‹ Tech­nik mög­lich, ein ›gutes‹ Gewis­sen und nicht zuletzt gute Professionalität. 

    Band­icoot Robot: Con­ver­ting man­ho­le to robo­ho­le (2018). — Quel­le: Public Domain via Wikimedia.

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    Grundrechte in der Corona-Krise

    Das Schweigen der Richter

    Von der Mond­lan­dung bis zum Lockdown

    Wer die Mond­lan­dung am Fern­se­her live mit­er­lebt hat, hat viel­leicht auch die­ses Erweckungs­er­leb­nis. Wenn so etwas mög­lich war, dann schien eigent­lich alles mach­bar. Dann kam es 1972 mit den Stu­di­en des Club of Rome zu einer Fun­da­men­tal­kri­se aller die­ser Hoff­nun­gen. — Auch das Grund­ge­setz hat­te immer etwas von die­ser Mond­lan­dung, es war und ist eine über­zeit­li­che Lei­stung mit Ewig­keits­cha­rak­ter. Die­ses Sicher­heits­ge­fühl hat sich gehal­ten, wohl weil die Per­for­mance stets stim­mig schien, wenn >Karls­ru­he< sprach.

    Leben oder Frei­heit – Ist die Coro­na-Poli­tik mit dem Grund­ge­setz ver­ein­bar? — SWR2-Forum,

    Tho­mas Ihm dis­ku­tiert mit

    Gigi Dep­pe, SWR-Rechts­exper­tin,
    Prof. Dr. Chri­sti­an Kirch­berg, Rechts­an­walt
    Prof. Dr. Heinz-Ulrich Nen­nen, Phi­lo­soph

    Das hat­te etwas von Del­phi, wo die Prie­ster in ihren Sit­zun­gen dar­über berie­ten, was Apol­lo als Herr des Hau­ses wohl gesagt haben wür­de. Aller­dings ist ein Ora­kel wie das von Del­phi auch nur ein Unter­neh­men mit dem Bestre­ben, mög­lichst immer wie­der kon­sul­tiert zu wer­den. Und 1000 Jah­re kamen Men­schen und Staats­ver­tre­ter aus dem gan­zen Mit­tel­meer­raum mit höchst ent­schei­den­den Fra­gen, es kann also kein Hokus­po­kus gewe­sen sein.

    Wenn die Rich­ter in den roten Roben zusam­men­tra­gen, dann hat­te das etwas von die­ser Aura: Immer wenn bewe­gen­de Urtei­le anstan­den, fand sich mit­un­ter auch eine Spur jener Weis­heit, wie sie nun ein­mal einer letz­ten Instanz anste­hen. — Auch das ist kein Hokus­po­kus, erfor­der­lich ist gutes Hand­werk, hohe Intel­li­genz, Dis­kurs­ver­mö­gen und vor allem eines, der gemein­sa­me Wil­le im Kol­le­gi­um, her­aus­zu­brin­gen, was wohl die Stim­me der Ver­nunft gesagt haben würde.

     

    (Mein Bei­trag beginnt ab: 23:30)

    Tie­fen und Untie­fen der Corona-Krise
    Online-Dis­kus­si­on vom 9. Febru­ar 2021. Einf. u. Mod.: Ull­rich Eiden­mül­ler,

    1. Vor­sit­zen­der des För­der­ver­eins FORUM RECHT e. V. 
    Refe­ren­ten:
    Prof. Dr. Chri­sti­an Kirch­berg (* 1947), Rechts­an­walt in Karls­ru­he und Vor­sit­zen­der des Ver­fas­sungs­rechts­aus­schus­ses der Bundesrechtsanwaltskammer. 

    Prof. Dr. Heinz-Ulrich Nen­nen (* 1955), Pro­fes­sor für Phi­lo­so­phie am Karls­ru­her Insti­tut für Tech­no­lo­gie (KIT). 

    Black­out mit Notstromdiesel

    Wer am 31. Janu­ar 2008 gegen 17:35 Uhr per Stra­ßen­bahn die Innen­stadt von Karls­ru­he auf dem Weg zum Haupt­bahn­hof pas­sie­ren woll­te, konn­te erle­ben, wie ein Strom­aus­fall sich vor Ort dar­stellt: Das Licht ging aus, die Bahn hielt mit­ten auf der Strecke, drau­ßen war nichts mehr zu sehen. Spär­li­ches Licht flacker­te auf, die Umge­bung wirk­te gespen­stisch. Nur sche­men­haft war erkenn­bar, wie Per­so­nal an den Türen der Geschäf­te sich postierte.

    Carl Spitzweg: Das Auge des Gesetzes (Justitia) (1857).
    Carl Spitz­weg: Das Auge des Geset­zes (Justi­tia) (1857).

    Ich ent­schloß mich, die Not­ent­rie­ge­lung der Stra­ßen­bahn­tür zu betä­ti­gen, aus­zu­stei­gen und ein Taxi zu neh­men, um die Fahrt zum Bahn­hof wei­ter fort­zu­set­zen. Die Impres­sio­nen auf die­ser Taxi­fahrt waren beein­druckend und lehr­reich: Der Weg führ­te an der Badi­schen Lan­des­bank vor­bei. Sie war beleuch­tet, die Not­strom­ver­sor­gung war also ange­sprun­gen. Dann fiel der näch­ste Blick auf das Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt. Das Gebäu­de war hell erleuch­tet, so, als wenn nichts wäre.

    Der­weil lag die Uni­ver­si­tät Karls­ru­he im Dunk­len und nur das Rechen­zen­trum hat­te spär­li­ches Licht. Ein ein­zi­ger Hotel­flur war noch beleuch­tet. — An einem Kran­ken­haus führ­te der Weg nicht vor­bei. Dabei ist es wesent­lich, daß gera­de auch dort die stö­rungs­freie Strom­ver­sor­gung gewähr­lei­stet sein muß. Auch der Haupt­bahn­hof war hell erleuch­tet, denn die Deut­sche Bun­des­bahn ver­fügt über ein eige­nes Netz und eige­ne Strom­ver­sor­gung. Man hat­te nicht ein­mal etwas bemerkt von der Störung.

    Es ist wich­tig, sich vor Augen zu füh­ren, wie fra­gil unse­re sozio­tech­ni­schen Wel­ten eigent­lich sind. Es braucht nur klei­ne Unbe­dacht­sam­kei­ten, die zum Super­gau füh­ren kön­nen. – Ein war­nen­des Bei­spiel dazu sind die nicht über­flu­tungs­si­cher instal­lier­ten Not­strom­ag­gre­ga­te der Kern­kraft­werks­blöcke 1–3 von Fuku­shi­ma I.

    Mul­ti­ples Systemversagen

    Wir erwar­ten von unse­rer Tech­nik, daß Not­fall­sy­ste­me auto­ma­tisch hoch­fah­ren, das wird regel­mä­ßig geprobt — in der Tech­nik. Dabei soll­ten wir die­sel­ben Anfor­de­run­gen auch an die Sozia­len Syste­me stel­len. Gera­de in Kri­sen sind wir dar­auf ange­wie­sen, daß schlicht und ergrei­fend längst Vor­keh­run­gen getrof­fen wor­den sind.

    Immer wie­der wur­de die Unver­brüch­lich­keit des Grund­ge­set­zes beschwo­ren. Plan­spie­le und Sze­na­ri­en für Aus­nah­me­zu­stän­de wären bes­ser gewe­sen als Sonn­tags­re­den. Tat­säch­lich haben wir es mit einem mul­ti­plen System­ver­sa­gen zu tun. — Das Gleich­ge­wicht der Kräf­te ist in der Coro­na-Kri­se von Anfang an ins Ungleich­ge­wicht gera­ten und es hat >sich< auch nicht wie­der ein­ge­pen­delt. Was das bedeu­tet, läßt sich an einem Plat­ten­spie­ler erläu­tern, wenn auf der einen Sei­te der Ton­arm, also die Exe­ku­ti­ve und auf der ande­ren Sei­te das Gegen­ge­wicht, also die Judi­ka­ti­ve und vor allem auch die Legis­la­ti­ve für den rich­ti­gen Aus­gleich sorgen.

    Am 14. Mai 2020 hat das ober­ste Gericht zwei Ver­fas­sungs­be­schwer­den um Coro­na und Grund­rech­te nicht zur Ent­schei­dung ange­nom­men. Dabei boten gera­de die­se bei­den, fast muster­gül­ti­gen Ver­fas­sungs­kla­gen die Gele­gen­heit für die Ver­fas­sungs­rich­ter, sich gene­rell in Sachen Coro­na zu äußern. Das hät­te dann wie­der­um der Poli­tik sehr viel mehr Ori­en­tie­rung gegeben.

    Durch Nicht­ein­las­sung haben die Karls­ru­her Rich­ter jedoch selbst das Gleich­ge­wicht der Kräf­te zwi­schen Legis­la­ti­ve, Judi­ka­ti­ve, Exe­ku­ti­ve und auch zwi­schen Bund und Län­dern aus dem Gleich­ge­wicht und außer Kon­trol­le gebracht. — Hät­ten die Rich­ter sich über­wun­den, den Mut und die Weit­sicht gefun­den, im lau­fen­den Pro­zeß der Coro­na-Kri­se das Spek­trum des ver­fas­sungs­recht­lich Gebo­te­nen zu skiz­zie­ren, sie hät­ten die Poli­tik davor bewahrt, zum Opfer der eige­nen Angst­po­li­tik zu werden.

    Schön­wet­ter­de­mo­kra­tie?

    Das Par­la­ment als Ort öffent­li­cher Mei­nungs­bil­dung wur­de kur­zer­hand ersetzt durch eine ver­fas­sungs­recht­lich gar nicht vor­ge­se­he­ne Mini­ster­prä­si­den­ten-Kon­fe­renz unter Lei­tung der Bun­des­kanz­le­rin, in der man seit einem Jahr alle ent­schei­den­den Erwä­gun­gen unter Aus­schluß der Öffent­lich­keit vor­nimmt. — Dabei wur­de immer wie­der der Föde­ra­lis­mus schlecht gere­det, der aller­dings ein unver­füg­ba­res Gebot der Ver­fas­sung dar­stellt. Am Bei­spiel von Frank­reich läßt sich zei­gen, was es bedeu­tet, wenn kei­ne effek­ti­ven kom­mu­na­len Struk­tu­ren vor Ort vor­han­den sind.

    Auch die immer wie­der auf­ge­brach­te For­de­rung nach Gleich­be­hand­lung, ohne Rück­sicht auf die vor Ort tat­säch­lich vor­lie­gen­den Ver­hält­nis­se, ist stets unwi­der­spro­chen erho­ben wor­den. Dage­gen kam nur noch durch die Län­der­ho­heit über­haupt noch so etwas wie eine Pflicht zur Ver­hand­lung ins Spiel. Inso­fern wur­de das Land durch den Föde­ra­lis­mus vor einem radi­ka­len Zen­tra­lis­mus mit noch mehr Kol­la­te­ral­schä­den bewahrt.

    Alle die­se Vor­keh­run­gen der Gewal­ten­tei­lung sind vor dem Hin­ter­grund der Erfah­run­gen mit der Wei­ma­rer Repu­blik und der Mög­lich­keit einer >Gleich­schal­tung< getrof­fen wor­den. Aus guten Grün­den wur­de ein durch­dach­tes Kon­zept von Checks and Balan­ces mit dem Grund­ge­setz eta­bliert. Alle die­se ver­brief­ten Siche­run­gen durch das syste­ma­ti­sche Aus­ba­lan­cie­ren der Gewal­ten gal­ten bis­lang als ver­trau­ens­wür­dig, ver­läß­lich, ja eigent­lich als robust und gera­de­zu unver­wüst­lich. Dabei stell­te sich im Zuge derCoro­na-Kri­se her­aus, daß viel davon offen­bar nur >gefühl­teSicher­heit< war.

    Die Ver­trau­ens­wür­dig­keit des Grund­ge­set­zes und sei­ner Orga­ne wur­de in Sonn­tags­re­den immer wie­der gefei­ert. Als es aber zum Schwur kam, da schwie­gen die hohen Rich­ter. Das Mobilé der Gewal­ten kam aus dem Gleich­ge­wicht und ver­hak­te sich end­gül­tig. Ver­hält­nis­se kamen auf, die nicht hat­ten mög­lich sein sol­len, auch und gera­de in einer Kri­se nicht. — Für den Satz >Not kennt kein Gebot< gibt es nicht einen ein­zi­gen denk­ba­ren Anwen­dungs­fall, weil eine Ver­fas­sung genau dann ver­läß­lich sein muß, wenn es dar­auf ankommt. Wir leben nicht in einer Schön­wet­ter­de­mo­kra­tie. Ganz offen­bar fehlt aller­dings ein fun­da­men­ta­ler Dis­kurs über Not­stand und Grund­ge­setz. Kevin allein zu Haus

    Nun war die Poli­tik ganz >allein zu Hau­se<. Kei­ne ande­ren Gewal­ten, kei­ne Lob­bys und auch kei­ne Kri­ti­ker moch­ten sich noch zu Wort mel­den, denn vie­le von ihnen waren bereits exkom­mu­ni­ziert. In den vie­len Talk­shows sah man immer wie­der die Anspan­nung in den Gesich­tern, bloß nicht ein womög­lich ver­rä­te­ri­sches Wort zu benut­zen, das unmit­tel­bar zur Exkom­mu­ni­ka­ti­on geführt hätte.

    Die­ser Zustand ist eine sozio-kul­tu­rel­le Kata­stro­phe, denn die­se Kon­stel­la­ti­on ent­spricht genau dem, wovor der Sozio­lo­ge Niklas Luh­mann immer wie­der gewarnt hat: Angst­kom­mu­ni­ka­ti­on und Ent­dif­fe­ren­zie­rung. Das bedeu­tet in Ana­lo­gie nichts gerin­ge­res als ein mul­ti­ples System­ver­sa­gen. Es ist ein Rück­fall in den Abso­lu­tis­mus, wenn die Gesell­schaft in künst­li­ches Koma ver­setzt wird. — Die Poli­tik ist völ­lig über­for­dert, sie kann nicht lei­sten, was sie sich da auf­bür­den läßt. Daher wer­den die Maß­nah­men immer radi­ka­ler und immer end­lo­ser.

    Das Schwei­gen der Richter

    Gewal­ten­tei­lung, Föde­ra­lis­mus, Mei­nungs­ver­schie­den­heit, Dis­kur­se, der Anspruch auf Selbst­ver­ant­wor­tung und Mün­dig­keit, das alles sind kei­ne Stö­run­gen, gera­de in einer Kri­se nicht. Aber vie­len wur­de weis­ge­macht, daß dem so wäre. Man­che gaben dem nach, ande­re blie­ben beim Zwei­fel und durch die Gesell­schaft ging ein Riß, bei dem sich die unter­schied­li­chen Ansich­ten nicht mehr mit­ein­an­der ins Gespräch brin­gen lie­ßen. — Dabei ist gera­de die Viel­falt der Hin­sich­ten die alles ent­schei­den­de Bedin­gung für die Mög­lich­keit einer umsich­ti­gen Poli­tik und einer zeit­ge­nös­si­schen Kul­tur, die dem Unter­ta­nen­geist, Fremd­be­stim­mung und der Bevor­mun­dung end­gül­tig Valet sagen sollte. 

    Die Corona–Krise bie­tet auch eine Chan­ce, den Unter­ta­nen­geist in Deutsch­land end­lich zu über­win­den, den auto­ri­tä­ren Cha­rak­ter und vor allem das mis­an­thro­pi­sche Men­schen­bild. War­um über­tra­gen wir nicht den Geist der Reform­päd­ago­gik auch auf ein neu­es Ver­ständ­nis einer zeit­ge­mä­ßen Poli­tik? In Psy­cho­lo­gie und Päd­ago­gik wird spä­te­stens seit den 70er Jah­ren nicht mehr mit Bevor­mun­dung, son­dern mit Ein­ver­neh­men agiert.

    Wir müs­sen unbe­dingt unter­schei­den zwi­schen Staat, Gesell­schaft und Gemein­schaft. Wer das alles zusam­men­bringt, führt zumeist nichts Gutes im Schil­de. – Ein Staat ist kei­ne Gemein­schaft, auch eine Gesell­schaft ist er nicht. Unge­hin­dert ver­geht sich der Staat nicht sel­ten an der Gesell­schaft, denn Staat und Gesell­schaft zie­hen nicht unbe­dingt an einem Strang. Daher ist die Ver­fas­sung so ent­schei­dend, weil sie erst die Rah­men­be­din­gun­gen schafft und sicher­stellt, daß alle die­se Gewal­ten getrenn­ter Wege gehen müs­sen. Sie sol­len nicht eins sein, sie sol­len und müs­sen mit­ein­an­der rin­gen: “Audi­ta­tur et alte­ra pars” — Man höre auch die ande­re Sei­te. Das fin­det wie­der­um im Art. 103 Abs. 1 des Grund­ge­set­zes sei­ne Ent­spre­chung: Vor Gericht hat jeder­mann Anspruch auf recht­li­ches Gehör.”

    Die Prü­fung der Ver­hält­nis­mä­ßig­keit obliegt den Ver­fas­sungs- und Ver­wal­tungs­ge­rich­ten. Seit Beginn der Coro­na-Kri­se wur­de erwar­tet, daß enor­me Unver­hält­nis­mä­ßig­kei­ten kon­sta­tiert wür­den. Das war aber nicht der Fall. Auch war es nicht der Fall, daß klä­ren­de Wor­te durch ober­ste Rich­ter gespro­chen wor­den wären. — Ein nicht unbe­trächt­li­cher Anteil an der Pro­test­kul­tur läßt sich auch auf das Schwei­gen der Rich­ter zurück­füh­ren und die Unsi­cher­heit, in der die Gesell­schaft sich selbst über­las­sen wurde.

    Die Corona–Krise ist ein umfas­sen­der, mehr als nur poli­ti­scher, son­dern viel­mehr sozio­kul­tu­rel­ler Kon­flikt von höch­ster Bri­sanz. Über Wochen und Mona­te wur­den grund­sätz­li­che Urtei­le und Ein­las­sun­gen des Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richts förm­lich gewar­tet, aber nichts geschah. — Es mutet an, als hät­ten die Rich­ter in den roten Roben, wie wei­land der römi­sche Stadt­hal­ter Pon­ti­us Pila­tus, sich eine Schüs­sel mit Was­ser rei­chen las­sen, um die Hän­de in Unschuld zu waschen.

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    Technikethik

    Kol­lo­qui­um 

    Tech­nik­ethik

    Tech­ni­sche Ent­wick­lun­gen kon­tro­vers reflektieren

    SS 2021 | don­ners­tags | 14:00–15:30 | Online
    Beginn: 22 April 2021 | Ende: 22. Juli 2021

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    Von Ver­ant­wor­tung ist immer wie­der die Rede. Ja, sie ist vakant und der Lauf der Welt ist alles ande­re als ver­trau­ens­er­weckend. Der gute Wil­le allein genügt nicht. Zu unter­schei­den sind min­de­stens das Sub­jekt der Ver­ant­wor­tung, der Ver­ant­wor­tungs­be­reich und die Ver­ant­wor­tungs­in­stanz, (ehe­dem Gott und jetzt?).

    Es gilt näher hin­zu­se­hen, wenn wir Fra­gen der Ver­ant­wor­tung ange­hen wol­len, denn der Begriff ist mehr­di­men­sio­nal. Der Karls­ru­her Tech­nik­phi­lo­soph Gün­ter Ropohl hat das Gan­ze auf eine For­mel mit sie­ben Varia­blen gebracht: Wer ver­ant­wor­tet was, wofür, wes­we­gen, wovor, wann, wie? Wir müs­sen doch nicht alles machen, was wir kön­nen. Wie weit geht ihre (per­sön­li­che) Ver­ant­wor­tung wirklich?

    Die­ses Kol­lo­qui­um soll Fra­gen der Tech­nik­ethik prak­tisch erfahr­bar machen. Das wird anhand von Fall­stu­di­en aus ihren eige­nen zukünf­ti­gen Berufs­fel­dern gesche­hen, die sich aus unter­schied­li­chen Per­spek­ti­ven dis­ku­tie­ren las­sen. Dabei kommt es weni­ger auf das Ergeb­nis an, son­dern auf die Qua­li­tät und den Aus­tausch der vor­ge­brach­ten Argumente.

    Betrei­ben wir also Tech­nik­ethik ganz kon­kret. Neh­men wir uns rea­le Situa­tio­nen vor: sei­en es der Abgas­skan­dal, Stel­lung­nah­men zum Ein­satz von Gen­ma­ni­pu­la­ti­on, der Ein­sturz der Brücke in Genua, Unfäl­le im Rah­men von Fahr­ten mit auto­no­men Pkw — oder was immer Sie umtreibt. Tun wir so, als wären wir unmit­tel­bar dabei und hät­ten etwas zu sagen. Insze­nie­ren wir die Kon­tro­ver­sen, in denen Tech­nik­li­ni­en gestal­tet wer­den, um sie am eige­nen Leib zu
    erfah­ren. Die Ver­an­stal­tung soll Ihnen dazu die­nen, Erfah­run­gen zu machen, die spä­ter womög­lich auf Sie zukom­men. Es ist dann fast wie ein Pri­vi­leg, sich spä­ter dar­an zurück­er­in­nern zu kön­nen, so etwas Ähn­li­ches schon ein­mal durch­ge­spielt zu haben.

    Nein, wir müs­sen es nicht.
    Aber?
    Aber wir wer­den es machen.
    Und wes­halb?
    Weil wir nicht ertra­gen, wenn der klein­ste Zwei­fel bleibt,
    ob wir es wirk­lich können.

    (Hans Blu­men­berg)

    Dirck van Babu­ren: Pro­me­theus wird von Vul­kan ange­ket­tet (1623). — Quel­le: Public Domain via Wiki­me­dia. — Pro­me­theus, der Gott des Fort­schritts, wird auf Geheiß des Zeus, unter Auf­sicht des Göt­ter­bo­ten Her­mes, vom Gott der Tech­nik Vul­kan an einen Fel­sen im Kau­ka­sus geschmie­det. Sein Ver­ge­hen: Er hat aus Men­schen­lie­be die Tech­nik zu den Men­schen gebracht. Die­se soll­ten dar­auf den Fort­schritt eini­ge Jahr­tau­sen­de nicht mehr zu Gesicht bekommen.

    Die Zei­ten sind vor­bei, als Inge­nieu­re und Inge­nieu­rin­nen fast jede wei­te­re Ver­ant­wor­tung noch zurück­wie­sen mit den Wor­ten, sie wür­den die Tech­nik nur her­stel­len, sei­en aber nicht ver­ant­wort­lich dafür, was dar­aus wür­de. — Aber machen wir uns nichts vor, Ver­su­che, den tech­ni­schen Fort­schritt auf ›bes­se­re‹ Bah­nen zu len­ken, gab es vie­le. Unver­ges­sen ist das Wort von Ulrich Beck: Die Ethik spielt im Modell der ver­selb­stän­dig­ten Wis­sen­schaf­ten die Rol­le einer Fahr­rad­brem­se am Inter­con­ti­nen­tal Flugzeug. 

    For­de­run­gen nach Ethik, Ver­ant­wor­tung, Tech­nik­fol­gen­ab­schät­zung, nach­hal­ti­gem Wachs­tum und Kil­ma­schutz wer­den tag­täg­lich erho­ben und sind nicht unpro­ble­ma­tisch, denn es ist auch Über­for­de­rung im Spiel. Wofür sind wir als Ein­zel­ne ver­ant­wort­lich und wie soll denn die Gesamt­ver­ant­wor­tung wahr­ge­nom­men wer­den? All­mäh­lich wird es Zeit. Wer gibt die Tech­nik­zie­le vor oder gene­rie­ren sie sich selbst? 

    Was vie­le Ver­schwö­rungs­theo­rien noch unter­stel­len: Es gibt sie nicht, die Schalt­zen­tra­len der Macht, in denen die Zie­le des Fort­schritts vor­ge­ge­ben, der Kurs ein­ge­stellt und die Ent­wick­lun­gen koor­di­niert wer­den. Zwei­fels­oh­ne spie­len Tech­nik und Wirt­schaft eine gro­ße Rol­le, aber auch Poli­tik und Kultur.

    Der blaue Pla­net ist zur Anthro­po­sphä­re gewor­den. Inzwi­schen wur­de bereits ein neu­es Erd­zeit­al­ter aus­ge­ru­fen, das Anthro­po­zän. Die Zivi­li­sa­ti­on ist nun­mehr alles ent­schei­dend für das Schick­sal des gan­zen Pla­ne­ten und die Zukunft der Mensch­heit. Die Erde ist zum Raum­schiff gewor­den. Wir rasen durch einen lebens­feind­li­chen Raum, hin­ter uns eine erst kur­ze Epi­so­de der Zivi­li­sa­ti­on und vor uns eine Zukunft, die mit sich selbst auf Kol­li­si­ons­kurs geht.

    Wenn es sie denn gäbe, die Kommando–Brücke, in der die Navi­ga­ti­on vor­ge­nom­men wird, wenn wir dort­hin­ein gelan­gen könn­ten, es wäre der Schock unse­res Lebens. Denn die Pilo­ten­kan­zel ist leer, alles steht auf Auto­pi­lot und nie­mand wäre in der Lage, den Flug ›von Hand‹ zu steu­ern. Dabei ist das Gan­ze kei­nes­wegs nur eine Fra­ge der Tech­nik, son­dern auch eine von Poli­tik, Wirt­schaft, Recht, Kul­tur, Wis­sen­schaft und vie­lem ande­ren mehr.

    Jan Cos­siers: Car­ry­ing Fire (ca. 1630). Pro­me­theus stiehlt das Feu­er aus der Werk­statt des Vul­kan. Es ist nicht das Herd­feu­er, das hat­ten die Men­schen schon sehr lang. Es ist das Metall­ur­gen­feu­er, womit die Bron­ze­zeit begann und
    dann auch die Zivi­li­sa­ti­on. — Quel­le: Public Domain via Wikimedia.

    Daher genügt es längst nicht mehr, ein­fach nur ›gute‹ Tech­nik zu machen, Pro­ble­me prag­ma­tisch zu lösen, im Sin­ne des ›sta­te of the art‹ zu ent­wickeln, Nor­men und Vor­schrif­ten ein­zu­hal­ten usw. usf. — Dar­über hin­aus stellt sich vor allem auch die Fra­ge, wie weit denn die per­sön­li­che Ver­ant­wor­tung rei­chen soll. Es ist nicht allein die Tech­nik, die den Fort­schritt bestimmt, es sind vie­le ver­schie­de­nen Fak­to­ren, die eine Rol­le spie­len. — Die Rol­len im Mythos vom Pro­me­theus, der den tech­ni­schen Fort­schritt zur Dar­stel­lung bringt, las­sen die Zusam­men­hän­ge erahnen. 

    Da ist der Men­schen­freund Pro­me­theus, der mit besten Absich­ten die Ent­wick­lung anfacht, aber eigent­lich nicht sehr glück­lich agiert. Da ist Vul­kan, der Tech­ni­ker, der alles tut, was ihm auf­ge­tra­gen wird. Er murrt zwar, als er den geschätz­ten Kol­le­gen anket­ten soll, aber er tut es. Da ist Zeus, der ein ambi­va­len­tes Ver­hält­nis zur Mensch­heit hat und daher hin und her­ge­ris­sen ist über das Prometheus–Projekt. Da ist Athe­ne, die Göt­tin der Weis­heit, die den neu­en Zivi­li­sa­ti­ons­men­schen eine See­le ein­haucht. Sie spen­det auch die Wis­sen­schaft und die Ver­nunft. Außer­dem ist da noch Pan­do­ra, die mit allen Gaben Beschenk­te, die die Gaben der abdan­ken­den Göt­ter zu den Men­schen bringt, aber eben auch die damit ver­bun­de­nen Übel. Und da ist noch Epi­me­theus, ein Melan­cho­li­ker, der sich in Pan­do­ra ver­liebt. — Das dürf­te genü­gen, die ver­schie­de­nen Sei­ten und Inter­es­sen zu cha­rak­te­ri­sie­ren, die dafür sor­gen, daß der Fort­schritt eben einen bestimm­ten Gang nimmt.

    Als der Mün­che­ner Sozio­lo­gie Ulrich Beck im Jah­re 1958 den Ein­tritt in die Risi­ko­ge­sell­schaft dia­gno­sti­zier­te, sah er den technisch–ökonomischen Fort­schritt über­la­gert von immer grö­ße­ren, unge­plan­ten Neben­fol­gen, grenz­über­schrei­ten­den Umwelt­pro­ble­men und glo­ba­len Fol­gen Es gibt inzwi­schen einen Grad an Kom­ple­xi­tät, der sich nicht mehr steu­ern oder gar beherr­schen läßt. Eigent­lich müß­ten alle unse­re Inno­va­tio­nen unter­halb die­ser Schwel­le blei­ben, aber das Gegen­teil ist der Fall. Also wofür sind Tech­ni­ker, Inge­nieu­re und Inge­nieu­rin­nen wirk­lich ver­ant­wort­lich? Wel­cher Teil der Ver­ant­wor­tung fällt ande­ren zu?

    Har­ry Bates: Akt (1891). Auf Geheiß des Zeus wur­de von Vul­kan eine Frau erschaf­fen, mit allen Gaben der Göt­ter aus­ge­stat­tet und von Her­mes zu den Men­schen gebracht. Sie brach­te jedoch nicht nur die Fähig­kei­ten der Göt­ter, son­dern auch die damit ver­bun­de­nen Übel auf die Erde. — Quel­le: Public Domain via Wikimedia.

    Es ist kei­ne unpro­ble­ma­ti­sche Ent­wick­lung, daß in den letz­ten Jahr­zehn­ten immer mehr Ver­ant­wor­tung auf Ein­zel­ne über­tra­gen wur­de, wäh­rend die Gesamt­ver­ant­wor­tung sich immer wei­ter ver­flüch­tigt. Wer ver­ant­wort­lich sein soll, muß gestal­ten, muß auch anders ent­schei­den kön­nen, erst dann kann Ver­ant­wor­tung zuge­schrie­ben wer­den. — Inso­fern ist der Anspruch auf Ethik und Moral das eine, wie damit ganz prak­tisch umge­gan­gen wer­den kann, ist das ande­re. Sich ver­ant­wort­lich zu füh­len für Ver­hält­nis­se, die nicht in der eige­nen Macht ste­hen, ist daher nicht unpro­ble­ma­tisch. Wer Ver­ant­wor­tung über­nimmt, muß ›Nein sagen‹ kön­nen oder ›So nicht!‹.

    In die­sem Semi­nar sol­len sol­che Kon­flik­te in Wert­fra­gen, Ziel­kon­flik­ten und der mora­li­schen Inte­gri­tät durch­ge­spielt wer­den. Das geschieht anhand von Bei­spie­len ein­schlä­gi­ger Dilemma–Situationen. Mit­un­ter sind die Rah­men­be­din­gun­gen schon pro­ble­ma­tisch, etwa wenn es gilt, unter den Bedin­gun­gen schlech­ter Kom­mu­ni­ka­ti­ons­ver­hält­nis­se und aus Sor­ge um die eige­ne Repu­ta­ti­on fach­lich kom­pe­tent und mora­lisch inte­ger zu han­deln. Dazu bedarf es eini­ger Erfah­run­gen, die genau­so wich­tig sind wie das gan­ze tech­ni­sche Know–how.

    Dazu hat der Kon­stan­zer Phi­lo­soph und Wis­sen­schafts­theo­re­ti­ker Jür­gen Mit­tel­straß eine hilf­rei­che Unter­schei­dung geprägt: Zum tech­ni­schen Ver­fü­gungs­wis­sen gehört auch ein eben­so wich­ti­ges Ori­en­tie­rungs­wis­sen. Das eine sagt uns wie, das ande­re aber wozu. — Mit­un­ter gera­ten aber das Wie und das Wozu in Wider­sprü­che. Die Tech­nik­ge­schich­te ist voll sol­cher Bei­spie­le, wo erst sehr viel spä­ter sich Neben­fol­gen mit kolos­sa­len Wir­kun­gen zei­gen, bis sie end­lich wahr­ge­nom­men und the­ma­ti­siert werden.

    Und natür­lich stellt sich immer wie­der die Fra­ge, ob es nicht doch eine ›bes­se­re‹ Tech­nik gibt, eine, die von vorn­her­ein weni­ger Neben­fol­gen hat. Tech­ni­ku­to­pien sind daher eine wich­ti­ge Ori­en­tie­rungs­hil­fe, vor allem dann, wenn kri­tisch damit umge­gan­gen wird. Wesent­lich ist es, die ver­schie­de­nen Aspek­te erör­tern zu kön­nen und nicht zuletzt, ande­re zu über­zeu­gen. Dazu ist kri­ti­sches Den­ken erfor­der­lich. Daher geht es um die ethi­sche, poli­ti­sche, öko­no­mi­sche und öko­lo­gi­sche Ver­ant­wor­tung im Inge­nieur­we­sen. Erst das macht ›gute‹ Tech­nik mög­lich, ein ›gutes‹ Gewis­sen und nicht zuletzt gute Professionalität. 

    Band­icoot Robot: Con­ver­ting man­ho­le to robo­ho­le (2018). — Quel­le: Public Domain via Wikimedia.

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    Philosophische Ambulanz

    Philosophische Ambulanz

    SS 2021 | freitags | 12:00–13:30 Uhr | Raum: online

    Beginn: 23. April 2021 | Ende: 23. Juli 2021

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    Fer­di­nand Bart: Der Zau­ber­lehr­ling, (1882). Zeich­nung aus dem Buch Goethe’s Wer­ke, 1882. — Quel­le: Public Domain via Wikimedia

    Und sie lau­fen! Naß und nässer
    Wird’s im Saal und auf den Stufen.
    Welch ent­setz­li­ches Gewässer!
    Herr und Mei­ster! hör mich rufen! —
    Ach, da kommt der Meister!
    Herr, die Not ist groß!
    Die ich rief, die Geister,
    Werd ich nun nicht los.
    »In die Ecke,
    Besen! Besen!
    Seid’s gewe­sen.
    Denn als Geister
    Ruft euch nur, zu sei­nem Zwecke,
    Erst her­vor der alte Meister.

    (Goe­the: Der Zauberlehrling)

    In der Phi­lo­so­phi­schen Ambu­lanz kommt die Phi­lo­so­phie wie­der zurück auf den Markt­platz, wo Sokra­tes sei­ne Dis­pu­te führ­te, immer auf der Suche nach einer Phi­lo­so­phie, die es bes­ser auf­neh­men kann mit der Wirk­lich­keit. In den Dia­lo­gen und Dis­kur­sen der Phi­lo­so­phi­schen Ambu­lanz soll es dar­um gehen, in gemein­sa­men Gedan­ken­gän­gen die bes­se­ren, höhe­ren und tie­fe­ren Ein­sich­ten zu gewinnen.

    Ver­ste­hen ist Erfah­rungs­sa­che, Ver­stän­di­gung ist eine Fra­ge der Übung. Oft herr­schen aber fal­sche Vor­stel­lun­gen vor: Gemein­sa­mes Ver­ste­hen ent­steht im Dia­log und in Dis­kur­sen, bei denen es nicht vor­ran­gig um Mei­nungs­äu­ße­run­gen und Stel­lung­nah­men geht. Es kommt auch nicht dar­auf an, Recht zu behal­ten, sich zu behaup­ten oder etwa ver­meint­li­che ›Geg­ner‹ mund­tot zu machen. — Gewalt ent­steht, wo Wor­te ver­sa­gen, wenn nicht gesagt und ver­stan­den wer­den kann, was einem wirk­lich am Her­zen liegt. 

    Es kommt viel mehr dar­auf an, im gemein­sa­men Ver­ste­hen wei­ter­zu­kom­men, so daß sich die Dis­kur­se anrei­chern und ihre Suk­zes­si­on, also einen Fort­schritt errei­chen. Daher ist es so wich­tig, gera­de im Kon­flikt aus einem Dis­sens her­aus wie der zu neu­em Ein­ver­neh­men zu fin­den. Erst das macht uns zu mün­di­gen Zeit­ge­nos­sen, wenn wir auch über die eige­ne Stel­lung­nah­me noch frei ver­fü­gen kön­nen. — Zu Phi­lo­so­phie­ren bedeu­tet, Wider­sprü­che und Ambi­va­len­zen nicht schleu­nigst auf­zu­lö­sen, weil sie anstren­gend sind. Viel­mehr gilt es, das Den­ken selbst in der Schwe­be zu hal­ten. Der Weg ist das Ziel, gera­de auch beim Philosophieren.

    Es gilt, nicht nur die übli­chen Stand­punk­te zu ver­tre­ten, son­dern neue und gänz­lich unbe­kann­te Per­spek­ti­ven zu erpro­ben. Daher ist der Posi­ti­ons­wech­sel von so emi­nen­ter Bedeu­tung. Genau das ist ›Bil­dung‹, den Stand­ort der Betrach­tung wech­seln, um eine Stel­lung­nah­me ggf. auch aus einer belie­bi­gen ande­ren Per­spek­ti­ve vor­neh­men, kom­men­tie­ren und beur­tei­len zu können.

    Verstehen ist Erfahrungssache

    Im Phi­lo­so­phi­schen Café kommt die Phi­lo­so­phie wie­der zurück auf den Markt­platz, wo Sokra­tes sei­ne Dis­pu­te führ­te, immer auf der Suche nach einer Phi­lo­so­phie, die es bes­ser auf­neh­men kann mit der Wirk­lich­keit. In den Dia­lo­gen und Dis­kur­sen der Phi­lo­so­phi­schen Ambu­lanz soll es dar­um gehen, in gemein­sa­men Gedan­ken­gän­gen die bes­se­ren, höhe­ren und tie­fe­ren Ein­sich­ten zu gewinnen.

    Ver­ste­hen ist Erfah­rungs­sa­che, Ver­stän­di­gung ist eine Fra­ge der Übung. Oft herr­schen aber fal­sche Vor­stel­lun­gen vor: Gemein­sa­mes Ver­ste­hen ent­steht im Dia­log und in Dis­kur­sen, bei denen es um nicht vor­ran­gig um Mei­nungs­äu­ße­run­gen und Stel­lung­nah­men geht. Es kommt auch nicht dar­auf an, Recht zu behal­ten, sich zu behaup­ten oder etwa ver­meint­li­che ›Geg­ner‹ mund­tot zu machen. — Gewalt ent­steht, wo Wor­te ver­sa­gen, wenn nicht gesagt und ver­stan­den wer­den kann, was einem wirk­lich am Her­zen liegt. Es kommt viel­mehr dar­auf an, im gemein­sa­men Ver­ste­hen wei­ter­zu­kom­men, so daß sich die Dis­kur­se anrei­chern und ihre Suk­zes­si­on, also einen tat­säch­li­chen Fort­schritt im Ver­ste­hen erreichen.

    Daher ist es so wich­tig, gera­de im Kon­flikt aus einem Dis­sens her­aus wie­der zu neu­em Ein­ver­neh­men zu fin­den. Erst das macht uns zu mün­di­gen Zeit­ge­nos­sen, wenn wir auch über die eige­ne Stel­lung­nah­me noch frei ver­fü­gen kön­nen. — Zu Phi­lo­so­phie­ren bedeu­tet, Wider­sprü­che und Ambi­va­len­zen nicht schleu­nigst auf­zu­lö­sen, weil sie anstren­gend sind. Viel­mehr gilt es, das Den­ken selbst in der Schwe­be zu hal­ten. Der Weg ist das Ziel, gera­de auch beim Philosophieren.

    Es gilt, nicht nur die übli­chen Stand­punk­te zu ver­tre­ten, son­dern neue und gänz­lich unbe­kann­te Per­spek­ti­ven zu erpro­ben. Daher ist der Posi­ti­ons­wech­sel von so emi­nen­ter Bedeu­tung. Genau das ist ›Bil­dung‹, den Stand­ort der Betrach­tung wech­seln, um eine Stel­lung­nah­me ggf. auch aus einer belie­bi­gen ande­ren Per­spek­ti­ve vor­neh­men, kom­men­tie­ren und beur­tei­len zu können.

    Auf­merk­sam­keit ist eine begrenz­te Res­sour­ce. Wir müs­sen selbst ent­schei­den, wann wir etwas auf sich beru­hen las­sen, für wel­che The­men wir offen sind, und wofür wir uns wirk­lich bren­nend inter­es­sie­ren. Die Zunah­me an Infor­ma­tio­nen ist dabei von erheb­li­cher Bedeu­tung, denn sie führt gegen­wär­tig ganz offen­bar zu Über­for­de­run­gen. Alles könn­te man wis­sen, aber jedes Wis­sen ist eigent­lich unsi­che­rer denn je.

  • Anthropologie,  Ausnahmezustand,  Corona,  Diskurs,  Ethik,  Götter und Gefühle,  Identität und Individualismus,  Ironie,  Melancholie,  Moderne,  Moral,  Professionalität,  Religion,  Technikethik,  Urbanisierung der Seele,  Utopie,  Wissenschaftlichkeit,  Zeitgeist,  Zivilisation

    Philosophische Ambulanz

    Philosophische Ambulanz

    WS 2020 | freitags | 12:00–13:30 Uhr | Raum: online

    Beginn: 6. Nov. 2020 | Ende: 19. Febr. 2020

    Anmeldung beim House of Competence

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    Fer­di­nand Bart: Der Zau­ber­lehr­ling, (1882). Zeich­nung aus dem Buch Goethe’s Wer­ke, 1882. — Quel­le: Public Domain via Wikimedia

    Und sie lau­fen! Naß und nässer
    Wird’s im Saal und auf den Stufen.
    Welch ent­setz­li­ches Gewässer!
    Herr und Mei­ster! hör mich rufen! —
    Ach, da kommt der Meister!
    Herr, die Not ist groß!
    Die ich rief, die Geister,
    Werd ich nun nicht los.
    »In die Ecke,
    Besen! Besen!
    Seid’s gewe­sen.
    Denn als Geister
    Ruft euch nur, zu sei­nem Zwecke,
    Erst her­vor der alte Meister.

    (Goe­the: Der Zauberlehrling)

    In der Phi­lo­so­phi­schen Ambu­lanz kommt die Phi­lo­so­phie wie­der zurück auf den Markt­platz, wo Sokra­tes sei­ne Dis­pu­te führ­te, immer auf der Suche nach einer Phi­lo­so­phie, die es bes­ser auf­neh­men kann mit der Wirk­lich­keit. In den Dia­lo­gen und Dis­kur­sen der Phi­lo­so­phi­schen Ambu­lanz soll es dar­um gehen, in gemein­sa­men Gedan­ken­gän­gen die bes­se­ren, höhe­ren und tie­fe­ren Ein­sich­ten zu gewinnen.

    Ver­ste­hen ist Erfah­rungs­sa­che, Ver­stän­di­gung ist eine Fra­ge der Übung. Oft herr­schen aber fal­sche Vor­stel­lun­gen vor: Gemein­sa­mes Ver­ste­hen ent­steht im Dia­log und in Dis­kur­sen, bei denen es nicht vor­ran­gig um Mei­nungs­äu­ße­run­gen und Stel­lung­nah­men geht. Es kommt auch nicht dar­auf an, Recht zu behal­ten, sich zu behaup­ten oder etwa ver­meint­li­che ›Geg­ner‹ mund­tot zu machen. — Gewalt ent­steht, wo Wor­te ver­sa­gen, wenn nicht gesagt und ver­stan­den wer­den kann, was einem wirk­lich am Her­zen liegt. 

    Es kommt viel mehr dar­auf an, im gemein­sa­men Ver­ste­hen wei­ter­zu­kom­men, so daß sich die Dis­kur­se anrei­chern und ihre Suk­zes­si­on, also einen Fort­schritt errei­chen. Daher ist es so wich­tig, gera­de im Kon­flikt aus einem Dis­sens her­aus wie der zu neu­em Ein­ver­neh­men zu fin­den. Erst das macht uns zu mün­di­gen Zeit­ge­nos­sen, wenn wir auch über die eige­ne Stel­lung­nah­me noch frei ver­fü­gen kön­nen. — Zu Phi­lo­so­phie­ren bedeu­tet, Wider­sprü­che und Ambi­va­len­zen nicht schleu­nigst auf­zu­lö­sen, weil sie anstren­gend sind. Viel­mehr gilt es, das Den­ken selbst in der Schwe­be zu hal­ten. Der Weg ist das Ziel, gera­de auch beim Philosophieren.

    Es gilt, nicht nur die übli­chen Stand­punk­te zu ver­tre­ten, son­dern neue und gänz­lich unbe­kann­te Per­spek­ti­ven zu erpro­ben. Daher ist der Posi­ti­ons­wech­sel von so emi­nen­ter Bedeu­tung. Genau das ist ›Bil­dung‹, den Stand­ort der Betrach­tung wech­seln, um eine Stel­lung­nah­me ggf. auch aus einer belie­bi­gen ande­ren Per­spek­ti­ve vor­neh­men, kom­men­tie­ren und beur­tei­len zu können.

    Verstehen ist Erfahrungssache

    Im Phi­lo­so­phi­schen Café kommt die Phi­lo­so­phie wie­der zurück auf den Markt­platz, wo Sokra­tes sei­ne Dis­pu­te führ­te, immer auf der Suche nach einer Phi­lo­so­phie, die es bes­ser auf­neh­men kann mit der Wirk­lich­keit. In den Dia­lo­gen und Dis­kur­sen der Phi­lo­so­phi­schen Ambu­lanz soll es dar­um gehen, in gemein­sa­men Gedan­ken­gän­gen die bes­se­ren, höhe­ren und tie­fe­ren Ein­sich­ten zu gewinnen.

    Ver­ste­hen ist Erfah­rungs­sa­che, Ver­stän­di­gung ist eine Fra­ge der Übung. Oft herr­schen aber fal­sche Vor­stel­lun­gen vor: Gemein­sa­mes Ver­ste­hen ent­steht im Dia­log und in Dis­kur­sen, bei denen es um nicht vor­ran­gig um Mei­nungs­äu­ße­run­gen und Stel­lung­nah­men geht. Es kommt auch nicht dar­auf an, Recht zu behal­ten, sich zu behaup­ten oder etwa ver­meint­li­che ›Geg­ner‹ mund­tot zu machen. — Gewalt ent­steht, wo Wor­te ver­sa­gen, wenn nicht gesagt und ver­stan­den wer­den kann, was einem wirk­lich am Her­zen liegt. Es kommt viel­mehr dar­auf an, im gemein­sa­men Ver­ste­hen wei­ter­zu­kom­men, so daß sich die Dis­kur­se anrei­chern und ihre Suk­zes­si­on, also einen tat­säch­li­chen Fort­schritt im Ver­ste­hen erreichen.

    Daher ist es so wich­tig, gera­de im Kon­flikt aus einem Dis­sens her­aus wie­der zu neu­em Ein­ver­neh­men zu fin­den. Erst das macht uns zu mün­di­gen Zeit­ge­nos­sen, wenn wir auch über die eige­ne Stel­lung­nah­me noch frei ver­fü­gen kön­nen. — Zu Phi­lo­so­phie­ren bedeu­tet, Wider­sprü­che und Ambi­va­len­zen nicht schleu­nigst auf­zu­lö­sen, weil sie anstren­gend sind. Viel­mehr gilt es, das Den­ken selbst in der Schwe­be zu hal­ten. Der Weg ist das Ziel, gera­de auch beim Philosophieren.

    Es gilt, nicht nur die übli­chen Stand­punk­te zu ver­tre­ten, son­dern neue und gänz­lich unbe­kann­te Per­spek­ti­ven zu erpro­ben. Daher ist der Posi­ti­ons­wech­sel von so emi­nen­ter Bedeu­tung. Genau das ist ›Bil­dung‹, den Stand­ort der Betrach­tung wech­seln, um eine Stel­lung­nah­me ggf. auch aus einer belie­bi­gen ande­ren Per­spek­ti­ve vor­neh­men, kom­men­tie­ren und beur­tei­len zu können.

    Auf­merk­sam­keit ist eine begrenz­te Res­sour­ce. Wir müs­sen selbst ent­schei­den, wann wir etwas auf sich beru­hen las­sen, für wel­che The­men wir offen sind, und wofür wir uns wirk­lich bren­nend inter­es­sie­ren. Die Zunah­me an Infor­ma­tio­nen ist dabei von erheb­li­cher Bedeu­tung, denn sie führt gegen­wär­tig ganz offen­bar zu Über­for­de­run­gen. Alles könn­te man wis­sen, aber jedes Wis­sen ist eigent­lich unsi­che­rer denn je.

  • Diskurs,  Götter und Gefühle,  Identität und Individualismus,  Ironie,  Moderne,  Technikethik,  Theorien der Kultur,  Utopie,  Wissenschaftlichkeit,  Zivilisation

    Technikethik

    Technische Entwicklungen kontrovers reflektieren

    Kolloquium 

    WS 2020 | don­ners­tags | 14:00–15:30 | Online
    Beginn: 2. Okt. 2020 | Ende: 18. Febr. 2021

    Anmeldung beim House of Competence

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    Von Ver­ant­wor­tung ist immer wie­der die Rede. Ja, sie ist vakant und der Lauf der Welt ist alles ande­re als ver­trau­ens­er­weckend. Der gute Wil­le allein genügt nicht. Zu unter­schei­den sind min­de­stens das Sub­jekt der Ver­ant­wor­tung, der Ver­ant­wor­tungs­be­reich und die Ver­ant­wor­tungs­in­stanz, (ehe­dem Gott und jetzt?).

    Es gilt näher hin­zu­se­hen, wenn wir Fra­gen der Ver­ant­wor­tung ange­hen wol­len, denn der Begriff ist mehr­di­men­sio­nal. Der Karls­ru­her Tech­nik­phi­lo­soph Gün­ter Ropohl hat das Gan­ze auf eine For­mel mit sie­ben Varia­blen gebracht: Wer ver­ant­wor­tet was, wofür, wes­we­gen, wovor, wann, wie? Wir müs­sen doch nicht alles machen, was wir kön­nen. Wie weit geht ihre (per­sön­li­che) Ver­ant­wor­tung wirklich?

    Die­ses Kol­lo­qui­um soll Fra­gen der Tech­nik­ethik prak­tisch erfahr­bar machen. Das wird anhand von Fall­stu­di­en aus ihren eige­nen zukünf­ti­gen Berufs­fel­dern gesche­hen, die sich aus unter­schied­li­chen Per­spek­ti­ven dis­ku­tie­ren las­sen. Dabei kommt es weni­ger auf das Ergeb­nis an, son­dern auf die Qua­li­tät und den Aus­tausch der vor­ge­brach­ten Argumente.

    Betrei­ben wir also Tech­nik­ethik ganz kon­kret. Neh­men wir uns rea­le Situa­tio­nen vor: sei­en es der Abgas­skan­dal, Stel­lung­nah­men zum Ein­satz von Gen­ma­ni­pu­la­ti­on, der Ein­sturz der Brücke in Genua, Unfäl­le im Rah­men von Fahr­ten mit auto­no­men Pkw — oder was immer Sie umtreibt. Tun wir so, als wären wir unmit­tel­bar dabei und hät­ten etwas zu sagen. Insze­nie­ren wir die Kon­tro­ver­sen, in denen Tech­nik­li­ni­en gestal­tet wer­den, um sie am eige­nen Leib zu
    erfah­ren. Die Ver­an­stal­tung soll Ihnen dazu die­nen, Erfah­run­gen zu machen, die spä­ter womög­lich auf Sie zukom­men. Es ist dann fast wie ein Pri­vi­leg, sich spä­ter dar­an zurück­er­in­nern zu kön­nen, so etwas Ähn­li­ches schon ein­mal durch­ge­spielt zu haben.

    Nein, wir müs­sen es nicht.
    Aber?
    Aber wir wer­den es machen.
    Und weshalb?
    Weil wir nicht ertra­gen, wenn der klein­ste Zwei­fel bleibt,
    ob wir es wirk­lich können.

    (Hans Blu­men­berg)

    Dirck van Babu­ren: Pro­me­theus wird von Vul­kan ange­ket­tet (1623). — Quel­le: Public Domain via Wiki­me­dia. — Pro­me­theus, der Gott des Fort­schritts, wird auf Geheiß des Zeus, unter Auf­sicht des Göt­ter­bo­ten Her­mes, vom Gott der Tech­nik Vul­kan an einen Fel­sen im Kau­ka­sus geschmie­det. Sein Ver­ge­hen: Er hat aus Men­schen­lie­be die Tech­nik zu den Men­schen gebracht. Die­se soll­ten dar­auf den Fort­schritt eini­ge Jahr­tau­sen­de nicht mehr zu Gesicht bekommen.

    Die Zei­ten sind vor­bei, als Inge­nieu­re und Inge­nieu­rin­nen fast jede wei­te­re Ver­ant­wor­tung noch zurück­wie­sen mit den Wor­ten, sie wür­den die Tech­nik nur her­stel­len, sei­en aber nicht ver­ant­wort­lich dafür, was dar­aus wür­de. — Aber machen wir uns nichts vor, Ver­su­che, den tech­ni­schen Fort­schritt auf ›bes­se­re‹ Bah­nen zu len­ken, gab es vie­le. Unver­ges­sen ist das Wort von Ulrich Beck: Die Ethik spielt im Modell der ver­selb­stän­dig­ten Wis­sen­schaf­ten die Rol­le einer Fahr­rad­brem­se am Inter­con­ti­nen­tal Flugzeug. 

    For­de­run­gen nach Ethik, Ver­ant­wor­tung, Tech­nik­fol­gen­ab­schät­zung, nach­hal­ti­gem Wachs­tum und Kil­ma­schutz wer­den tag­täg­lich erho­ben und sind nicht unpro­ble­ma­tisch, denn es ist auch Über­for­de­rung im Spiel. Wofür sind wir als Ein­zel­ne ver­ant­wort­lich und wie soll denn die Gesamt­ver­ant­wor­tung wahr­ge­nom­men wer­den? All­mäh­lich wird es Zeit. Wer gibt die Tech­nik­zie­le vor oder gene­rie­ren sie sich selbst? 

    Was vie­le Ver­schwö­rungs­theo­rien noch unter­stel­len: Es gibt sie nicht, die Schalt­zen­tra­len der Macht, in denen die Zie­le des Fort­schritts vor­ge­ge­ben, der Kurs ein­ge­stellt und die Ent­wick­lun­gen koor­di­niert wer­den. Zwei­fels­oh­ne spie­len Tech­nik und Wirt­schaft eine gro­ße Rol­le, aber auch Poli­tik und Kultur.

    Der blaue Pla­net ist zur Anthro­po­sphä­re gewor­den. Inzwi­schen wur­de bereits ein neu­es Erd­zeit­al­ter aus­ge­ru­fen, das Anthro­po­zän. Die Zivi­li­sa­ti­on ist nun­mehr alles ent­schei­dend für das Schick­sal des gan­zen Pla­ne­ten und die Zukunft der Mensch­heit. Die Erde ist zum Raum­schiff gewor­den. Wir rasen durch einen lebens­feind­li­chen Raum, hin­ter uns eine erst kur­ze Epi­so­de der Zivi­li­sa­ti­on und vor uns eine Zukunft, die mit sich selbst auf Kol­li­si­ons­kurs geht.

    Wenn es sie denn gäbe, die Kommando–Brücke, in der die Navi­ga­ti­on vor­ge­nom­men wird, wenn wir dort­hin­ein gelan­gen könn­ten, es wäre der Schock unse­res Lebens. Denn die Pilo­ten­kan­zel ist leer, alles steht auf Auto­pi­lot und nie­mand wäre in der Lage, den Flug ›von Hand‹ zu steu­ern. Dabei ist das Gan­ze kei­nes­wegs nur eine Fra­ge der Tech­nik, son­dern auch eine von Poli­tik, Wirt­schaft, Recht, Kul­tur, Wis­sen­schaft und vie­lem ande­ren mehr.

    Jan Cos­siers: Car­ry­ing Fire (ca. 1630). Pro­me­theus stiehlt das Feu­er aus der Werk­statt des Vul­kan. Es ist nicht das Herd­feu­er, das hat­ten die Men­schen schon sehr lang. Es ist das Metall­ur­gen­feu­er, womit die Bron­ze­zeit begann und
    dann auch die Zivi­li­sa­ti­on. — Quel­le: Public Domain via Wikimedia.

    Daher genügt es längst nicht mehr, ein­fach nur ›gute‹ Tech­nik zu machen, Pro­ble­me prag­ma­tisch zu lösen, im Sin­ne des ›sta­te of the art‹ zu ent­wickeln, Nor­men und Vor­schrif­ten ein­zu­hal­ten usw. usf. — Dar­über hin­aus stellt sich vor allem auch die Fra­ge, wie weit denn die per­sön­li­che Ver­ant­wor­tung rei­chen soll. Es ist nicht allein die Tech­nik, die den Fort­schritt bestimmt, es sind vie­le ver­schie­de­nen Fak­to­ren, die eine Rol­le spie­len. — Die Rol­len im Mythos vom Prome­theus, der den tech­ni­schen Fort­schritt zur Dar­stel­lung bringt, las­sen die Zusam­men­hän­ge erahnen. 

    Da ist der Men­schen­freund Pro­me­theus, der mit besten Absich­ten die Ent­wick­lung anfacht, aber eigent­lich nicht sehr glück­lich agiert. Da ist Vul­kan, der Tech­ni­ker, der alles tut, was ihm auf­ge­tra­gen wird. Er murrt zwar, als er den geschätz­ten Kol­le­gen anket­ten soll, aber er tut es. Da ist Zeus, der ein ambi­va­len­tes Ver­hält­nis zur Mensch­heit hat und daher hin und her­ge­ris­sen ist über das Prometheus–Projekt. Da ist Athe­ne, die Göt­tin der Weis­heit, die den neu­en Zivi­li­sa­ti­ons­men­schen eine See­le ein­haucht. Sie spen­det auch die Wis­sen­schaft und die Ver­nunft. Außer­dem ist da noch Pan­do­ra, die mit allen Gaben Beschenk­te, die die Gaben der abdan­ken­den Göt­ter zu den Men­schen bringt, aber eben auch die damit ver­bun­de­nen Übel. Und da ist noch Epi­me­theus, ein Melan­cho­li­ker, der sich in Pan­do­ra ver­liebt. — Das dürf­te genü­gen, die ver­schie­de­nen Sei­ten und Inter­es­sen zu cha­rak­te­ri­sie­ren, die dafür sor­gen, daß der Fort­schritt eben einen bestimm­ten Gang nimmt.

    Als der Mün­che­ner Sozio­lo­gie Ulrich Beck im Jah­re 1958 den Ein­tritt in die Risi­ko­ge­sell­schaft dia­gno­sti­zier­te, sah er den technisch–ökonomischen Fort­schritt über­la­gert von immer grö­ße­ren, unge­plan­ten Neben­fol­gen, grenz­über­schrei­ten­den Umwelt­pro­ble­men und glo­ba­len Fol­gen Es gibt inzwi­schen einen Grad an Kom­ple­xi­tät, der sich nicht mehr steu­ern oder gar beherr­schen läßt. Eigent­lich müß­ten alle unse­re Inno­va­tio­nen unter­halb die­ser Schwel­le blei­ben, aber das Gegen­teil ist der Fall. Also wofür sind Tech­ni­ker, Inge­nieu­re und Inge­nieu­rin­nen wirk­lich ver­ant­wort­lich? Wel­cher Teil der Ver­ant­wor­tung fällt ande­ren zu?

    Har­ry Bates: Akt (1891). Auf Geheiß des Zeus wur­de von Vul­kan eine Frau erschaf­fen, mit allen Gaben der Göt­ter aus­ge­stat­tet und von Her­mes zu den Men­schen gebracht. Sie brach­te jedoch nicht nur die Fähig­kei­ten der Göt­ter, son­dern auch die damit ver­bun­de­nen Übel auf die Erde. — Quel­le: Public Domain via Wikimedia.

    Es ist kei­ne unpro­ble­ma­ti­sche Ent­wick­lung, daß in den letz­ten Jahr­zehn­ten immer mehr Ver­ant­wor­tung auf Ein­zel­ne über­tra­gen wur­de, wäh­rend die Gesamt­ver­ant­wor­tung sich immer wei­ter ver­flüch­tigt. Wer ver­ant­wort­lich sein soll, muß gestal­ten, muß auch anders ent­schei­den kön­nen, erst dann kann Ver­ant­wor­tung zuge­schrie­ben wer­den. — Inso­fern ist der Anspruch auf Ethik und Moral das eine, wie damit ganz prak­tisch umge­gan­gen wer­den kann, ist das ande­re. Sich ver­ant­wort­lich zu füh­len für Ver­hält­nis­se, die nicht in der eige­nen Macht ste­hen, ist daher nicht unpro­ble­ma­tisch. Wer Ver­ant­wor­tung über­nimmt, muß ›Nein sagen‹ kön­nen oder ›So nicht!‹.

    In die­sem Semi­nar sol­len sol­che Kon­flik­te in Wert­fra­gen, Ziel­kon­flik­ten und der mora­li­schen Inte­gri­tät durch­ge­spielt wer­den. Das geschieht anhand von Bei­spie­len ein­schlä­gi­ger Dilemma–Situationen. Mit­un­ter sind die Rah­men­be­din­gun­gen schon pro­ble­ma­tisch, etwa wenn es gilt, unter den Bedin­gun­gen schlech­ter Kom­mu­ni­ka­ti­ons­ver­hält­nis­se und aus Sor­ge um die eige­ne Repu­ta­ti­on fach­lich kom­pe­tent und mora­lisch inte­ger zu han­deln. Dazu bedarf es eini­ger Erfah­run­gen, die genau­so wich­tig sind wie das gan­ze tech­ni­sche Know–how.

    Dazu hat der Kon­stan­zer Phi­lo­soph und Wis­sen­schafts­theo­re­ti­ker Jür­gen Mit­tel­straß eine hilf­rei­che Unter­schei­dung geprägt: Zum tech­ni­schen Ver­fü­gungs­wis­sen gehört auch ein eben­so wich­ti­ges Ori­en­tie­rungs­wis­sen. Das eine sagt uns wie, das ande­re aber wozu. — Mit­un­ter gera­ten aber das Wie und das Wozu in Wider­sprü­che. Die Tech­nik­ge­schich­te ist voll sol­cher Bei­spie­le, wo erst sehr viel spä­ter sich Neben­fol­gen mit kolos­sa­len Wir­kun­gen zei­gen, bis sie end­lich wahr­ge­nom­men und the­ma­ti­siert werden.

    Und natür­lich stellt sich immer wie­der die Fra­ge, ob es nicht doch eine ›bes­se­re‹ Tech­nik gibt, eine, die von vorn­her­ein weni­ger Neben­fol­gen hat. Tech­ni­ku­to­pien sind daher eine wich­ti­ge Ori­en­tie­rungs­hil­fe, vor allem dann, wenn kri­tisch damit umge­gan­gen wird. Wesent­lich ist es, die ver­schie­de­nen Aspek­te erör­tern zu kön­nen und nicht zuletzt, ande­re zu über­zeu­gen. Dazu ist kri­ti­sches Den­ken erfor­der­lich. Daher geht es um die ethi­sche, poli­ti­sche, öko­no­mi­sche und öko­lo­gi­sche Ver­ant­wor­tung im Inge­nieur­we­sen. Erst das macht ›gute‹ Tech­nik mög­lich, ein ›gutes‹ Gewis­sen und nicht zuletzt gute Professionalität. 

    Band­icoot Robot: Con­ver­ting man­ho­le to robo­ho­le (2018). — Quel­le: Public Domain via Wikimedia.

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  • Anthropologie,  Diskurs,  Ethik,  Götter und Gefühle,  Identität und Individualismus,  Ironie,  Kunst,  Künstler,  Lehramt,  Lehre,  Leib,  Melancholie,  Moderne,  Moral,  Motive der Mythen,  Platon,  Politik,  Professionalität,  Psyche,  Religion,  Schönheit,  Schuld,  Schule,  Seele,  Technikethik,  Theographien,  Theorien der Kultur,  Urbanisierung der Seele,  Utopie,  Vorlesung,  Wahrheit,  Wissenschaftlichkeit,  Zeitgeist,  Zivilisation

    Vorlesungen und Seminare

    Heinz-Ulrich Nennen: Vorlesungen und Seminare. Wordcloud 2016.
    Heinz-Ulrich Nen­nen: Vor­le­sun­gen und Semi­na­re. Word­cloud 2016.

  • Anthropologie,  Corona-Politik,  Diskurs,  Ethik,  Moderne,  Technikethik,  Utopie,  Wissenschaftlichkeit,  Zeitgeist,  Zivilisation

    Energie und Ethik

    Leitbilder im philosophischen Diskurs

    Rio de Janei­ro, Ber­lin, Kio­to und Bue­nos Aires — wei­te­re Kon­fe­ren­zen der UNO wer­den hin­zu­kom­men in dem Bemü­hen um inter­na­tio­nal ver­bind­li­che Ver­ein­ba­run­gen zum Schutz der Erd­at­mo­sphä­re. Die Ver­bren­nung fos­si­ler Ener­gie­trä­ger wie Koh­le, Gas oder Öl im der­zei­ti­gen Umfang führt zu erhöh­ten Kon­zen­tra­tio­nen von Koh­len­di­oxid in der Atmo­sphä­re, wodurch aller Vor­aus­sicht nach das Kli­ma der Erde ent­schei­dend ver­än­dert wird. Als Fol­ge erwar­ten die mei­sten Exper­ten eine Tem­pe­ra­tur­er­hö­hung und damit die Aus­deh­nung von Trocken­ge­bie­ten, eine Erhö­hung des Mee­res­spie­gels sowie die Zunah­me von Wir­bel­stür­men, Über­schwem­mun­gen und extre­men Wet­ter­la­gen. Um die damit ein­her­ge­hen­den Fol­gen abzu­mil­dern, ver­sucht die inter­na­tio­na­le Staa­ten­ge­mein­schaft, Reduk­ti­ons­zie­le für CO2 fest­zu­le­gen. So hat sich bei­spiels­wei­se Deutsch­land ver­pflich­tet, 25% bei der CO2 –Emis­si­on bis zum Jah­re 2005 ein­zu­spa­ren. Aller­dings sind die­se Maß­nah­men nicht unum­strit­ten, denn die Simu­la­tio­nen der zukünf­ti­gen Kli­ma­ent­wick­lung geben immer noch hin­rei­chend Raum für Inter­pre­ta­ti­on und Spekulation.

    Heinz--Ulrich Nennen, Georg Hörning (Hrsg.): Energie und Ethik. Leitbilder im philosophischen Diskurs. Campus-Verlag, Frankfurt am Main 1999.
    Heinz–Ulrich Nen­nen, Georg Hör­ning (Hrsg.): Ener­gie und Ethik. Leit­bil­der im phi­lo­so­phi­schen Dis­kurs. Cam­pus-Ver­lag, Frank­furt am Main 1999.

    Auch natür­li­che Kli­ma­schwan­kun­gen sind erheb­lich. Eis­zei­ten, Zwi­schen­eis­zei­ten, Wär­me– und Käl­te­pe­ri­oden, mit­un­ter aus­ge­löst durch Meteo­ri­ten­ein­schlag, sind immer wie­der zu ver­zeich­nen gewe­sen. Die­sen Kata­stro­phen sind gan­ze Kul­tu­ren zum Opfer gefal­len, aller­dings sind sie ohne das Hin­zu­tun des Men­schen ein­ge­tre­ten. Die Mög­lich­keit einer anthro­po­ge­nen glo­ba­len Kli­ma­än­de­rung ist dage­gen ein abso­lu­tes Novum in der Erd­ge­schich­te. Mitt­ler­wei­le befas­sen sich Ver­si­che­rungs­un­ter­neh­men in wohl­ver­stan­de­nem Eigen­in­ter­es­se ver­stärkt mit Maß­nah­men zur Vorsorge.

    Selbst wenn die Welt­kli­ma­mo­del­le auf abseh­ba­re Zeit kei­ne dezi­dier­ten Vor­her­sa­gen erlau­ben soll­ten, so wäre es auch aus ande­ren Grün­den sinn­voll, nach Wegen zu suchen, den Ein­satz fos­si­ler Ener­gie zu begren­zen. Im Gegen­teil, es wäre begrün­dungs­pflich­tig, den bis­he­ri­gen Ein­satz die­ser Ener­gien im gewohn­ten Umfang bei­zu­be­hal­ten, obwohl Alter­na­ti­ven zur Ver­fü­gung ste­hen. Kon­kret stellt sich damit die Fra­ge glo­ba­ler Umwelt­ver­än­de­run­gen als Her­aus­for­de­rung an das Gestal­tungs­ver­mö­gen vor Ort. Die Moti­ve sind viel­fäl­ti­ger Natur, sie rei­chen von der Sor­ge um den Ver­lust an Lebens­qua­li­tät bis hin zu wirt­schaft­li­chen, sozia­len und ent­wick­lungs­po­li­ti­schen Anliegen.

    Das Problem

    Es sind nicht ledig­lich Fra­gen der Tech­nik ange­spro­chen, wenn es um die Gestal­tung zukünf­ti­ger Ener­gie­sy­ste­me geht. Das wird beson­ders dort deut­lich, wo unter­schied­li­che Ver­ständ­nis­se von Ver­zicht auf­ein­an­der tref­fen. Allein die Dif­fe­ren­zie­rung, ob es sich um ein Ver­zich­ten müs­sen oder um ein Ver­zich­ten kön­nen han­delt, ist bezeich­nend für die Ebe­ne auf der sich der Energie–Diskurs bewegt. Wel­che Tech­nik, wel­ches Ver­hal­ten und wel­cher Zukunfts­ent­wurf sind maß­geb­lich für die Gestal­tung der künf­ti­gen Ener­gie­ver­sor­gung? Die­se Aspek­te von Tech­nik­fol­gen­be­wer­tung las­sen sich in Leit­bil­dern ver­dich­ten, mit denen sich auch Gene­ra­tio­nen von­ein­an­der abgrenzen.

    Unter­schied­li­che Leit­bil­der mit­ein­an­der in den Dis­kurs zu brin­gen, war Auf­ga­be des hier doku­men­tier­ten Pro­zes­ses. Es galt zu beur­tei­len, wel­ches von vier exem­pla­ri­schen Sze­na­ri­en einer zukünf­ti­gen Ener­gie­ver­sor­gung und –nut­zung zu emp­feh­len sei. Dabei wer­den unmit­tel­bar Fra­gen der Ethik auf­ge­wor­fen, ins­be­son­de­re dort, wo Grund­rech­te zur Dis­po­si­ti­on ste­hen könn­ten. Die Wahl einer der mög­li­chen Stra­te­gien zur CO2 –Reduk­ti­on stellt eine Her­aus­for­de­rung an die demo­kra­ti­sche Kul­tur dar, weil sich mit die­sen Stra­te­gien unter­schied­li­che Lebens­sti­le verbinden.

    Dis­kur­se zur Ener­gie­fra­ge sind Aus­druck tie­fer­ge­hen­der gesell­schaft­li­cher Kon­flik­te: Ver­schie­de­ne Ent­wür­fe eines gelin­gen­den Lebens oder einer erfolg­rei­chen und erstre­bens­wer­ten Wirt­schafts­wei­se ste­hen zur Debat­te, gera­de weil nicht ledig­lich Tech­no­lo­gien der Strom­erzeu­gung oder Nut­zungs­tech­ni­ken, wie Kern­ener­gie und 3–Liter–Auto, im Vor­der­grund ste­hen. Gesamt­ge­sell­schaft­li­che Kon­flikt­lö­sun­gen las­sen sich immer weni­ger aus der tages­po­li­tisch moti­vier­ten Zusam­men­schau iso­lier­ter Per­spek­ti­ven ablei­ten. Statt­des­sen ist eine Gesamt­schau erfor­der­lich, im Wech­sel der Per­spek­ti­ven ver­schie­de­ne, auf kon­trä­ren Leit­bil­dern beru­hen­de Optio­nen zu Ener­gie­nach­fra­ge und –ver­sor­gung zu eröffnen.

    Die Bewer­tung der Optio­nen erfor­dert einer­seits den phi­lo­so­phi­schen Dis­kurs sowie ande­rer­seits ein geeig­ne­tes Ver­fah­ren der Bür­ger­be­tei­li­gung, wobei ent­schei­dend ist, daß es um mehr geht, als um den iso­lier­ten Aus­druck par­ti­ku­la­rer Fach­in­ter­es­sen, wirt­schaft­li­cher Fol­gen oder gesell­schaft­li­cher Kon­se­quen­zen, son­dern um den umfas­sen­den Pro­zeß der Abwä­gung vor dem Hin­ter­grund des gesam­ten Fra­ge­spek­trums. Dazu sind ein fun­dier­tes Auf­ar­bei­ten der Sach­la­ge, die Dar­stel­lung rea­li­sti­scher Hand­lungs­op­tio­nen ein­schließ­lich der mög­li­cher­wei­se damit ein­her­ge­hen­den Kon­se­quen­zen sowie eine Refle­xi­on der gesell­schaft­lich rele­van­ten Bewer­tungs­kri­te­ri­en aus der Sicht­wei­se von Betrof­fe­nen erforderlich.

    Immer häu­fi­ger wer­den auch Ethi­ker um Rat gefragt, wenn es um Fra­gen der Zukunfts­ge­stal­tung geht. Oft­mals wird dabei unter­stellt, sei­tens der phi­lo­so­phi­schen Ethik lie­ßen sich unanzwei­fel­ba­re und ein­deu­ti­ge Ant­wor­ten, ›rich­ti­ge‹ und ›all­ge­mein­gül­ti­ge‹ Lösungs– und Bewer­tungs­stra­te­gien bei kon­tro­vers dis­ku­tier­ten Sach­ver­hal­ten für die ver­ant­wort­li­che und ver­ant­wort­ba­re Ent­schei­dungs­vor­be­rei­tung geben. Die­ser Erwar­tung kann nicht ent­spro­chen wer­den: Ein sol­ches phi­lo­so­phi­sches ›Macht­wort‹ kann nicht die Auf­ga­be der phi­lo­so­phi­schen Ethik sein. Vor dem Hin­ter­grund einer ange­spann­ten Welt, in der fun­da­men­ta­li­sti­sche Strö­mun­gen mit der Wis­sen­schaft um das Mono­pol der Welt­deu­tung rin­gen, kön­nen weder Ethik noch Phi­lo­so­phie zu Garan­ten letzt­ver­bind­li­cher Hand­lungs­ma­xi­men und all­ge­mein­ver­bind­li­cher Gesichts­punk­te der Bewer­tung wer­den. Auf­ga­be der Phi­lo­so­phie kann es schon gar nicht sein, vor­schnell Par­tei zu ergrei­fen. Sie kann Anre­gun­gen geben und auch advo­ka­to­risch pro­vo­zie­ren­de Posi­tio­nen ver­tre­ten — in der Hoff­nung, neue Optio­nen und Per­spek­ti­ven zu eröffnen.

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