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ZeitGeister | Philosophische Praxis

Akademie für Philosophische Psychologie

Category: Theorien der Kultur

Schuld: Eine mächtige Kategorie

Johann Hein­rich Füss­li: Lady Mac­beth, schlaf­wan­delnd, (um 1783). — Quel­le: Public Domain via Wikimedia.

Gewissensbisse, die zum Wahnsinn führen

Der Dich­ter und Maler Johann Hein­rich Füss­li war der­art fas­zi­niert von den Wer­ken des Wil­liam Shake­speare, so daß er sich schon in jun­gen Jah­ren an Über­set­zun­gen ver­such­te. — Als Maler schuf er einen gan­zen Bilder–Zyklus mit berühm­ten Sze­nen, in denen die phan­ta­sti­sche Stim­mung ein­ge­fan­gen ist.

So insze­nier­te er auch die dra­ma­ti­sche Sze­ne: Lady Mac­beth V,1 von Wil­liam Shake­speare. Die tra­gi­sche Hel­din wird von Alp­träu­men geplagt und fin­det ein­fach kei­ne Ruhe mehr. Sie träumt mit offe­nen Augen und beginnt zu schlaf­wan­deln. — Und es scheint, als woll­te sie sämt­li­che Pla­ge­gei­ster ver­trei­ben, die Zeu­gen ihrer Unta­ten, von denen sie ver­folgt und um den Schlaf gebracht wird.

Die Sze­ne­rie führt das schlech­te Gewis­sen der Lady Mac­beth vor Augen. — Ihr Mann war zunächst dem König treu­er­ge­ben. Aber drei Hexen pro­phe­zei­en ihm, selbst zum König zu wer­den. Um dem ver­hei­ße­nen Schick­sal nun auf­zu­hel­fen, schrecken Mac­beth und sei­ne Lady selbst vor einem heim­tücki­schen Königs­mord nicht zurück.

Bei­de sind von blin­dem Ehr­geiz getrie­ben und ver­lie­ren im Ver­lauf der Ereig­nis­se auf­grund ihrer Ver­bre­chen zuerst ihre Mensch­lich­keit, dann ihr Glück und schließ­lich auch noch den Ver­stand, von ihrem See­len­heil ganz zu schwei­gen. — Dabei wirkt die Frau skru­pel­lo­ser als der Mann. Ähn­lich wie auch die Medea, setzt eine sehr viel ent­schie­de­ne­re Frau wirk­lich alles aufs Spiel, wäh­rend der Mann eher zag­haft erscheint. Dahin­ter dürf­te die Pro­ble­ma­tik ste­hen, daß Frau­en lan­ge Zeit nicht direkt auf­stei­gen konn­ten, nur über ihre Rol­le als Ehe­frau und Mutter.

Es kommt im fünf­ten Akt zu der im Bild von Füss­li dar­ge­stell­ten Sze­ne. Wäh­rend sich Mac­beth auf Burg Dun­si­na­ne mehr und mehr zum ver­bit­ter­ten, unglück­li­chen Tyran­nen wan­delt, wird Lady Mac­beth immer hef­ti­ger von Gewis­sens­bis­sen geplagt, denn die Schuld am Mord von King Dun­can ist unge­sühnt. — Alp­träu­me kom­men auf, sie beginnt im Schlaf zu wan­deln und die Phan­ta­sie nimmt Über­hand, bis sie schließ­lich den Ver­stand ver­liert und sich das Leben nimmt.

Das Gefühl, sich womög­lich gleich am gan­zen Kos­mos ver­sün­digt zu haben, durch eine Fre­vel­tat, dürf­te sehr früh auf­ge­kom­men sein. Es gibt vie­le Bei­spie­le dafür, daß durch ein Sakri­leg eine ›hei­li­ge Ord­nung‹ gestört wird, was nicht so blei­ben kann. — Bei­spie­le sind Sisy­phos, ein Trick­ster, der nicht ster­ben will und den Tod immer wie­der hin­ters Licht führt, oder Ixi­on, der erst­mals einen Mord an einem Ver­wand­ten beging.

Es gibt eine Klas­se von Mythen, die sich als Urzeit­my­then klas­si­fi­zie­ren las­sen. Väter ver­schlin­gen ihre Kin­der, die Welt bleibt im Cha­os, sie gewinnt gar kei­ne Gestalt. Tita­nen herr­schen, wobei der Ein­druck ent­steht, als wären sie die Ver­kör­pe­rung jener Gei­ster, mit denen die Scha­ma­nen der Vor­zeit noch umge­hen konn­ten. — Die klas­si­schen Mythen sind inso­fern auch ein Spie­gel der Zivi­li­sa­ti­on, weil sie die angeb­lich bar­ba­ri­schen Zei­ten zuvor als abso­lut bru­tal in Sze­ne setzen.

Erynnien, Furien, Rachegötter und Plagegeister

Fran­cis­co de Goya: Saturn ver­schlingt sei­nen Sohn (1820f). — Quel­le: Public Domain via Wikimedia.

Das sind auch Ammen­mär­chen der Zivi­li­sa­ti­on, die Rede ist dann von fin­ste­ren Zei­ten. Zugleich set­zen sich Mythen damit als Auf­klä­rung in Sze­ne, schließ­lich kün­den sie von der Über­win­dung die­ser Schreck­lich­kei­ten. Nicht nur der tech­ni­sche, zivi­li­sa­to­ri­sche Fort­schritt spielt bei alle­dem eine beträcht­li­che Rol­le, son­dern auch die Psy­cho­ge­ne­se. — Ver­mut­lich kommt Indi­vi­dua­lis­mus erst all­mäh­lich auf, eben­so wie das Bedürf­nis, sich selbst zu beobachten.

Die klas­si­schen Mythen insze­nie­ren nicht nur das Sakri­leg, sie errich­ten zugleich auch die Tabus dage­gen, indem man die Ereig­nis­se in eine viel frü­he­re Urzeit abschiebt und zugleich demon­striert, wie ent­setz­lich die Fol­gen mög­li­cher Tabu­brü­che tat­säch­lich sind.

Wenn etwas Unge­heu­er­li­ches gesche­hen ist, dann tre­ten bald schon Unge­heu­er auf den Plan. Als wür­de die Welt selbst dar­um rin­gen, in den Zustand der ›vor­ma­li­gen Har­mo­nie‹ wie­der zurück­zu­keh­ren. — Aber irgend­wie muß das Ver­ge­hen gesühnt wer­den. Es muß erst wie­der aus der Welt geschafft wer­den durch Buße, weil erst dann die ›hei­li­ge Ord­nung‹ wie­der her­ge­stellt wer­den kann.

Zugleich sind die Göt­ter selbst im Pro­zeß der Theo­ge­ne­se. Eine Göt­ter­dy­na­stie folgt auf die näch­ste. — Inter­es­sant sind die Reflek­tio­nen dar­über. So hat Kro­nos durch fort­ge­setz­te Kinds­tö­tung der Gaia vor­ent­hal­ten, was Müt­ter wol­len, die Kin­der auf­wach­sen sehen.

Der Mythos schil­dert in die­ser Vor­stu­fe einen Zustand, in dem nicht wirk­lich Ent­wick­lung statt­ha­ben konn­te. — Erst in der Ära von Zeus wird die Welt auf die Mensch­heit zen­triert. Dann tre­ten die glück­li­chen Göt­ter Athens sogar frei­wil­lig zurück, um im Zuge des Prometheus–Projektes der Mensch­heit die Welt zu überlassen.

Die Entstehung des Gewissens

Fran­çois Chiff­lart: Das Gewis­sen. 1877, Mai­sons de Vic­tor Hugo, Paris. — Quel­le: Public Domain via Wiki­me­dia.

Es ist ver­mut­lich der aus Ägyp­ten durch den Tem­pel­prie­ster Moses beim Aus­zug der Juden mit auf den Exodus genom­me­ne mono­the­isti­sche Gott, der bereits bei den Ägyp­tern mit einem all­se­hen­den Auge sym­bo­li­siert wur­de. Auch die Idee vom Jen­seits­ge­richt stammt aus Ägyp­ten, was zur bemer­kens­wer­ten Tra­di­ti­on der Ägyp­ti­schen Toten­bü­cher geführt hat, das Leben als Vor­be­rei­tung auf den Tod zu betrachten.

Mit der Bedro­hung durch das Jüng­ste Gericht des Lebens kommt eine Psy­cho­ge­ne­se in Gang, die eine syste­ma­ti­sche Selbst­be­ob­ach­tung erfor­der­lich macht. — Wenn ein all­ge­gen­wär­ti­ger und all­wis­sen­der Gott ohne­hin alles ›sieht‹, so daß man ihm nichts ver­ber­gen kann, dann scheint es ange­ra­ten zu sein, sich ein Gewis­sen zuzu­le­gen, um sich genau zu beob­ach­ten und ggf. zu kontrollieren.

Dem­entspre­chend ist Kain auf der Flucht vor dem ›all­se­hen­den Auge‹, weil er ›ver­ges­sen‹ hat, sich bei­zei­ten ein Gewis­sen zu ›machen‹. — Das ist aber nur eine, noch dazu weni­ger anspruchs­vol­le Deu­tung des ver­meint­li­chen Bru­der­mords. Aus Grün­den der Eth­no­lo­gie kön­nen Acker­bau­ern und Hir­ten kei­ne ›Brü­der‹ sein. Offen­bar hat sich der hier ver­ehr­te Gott, der das Opfer des Bau­ern ›ablehnt‹, noch nicht damit arran­giert, daß die Tier­op­fer sel­te­ner und die Opfer von Getrei­de und Früch­ten zuneh­men werden.

Kain auf der Flucht

Erst mit der Urba­ni­sie­rung erhält der Pro­zeß der Zivi­li­sa­ti­on sei­ne ent­schei­den­de Dyna­mik. Der alles ent­schei­den­de Impuls geht mit die­ser Got­tes­idee ein­her, mit der ganz all­mäh­lich auf­kom­men­den Vor­stel­lung eines Got­tes, der alles ›sieht‹. — Dem­entspre­chend illu­striert Fer­nand Cor­mon die Flucht des Kain unmit­tel­bar nach der Tat. Das Werk ist durch Vic­tor Hugo inspi­riert und schil­dert die Sze­ne auf gro­tes­ke Weise.

Der Plot selbst ist zutiefst para­dox: Kain ist Bau­er. Er lebt von den Früch­ten der Erde, fürch­tet sich jedoch schreck­lich vor dem neu­en tran­szen­den­ten Gott, der im Him­mel über den Wol­ken schwebt und der alles ›sieht‹. — Er ver­liert im Opfer­wett­streit, erschlägt sei­nen Kon­tra­hen­ten, ist aber von die­sem mis­sio­na­ri­schen Hir­ten offen­bar längst bekehrt wor­den, denn er fürch­tet sich fort­an wie wahn­sin­nig vor die­sem Gott. Dar­auf beginnt er eine hals­bre­che­ri­sche Flucht, um sich dem all­se­hen­den, all­wis­sen­den, all­ge­gen­wär­ti­gen Auge die­ses Got­tes doch noch zu entziehen.

Fer­nand Cor­mon: Kain. 1880, Musèe d’Orsay, Paris. — Quel­le: Public Domain via Wikimedia.


Wenn Worte sich enthalten

Erlösung gibt es nur durch Sprache, aber was, wenn die Worte fehlen?

Wenn Wor­te feh­len, suchen wir stam­melnd nach Bei­spie­len: Es ist wie…, es ist wie…, es ist wie… – Ja wie denn? 

Wenn etwas gesagt wer­den soll, aber eigent­lich gar nicht klar ist, was denn jetzt und vor allem wie, dann ste­hen die, die sich jetzt mal äußern sol­len wie Leh­rer vor einer Klas­se von Schü­lern, die den Teu­fel tun wer­den, sich jetzt zu melden. 

Kei­nes der bekann­ten Wor­te wird sich bereit erklä­ren für ein sol­ches Him­mel­fahrts­kom­man­do, dar­stel­len zu sol­len, wie es denn so ist, ein Impf­geg­ner zu sein und gegen den Strom zu schwin­gen. Ein Stu­dent sag­te mal im Semi­nar, da müs­se man auf­pas­sen, nicht blaue Augen zu bekom­men, wenn man gegen den Strom schwimmt. Auf Nach­fra­ge erklär­te er dann das köst­li­che Bild, die blau­en Augen ent­stün­den durch Zusam­men­stö­ße mit ent­ge­gen­kom­men­den Fischen. 

Gust­ave Doré: Die baby­lo­ni­sche Sprach­ver­wir­rung (1865ff.).

Im Coro­na-Dis­kurs ist Ver­ste­hen aus vie­ler­lei Grün­den ganz beson­ders schwie­rig, weil im Hin­ter­grund tie­fe reli­giö­se Trau­ma­ta das Orche­ster der Gefüh­le diri­gie­ren und tag­täg­lich neue Äng­ste geschürt wer­den. Die mei­sten “Recht­gläu­bi­gen” bemer­ken nicht ein­mal, daß sie sich ange­paßt haben und tun­lichst nur ange­paß­te Wor­te ver­wen­den aber gar nicht die eige­nen. Vie­le beten nur nach und kom­men dann auch sehr schnell ins Stam­meln, wenn sie ihrer­seits begrün­den sol­len, was sie war­um für rich­tig halten. 

Tat­säch­lich ist es unge­heu­er schwer, etwas zu ver­ste­hen, in dem man sich gera­de befin­det. Man kann in einer Höh­le nicht erklä­ren, daß man sich in einer Höh­le befin­det, ohne daß die, denen man das gern mit­tei­len möch­te, schon mal davon gehört haben, daß es auch ein Außer­halb gibt. Das ist die berühm­te Alle­go­rie in Pla­tons Höh­len­gleich­nis mit dem sich Pla­ton an den Athe­nern bis in aller Ewig­keit revan­chiert, daß sie sei­nen gelieb­ten Leh­rer zum Tode ver­ur­teilt haben, weil er den Main­stream gestört hat beim Nichtdenken. 

Die Spra­che ist das Haus des Seins, sagt Heid­eg­ger und in der Tat ist die­se der “Wein­berg”, von dem die Chri­sten so gern reden. Die Erwei­te­rung des Aus­drucks­ver­mö­gens ist alles entscheidend. 

Das ist ja gera­de das Schlim­me an einem Trau­ma, es lastet auf der See­le, ohne daß man sich davon erleich­tern könn­te. Das wür­de nur gehen, wenn man es mit-tei­len wür­de. Aber dazu sind Wor­te nötig, die sich frei­wil­lig mel­den und sagen: Ich ver­su­che das jetzt mal. Aber die mei­sten die­ser muti­gen Wor­te kom­men dabei um. Mutig sein allein genügt näm­lich nicht.

Außer­dem ist da noch die Gram­ma­tik, und die ist weit mehr, als nur das, was man im Deutsch­un­ter­richt zu hören bekommt. In der Phi­lo­so­phie gibt es “Onto­lo­gien”, das sind “Seins­leh­ren”, die zu ande­ren Zei­ten ernst­haft ver­tre­ten und auch geglaubt wur­den, wo dann eben so Neben­säch­lich­kei­ten drin ste­hen, wie etwa die “Natur des Men­schen, des Man­nes oder auch der Frau”. 

Man soll­te nicht zu hart mit ande­ren Epo­chen ins Gericht gehen, denn die­se hat­ten auch ihre Pro­blem, nur ande­re als wir. – Man hat das eben geglaubt, daß es so etwas wie eine fixier­te Natur gibt und das war wohl auch gut so, weil einem die Welt ohne­hin bereits über den Kopf gewach­sen war. 

Nun nimmt im Zuge der Kul­tur­ge­schich­te das sprach­li­che Dif­fe­ren­zie­rungs­ver­mö­gen immer wei­ter zu. Daher braucht es stän­dig neue, bes­se­re, tie­fe­re Wor­te, aber auch die Gram­ma­tik muß sich öff­nen für die neu­en Fäl­le des Lebens. Sie darf und soll neu­en Lebens- und Emp­fin­dungs­for­men nicht ihre Exi­stenz­be­rech­ti­gung aberken­nen, indem sie gar nicht zuläßt, das so etwas über­haupt gesagt wer­den kann. – Wenn die Wor­te falsch sind, füh­ren sie in die Irre, wenn die Gram­ma­tik nicht mit­spielt, dann bleibt nur Stam­meln, das kei­ner versteht. 

Daher müs­sen wir mit dem, was wir zu sagen hät­ten, aber noch gar nicht wirk­lich mit-tei­len kön­nen, ziem­lich lan­ge hadern. Wir müs­sen mit der Schul­klas­se unse­rer Wor­te vie­le Dis­kus­sio­nen füh­ren, bis eini­ge sagen, ich ken­ne da wen, der das kann, den hole ich mal. – Wir brau­chen die Musen dazu, denn erst sie schen­ken uns die nöti­gen Inspi­ra­tio­nen, etwas Unsäg­li­ches doch zur Spra­che zu bringen. 

Einer der Ankla­ge­punk­te im Pro­zeß gegen Sokra­tes, neben dem ehren­wer­ten Vor­wurf, er wür­de die Jugend (zum Den­ken) ver­füh­ren, bestand dar­in, er wür­de “frem­de Göt­ter” ein­füh­ren. Man soll­te hier nicht auf der Über­hol­spur den­ken, son­dern das Gan­ze erst ein­mal auf sich, wie auf ein Kind wir­ken las­sen. Was kann das bedeu­ten, frem­de Göt­ter nicht ein­füh­ren zu dür­fen? – Das ist das Schö­ne am Den­ken, sich selbst dabei zuse­hen zu kön­nen, wie man “dahin­ter­kommt”. 

Also, die Grie­chen hat­ten den Poly­the­is­mus und das muß man wie­der­um auch betrach­ten als ziem­lich kost­spie­li­ge Ange­le­gen­heit. Man kennt das noch in der Debat­te über die Fei­er­ta­ge, wo doch damals die evan­ge­li­sche Kir­che einen Fei­er­tag abge­tre­ten hat, nur um der armen Wirt­schaft zu hel­fen. Ja, an Fei­er­ta­gen wird in vie­len Sek­to­ren nicht gear­bei­tet, son­dern gezahlt, vor allem von denen, die sonst immer kassieren. 

Sokra­tes sprach von sei­nem “Dai­mo­ni­on”, einer Art Geist, eine inne­re Stim­me, die er hört. Sie wür­de ihm nie etwas anra­ten zu tun, son­dern sich nur mel­den, sobald er etwas Ungu­tes zu tun beab­sich­ti­gen wür­de. – Wenn ich damals vom Athe­ner Gericht mit einem Gut­ach­ten betraut wor­den wäre, hät­te ich dar­zu­stel­len ver­sucht, daß es sich bei die­ser Instanz nicht um einen neu­en, frem­den Gott han­deln wür­de, der uner­laub­ter­wei­se ein­ge­führt wor­den sei, son­dern um eine Aus­dif­fe­ren­zie­rung in der Psy­che und in der See­le des Sokra­tes, die weg­wei­send wer­den soll­te, die sich hier nur aus­nahms­wei­se schon ein­mal mel­den würde. 

Ich stel­le mir also vor, daß es so etwas wie eine Ein­fuhr­be­hör­de für Göt­ter gege­ben haben muß. Wenn da also mit einer neu­en Unter­wer­fung auch die neu unter­wor­fe­nen Göt­ter ein­ge­führt wer­den müs­sen, dann wird man sich gefragt haben, also, haben wir die nicht schon, wer unse­re Göt­ter könn­te das machen? So hat Zeus an die hun­der­te zusätz­li­cher Namen, das sind alles Göt­ter aus ein­ver­leib­ten Häupt­lings­tü­mern oder König­rei­chen mit ihren höchst spe­zi­fi­schen Zuständigkeiten. 

Es ist uner­läß­lich, den Göt­tern und zwar allen das Ihri­ge zu geben, wo nicht, droht Ärger. Etwa als, kurz bevor die Athe­ner in den Krieg zogen, irgend­wel­che Jugend­li­chen an den Her­mes­stau­et­ten, die an den Stra­ßen zu Hun­der­ten stan­den, mal so eben die eri­gier­ten Penis­se abge­schla­gen haben. 

So ist etwa die Aphro­di­te mit rotem Haar, weil sie eben aus Zypern kommt, wo auch das Kup­fer her­stammt. Wenn man also die Aphro­di­te unge­bühr­lich behan­deln wür­de, ver­dirbt man es sich nicht nur mit der Schön­heit, son­dern auch mit den Frau­en, mit der Rol­le der Frau als sol­cher und dann auch noch mit den Zyprio­ten. – Daher muß allen Ern­stes eine Kom­mis­si­on dar­über ent­schei­den, was man denn mit einem kon­kre­ten Gott, der da neu auf­ge­tre­ten ist, anstel­len soll. Und man hat die neue Kom­pe­tenz des Sokra­tes ein­fach völ­lig falsch gedeu­tet und gar nicht verstanden. 

Wenn die Wor­te sich drücken, wenn die Gram­ma­tik die Arme ver­schränkt und bei so etwas nicht mit­ma­chen will, dann gibt die Spra­che mit Bedau­ern zu ver­ste­hen, daß sie da jetzt auch nicht wei­ter­hel­fen könn­te. Dann hat man ein Pro­blem mit sich und den Ande­ren. Man ver­steht sich selbst nicht wirk­lich, weil die Wor­te feh­len, man wird nicht ver­stan­den, weil die Gram­ma­tik streikt für sol­che Fäl­le und zugleich spu­ken da noch tie­fe reli­giö­se Trau­ma­ta, von denen die mei­sten nicht ein­mal etwas ahnen. 

Und dann wird zu Ver­glei­chen gegrif­fen, die ein­fach schräg rüber­kom­men müs­sen. Histo­ri­sche Ver­glei­che sind immer pro­ble­ma­tisch, weil es ja kon­kre­te Ver­hält­nis­se, Ereig­nis­se und Fol­gen sind, die sich so, auf die­sel­be Art und Wei­se, ganz gewiß nicht wie­der­ho­len. Ande­rer­seits sind wir dar­auf ange­wie­sen, mit Ana­lo­gien zu arbei­ten, wenn kein Wort sich traut, über­haupt Stel­lung zu nehmen. 

Wir soll­ten das, was die Spra­che ist und was sie aus­macht, was sie kann, wo sie ihre Gren­zen hat und was wir tun kön­nen, uns mehr Aus­druck zu ver­schaf­fen, end­lich anders sehen. Die­ses nach­rich­ten­tech­ni­sche Modell von Sen­der, Emp­fän­ger und Bot­schaft ist grot­ten­schlecht und abso­lut unangemessen. 

Es ist viel­mehr so, daß wir mit­ein­an­der im Dia­log koope­rie­ren müs­sen, wenn wir etwas vor­stell­bar machen wol­len, um dann erst das Urteil eines Freun­des oder einer Freun­din zu erbit­ten. Ande­re kön­nen uns erst dann wirk­lich etwas anra­ten, wenn sie uns ver-ste­hen, das heißt, wenn sie aus unse­rer Posi­ti­on her­aus ihre Stel­lung­nah­me abge­ben. – Zu hoch? Da kann ich dann auch nicht mehr helfen. 

Man ach­te bit­te ein­mal dar­auf, wie vie­le “Regie­an­wei­sun­gen” da ein­an­der gege­ben wer­den: “Nein, so ist das nicht. Du mußt Dir das anders vor­stel­len, etwa wie, wenn…” – Ver­ste­hen ist Arbeit, auch wenn das unter Freun­den nicht so gese­hen wird. Den­ken ist ähn­lich, es ist ein Dia­log der See­le mit sich selbst.

Und die­ses Boh­ren ganz dicker Bret­ter, wie Max Weber die Poli­tik cha­rak­te­ri­siert, um Gesin­nungs­tä­ter, Tugend­wäch­ter und Hitz­köp­fe von irgend­ei­ne Pro­pa­gan­da durch die Tat abzu­brin­gen, ist genau das. Poli­tik ist, wenn sie wirk­lich etwas lei­stet, der Ver­such, neue Zugän­ge zu fin­den, durch Spra­che, Ver­ste­hen und neue Gemeinsamkeiten. 

Das macht dann in der Tat den Jar­gon der Diplo­ma­tie so inter­es­sant. Was macht man, wenn man nicht ein­mal “Bezie­hun­gen” zuein­an­der hat? Man besucht sich, spricht mit­ein­an­der, sucht nach “Gemein­sam­kei­ten”, bis man dann eine “gemein­sa­me Gesprächs­grund­la­ge” fin­det, auf der wei­te­re “Kon­sul­ta­tio­nen” statt­fin­den kön­nen. Und das wäre nur der aller­an­fäng­lich­ste Anfang.

Impf­gläu­bi­ge wol­len immer gleich mit den Bei­tritts­ver­hand­lun­gen begin­nen. Sie spre­chen den Ungläu­bi­gen ein­fach ab, daß es so etwas wie sie über­haupt geben kön­ne. – Es ist aber naiv zu erwar­ten, daß es in der Coro­na-Kri­se nur einen ein­zig rich­ti­gen Glau­ben gibt. 

Coro­na ist nur so stark, weil vie­le unse­rer Syste­me erstaun­lich schwach sind. Es ist gut zu wis­sen, dann wird man in Zukunft weit weni­ger ver­trau­en, son­dern sehr viel mehr kri­tisch sein und blei­ben müs­sen. – Aber auch das muß erst ein­mal zur Spra­che gebracht wer­den, mit den rich­ti­gen Wor­ten und einer Gram­ma­tik, die neu­en Gedan­ken auf­ge­schlos­se­ner ist als die Angst­rhe­to­rik unse­rer Tage. 

Es bleibt nur, mit dem Kopf immer wie­der gegen die Gren­zen der Spra­che anzu­ren­nen und der­weil die Musen dar­um zu bit­ten, das Gespür für die rich­ti­gen Meta­phern zu schenken. 


Mangel an Denken, Geist und Kultur

Über Traumata, die aus ganz anderen Zeiten stammen

“Weil Harald Schmidt sei­nen Impf­sta­tus offen­lässt, wird gemut­maßt, daß er ein Corona–Leugner sei.”, kon­sta­tiert RND, das Redak­ti­ons­netz­werk Deutsch­land, geflis­sent­lich dar­um bemüht, blitz­ge­scheit zu wirken. 
Geht es noch? So ein­fach ist also inzwi­schen die Main­stream-Logik gewor­den. — Ist er getauft und ein “Kind Got­tes” oder ver­wei­gert er den Glau­ben an die Leh­re der hei­li­gen Mut­ter Kir­che, daß nur die “Tau­fe” gegen die Ver­su­chun­gen des Teu­fels Coro­na immun macht?

Die­se ver­schwur­bel­te Logik geht zurück auf ein uraltes reli­giö­ses Trau­ma, das über Gene­ra­tio­nen geschlum­mert hat im Unbe­wuß­ten derer, die wenig oder gar nicht über die Tie­fen der eige­nen See­le nach­den­ken. — Die Kir­che hat über Jahr­hun­der­te die Men­schen ein­ge­schüch­tert und in psy­cho­ti­sche Angst­zu­stän­de ver­setzt, so daß vie­le wirk­lich krank dar­an wur­den, gegen Gott gesün­digt zu haben.

Hie­ro­ny­mus Bosch: Der Gar­ten der Lüste, Aus­schnitt (1480ff).

Eine beson­de­re Rol­le dabei spiel­ten hoch­trau­ma­ti­sier­te Müt­ter, wie die von Augu­sti­nus, Albrecht Dürer, Imma­nu­el Kant oder auch Max Weber und vie­le ande­re Gei­stes­grö­ßen mehr, von denen unbe­kann­ten Namens mal zu schwei­gen, obwohl doch die­se sich gera­de man­gels Intel­lekt noch am wenig­sten zur Wehr set­zen konnten.

Die Fol­gen sind Depres­sio­nen, Schuld­ge­füh­le, Melan­cho­lie und das Gefühl, nicht wür­dig zu sein, über­haupt nicht würdig. 

Eine Poli­tik der Angst muß nicht unbe­dingt mit äußer­li­cher, also mili­tä­ri­scher, poli­zei­li­cher, psych­ia­tri­scher, sozi­al­ar­bei­te­ri­scher oder päd­ago­gi­scher Miß­hand­lung einhergehen. 
Es genügt auch eine Bedro­hung von See­le und Leib durch ele­men­ta­re Äng­ste, um Men­schen gefü­gig zu machen und in Läm­mer zu ver­wan­deln, die sich von den selbst­er­nann­ten Hir­ten bewa­chen und füh­ren las­sen. Die christ­li­che Mis­sio­nie­rung der Kel­ten war auch erst erfolg­reich, als man ihnen die Übel der Höl­le vor Augen führte. 
Ähn­lich ver­hielt es sich auch mit den unethi­schen Fern­seh-Bil­dern aus Ber­ga­mo. Über Nacht war ein Groß­teil des Main­streams “über­zeugt”. Dabei waren sie nur ein­ge­schüch­tert und total ver­äng­stigt, weil da uralte Äng­ste her­auf­be­schwo­ren wurden. 
Dabei wis­sen wir doch eigent­lich inzwi­schen, daß einer ein Mensch sein kann, sogar ein guter Mensch, der nicht getauft ist. Und, die Erkennt­nis des Tages: Es ist sogar auch mög­lich, die “Exi­stenz” von Coro­na NICHT in Zwei­fel zu zie­hen und den­noch kein Ver­trau­en zu haben, in die Impf­pro­phe­ten die­ser Tage. – Die Impf­gläu­bi­gen bege­hen einen Feh­ler, wenn sie nicht den “gan­zen Men­schen” sehen, der eben mehr ist als die Sum­me sei­ner Orga­ne im bio­lo­gi­schen Sinne.

Eines der Moti­ve, sich nicht imp­fen zu las­sen, liegt auch dar­in, einen indi­vi­du­el­len see­lisch-leib­li­chen Wider­stand zu emp­fin­den. Wer sich bis­her nie gegen die neue­sten Grip­pe­vi­ren hat imp­fen las­sen, viel­leicht gera­de auf­grund von man­geln­dem Ver­trau­en in die­se unse­re viel zu käuf­li­chen Wis­sen­schaf­ten, wird auch bei der Corona–Impfung, nach allem, was inzwi­schen bekannt wird, sich bestärkt füh­len in der eige­nen Skep­sis. Und vie­le wer­den sich ganz gewiß nicht einer Zwangs­tau­fe beugen.

Das mag in den Ohren derer, die an die Natur­wis­sen­schaf­ten “glau­ben” und das dann auch noch für die gan­ze Wis­sen­schaft hal­ten, “eso­te­risch” klin­gen. Dabei ist es nur der Wunsch und Wil­le auf “Ganz­heit­lich­keit”. Wir haben nicht nur Kör­per und Psy­che, son­dern auch Leib und See­le. Wir haben mit der Ent­zau­be­rung der Welt den Zugang zu vie­lem ver­lo­ren, was ande­re Kul­tu­ren noch hat­ten, so etwas wie das Gefühl einer kos­mi­schen Gebor­gen­heit. 
Die tran­szen­den­ta­le Obdach­lo­sig­keit führ­te im 19. Jahr­hun­dert zum Nihi­lis­mus, eine der gefähr­lich­sten Demü­ti­gun­gen, die dann zu vie­len Ver­zweif­lungs­ta­ten führt. Das zu leug­nen, daß wir auch Wesen sind, mit gro­ßen tran­szen­den­ta­len Wün­schen, ist die Schwä­che der szi­en­ti­sti­schen Kon­fes­si­on. Es ist ein halt­lo­ser, sub­stanz­lo­ser, abso­lut inhalts­lee­rer Glau­be dar­an, daß die Bana­li­sie­rung von allem, was mal hei­lig war, der Wis­sen­schaft letz­ter Schluß sein soll.
Inso­fern paßt auch die Coro­na-Poli­tik in die­se Welt­an­schau­ung, wenn man sich vor Augen führt, was alles geop­fert wur­de, wie etwa das See­len­heil von Kin­dern und Jugend­li­chen, die Grund­rech­te, die Frei­heit und vor allem die Fähig­kei­ten zur Selbstverantwortung. 
Man hat sofort die Ent­mün­di­gung betrie­ben und ein dem­entspre­chend geist­lo­ses, anti­hu­ma­nes, päd­ago­gisch gest­ri­ges Men­schen­bild in Kraft gesetzt, nur, um zu herr­schen. — Geist paßt nicht in die bor­nier­te Welt­an­schau­ung szi­en­ti­sti­scher Natu­ra­li­sten, die von Kul­tur über­haupt nichts ver­ste­hen und daher mei­nen, das kann alles weg, wo wir doch jetzt alle Coro­na haben und der Ver­su­cher unter uns weilt.
Daß dabei gro­ße Tei­le der Pres­se wie Inqui­si­to­ren auf­tre­ten, ist ein ganz böses Omen – für die Pres­se selbst. Sie wer­den damit nicht punk­ten, statt­des­sen wird der schon vor Jahr­zehn­ten von Jür­gen Haber­mas in sei­ner Habi­li­ta­ti­on dia­gno­sti­zier­te “Struk­tur­wan­del der Öffent­lich­keit” jetzt gera­de­zu “geboo­stert”. Die Qua­li­tät der Dis­kur­se im Inter­net steigt rapi­de, man emp­fin­det es als Erho­lung, end­lich nicht mehr belehrt oder umer­zo­gen zu wer­den von einer Pres­se, die sich selbst in ihrer Funk­ti­on mißversteht.
Da lobe ich mir die Nach­rich­ten im Fern­se­hen von “Welt”. Das geht so: “Sack Reis in Chi­na umge­kippt. Ruß­land macht die USA ver­ant­wort­lich, die EU schweigt.”  So möch­te ich es. Selig die Zei­ten, als es Beschwer­den gab, wenn der Nach­rich­ten­spre­che Köp­ke die Nase ver­zog, viel­leicht weil sie krib­bel­te und vie­le sich sofort beschwerten.
Es ist ver­ständ­lich, daß die bis­he­ri­gen Medi­en eine Hei­den­angst haben vor dem Inter­net und was es ermög­licht an einer noch wei­ter sich aus­dif­fe­ren­zie­ren­den Öffent­lich­keit. Dar­über zu spe­ku­lie­ren, müß­te eigent­lich dazu füh­ren, daß nur Qua­li­täts­me­di­en auf der einen und der Bou­le­vard auf der ande­ren Sei­te wer­den über­haupt über­le­ben können. 
Da aber ganz offen­bar fast allent­hal­ben die Qua­li­tät sinkt und immer weni­ger Dis­kurs statt­fin­det, son­dern Wer­tung, Ver­un­glimp­fung, Hyper­mo­ral und Erzie­hung, wird sich das, was bis­her eta­bliert war, immer wei­ter selbst schä­di­gen.  Auch die bis­he­ri­ge “reprä­sen­ta­ti­ve Demo­kra­tie” wird in the long run ganz all­mäh­lich obso­let, denn wir leben nicht mehr im Post­kut­schen­zeit­al­ter. Es braucht kei­ne Reprä­sen­tan­ten mehr, die für die spre­chen sol­len, die selbst die rich­ti­gen Wor­te nicht fin­den. Denn im Inter­net nimmt das sprach­li­che Dif­fe­ren­zie­rungs­ver­mö­gen, die Dia­log- und Dis­kurs­fä­hig­keit ganz rapi­de zu.

Und natür­lich wird es Wett­kämp­fe in Hate speech geben, bis alles raus ist und wirk­lich nichts mehr ein­fällt. Im Jar­gon der Diplo­ma­ten sind das “Anpas­sungs­schwie­rig­kei­ten”. — Der Popanz, der da auf­ge­baut wird, von wegen es dro­he Gefahr von Rechts, ist im eige­nen Inter­es­se maß­los über­trei­ben. Es gab immer die­se unter­ir­di­schen Stamm­tisch­pa­ro­len, sie sind nur zu ande­ren Zei­ten nicht publik gewor­den. Und jetzt mei­nen alle, denen es in den Kram paßt, da wür­de sich eine neue “rech­te” Gefahr auf­tür­men, für alle, die sich nicht füh­ren las­sen, son­dern sich selbst ori­en­tie­ren wol­len. Und dann wird alles in einen Topf gewor­fen: Unge­impft, Coro­na­leug­ner, Wis­sen­schafts­feind, Anti­de­mo­krat, Anti­se­mit, rechts­ra­di­kal, Verfassungsfeind.

Was, wenn auf den Mon­tags-Demos so all­mäh­lich auch FDP-Wäh­ler auf­tre­ten? Was, wenn ein klei­ner Regel­bruch nun ein­mal dazu gehört, zu einer Demon­stra­ti­on. Wenn das als Spa­zier­gang ver­kauft wird, dann soll­te es auch ein eben­sol­cher blei­ben. Das ist Kul­tur und die Poli­zei soll­te gute Mie­ne machen. – Aber viel­leicht sind ja auch man­che an einer Eska­la­ti­on interessiert?
Und was die Cau­sa Harald Schmidt anbe­langt, so berei­tet es mir ein gro­ßes Ver­gnü­gen, wie er alle an der Nase her­um­führt, die nicht nach­den­ken.  Man soll­te wis­sen, daß er, wor­über er sich selbst in einer Sen­dung ein­mal köst­lich amü­sant geäu­ßert hat, ein Hypo­chon­der ist. 
Da ist dann die­ses Intim­ver­hält­nis zwi­schen Leib und See­le der­art aktiv, so daß man nur die Wahl hat zwi­schen Skyl­la und Cha­ryb­dis, Pest oder Cholera.
Man erkrankt also ent­we­der an Coro­na oder an der Imp­fung. Es gibt aber noch ein Drit­tes: Man geht auf Distanz, ganz kon­se­quent, und das macht er. Wo das Pro­blem liegt? Im Man­gel an Den­ken, an Geist, an Kultur.

Amok und Nihilismus

Über transzendentale Obdachlosigkeit

Ich habe Amok nie ver­stan­den. Bei Charles Bukow­ski, durch den man eben­so hin­durch muß, wie durch Niklas Luh­mann, geschieht das so neben­her. Irgend­wer hat mal so rich­tig schlech­te Lau­ne, legt sich dann irgend­wo auf die Lau­er, nimmt sich ein Gewehr, wird Hecken­schüt­ze und bal­lert irgend­wel­che Leu­te ab, die ein­fach nur das Unglück haben, gera­de in die­sem Augen­blick vor Ort zu sein.

Nun, mir geht es ums Ver­ste­hen, nicht unbe­dingt um Ver­ständ­nis. Das ist ein him­mel­wei­ter Unterschied.

Man legt sich dann irgend­wel­che Erklä­run­gen zurecht, so etwas die bei Schul­mas­sa­kern, daß da jemand mit nar­ziss­ti­scher Stö­rung zutiefst ver­letzt wor­den sein muß, der dar­auf “Rache” aus­übt. Das ist auch dürf­tig, weil es nicht die tie­fe­ren Grün­de erklärt. Wir alle sind schon mal so rich­tig mies ver­letzt wor­den und waren ernst­zu­neh­mend sau­er, haben aber in der Regel nicht ein­mal dar­an gedacht, auf die­se Wei­se damit umzu­ge­hen, um die Sache wie­der “aus der Welt zu schaffen”.

Edvard Munch: Melan­cho­lie (1894f).

Ein­mal habe ich, um bes­ser zu emp­fin­den, in mei­ner Vor­le­sung einen Amok­lauf aus der Per­spek­ti­ve des­je­ni­gen Schü­lers ver­sucht zu beschrei­ben, der nun mit sei­ner Waf­fe durch den Flur läuft, wäh­rend die ihm per­sön­lich bekann­ten und doch viel­leicht auch ehe­dem freund­schaft­lich ver­bun­den Mit­schü­ler vor ihm fliehen. 

Dar­auf bin ich auf die Idee gekom­men, daß es eine Exit–Strategie geben muß. Es kam mir näm­lich so vor, als wür­de man­cher Täter sich womög­lich den Flüch­ten­den anschlie­ßen, gewis­ser­ma­ßen auf der Flucht vor sich selbst und dem eige­nen Horror.

Aber bei dem Anschlag in Hei­del­berg waren es Stu­den­ten, die zumeist per­sön­lich ein­an­der gar nicht bekannt sein dürf­ten. Hier ent­fällt also ein zen­tra­les Argu­ment, per­sön­li­che Rache auf­grund per­sön­li­cher Demü­ti­gun­gen sei der Grund und der Anlaß. — Also, wie kommt einer dazu, Leu­te zu “bestra­fen”, die so rein gar nichts mit irgend­et­was zu tun haben? Was ist dann deren “Schuld”?

Mir tut es leid für alle die, die da in die­sem Hör­saal waren, für die Ver­letz­ten und noch mehr für die Toten, ihre Ange­hö­ri­gen, Freun­de und Freun­des­freun­de. Sie alle haben mein Mitgefühl.

Den­noch will man immer etwas über die Moti­ve hören, als ob es doch irgend­wel­che zurei­chen­de Grün­de gäbe. Fast schon ent­la­stend wirkt da, wenn die­se Moti­ve reli­giö­ser oder poli­ti­schen Natur sind. Dadurch wird die Absur­di­tät nicht gerin­ger, aber irgend­wie hat die Ratio dann etwas, an dem sie sich hal­ten kann.

Eines ging mir nicht mehr aus dem Kopf, als ich von dem Amok­läu­fer an der Uni in Hei­del­berg hör­te. Er soll per Whats­app kurz zuvor mit­ge­teilt und ange­kün­digt haben, nach­dem er sich die Waf­fen zuvor im Aus­land beschafft hat­te, „daß Leu­te jetzt bestraft wer­den müs­sen“. Die­ses “Motiv” hat wei­ter gear­bei­tet in mir. Irgend­wie scheint das ein Schlüs­sel zu sein für ein tie­fe­res Ver­ste­hen ohne Verständnis.

Dabei ist mir auf­ge­fal­len, daß die­se For­mel vom “Bestra­fen” häu­fig ver­wen­det wird, nicht nur von reli­gi­ös moti­vier­ten Amok­tä­tern, son­dern auch von sol­chen, die eigent­lich nicht reli­gi­ös moti­viert sein dürf­ten, weil ihnen dazu jeder Back­round fehlt. Dann bin ich heu­te beim Ver­fas­sen eines Tex­tes auf den Zeit­geist der Moder­ne zu spre­chen gekom­men und dar­auf, daß mit der Ent­zau­be­rung der Welt, mit dem Ver­lust eines Glau­bens und einer tran­szen­den­ta­len Obdach­lo­sig­keit die­se grund­ver­zwei­fel­ten Leu­te zunächst in Russ­land auf­kom­men, wie sie Dosto­jew­ski so ein­dring­lich zur Dar­stel­lung bringt.

Das hilft nun den Opfern und allen Betrof­fe­nen nicht wirk­lich, weil ihnen das die gesuch­te und nicht zu fin­den­de Erklä­rung nicht geben kann. Und den­noch, es hat mit dem “Bestra­fen” eine eige­ne Bewandt­nis. Stra­fe, Süh­ne und Buße sind näm­lich als Moti­ve zutiefst reli­gi­ös in einem tie­fen­psy­cho­lo­gi­schen Sin­ne. Das bedeu­tet, man muß nicht unbe­dingt auf irgend­ei­ne Wei­se gläu­big sein, die­se Arche­ty­pen sind ein­fach vor­han­den im kol­lek­ti­ven Unbewußten.

Edvard Munch: Der Schrei.

Also, in der Moder­ne, wo nicht ein­mal mehr die Idee vom gro­ßen Gan­zen noch mög­lich scheint, dort zer­springt die Welt in tau­send Stücke und alle die­se Frag­men­te erschei­nen nur noch pro­fan. Dar­auf wird dann die unse­li­ge Pro­fa­ni­tät selbst zum Skan­dal und zum ver­zwei­fel­ten Anlaß für Selbst­ver­let­zung, sei es am eige­nen Leib oder auch am ›Kör­per‹ der Gemein­schaft. — Der Grund scheint zu sein, daß die See­le der Akteu­re in der von ihnen ver­ach­te­ten Welt seit gerau­mer Wei­le kei­ne Nah­rung mehr fin­det, zumal der Blick für See­len­nah­rung ent­we­der gar nicht ent­wickelt oder ein­ge­trübt ist.

Auf die­se Wei­se läßt sich nach­voll­zie­hen, war­um es unter psy­cho­lo­gisch pre­kä­ren Umstän­den in den völ­lig ent­zau­ber­ten und pro­fa­ni­sier­ten Frag­men­ten moder­ne Wel­ten immer wie­der zu die­sen äußerst spek­ta­ku­lä­ren und demon­stra­ti­ven Ter­ror­ak­ten kommt, und woher die vie­len reli­giö­sen Moti­ve vor allem doch bei eigent­lich reli­gi­ös gar nicht moti­vier­ten Tätern rühren.

Es läßt sich spe­ku­lie­ren, ob das Unvor­stell­ba­re nicht doch vor­stell­bar wird, wenn wir ernst neh­men, was vie­le die­ser Täter als Motiv bekun­den, sie woll­ten ›stra­fen‹. Als wür­de da ein gei­stig voll­kom­men ent­wur­zel­tes Pro­phe­ten­tum exer­ziert. Tat­säch­lich läßt sich aber anneh­men, daß die Ver­let­zun­gen in der Tat eine Art ›Buße‹ sein sol­len, nur, in einem Kon­ti­nu­um, das selbst völ­lig ver­irrt ist.

Das hat Fjo­dor Michai­lo­witsch Dosto­jew­ski in der gan­zen see­li­schen Dra­ma­tik vor Augen geführt. Er war ein Seis­mo­graph der Kon­flik­te, in die der Mensch mit dem Anbruch der Moder­ne geriet. In sei­nen Wer­ken spie­gel­te er die irr­lich­tern­de mensch­li­che See­le, ihre Sehn­süch­te, Regun­gen und Träu­me, dann aber auch die Zwän­ge und Befrei­ungs­ver­su­che bis hin zum Verbrechen.

Seit die Welt nur noch in Frag­men­ten erscheint, die alle­samt nur noch pro­fa­ner Natur sein kön­nen, kon­zen­triert man sich ersatz­hal­ber auf Äußer­lich­kei­ten, spricht allen­falls von ›Wer­ten‹ und ver­liert jede Vor­stel­lung von Geist und Ver­nunft in ihrem Bezug zum Schö­nen, Erha­be­nen und daher auch zum Gött­li­chen. — Fol­ge­rich­tig führt Fried­rich Nietz­sche die­ser Befund zu einer ver­hee­ren­den Dia­gno­se: Nihilismus.

Der jun­ge Nietz­sche selbst ver­warf bereits in jun­gen Jah­ren die­se Welt­sicht der Halt­lo­sig­keit und wand­te sich der Phi­lo­so­phie von Arthur Scho­pen­hau­er zu, die nicht nur die Ver­zweif­lung auf eine sehr kon­struk­ti­ve Wei­se deu­tet, son­dern die auch eine Phi­lo­so­phie des Mit­leids ent­wickelt und dabei bedeu­ten­de Gemein­sam­kei­ten mit fern­öst­li­chem Den­ken ent­wickelt. — Es gäbe also schon phi­lo­so­phi­sche Alter­na­ti­ven, die vor allem eige­nes Han­deln wie­der mög­lich machen und nicht nur die akti­ve Welt­ver­nei­nung und noch dazu die völ­lig unbe­rech­tig­te “Bestra­fung” zufäl­lig anwe­sen­der Men­schen, die dann zu Opfern wer­den. Kein Gott, kein Geist und nicht ein­mal ein Ungeist wird ein sol­ches Opfer akzeptieren.

Das ist kei­ne Erklä­rung, die Trost spen­den kann, es ist aller­dings eine beun­ru­hi­gen­de Ein­sicht in die see­li­sche Käl­te unse­rer Welt, die man­che ein­fach nicht ertra­gen, schon gar nicht dann, wenn sie sich Hil­fe nicht ein­mal mehr vor­stel­len kön­nen son­dern mei­nen, sie könn­ten durch sol­che Taten irgend­et­was bewir­ken, was alten Wun­den heilt. – Statt­des­sen wer­den neue aufgerissen.


Die Narrative der Metaphern

Über die Magie der Sprache und die Macht der Bilder 

Nar­ra­ti­ve, immer wie­der ist von Nar­ra­ti­ven die Rede in letz­ter Zeit. Es ist eigent­lich nur ein ande­res Wort für eine Meta­pho­rik, wobei das Nar­ra­tiv schein­bar oder tat­säch­lich noch etwas Bekennt­nis­haf­tes hat, als wäre es ein Glau­bens­be­kennt­nis­se. Man kann mit­un­ter tat­säch­lich auch den Begriff “Welt­an­schau­ung” ein­set­zen. — Nar­ra­ti­ve sind zunächst ein­mal nichts wei­ter als Erzäh­lun­gen, muster­gül­ti­ge Typen von Erzäh­lun­gen, die wir ein­set­zen, um etwas zu ver­deut­li­chen aber auch, um ande­re über den Tisch zu ziehen. 

Nar­ra­ti­ve sind Meta­phern, also “Über­tra­gun­gen” von Sinn­zu­sam­men­hän­gen, die zumeist mit der Sache eigent­lich nicht das gering­ste zu tun haben. Nur wir stel­len die Ver­knüp­fung her, weil wir das Bild ver­ste­hen und glau­ben, wenn es sich mit der Sache auch so ver­hält, tat­säch­lich auch die Sache selbst ver­ste­hen zu kön­nen. — Man muß sich nicht schä­men, so schwer von Begriff zu sein. Das ist typisch mensch­lich und kommt in den här­te­sten Natur­wis­sen­schaf­ten vor.

Inter­es­san­ter­wei­se arbei­ten gera­de die Natur- und Tech­nik­wis­sen­schaf­ten, die sich so viel dar­auf zu Gute hal­ten, daß sie rech­nen und nicht reden, mit erstaun­lich vie­len Meta­phern. Wenn Ein­stein behaup­tet, “Gott wür­felt nicht”, dann will er kei­ne Theo­lo­gie betrei­ben, son­dern den uni­ver­sel­len Anspruch von Mathe­ma­tik deut­lich machen. — Soll­te aber der Schöp­fer rein gar nicht gewür­felt haben, dann braucht der Phy­si­ker gar kei­nen Gott mehr, dann gin­ge alles wie von selbst, eben “evo­lu­tio­när”. Und schon haben wir das näch­ste hochwissenschaftlich–literarische Bild vom Pro­zeß natür­li­cher Gene­se, wie Dar­win es beschrie­ben hat.

Inter­es­sant ist nun, daß Ein­stein, obwohl es ihm um Mathe­ma­tik ging, zugleich auch Theo­lo­gie betrie­ben hat, mit die­sem Nar­ra­tiv. Ob er es woll­te oder nicht, der Geist die­ser von ihm gewähl­ten For­mel besteht dar­auf, daß er auch das habe gesagt haben wol­len soll. Das ist nun der sprin­gen­de Punkt, Meta­pher unter­schie­ben uns Aus­sa­gen, die kon­se­quen­ter­wei­se aus dem Nar­ra­tiv fol­gen, aber sie unter­stel­len es in der Sache, also Vorsicht!

Dar­win als Affe, eine Anspie­lung auf sei­ne Evo­lu­ti­ons­theo­rie, die sei­ner­zeit unge­heu­er­lich erschien. In: The Hor­net maga­zi­ne, 22. März 1871.

Wer hat nicht immer­zu die­ses dar­win­sche Nar­ra­tiv im Kopf, das zumeist auch falsch ver­stan­den wird. Aber es ist nicht nur schön, son­dern vor allem bequem. Man kann sich damit man­ches erklä­ren, solan­ge man sich genü­gend kos­mi­sche Zeit nimmt. Aber das Nar­ra­tiv ent­stammt dem sei­ner­zeit so rasen­den Früh­ka­pi­ta­lis­mus. Die­ses dau­ern­de Gere­de vom Über­le­ben des Stärk­sten ist typisch deutsch, weil im Ori­gi­nal von “to fit in”, also vom Ein­ge­paßt­sein gespro­chen wird. Es über­lebt also unter Selek­ti­ons­be­din­gun­gen genau das­je­ni­ge Indi­vi­du­um, das am besten “ange­paßt ist”, näm­lich an sei­ne Umwelt. — Es ist schön, über Nar­ra­ti­ve zu ver­fü­gen, so weit die Füße tra­gen. Inter­es­sant wird es, wenn sie aber kollabieren. 

Die Zeit ist näm­lich dank­bar, ver­weist sie doch so gern kapi­ta­li­stisch auf die als Natur­zu­stand beschrie­be­nen Ver­hält­nis­se der frei­en Wild­bahn, was angeb­lich auf die “freie Wirt­schaft” und vor allem auf die “frei­en Märk­te” zutref­fen soll. Dabei wird schnell sicht­bar, daß es auch Ammen­mär­chen sind, die gern erzählt wer­den, wenn mit sol­chen Nar­ra­ti­ven eine unso­li­da­ri­sche Poli­tik des wirt­schaft­li­chen Frei­beu­ter­tums als “natür­lich” legi­ti­miert wer­den soll. — Ein rus­si­scher Anar­chist, Fürst Igor Kro­pot­kin, hat ein ande­res Nar­ra­tiv dage­gen gesetzt, das auch mit der Dar­win­schen Evo­lu­ti­ons­theo­rie kom­pa­ti­bel ist, das Prin­zip von der “Gegen­sei­ti­gen Hil­fe”, daß sich eben die Beu­te­tie­re zusam­men­tun kön­nen, um den Habicht abstür­zen zu las­sen, eben durch Schwarmintelligenz. 

Nun dürf­te klar gewor­den sein, wie sehr mit Nar­ra­ti­ven die Richt­li­ni­en der Poli­tik bestimmt wer­den, durch die Macht der Bil­der. Dage­gen wie­der­um kann man sich nur ver­wah­ren durch ein wenig huma­ni­sti­sche Bil­dung und durch Meta­phoro­lo­gie. Es macht aber auch Freu­de, ein sol­ches Bild ernst zu neh­men wie ein Kind, um dann immer wei­ter zu fra­gen: Also wenn in der Natur die Zeit reich­lich knapp ist wegen der Fein­de und der drin­gend not­wen­di­gen Fort­pflan­zung, wie­viel Zeit hat eigent­lich eine Orchi­dee, wenn sie mit einer Inno­va­ti­on her­aus­kom­men möch­te, um am “Markt” zu bestehen?

Jean-Bap­ti­ste Bar­la: Flo­re illu­strée de Nice et des Alpes-Mari­ti­mes, Ico­no­gra­phie des orchi­dées. Nice 1868.

Also, wenn sich eine Orchi­dee eine Inno­va­ti­on hat ein­fal­len las­sen wie die, einen Hum­mel­hin­tern zu simu­lie­ren, nebst dazu pas­sen­der Phe­ro­mo­ne, um Hum­mel­männ­chen rasend wild zu machen, so daß sie die Blü­te begat­ten und dabei miß­braucht wer­den, um Bestäu­bungs­ar­beit für die Pflan­ze zu lei­sten, dann möch­te ich gern wis­sen, wie lan­ge Zeit die Orchi­dee hat­te, den Hum­mel­hin­ter doch eini­ger­ma­ßen echt hin­zu­be­kom­men. Wenig­stens fal­len die Männ­chen ein­mal dar­auf her­ein, dann sinkt die Begei­ste­rung sta­ti­stisch gese­hen rapi­de ab. 

Genau­so ver­hält sich das mit den Bil­dern, sie sind wie Zau­ber­künst­ler und machen uns was vor. Man soll­te aber immer dort­hin schau­en, wovon man abge­lenkt wird durch die Macht der Bil­der. Es ist so schön, etwas ver­stan­den zu haben, es ist aber schlimm, auf einem Holz­weg zu sein. — Vie­le derer, die von Nar­ra­ti­ven spre­chen, mei­nen vor allem die mani­pu­la­ti­ve Macht, die sie selbst nut­zen oder viel­leicht auch auf­klä­ren helfen. 

Seit Goe­thes Zau­ber­lehr­ling ist es offi­zi­ell, daß man die Gei­ster, die man ruft auch wie­der los­wer­den muß. Es ist eine Erfah­rung, die jedes Kind macht, daß eine klei­ne Flam­me nur ein wenig Nah­rung braucht und schon wächst sie einem über den Kopf. — Man soll­te also bei der Wahl der Meta­pho­rik ganz beson­ders vor­sich­tig sein. Dar­um geht es eigent­lich, wenn in der Diplo­ma­tie so schön ver­klau­su­liert von der Suche nach einer “gemein­sa­men Gesprächs­grund­la­ge” gespro­chen wird, das sind die ent­schei­den­den Narrative. 

Wenn bei­spiels­wei­se in der aktu­el­len Corona–Krise so etwas wie eine “mora­li­sche Pflicht” kon­sta­tiert wird, sich aus Grün­den der “Soli­da­ri­tät” imp­fen zu las­sen, dann steckt ein Nar­ra­tiv dahin­ter, das man nicht wirk­lich tei­len muß. Man kann nicht nur, son­dern soll­te zurück­fra­gen, ob die­se, unse­re Gesell­schaft denn ihrer­seits soli­da­risch ist, oder nicht viel­mehr betont lieb­los. Nimmt sie denn die Rück­sicht auf die Armen und Schwa­chen, denen es im Ver­lauf die­ser Kri­se immer schlech­ter ergeht? Nimmt sie denn Rück­sicht auf die Pfle­ge­kräf­te und nicht viel­mehr auf maro­de Ver­hält­nis­se im Gesund­heits­sy­stem, die sie selbst zu ver­ant­wor­ten hat, als man Kli­ni­ken zu Spe­ku­la­ti­ons­ob­jek­ten gemacht hat? 

Der Zau­ber­trick, den man durch­schau­en soll­te, liegt dar­in, bewußt die Unter­schie­de zu ver­decken zwi­schen Gesell­schaft und Gemein­schaft. Eine Gemein­schaft kann und darf Soli­da­ri­tät ihren Mit­glie­dern abver­lan­gen und sogar erwar­ten, eine Gesell­schaft wie die unse­re, kann es, je weni­ger sie vom Geist der Gemein­schaft beseelt ist, umso weni­ger. So erklä­ren sich auch die Unter­schie­de im Staats­ver­trau­en. Die Nord­län­der sind nie so ver­führt, betro­gen und miß­braucht wor­den von ihrem eige­nen Staat wie die Deut­schen. Da wäre mal Abbit­te zu lei­sten. Die Sonn­tags­re­den an den Kranz­ab­wurf­stel­len der Repu­blik sind inzwi­schen nicht mehr statt­haft. Wer will das denn noch glau­ben, daß hier in unse­rem Lan­de die Grund­rech­te gewahrt wer­den, wenn sie bei der ersten Bela­stung aus­ge­setzt werden?

Ganz anders, wenn es sich um wirk­li­che Gemein­schaft han­delt. In der Afri­ka­ni­schen Phi­lo­so­phie ist „Ubun­tu“, der afri­ka­ni­sche Glau­be dar­an, daß wir das, was wir sind, den Men­schen um uns her­um ver­dan­ken. — Wäh­rend es hier bei uns nur eine Leih­mut­ter, eine Nan­ny und eine Pri­vat­schu­le braucht, um ein Kind zu ‘erzie­hen’, neh­men Afri­ka­ner bekannt­lich gan­ze Dör­fer dazu.

So gese­hen ist der ‘freie’ Westen ein­fach nur geistig–soziales Ent­wick­lungs­land. Wir soll­ten daher die Phi­lo­so­phie der Afri­ka­ner end­lich zur Kennt­nis neh­men, dann wür­de es auch bei uns mit der Soli­da­ri­tät funk­tio­nie­ren. — Nur Gemein­schaf­ten kön­nen Soli­da­ri­tät zu erwar­ten, Gesell­schaf­ten mitnichten.

Daher steht in sol­chen Kul­tu­ren der Aus­gang eines Ritu­als oft­mals von vorn­her­ein fest, Beschlüs­se kön­nen nur ein­stim­mig gefaßt wer­den. Alles wird getan, auf daß bloß kei­ne Ant­ago­nis­men auf­tre­ten. Es soll und darf kei­ne Ver­lie­rer geben. — Ein in die­sem Zusam­men­hang belieb­tes und instruk­ti­ves Bei­spiel stammt von dem Eth­no­lo­gen K. E. Read:
“Als die Gahuku–Gama auf Neu­gui­nea anfin­gen, Fuß­ball zu spie­len, konn­ten zwei geg­ne­ri­sche Klans tage­lang um den Aus­gang spie­len — so lan­ge, wie es not­wen­dig war, um ein Unent­schie­den zu erzie­len”. (K. E. Read: Lea­der­ship and Con­sen­sus in a New Gui­nea Socie­ty. In: Ame­ri­can Anthro­po­lo­gist, 1959, N.S., 61 (3). S. 428, zit. n.: Heinz-Ulrich Nen­nen: Öko­lo­gie im Dis­kurs. Zu Grund­fra­gen der Anthro­po­lo­gie und Öko­lo­gie und zur Ethik der Wis­sen­schaf­ten. Mit einem Geleit­wort von Die­ter Birn­ba­cher; Opla­den 1991. S. 51.)

‘Gewin­nen’ bedeu­tet im Sym­bo­lis­mus sol­cher Kul­tu­ren ‘töten’. — Ich fra­ge mich da immer: Wer sind eigent­lich die Primitiven? 

Meta­phern sind frem­de, eigen­sin­ni­ge aber auch hilf­rei­che Gei­ster der Sinn­stif­tung, auf die wir ange­wie­sen sind, weil wir anson­sten “nur Bahn­hof ver­ste­hen”, wie jene Sol­da­ten, die nur nach Hau­se woll­ten, also “Bahn­hof” hören woll­ten. — Da wir nun ein­mal die Sachen nicht gleich durch­schau­en, son­dern nur mit über­tra­ge­nen Bil­dern indi­rekt deu­ten kön­nen, müs­sen wir uns behel­fen mit Sprach­bil­dern, Dia­lo­gen und Diskursen. 

Der Jar­gon der Diplo­ma­ten in sei­ner trocke­nen, über­sach­li­chen, minu­tiö­sen Klein­ka­riert­heit läßt durch­blicken, wor­auf es ankommt, wenn man sich auf eine “For­mel” als “gemein­sa­me Gesprächs­grund­la­ge” einigt, so daß bald die “Ver­hand­lun­gen auf die­ser Grund­la­ge” begin­nen kön­nen. — Die Wahl des Nar­ra­tivs ist aber auch wie ein Got­tes­ur­teil, denn nie­mand weiß im Vor­aus genau, ob die gewähl­te Meta­pher für die eige­nen Inter­es­sen die not­wen­di­gen Gele­gen­hei­ten bie­ten wird, um mög­lichst viel her­aus­ver­han­deln zu kön­nen für die eige­nen Seite. 

Unse­re Spra­che ist ein Wun­der­werk, bei dem wir uns zu behel­fen wis­sen, um Sachen zur Spra­che zu brin­gen, für die die Wor­te ver­sa­gen. Es hat etwas mit Magie zu tun, dann zu sehen, wie ein Bild die Ima­gi­na­ti­on augen­blick­lich gefan­gen nimmt und alles glaubt, urplötz­lich zu ver­ste­hen. Dabei ver­steht man vor allem das Bild und glaubt, damit auch in der Sache wei­ter­zu­kom­men. Vorsicht!

Wenn eine Meta­pho­rik im Ver­lauf eines Gesprächs aus dem Ruder läuft und immer mehr in eine uner­wünsch­te, nicht mehr kon­struk­ti­ve Rich­tung ver­läuft, dann soll­te man das sagen und dar­auf­hin vor­schla­gen, gemein­sam die Rich­tung zu ver­än­dern. Es ist wie im Netz­plan einer U‑Bahn. Wich­tig ist, sich zuvor mög­lichst offen und höf­lich und dank­bar von der nun­mehr zu ver­las­sen­den meta­pho­ri­schen “Linie” zu verabschieden. 

Sie muß offi­zi­ell ver­ab­schie­det wer­den, wie ein Geist, der anson­sten unge­müt­lich wer­den könn­te. Auch kom­men Zuhö­rer, die nicht ganz bei der Sache sind, mit abstru­sen Rück­fra­gen, wor­auf ein heil­lo­ses Durch­ein­an­der ent­ste­hen kann. — Daher trifft das Bild vom “Mit­neh­men” sol­che Pro­zes­se der Ver­stän­di­gung über Ver­ste­hen so gut. 

Immer­hin tut man sich da mit mäch­ti­gen Gei­stern zusam­men, die erheb­li­che Pro­ble­me berei­ten kön­nen und schnell eine gewis­se Eitel­keit an den Tag legen, wenn sie nicht gewür­digt wer­den. Meta­phern wol­len im Gei­ste ihres Nar­ra­tiv gewür­digt wer­den, es darf und kann daher nur das gesagt wer­den, was die­sem Geist ent­spricht. — Wenn das aber beim besten Wil­len nicht geht, muß die Meta­pho­rik aus­ge­tauscht wer­den. Aber die ande­ren müs­sen dabei mit­ge­hen, anson­sten wird man unter Umstän­den das Nach­se­hen haben. 

Cas­par David Fried­rich: Das Eis­meer (1823f.)

Wer sich auf eine Meta­pho­rik ein­läßt, ver­spricht sich etwas davon, also einen Gewinn von Ver­ste­hen, einen Zuge­winn an Sinn oder viel­leicht auch die Über­zeu­gung Anders­den­ken­der. Aber das kann alles schei­tern. Es gibt daher zwei Meta­phern, die unser Sein dar­stel­len, die Meta­pher vom Thea­ter und die von der See­fahrt. Dabei kön­nen die Plan­ken, die beim Unter­gang blei­ben, zu den Bret­tern wer­den, die die Welt bedeuten. 

Nar­ra­ti­ve zu benut­zen, ist aben­teu­er­lich wie eine See­fahrt aufs offe­ne Meer, was zu ande­ren Zei­ten noch viel ris­kan­ter war. Die Risi­ken beim Meta­pho­ri­sie­ren sind der­weil nicht etwa klei­ner, son­dern eher grö­ßer gewor­den, weil unse­re Ansprü­che auf Begrün­dun­gen selbst grö­ßer gewor­den sind.

Wenn ein Red­ner sei­nen Schiff­bruch erlei­det, dann ver­merkt das Pro­to­koll im Bun­des­tag dar­über eine “all­ge­mei­ne Hei­ter­keit” vor allem dann, wenn einer am Geist einer selbst gewähl­ten Meta­pho­rik schei­tert, wie etwa der FDP–Abgeordnete Gün­ter Ver­heu­gen, der eine etwas degou­tan­te Vor­la­ge von Josch­ka Fischer ver­such­te, in einen Tref­fer zu ver­wan­deln aber ein Eigen­tor schießt: 

“Immer­hin gelingt es auch Gün­ter Ver­heu­gen in sei­ner Rede, Kohl und das Hohe Haus zu amü­sie­ren. Ver­heu­gen spricht kri­tisch von einem ‘Kanz­ler des Still­stands, der in sich ruht wie ein chi­ne­si­scher Bud­dha’. Kohl ruft dazwi­schen: ‘Gefällt mir gut.’ Ver­heu­gen fas­sungs­los: ‘Gefällt Ihnen gut?’ ” Man sieht, wie Kohl augen­blick­lich von der Regie­rungs­bank zum Tele­fon­hö­rer greift. 

Minu­ten spä­ter erläu­tert Kohl, “war­um er den Ver­gleich mit Bud­dha so schät­ze. Von der Regie­rungs­bank aus habe er sich tele­fo­nisch infor­miert und aus einem Lexi­kon erfah­ren, daß Bud­dha als Per­sön­lich­keit ‘sich durch Lebens­ernst, Sinn für das Wirk­li­che und Nöti­ge, Mäßi­gung und Aus­dau­er’ aus­ge­zeich­net habe. Jetzt muß selbst Ver­heu­gen lachen. Kohl bedankt sich für soviel Lob von der SPD und sagt: ‘So hat mich mei­ne Par­tei nie ver­wöhnt.’ Was Bud­dhas Eigen­schaf­ten ange­he, so sei er bereit, ‘all das zu akzep­tie­ren’. Eine Ein­schrän­kung macht der Pfäl­zer jedoch: ‘Mit der Mäßi­gung hab’ ich gewis­se Pro­ble­me, die tei­le ich mit dem Vor­sit­zen­den der Grü­nen-Frak­ti­on, eine der weni­gen Gemein­sam­kei­ten. Kohl ver­gleicht sich im Par­la­ment mit Josch­ka Fischer.” (Mar­tin S. Lam­beck: “So hat mich mei­ne Par­tei nie ver­wöhnt”. Schlag­ab­tausch mit Respekt: “Bud­dha” Kohl zwi­schen Fischers Häme und Ver­heu­gens “Lob”. In: Die Welt, 9.11.1995.)

Die Tita­nic, die Meta­pher aller Schiffs­me­ta­phern, als Inbe­griff von Hybris und als Demü­ti­gung des moder­nen Größenwahns.

Es gibt eini­ge wirk­lich schil­lern­de Bespie­le für die Eigen­dy­na­mik der Nar­ra­ti­ve und den Schiff­bruch von Red­nern. — Eine Meta­pho­rik hat eben ihr Nar­ra­tiv und dem muß man fol­gen. Wer einen sol­chen Geist ruft, wird sich nolens volens auf das Schick­sal ein­las­sen müs­sen, unmit­tel­bar dar­auf nicht mehr wirk­lich der Herr des Ver­fah­rens zu sein, so auch bei einer Bege­ben­heit, die der Mün­ste­ra­ner Phi­lo­soph Hans Blu­men­berg erwähnt.

“In der Haus­halts­de­bat­te schil­dert ein Abge­ord­ne­ter der Regie­rungs­ko­ali­ti­on den festen Kurs, den das Staats­schiff dank der koalier­ten Besat­zung habe, und ver­gleicht die Oppo­si­ti­on mit unru­hi­gen Pas­sa­gie­ren, die einen Nach­hol­kurs in Navi­ga­ti­on neh­men müß­ten, um eines Tages wie­der auf die Kom­man­do­brücke zu kommen.
Zwi­schen­ruf der Oppo­si­ti­on: ›Wir sit­zen nicht in einem
Boot.‹ —
Red­ner: ›Ich spre­che von dem Schiff unse­res Lan­des, und
dazu gehö­ren Sie doch!‹ —
Zwi­schen­ruf Weh­ner: ›Er ist ein blin­der Passagier!‹ —
Zwi­schen­ruf Oppo­si­ti­on: ›Sie sit­zen bald auf Grund, wenn
Sie so weitermachen.‹ —
Als der Red­ner sei­nen Vor­trag mit noch­ma­li­gem Gebrauch
der Meta­pher schließt: ›Weil die­ses Schiff den richtigen
Kurs hat und damit es wei­ter­hin gute Fahrt macht …,‹
bekommt er beim Abgang als letz­ten Ruf:
›Und Sie sind der Klabautermann.‹”

(Hans Blu­men­berg: Schiff­bruch mit Zuschau­er. Para­dig­ma einer Daseins­me­ta­pher. Frank­furt am Main 1979. Anm. 5, S. 14.)

Die Wahl der Meta­pher ist ent­schei­dend, je nach­dem erhält man Zuspruch vom Geist einer Meta­pher und ihrem Nar­ra­tiv oder aber eine Abfuhr. Dabei haben wir die Wahl zwi­schen Hafen und offe­ner See nicht wirk­lich. Betrach­tet aus der unmensch­li­chen Lan­ge­wei­le im Para­dies­gar­ten war die neue App vom Baum der Erkennt­nis, also selbst­stän­dig zwi­schen dem Guten und dem Bösen unter­schei­den zu kön­nen, ein­fach zu verlockend.

Aber auch damals schon wur­de das Klein­ge­druck­te im Para­diesver­trag zu schnell weg­ge­klickt, denn dort steht, daß es unend­lich lang dau­ern könn­te, bis Men­schen zu Göt­tern wer­den, mit allem, was dazu gehört nicht nur an Mäch­ten, son­dern auch an Kompetenzen. 

Einst­wei­len soll­te gut über­legt wer­den, ob man nun die “Ehe als Hafen” mit para­die­si­scher Lan­ge­wei­le betrach­tet oder eher als “See­fahrt” mit der Aus­sicht auf Kata­stro­phen. Der in allem sehr zurück­hal­ten­de Cas­par David Fried­rich hat lie­ber ein See­stück gewählt, denn er moch­te sich erst spät über­haupt dazu entschließen.
Cas­par David Fried­rich und Caro­li­ne Bom­mer ver­lob­ten sich im Jahr 1816. Mit sei­ner Beru­fung in die Dresd­ner Aka­de­mie im Dezem­ber 1816 bekam der Maler 150 Taler Gehalt und konn­te sich somit eine Fami­lie lei­sten. Er war damals 42 Jah­re alt.

Bei dem Paar han­delt es sich um den Künst­ler selbst und sei­ne jun­ge Frau Caro­li­ne Bom­mer. Fried­rich galt zeit­le­bens als „men­schen­scheu­er Melan­cho­li­ker“. Umso grö­ßer war das Erstau­nen sei­ner Freun­de und Bekann­ten, als der 44–Jährige am 21. Janu­ar 1818 die 19 Jah­re jün­ge­re Caro­li­ne Bom­mer heiratete. 

Bei dem im Bild dar­ge­stell­ten Paar han­delt es sich um den Künst­ler selbst und sei­ne jun­ge Frau Caro­li­ne Bom­mer. Die Hoch­zeit fand am 21. Janu­ar 1818 in der Dresd­ner Kreuz­kir­che statt, ohne Fried­richs Ver­wandt­schaft. — Der Ehe­mann setz­te sei­ne Ver­wand­ten erst eine Woche nach der Ehe­schlie­ßung per Brief dar­über in Kennt­nis, nach­dem sei­ne Frau ihn dazu gedrängt hat­te. In dem Brief offen­bar­te er auch sei­ne Anschau­un­gen über den neu­en Zustand der Ehe:

„… mei­ne Frau fängt bereits an, unru­hig zu wer­den und hat mich wie­der­holt malen erin­nert zu schrei­ben; denn auch sie will schrei­ben um mit ihren neu­en Brü­dern bekann­ter zu wer­den. Es ist doch ein schnur­rig Ding wenn man eine Frau hat, schnur­rig ist wenn man eine Wirth­schaft hat, sei sie auch noch so klein; schnur­rig ist wenn mei­ne Frau mir Mit­tags zu Tische zu kom­men ein­la­det. Und end­lich ist es schnur­rig wenn ich jetzt des Abends fein zu Hau­se blei­be, und nicht wie sonst im Frei­en umher lau­fe. Auch ist es mir gar schnur­rig daß alles was ich jetzt unter­neh­me immer mit Rück­sicht auf mei­ne Frau geschieht und gesche­hen muß.“ (Zit. n.: Wiki­pe­dia: Caro­li­ne Friedrich.)


Demut schützt vor Hybris

Hochmut kommt vor dem Fall

Es ist mehr als nur eine Geste der Beschei­den­heit, es ist auch eine Ver­nei­gung, wenn man kon­sta­tiert, bei aller Grö­ße sei man selbst nun auch nicht vor­aus­set­zungs­los. — Wie irre muß man eigent­lich sein, das als Demü­ti­gung zu emp­fin­den. Tat­säch­lich geht es um die Wür­de der Gesellschaft.

Ähn­lich irre mei­nen ja auch Ver­tre­ter der Wirt­schaft, daß sie der Gesell­schaft von Nut­zen sei, ein­fach weil sie Geschäf­te macht, um dabei die Infra­struk­tur, die Bil­dung, das Recht­sy­stem und die Infra­struk­tur ein­fach kosten­los zu nut­zen. Wie­so soll man sich denn an den Vor­aus­set­zun­gen beteiligen?

Das ist auch die wirk­lich gemein­ge­fähr­li­che Visi­on der Super­rei­chen, die offen­bar dabei sind, genau die­se Dys­to­pie wirk­lich wer­den zu las­sen. — Die Gated com­mu­ni­ty, die geschlos­se­nen und bewach­ten Wohn­an­la­gen, in denen Pri­vat­recht herrscht, sind bereits das erste Zei­chen die­ser unheil­vol­len Ent­wick­lung. Dort gibt es ja schon Pri­vat­po­li­zei, wie wäre es denn mit einem eige­nen Rechtssystem?

Es ist ein Gebot von Demut und Beschei­den­heit, gene­rell anzu­er­ken­nen, daß das, was man ist, kann und gelei­stet hat, ob Gewinn oder Ver­lust, Sieg oder Nie­der­la­ge, im Zwei­fels­fall den Göt­tern oder son­sti­gen höhe­ren Mäch­ten zu ver­dan­ken ist. Wo das nicht geschieht, dort wird es immer gefähr­li­cher, denn dann kommt Hybris auf. Das ist nicht nur Hoch­mut, son­dern Dumm­heit, weil man sich und die eige­nen Kom­pe­ten­zen dabei ganz erheb­lich über­schätzt. Natür­lich muß es dann zu Kata­stro­phen kommen.

Die Demuts­for­mel von den „Vor­aus­set­zun­gen, die man selbst nicht geschaf­fen hat“, muß wirk­lich von Her­zen kom­men. Denn dann ver­steht man sich als das, was man ist, ein ziem­lich klei­nes Teil eines reich­lich gro­ßen Gan­zen, das man nicht nur nicht in der Hand hat, son­dern zumeist nicht ein­mal ver­steht. Ich emp­feh­le zunächst eine Roß­kur mit Luhmann–Lektüre gera­de für Welt­ver­bes­se­rer, wie ich selbst einer bin. Und dar­über hin­aus muß auf jeden Fall sehr viel mehr Phi­lo­so­phie in die öffent­li­chen Debat­ten, denn es ist ein­fach ganz schreck­lich, was da so tag­ein tag­aus an Böcken geschos­sen wird. Als wür­de neu­er­dings man­geln­des Den­ken belohnt.

Es besteht die Gefahr, daß man mit dem besten Wil­len und noch bes­se­ren Absich­ten ganz schlim­mes Unheil anrich­ten kann. — Daher hat man die Gewal­ten­tei­lung erfun­den und den Mono­the­is­mus auf der Ebe­ne von Staats­theo­rie und Rechts­phi­lo­so­phie schon seit lan­gem über­wun­den. Nur, daß die Leu­te es nicht ver­ste­hen, weil sie größ­ten­teils noch in Mär­chen­wel­ten leben. Immer­zu wird gequatscht, wie im Kin­der­gar­ten, es soll­ten für alle die­sel­ben Regeln herr­schen, das müs­se doch alles zen­tra­li­stisch, aus einem Guß, ohne Aus­nah­men, selbst­ver­ständ­lich mit har­tem, här­te­stem, ach, dra­ko­ni­schen Maß­nah­men. Seufz. — Nein!

Das Gegen­teil ist rich­tig. Auch Schwarm­in­tel­li­genz braucht erst ein­mal Zeit, sich zu ent­wickeln und eine gute Päd­ago­gik, die Gele­gen­hei­ten schafft, daß sie sich auch ent­fal­ten kann.

Was tut man, das Gegen­teil. Jetzt soll auch noch tele­gram ver­bo­ten wer­den, so wie es den tota­li­tä­ren Staa­ten nun auch nicht gefällt, daß die Leu­te ein­fach so, also unkon­trol­liert mit­ein­an­der reden. Sor­ry, geht es noch?

Das Gegen­zeit ist rich­tig! Es soll eine arg­wöh­ni­sche und eifer­süch­ti­ge Feind­schaft zwi­schen den staat­li­chen Gewal­ten herr­schen! Es soll, darf und kann nicht alles in einer Hand lie­gen. – Die­se Lek­ti­on soll­ten alle aus der Geschich­te längst bezo­gen haben.

Wie­so kommt das Gesund­heits­amt in Mainz die­ser Tage einer Bit­te der Poli­zei nach und simu­liert einen Infek­ti­ons­fall, um an Daten der Luca-App zu kom­men, um eine Straf­tat auf­zu­klä­ren? Ich habe mei­ne Teil­nah­me nun­mehr deinstal­liert. — Wer „prag­ma­tisch“ wird, ist nur ein Mensch ohne Prin­zi­pi­en und soll­te gar nicht in Staats­dien­ste über­nom­men wer­den. Wo zum Prag­ma­tis­mus auf­ge­for­dert wird, wol­len Leu­te pfu­schen und nur das. War­um, weil sie die Demuts­for­mel nicht beherrschen.

Das Leben ist kom­pli­zier­ter und auch das Ver­hält­nis zwi­schen Staat, Gesell­schaft, Gemein­schaft und Iden­ti­tät ist es. Es ist ein­fach gro­ber Unfug, wenn so getan wird, Gesell­schaft und Staat, das alles sei das­sel­be. Nein, ist es über­haupt nicht! – Im Pro­zeß der Zivi­li­sa­ti­on haben Köni­ge klei­ne Häupt­lings­tü­mer unter­wor­fen und in Gesell­schaf­ten gezwun­gen. So sind die ersten Staa­ten entstanden.

Staa­ten sind in die­sem Sin­ne noch immer die Unter­drücker gan­zer Gesell­schaf­ten und die Unter­jo­cher von Gemein­schaf­ten, die dann als Min­der­hei­ten titu­liert und dar­über hin­aus ver­un­glimpft und ent­mensch­licht wer­den. Das sieht man allent­hal­ben aber nun auch immer unver­blüm­ter im angeb­lich frei­en Westen. Im Westen galt bis­her noch ein gewis­ser Stil.

Der Staat lebt nicht für, son­dern von der Gesell­schaft, eben­so wie die Wirt­schaft. Sie ist die Kuh, die alle besit­zen, mel­ken und am lieb­sten schlach­ten würden. 

Im wohl­ver­stan­de­nen eige­nen Inter­es­se ist jedoch wärm­stens zu emp­feh­len, sich die Demuts­for­mel zu Her­zen zu neh­men. Denn ein Para­sit ohne Wirt sieht alt aus. Es wäre viel klü­ger, wenn der Para­sit zum Sym­bi­onten wird. Genau das steckt ja auch hin­ter der Gewal­ten­tei­lung. Und die­ses Thea­ter wird auch schon häu­fig insze­niert. Es kommt aber noch immer nicht von Herzen.

Die uralte Bru­ta­li­tät, die übri­gens erst mit der Zivi­li­sa­ti­on in die Welt gekom­men ist, schlägt noch immer durch. — Daher nun mal kein histo­ri­scher Ver­gleich, son­dern eine Allegorie.

Der Staat ist ein Schlä­ger, immer schon, ein bru­ta­ler Aus­beu­ter und nicht eben ein Freund der Gesell­schaft, son­dern ihr Unter­drücker, eigent­lich ihr Zuhäl­ter. Natür­lich ist die­sem am Wohl­erge­hen sei­ner „Lieb­ste“ gele­gen. — Aber wie macht man dar­aus all­mäh­lich ein aus­ge­wo­ge­nes Verhältnis?

Wie oft ist es allein in den letz­ten 200 Jah­ren dazu gekom­men, daß der Staat die Gesell­schaft miß­braucht, geschän­det, ver­kauft, geschä­digt, aus­ge­beu­tet, ernied­rigt und auf den fal­schen Weg geführt hat? Her­aus aus dem Glück und der Hoch­kul­tur in der Auf­bruch­stim­mung um 1900, hin­ein in den Krieg. War­um? Weil eine „Éli­te“ kei­ne Demo­kra­ti­sie­rung woll­te. — Moder­ne ja, aber nur nach mili­ta­ri­sti­scher Manier, spä­ter dann als Faschis­mus. Man will die Vor­zü­ge, aber nicht die Nacht­tei­le, näm­lich „mehr Demo­kra­tie“ wagen.

„Das Geheim­nis des Glücks ist die Frei­heit, und das Geheim­nis der Frei­heit ist der Mut.“ (Peri­kles, um 500 – 429 v. Chr., athe­ni­scher Poli­ti­ker und Feld­herr, Quel­le: Thuky­di­des, Geschich­te des Pelo­pon­ne­si­schen Krieges.)

Genau das spiel­te sich damals ab im alten Athen, als die Grie­chen sich gegen die über­mäch­ti­gen Per­ser weh­ren muß­ten. Sogar das Ora­kel von Del­phi lag falsch. Natür­lich war es unwahr­schein­lich, daß die Grie­chen das durch­stün­den. Aber es gab da einen Mann namens Peri­kles, ein begna­de­tet Stra­te­ge und Rhe­tor, der dafür sorg­te, daß der gemei­ne Mann auf eige­ne Kosten mit in den Krieg zog und nicht nur der Adel, der ja im Zwei­fels­fal­le doch ein wenig schwach ist, wenn es wirk­lich dar­auf ankommt. 

Aber und das ist der Gag: Also for­der­te der gemei­ne Mann dann aber auch bei der Herr­schaft im Staat mit­zu­wir­ken. So ent­stand die erste Demo­kra­tie, in der nicht in Ämter gewählt wur­de, son­dern sie wur­den ver­lost und es war Pflicht, dem nach­zu­kom­men. Man soll­te viel­leicht wie­der das Los ent­schei­den las­sen, dann hät­te das Glück wenig­stens eine Chance.

Das Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt trägt den größ­ten Teil der Ver­ant­wor­tung für den Nie­der­gang der Demo­kra­tie in der Corona–Krise, für die Spal­tung der Gesell­schaft und dafür, daß die Poli­tik inzwi­schen über Hecken und Zäu­ne geht. Es wäre an der Zeit gewe­sen, die Demuts­for­mel in Erin­ne­rung zu rufen und zu kon­sta­tie­ren, daß der Zweck die Mit­tel nicht hei­li­gen kann, wenn es gegen Grund­ge­set­ze geht und ein­fach alles, was hei­lig ist.

Franz von Stuck: Dis­so­nanz (1910).

Hät­te das nicht mehr ehren­wer­te Gericht doch die Poli­tik in Gren­zen ver­wie­sen. Das hät­te die Poli­tik ent­la­stet, denn sie hät­te immer sagen kön­nen, es sei­en ihr nun mal die Hän­de gebun­den. Sie kön­ne nur und müs­sen daher mehr Eigen­ver­ant­wor­tung wagen, der Staat wäre dar­auf ange­wie­sen, daß die Gesell­schaft ihm Vor­aus­set­zun­gen schafft, die er nicht her­bei­zwin­gen kann.

Schön wäre es gewe­sen, wir hät­ten dann eine Zivil­ge­sell­schaft mit Ach­tung vor dem Gesetz und der Gesell­schaft und vor Anders­den­ken­den bekom­men. Wir hät­ten eine Soli­dar­ge­mein­schaft, die heu­te nur noch ange­führt wird, um Druck gegen Anders­den­ken­de zu erzeu­gen. Wir hät­ten den Schritt vom Obrig­keits­staat in die Zivil­ge­sell­schaft geschafft, das wäre nach 1989 so etwas gewe­sen wie eine Meta­mor­pho­se. Aus der häß­li­chen Rau­pe der Deut­schen wäre ein Schmet­ter­ling geworden…

Klingt das zu naiv, nun, naiv sind vor allem die Mora­li­sten die­ser Tage, denn sie geben vor, alles abzu­wä­gen, dabei sind sie nur Denk­ver­wei­ge­rer. Und so fragt man sich: Was ist schlim­mer, Quer­den­ken oder Nichtdenken?


Berühren verboten!

Aber Gedanken sind frei

Der Ver­lust an Nähe ist das eigent­li­che Pro­blem. Ein Eis­berg, von man die Tie­fen nur ahnen kann.

Seit Ischgl wis­sen wir, es kommt auf die Virus­last an. Man infi­ziert sich kaum im Vor­bei­ge­hen, auf die Gefah­ren der Nähe kommt es an.

Kul­tur ist am Feu­er ent­stan­den. Vor­ne wird man gut ange­bra­ten und von hin­ten friert es. Also rückt man noch näher anein­an­der und reibt sich gegen­sei­tig den Rücken. Und dazu wer­den berau­schen­de Sub­stan­zen gereicht. Man starrt wie hyp­no­ti­siert ins Feu­er, öff­net sich dem Ande­ren, dann wird erzählt…

So sind die ersten Geschich­ten der Mensch­heit aus­ge­tauscht wor­den. Und wäh­rend man da so sitzt, krei­sen drum­her­um die Unge­heu­er. Woh­li­ge Schau­er lau­fen über den Rücken. Das ist Geborgenheit.

Und dann steckt man die Köp­fe zusam­men. Wie oft saßen wir näch­te­lang schwit­zend bei­ein­an­der. Im Nebel aller erdenk­li­cher Kör­per­aus­dün­stun­gen.  Men­schen sind Säu­ge­tie­re, sie machen sehr viel mit der Nase. Auch die Wahl von Part­nern und Freun­den geht über den Geruch.

Aber jetzt traut man sich nicht ein­mal mehr, die Nasen­flü­gel zu blä­hen. Es liegt womög­lich Coro­na in der Luft. Also bes­ser nicht all­zu tief und frei atmen. Als wäre Nähe inzwi­schen nur noch etwas für Lebensmüde. 

John Col­lier: Cir­ce (1885).

Was der Ver­lust an Nähe mit den Men­schen macht, dürf­te eben­so gefähr­lich sein, wie die Äng­ste, die Kin­der in den Sui­zid trei­ben. Wie soll man Kin­dern, Demen­ten und Ster­ben­den erklä­ren, daß Nähe gefähr­lich gewor­den ist.

Es ist, wie eine Umpro­gram­mie­rung. Man soll Nähe zulas­sen, sich berüh­ren las­sen, empa­thisch sein, ande­re auch gern ein­fach umar­men, weil es mehr ist als eine Geste, es ist ein Bekennt­nis der Mit­mensch­lich­keit.  Und jetzt?

Das ist wohl der Grund, war­um der Haß immer grö­ßer wird.

Berüh­ren ver­bo­ten! Nähe ist ver­däch­tig geworden.

Kul­tur ist Nähe, also gefähr­lich. Den­ken sowieso.

Aber Phi­lo­so­phie fin­det im Kopf statt. Die Gedan­ken sind frei.


Verstehen

Über Sacha Lobos „Denkpest“

und die Steingärten des Denkens

Han­nah Are­ndt stell­te sich im Inter­view mit Gün­ther Gaus vor mit dem Satz: „Ich will ver­ste­hen!“ Das spricht mir aus dem Her­zen. Ich muß, was ich ver­ste­hen will, über­haupt nicht tei­len und der­sel­ben Mei­nung sein. Ich muß es nur nach­voll­zie­hen kön­nen, denn Ver­ste­hen ist eine Art Mit–Sein. Nicht–Verstehen, Unver­ständ­nis, Falsch­ver­ste­hen, Miß­ver­ste­hen, das alles ist pro­ble­ma­tisch und gewis­ser­ma­ßen unphilosophisch. 

Soll­ten wir näm­lich auf fal­scher Grund­la­ge zu einem Urteil oder zu einer Reak­ti­on gelan­gen, ist das alles natür­lich auch falsch. Wir hät­ten dann ja rein gar nichts ver­stan­den, glaub­ten aber den­noch, dar­über auch noch abschlie­ßend urtei­len zu kön­nen.  Die Kunst des Zuschau­ers ver­langt daher, ohne Ansicht der Per­son, der Par­tei und auch ohne Anse­hen der eige­nen Vor­ur­tei­le mög­lichst alles in Betracht zu ziehen. 

In der Denk­pra­xis ist das binä­re Kodie­ren, wonach alles ent­we­der ganz wahr oder ganz falsch ist, natür­lich völ­lig naiv. Es gibt immer irgend­ein Fünk­chen Wahr­heit und sei es noch so klein.

Ein Wort von Sacha Lobo die­ser Tage läßt tief durch­blicken und erah­nen, wie mili­tant Par­tei­lich­keit prak­ti­ziert wird. Er spricht allen Ern­stes von der „Denk­pest“ die­ser Tage. Er meint wohl, ande­re sol­len nicht so viel nach­den­ken, es sei denn, man däch­te das Den­ken der Vor­be­ter, wie er einer ist. Den­ken ist aber nun mal kein Nachbeten.

Ich habe mehr­fach in mei­nem Buch ernst­haf­te Ver­su­che unter­nom­men, den Gip­fel der Ver­schwö­rungs­theo­rien zu erklim­men, den QAnon-Mythos. Der Mega–Plot hat was, denn wir leben ja angeb­lich darin.

Das ist ja alles auch span­nend: Also, in der Nähe des ein­zig wah­ren Prä­si­den­ten Trump soll sich ein gewis­ser Herr Q auf­hal­ten, der wie ein guter Geist die­sem geschei­te­sten aller Prä­si­den­ten dabei hel­fen soll, den „Deep Sta­te“, den Sumpf einer ver­schwo­re­nen Éli­te und das gan­ze Macht­kar­tell ihrer Pri­vi­le­gi­en aus­zu­trock­nen. Anwei­sung von der Regie: Bit­te nicht dar­auf ach­ten, daß Trump doch selbst einer von denen ist…

Gene­ral­an­wei­sung der Regie: Gene­rell bit­te nicht zu sehr auf Wider­sprü­che und vor allem nicht auf Selbst­wi­der­sprü­che ach­ten. Auch das Ock­hams Rasier­mes­ser, also das Prin­zip der Den­k­öko­no­mie, darf vor­erst nicht zum Ein­satz kom­men! Es gibt eine gan­ze Rei­he phi­lo­so­phi­scher Metho­den, die bei die­sem Selbst­ver­such nicht zum Ein­satz kom­men dür­fen, will man den Gip­fel die­ser Ver­schwö­rung erklimmen.

Die Kunst des Zuschau­ers macht es erfor­der­lich, jede belie­bi­ge Per­spek­ti­ve ein­neh­men zu kön­nen, also auch sol­che. Es ist aller­dings aben­teu­er­lich, dort über­haupt hin­zu­ge­lan­gen. Am besten ver­sorgt man sich gleich zu Beginn die­ses Weges mit pas­sen­den Alle­go­rien. Zum Bei­spiel wirkt der Weg, um auf den Berg die­ser Ver­schwö­rung zu kom­men, eher mär­chen­haft. Es scheint, als wäre es eine ver­rück­te Welt, bes­ser noch, als wäre es nicht wirk­lich die­se Welt, son­dern eine mit sehr viel Phan­ta­sie und Absurditäten.

Das fiel mir auf, als ich heu­te einen Arti­kel las über die­sen QAnon–Schamanen beim Sturm auf das Kapi­tol. Ich habe sodann ver­sucht, mir  aus sei­ner Per­spek­ti­ve  sei­ne Moti­ve zu eige­nen zu machen, ohne sie zu tei­len. Ich will ein­fach nur ver­ste­hen, wie man ticken muß, um wie er zu sein.

Es sei kein Angriff auf die­ses Land gewe­sen, das sei nicht sein Motiv, sag­te Jake Ange­li dem US-Sen­der CBS News in sei­nem ersten Inter­view nach sei­ner Ver­haf­tung. „Ich habe ein Lied gesun­gen, das ist Teil des Scha­ma­nis­mus. Es geht dar­um, posi­ti­ve Ener­gie in einer hei­li­gen Kam­mer zu erzeu­gen“. Sei­ne Absicht sei es gewe­sen, „Gott zurück in den Senat zu brin­gen“. Des­we­gen habe er dort „ein Gebet gespro­chen.“ Nun das klingt sub­jek­tiv glaubwürdig. 

Er wuß­te also, daß er einen Ort mit gro­ßer Bedeu­tung doch eigent­lich als Unbe­ru­fe­ner ein­fach so besetzt und damit doch viel­leicht eher selbst ent­weiht hat. Ich hät­te nicht übel Lust auf einen Dis­put mit ihm genau darüber.

Übri­gens kom­men jetzt gewiß bei eini­gen Nicht–Facklern und Durch­grei­fern die übli­chen For­mu­lie­run­gen auf wie: „Spielt doch kei­ne Rol­le, was er sich dabei gedacht hat. Ab ins Gefäng­nis und Schluß mit der Debatte!“

Vor­sicht, das Bild die­ses sin­gen­den QAnon–Schamanen ist zur Iko­ne gewor­den, viel­leicht auch, weil es das schlech­te Gewis­sen bedient, den india­ni­schen Urein­woh­nern gegen­über. Die­se Bil­di­ko­ne ist in aller Köp­fe und wirkt, auch auf die stol­zen Besit­zer von Stein­gär­ten des Den­kens, in denen garan­tiert nichts mehr wächst.

Aber genau dar­um geht es doch eigent­lich: Gedan­ken anzu­züch­ten wie in der Infek­tio­lo­gie, um zu sehen, was sie eigent­lich für wel­che sind. Und natür­lich tref­fen auch Phi­lo­so­phen ihre Schutz­maß­nah­men.  Ich muß zuge­ben, daß das Ver­ste­hen-Wol­len manch­mal etwas zu viel wird. Mir ist mehr­fach wie bei einem kollos­sa­len System­feh­ler das gan­ze Den­ken zusam­men­ge­bro­chen. Rat­sam wäre es, wenig­stens nicht auch noch an den Ästen sägen, auf denen man gera­de sitzt.

Nun macht das Ver­schwö­rungs­den­ken ja des­we­gen so gro­ße Pro­ble­me, weil man es „nach­woll­zie­hen“ will, um es aus sei­ner Per­spek­ti­ve zu ver­ste­hen, weil aber immer­zu behaup­tet wird, das alles sei wirk­lich wirk­lich wirk­lich. Also das mit der Piz­ze­ria, in deren Kel­ler klei­ne Kin­der ver­kauft wer­den, das mit der Schup­pen­haut von “Bill Gates”, den ich in sei­ner Rol­le als ange­maß­ter Welt­ge­sund­heits­mi­ni­ster völ­lig inak­zep­ta­bel fin­de, das mit dem “Deep Sta­te” oder auch das mit dem “Gre­at Reset”, also dem „Men­schen­aus­tausch“. 

Alle die­se Theo­re­me brin­gen den­ke­risch ganz erheb­li­che Bela­stun­gen mit sich, es sind Attacken, die schnell zur System­über­la­stung füh­ren, so daß zusam­men­bre­chen muß, was eigent­lich obli­ga­to­risch wäre. Das macht die Gesprä­che mit akti­ven Verschwörungstheorie–Anhängern so schwie­rig, weil man schnell kon­fus wird dar­über, daß sie von eins aufs ande­re kom­men. Alles hängt mit allem zusam­men, gewiß, nur sieht man es auch beim besten Wil­len nicht. 

Mein Lieb­lings­satz aus der Etho­lo­gie lau­tet fol­gen­der­ma­ßen: Der Scha­ma­ne Kat­ka sieht auf einem Baum eine Hexe. Ich sehe, wie Kat­ka die Hexe sieht, sehe aber selbst die Hexe nicht. Nun damit soll­te man schon klar­kom­men, als Eth­no­lo­ge und auch als Philosoph.

Mit dem hypo­the­ti­schen Für-Wahr-Hal­ten ist das so eine Sache. Da irren die Stein­gar­ten-Besit­zer nicht. Und die Denk­pest von Sacha Lobo for­dert tat­säch­lich ihre Opfer, wenn man denn kei­ne Metho­den hat und noch dazu die Hosen voll. Es könn­te sich ja irgend­was Unge­heu­er­li­ches als wahr her­aus­stel­len und was dann? Daher die Stein­gär­ten, in denen gleich gar nichts wächst. 

Aber ich habe mich nie damit zufrie­den­ge­ge­ben, nur über Ver­schwö­rungs­theo­rie zu reden und mich dar­über bil­lig zu amü­sie­ren. Ich habe es mehr­fach und immer wie­der anders ver­sucht, obwohl so ein Break­down ziem­lich viel kostet. Es dau­ert, bis man danach eini­ger­ma­ßen auf der Höhe ist und sich wie­der selbst über den Weg trau­en kann, von wegen: All Systems Running.

Ich hat­te bereits bei vor­an­ge­gan­ge­nen Unter­su­chun­gen fest­stel­len kön­nen, daß man­che der Ereig­nis­se, von denen in den Verschwörungs–Theoremen gespro­chen wird, tat­säch­lich in der Mensch­heits­ge­schich­te vor­ge­kom­men sind, wie etwas der “Menschen–Austausch”, etwa mehr­fach durch die Pest oder auch durch die Sint­flut, also den Ein­bruch des Schwar­zen Mee­res, was inzwi­schen nach­weis­bar gewor­den ist. 

Mit der Hypo­the­se, daß wir das alles prä­sent haben im kol­lek­ti­ven Unbe­wuß­ten, läßt sich dann auch nach­voll­zie­hen, war­um die­se Hor­ror­vor­stel­lun­gen prä­sen­ter erschei­nen als sie es sind. Das ist dann auch der ent­schei­den­de Aspekt, daß so etwas statt­fin­den kann und auch bereits gesche­hen ist, daß man aber  jetzt kommt Ock­hams Rasier­mes­ser doch zum Ein­satz nicht ohne wei­te­res behaup­ten darf, daß bei­spiels­wei­se jetzt der “Gre­at Reset” wie­der unmit­tel­bar bevorstünde.

Man macht die­se Behaup­tung gern fest anhand eines Appells von Klaus Schwab, dem Lei­ter des Bon­zen­fe­sti­vals in Davos, genannt Welt­wirt­schafts­fo­rum. Auch da läßt sich die Per­spek­ti­ve durch­aus über­neh­men. Es ist vom „Gre­at Reset“ die Rede, weil es um die men­schen­ge­mach­te Welt öko­lo­gisch, öko­no­misch und poli­tisch über­haupt nicht gut­steht. Es braucht in der Tat einen Kurs­wech­sel, ein Update, einen Reboot, um die Meta­pher voll zur Gel­tung zu brin­gen. Aber nun anzu­neh­men, es käme dabei auf einen Gen–Austausch etc. an, ist reich­lich bei den Haa­ren her­bei­ge­zo­gen und bedürf­te daher eigens einer hin­rei­chen­den Begrün­dung, war­um das denn doch gel­ten soll, war­um die­se Behaup­tung glaub­haft sein soll.

So weit so gut. Das genügt mir aber noch nicht, denn es ist noch nicht hin­rei­chend für das Ver­ste­hen. Bis ich heu­te dar­auf kam, wie man auch und ganz bewußt mit Ver­schwö­rungs­theo­rien umge­hen könnte.

Es sind Träu­me. Daher haben sie alle Rech­te von Träu­men und so gut wie kei­ne Pflich­ten. Denn Träu­me machen ja nun wirk­lich, was sie wol­len. Und dabei regen wir uns auch nicht dar­über auf, daß sie wirr sind, unrea­li­stisch, blöd­sin­nig und sonst­wie für den hemds­är­me­li­gen Intel­lekt ein­fach ein Ärger­nis, weil er nicht weiß, wie und wo er anpacken soll.

Anders geht damit jedoch unser Geist um, über den wir auch ver­fü­gen soll­ten, falls wir kei­ne stol­zen Steingarten–Besitzer sind und auch nicht Sacha Lobo hei­ßen. Der Geist kann mit­un­ter Träu­me deu­ten, und das ist die Lösung des Pro­blems. Es sind „Träu­me“, zumeist Hor­ror­träu­me, oft ohne Sinn und Bot­schaft aber auch das ist ja nun etwas, das wir den Träu­men zuge­ste­hen müs­sen. Wir soll­ten die Zei­chen dar­in sehen und erken­nen, um ihnen die Bedeu­tung zuzu­ge­ste­hen, wie wir sie manch­mal auch Träu­men geben, wenn sie uns etwas zu Ver­ste­hen geben, zumeist auf sym­bo­li­scher Ebene. 

Am Ende kommt es dar­auf an, was der Zuschau­er im Rücken des Zuschau­ers sieht. Was er glaubt, ganz all­mäh­lich ver­ste­hen und dann sogar auch in eige­nen Wor­ten ver­tre­ten zu kön­nen. Das ist dann wie­der­um der Abstieg aus den mas­si­ven Gebir­gen unse­rer Phan­ta­sien, die wer weiß wo in den unend­li­chen Wei­ten unse­res Unbe­wuß­ten zu besu­chen sind, denn dort sind sie in der Tat „real“. 

Es liegt an den Gren­zen der Spra­che, denn zumeist feh­len ein­fach die Wor­te. Und im übri­gen regelt die Gram­ma­tik das Pri­vi­leg der Phä­no­me­ne gene­rell, ob sie für die Wirk­lich­keit über­haupt in Fra­ge kom­men. Wir kön­nen aber nun unser Den­ken nicht erwei­tern, wenn wir uns von der Gram­ma­tik das Denk­mög­li­che vor­be­ten las­sen. Die deut­sche Spra­che hat eini­ge Ent­wick­lun­gen noch nicht genom­men. Sie ver­fügt über kei­nen Irrea­lis als eigen­stän­di­gen Modus, jedoch über das Konzept. 

Der Kon­junk­tiv II kann dazu benutzt wer­den, einen Irrea­lis der Gegen­wart und einen Irrea­lis der Ver­gan­gen­heit zu bil­den, der als irrea­les bzw. uner­füll­ba­res Kon­di­tio­nal­ge­fü­ge erscheint:

Wenn ich gedank­lich reich wäre, also kei­nen Stein­gar­ten des Den­kens hät­te und auch nicht Sacha Lobo hie­ße, böten sich mir mehr Mög­lich­kei­ten des Ver­ste­hens. (Irrea­lis der Gegen­wart, mit Kon­junk­tiv II)


Querkopf II

Wor­um es geht? Dar­um, daß wir alle selbst denken

Als das Ora­kel von Del­phi mit dem Spruch her­aus­kam, Sokra­tes sei der Wei­se­ste unter den Athe­nern, hat­te er nichts Bes­se­res zu tun, als dar­an zu zwei­feln.  Jetzt müß­te der Chor des Main­streams ener­gisch aus­ru­fen: Das ist Got­tes­lä­ste­rung gegen­über Apol­lon, dem Herrn des Ora­kels zu Delphi!

War es das? Viel­leicht ja, viel­leicht nein. Wir wis­sen nicht, was Apol­lon gesagt hätte.

Aber Sokra­tes hat­te nun ein­mal nicht den Ein­druck von sich, wirk­lich wei­se zu sein. Also „teste­te“ er alle ande­ren, von denen er anneh­men muß­te, sie ver­stün­den wenig­stens was von ihrer Sache und da er nun mal von gar nichts was wuß­te, muß­ten sie ja nun nach­voll­zieh­bar auch als wei­ser erschei­nen. Er hat dann ganz Athen gegen sich auf­ge­bracht, aber das ist eine län­ge­re Geschichte…

Das bei der­ar­ti­gen Unter­su­chun­gen etwas Über­ra­schen­des her­aus­kommt und eben kei­ne Peti­tio Prin­ci­pii, ist ja der Grund, war­um man sich über­haupt sol­cher Mühen unter­zieht, an allem zu Zwei­feln. Und Des­car­tes als Vater der Metho­de des syste­ma­ti­schen Zwei­fels hat­te zeit­le­bens Angst vor der Inquisition.

Man wird aber auch immer mal wie­der belohnt dafür, sich mit Zwei­feln abzugeben.

Erst so kommt man zur eige­nen Sicht, zu Inspi­ra­tio­nen, zu Vor­stel­lun­gen, daß irgend etwas auch ganz anders gese­hen, gewe­sen oder sein könn­te. Das ist der Moment, wo im Kri­mi der Kom­mis­sar nach der ver­meint­li­chen Lösung des Fal­les einem ent­setz­ten Kol­le­gen sagt: Das war zu ein­fach, wir fan­gen jetzt noch ein­mal von vor­ne an!

Mir ist nun der­weil tat­säch­lich etwas Über­ra­schen­des unter­ge­kom­men, als ich ver­sucht habe, dahin­ter­zu­kom­men, was denn wohl die Moti­ve der Impf­ver­wei­ge­rer sein könn­ten. So arbei­te ich und das ist mei­ne Metho­de: Man glaubt ein­fach alles, tritt gut­wil­lig wie ein Kind vol­ler Ver­trau­en her­an und ver­sucht alles nach­zu­emp­fin­den, um aus der Per­spek­ti­ve des Ande­ren ein­fach nur zu ver­ste­hen. Dabei muß man die Ein­stel­lung nicht wirk­lich über­neh­men oder gar tei­len. Es genügt bereits, die Beweg­grün­de nur nach­voll­zo­gen zu haben.

Als Phi­lo­soph weiß ich nun wie­der­um aus Erfah­rung, daß die mei­sten The­sen schon bei der Vor­stel­lung in sich zusam­men­bre­chen, sie kön­nen sich ein­fach nicht hal­ten aus vie­ler­lei Grün­den. Oft haben sie gar kein Fun­da­ment. Sobald sie sta­bil erschei­nen, mache ich Bela­stungs­tests wie die Brücken­bau­er es tun. Ich will genau­er wis­sen, wie belast­bar eine The­se ist und wann sie, unter wel­chen Umstän­den, wie schnell kollabiert.

Das Beson­de­re an den all­seits ver­teu­fel­ten Unge­impf­ten scheint mir zu sein, daß sie es sich nicht leicht­ge­macht haben, zu ihrer Ent­schei­dung zu kom­men und dann auch dazu zu ste­hen. Mich reizt immer die Qua­li­tät von Begrün­dun­gen, daher teste ich mög­lichst vie­les tag­täg­lich auf phi­lo­so­phi­sche Digni­tät. Ich teste nicht auf Kom­pa­ti­bi­li­tät zu den Glau­bens­be­kennt­nis­sen des Main­streams. Da inter­es­siert mich vie­les ande­re, etwa, woher die­se Kir­chen­gläu­big­keit kommt, die jetzt „die“ Wis­sen­schaft zum ein­zig wah­ren Glau­ben erklärt und in allen Zweif­lern nur gemein­ge­fähr­li­che Ket­zer sieht.

Es geht um sehr viel mehr in der Coro­na-Kris. Und auch beim Phi­lo­so­phie­ren geht es um alles. Das Gan­ze ist immer das, was man mit Spe­ku­la­tio­nen andau­ernd in Erfah­rung zu brin­gen ver­sucht, das Gan­ze ist die Ver­nunft. Die viel­be­schwo­re­nen Ratio­na­li­tä­ten, im Plu­ral, ste­hen immer nur für einen Teil des Ganzen.

Mei­nen vie­len Unter­su­chun­gen zufol­ge ist es die Auf­ga­be der Ver­nunft, Modell–Vorstellungen vom gro­ßen Gan­zen zu ent­wickeln. Also wann wäre etwa eine Exper­ten­run­de voll­stän­dig, wel­che Posi­tio­nen müs­sen ein­fach ver­tre­ten wer­den? Das war mein Job in der Tech­nik­fol­gen­ab­schät­zung über vie­le Jah­re, so etwas zu orga­ni­sie­ren, zu mode­rie­ren und den Dis­kurs dar­über zu initi­ie­ren. Wenn ich dage­gen heu­te sehe, wie eng­stir­nig, ja hoch­not­pein­lich ein­sei­tig die öffent­li­chen Debat­ten ver­lau­fen, dann bin ich auf der fal­schen Party.

Wir haben es, so mei­ne Dia­gno­se, mit mul­ti­plen System­ver­sa­gen zu tun, was nicht hät­te müs­sen sein. Die Haupt­last der Ver­ant­wor­tung liegt beim Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt und dann bei den Medi­en, weil sie von Anfang an in Kon­kur­renz zum Inter­net auf Eska­la­ti­on gesetzt haben. Die Poli­tik hat sich ver­füh­ren las­sen, den gro­ßen Zam­pa­no zu geben.

Genau davor hat der hei­li­ge Niklas (Luh­mann) immer gewarnt, zu glau­ben, man könn­te den Auto­pi­lo­ten der Syste­me mal abschal­ten und auf Hand­steue­rung gehen. Sor­ry, die Pilo­ten­kan­zel ist unbe­setzt! Ja es gibt sie nicht ein­mal, die Hebel der Macht. Da irren vie­le derer, die wirk­lich was dafür geben wür­den, wenn es die eine Geschich­te von dem einen Bösen, also vom Haupt der Ver­schwö­rung wirk­lich gäbe, so wie bei James Bond, den ich des­we­gen mit Eifer schaue, weil er so rein gar nichts mit der Wirk­lich­keit zu tun hat.

Phi­lo­so­phie ist die Mut­ter aller Wis­sen­schaf­ten, daher haben wir auch einen Zugang zu allen Dis­zi­pli­nen. Als sie sich eman­zi­piert haben, um selb­stän­di­ge Wis­sen­schaft zu wer­den, haben sie die radi­kal­sten Fra­gen in der Phi­lo­so­phie zurück­ge­las­sen. Daher und dar­an läßt sich zu jeder Zeit sehr leicht anknüp­fen. Wir haben jeder Zeit jeden Zugang. 

Aber Phi­lo­so­phie ist auch eine Wis­sen­schaft, was mich damals, als ich anfing, schwer begei­stert hat, daß sogar die Denk­feh­ler einen Namen haben, wie gute alte Bekann­te.  Aber Phi­lo­so­phie ist auch Lite­ra­tur, also arbei­tet sie mit Meta­phern, Mythen, mit allen erdenk­li­chen Moti­ven für Ide­al­vor­stel­lun­gen, wie es die Göt­ter für uns sind.

Wor­um es geht? Dar­um, daß wir alle selbst den­ken, auch auf die Gefahr hin, schief ange­se­hen zu wer­den, was man sich denn wohl ein­bil­det. Das ist nun mal der Preis. Und im übri­gen besteht die Gefahr, ganz enorm dane­ben zu liegen.

Vie­les ist eine Fra­ge der Metho­de, und es gibt ein paar ziem­lich gute Metho­den. Ich bezeich­ne eine davon als die „Kunst des Zuschau­ers“, die ande­re als „Phi­lo­so­phie in Echt­zeit“. Und über allem hängt als Damo­kles­schwert der Leit­spruch mei­ner Phi­lo­so­phie: Und hät­test Du geschwie­gen, wärst Du Phi­lo­soph geblieben!


Über die Pflicht zum Ungehorsam gegen den Staat

Über Menschenwürde und Impfzwang

Viel war immer von „Wür­de“ die Rede, gera­de in Deutsch­land. Die­ser Begriff war wie ein Fetisch, man hob ihn sehr hoch und höher. Aber den aller­mei­sten war das Gemein­te so faß­bar wie die Begrif­fe Leib und Seele.

Und da nun die „har­ten“ Wis­sen­schaf­ten kei­nen Zugang haben zu alle­dem, ist es eigent­lich schlecht bestellt um das, was gemeint sein könn­te. Allen­falls wird wider­wil­lig noch so etwas wie Psy­che zuge­stan­den aber dann auch nur mit einem Man­ko. Wenn etwas „psy­cho­lo­gisch bedingt“ ist, dann ist es zugleich „nur psy­cho­lo­gisch“.  Es ist gewis­ser­ma­ßen grund­los, weil es ja nun kei­ne „kau­sa­le“ Ursa­che gibt, oder?

Das ist der bor­nier­te Mate­ria­lis­mus einer Kul­tur, die inzwi­schen gefähr­lich geist­los gewor­den ist, wie sich an der aktu­el­len Debat­te um den Impf­zwang zeigt.

„Wür­de“ ist unfaß­bar für alle die­je­ni­gen, die mei­nen, es gäbe nur eine ein­zi­ge Wahr­heit, näm­lich die­je­ni­ge, die sich in Zah­len mes­sen und natur­wis­sen­schaft­lich the­ma­ti­sie­ren läßt. Ja und Lie­be wird zur Hor­mon­stö­rung, ist es nicht so? Und Schön­heit kommt von außen, tau­send Influen­ce­rIn­nen kön­nen nicht irren?

Alles, was nicht ins Pro­kru­sten­bett die­ser Unbil­dung paßt, wird pas­send gemacht. Das geht so weit, daß Bio­lo­gIn­nen in den Talk­shows der Repu­blik unwi­der­spro­chen zwi­schen Glau­ben und Wahr­heit unter­schei­den, um dann “die Wahr­heit” für sich zu rekla­mie­ren. Und alles ande­re ist Hokus­po­kus? – Ich muß doch sehr bitten.

Das Niveau ist inzwi­schen unter­ir­disch. Die so scheel beäug­te Psy­che geht gera­de über Hecken und Zäu­ne. Es geht schon längst nicht mehr um kör­per­li­che Gesund­heit. Wir haben es mit einer Mas­sen­hy­ste­rie zu tun, die nun Sün­den­böcke braucht, weil aus alle­dem, was man sich ver­spro­chen hat, durch Imp­fen wie­der­zu­ge­win­nen, nichts wie erwar­tet gekom­men ist. 

Dabei wur­de von Anfang an rück­sichts­los alles ins Opfer­feu­er gewor­fen, ob es das See­len­heil von Kin­dern ist, denen man sag­te, sie wür­den den Tod brin­gen oder die Wür­de der Ster­ben­den und Demen­ten, die ohne jede mensch­li­che Berüh­rung weg­däm­mern und ster­ben. Die Liste ist inzwi­schen unüber­seh­bar, was da an Schä­den ange­rich­tet wor­den ist.

„Wür­de“ ist ein höchst inti­mes Selbst­ver­hält­nis zwi­schen Ich und Selbst, Kör­per und Psy­che, Leib und See­le, Sinn­lich­keit und Geist. Es ist die­ser selt­sa­me Wider­spruch, daß wir von den einen nicht ein­mal flüch­tig berührt wer­den möch­ten, wäh­rend wir uns den ande­ren mit­un­ter vor­be­halt­los hin­ge­ben kön­nen. Das hat etwas mit einem Ver­trau­en zu tun, das nicht ein­ge­for­dert wer­den kann.

Was haben wir denn für Bil­der im Kopf, wenn „unser Kör­per“ gera­de mit etwas ringt? Das sind Nar­ra­ti­ve, die wir uns durch den täg­li­chen Wis­sen­schafts­jour­na­lis­mus ein­fan­gen. Als ob das alles wäre, um zu sagen, wer und was „wir“ denn so alles „sind“.

Naiv sind weni­ger die der Eso­te­rik Ver­bun­de­nen, sie ver­su­chen wenig­stens eige­ne Wor­te zu fin­den für die­ses Intim­ver­hält­nis. Wäh­rend die ande­ren nur ihre Geist­lo­sig­keit demon­strie­ren und einen längst arbeits­los gewor­de­nen Kir­chen­glau­ben nun­mehr auf „die“ Wis­sen­schaft rich­ten, ja wel­che denn?  Es gab zu allen Zei­ten ein­fa­che Gemü­ter und die­se wuß­ten dar­um. Nur, inzwi­schen hal­ten sich die­se auch noch für auf­ge­klärt, wenn sie dar­an gehen, ande­re zu beleh­ren, um sie auf den rich­ti­gen Glau­bens­weg zu bringen.

Der Mensch lebt nicht vom Brot allein und das Leben ist der höch­sten Güter nicht; vie­les, unend­lich vie­les ist schon gesagt wor­den dar­über, daß es Din­ge gibt zwi­schen Him­mel und Erde, zwi­schen Kör­per und Geist, von denen sich unse­re Wissenschafts–Weisheiten nun wirk­lich nicht ein­mal eine Vor­stel­lung machen können.

Alle die­se Schu­ster soll­ten bei ihren Lei­sten blei­ben, denn es ist zwi­schen Tech­nik– und Natur­wis­sen­schaf­ten einer­seits und zwi­schen Gei­stes– und Kul­tur­wis­sen­schaf­ten ande­rer­seits zu unter­schei­den. Und die Bor­niert­heit man­cher Fach­ver­tre­ter und ihrer Nach­be­ter soll­te uns nicht dar­über hin­weg­täu­schen, daß wir es mit einer kom­ple­xen und auch tief­grün­di­gen Wirk­lich­keit zu tun haben.  Wir haben eine Innen­welt, die es mit den unend­li­chen Wei­ten des Kos­mos spie­lend auf­neh­men kann, wenn man bedenkt, wer und was in unse­rer Phan­ta­sie so alles leib­haf­tig ist.

Als ich in einem Thinktank vor­zei­ten des­öf­te­ren inter­dis­zi­pli­nä­re Exper­ten­krei­se mode­riert habe, gab es nicht sel­ten die­se Kind­lich­keit im Auf­tre­ten von Sach­ver­stän­di­gen, wenn sie mal für etwas nicht zustän­dig sind, son­dern ande­re, noch dazu kon­kur­rie­ren­de Dis­zi­pli­nen. Man muß­te dann schon ener­gisch wer­den, um sie dahin zu bewe­gen, nur über ihre Sache spre­chen, wovon sie schließ­lich etwas ver­ste­hen aber nicht ande­re schlecht reden.  Genau das aber geschieht nun in die­ser Gesell­schaft. Da sucht eine auf­ge­hetz­te Mehr­heit nach Sün­den­böcken und erklärt alle Anders­den­ken­den zu „Gefähr­dern“.

Die Mehr­heit hat nicht das Recht, sich so eine Min­der­heit zu erschaf­fen, um dann über sie her­zu­fal­len, nur weil sie sich hat Angst machen und mit fal­schen Ver­spre­chun­gen und trü­ge­ri­schen Hoff­nun­gen ins Bocks­horn jagen las­sen. Die Gesell­schaft hat nicht das Recht, so zu tun, als sei sie eine Gemein­schaft und hät­te dem­entspre­chen­de Rech­te. Gera­de unse­re real exi­stie­ren­de Gesell­schaft ist sozi­al käl­ter als vie­le ande­re, daher hat sie sogar noch weni­ger Rech­te als jene. 

Der Staat hat nicht das Recht, ein Impf­re­gi­ster auf­zu­bau­en, denn bereits das ver­letzt die Wür­de im Daten­schutz und die infor­ma­tio­nel­le Selbst­be­stim­mung. Und der Staat hat schon gar nicht das Recht, in das inti­me Ver­hält­nis zwi­schen mir und mei­nem Kör­per ein­zu­grei­fen. Das wäre mehr als die Ver­let­zung mei­ner Wür­de, das wäre bereits Miß­hand­lung. Nur eine Ver­ge­wal­ti­gung wäre noch übler.

Und für Neun­mal­klu­ge: Wenn ich in eine Alko­hol­kon­trol­le gera­te und gefragt wer­den, ob ich mit einer „frei­wil­li­gen Alko­hol­kon­trol­le“ ein­ver­stan­den sei, dann fra­ge ich stets, was dar­an frei­wil­lig sein soll. Wenn nicht, dann müs­se ich eben mit zur Wache kom­men, wo mir zwangs­wei­se Blut für einen Alko­hol­test abge­nom­men wür­de, erklär­te mir der Beam­te.  Da habe ich ihm wie­der­um erklärt, daß das kei­ne Frei­wil­lig­keit sei. Ver­deut­licht habe ich es ihm am Bei­spiel sei­ner Kol­le­gin, die dane­ben stand. Wenn ich die­se auf­for­dern wür­de, mich nicht abzu­wei­sen, wenn ich ihr wür­de nahe­tre­ten wol­len, weil ich anson­sten „Maß­nah­men“ ergrei­fen wür­de, was das dann wäre. Nöti­gung min­de­stens, viel­leicht Frei­heits­be­rau­bung, viel­leicht mehr.

Nur, wenn ich mit einem Fahr­zeug am Stra­ßen­ver­kehr teil­neh­me, gebe ich gewis­ser­ma­ßen einen Teil mei­ner Grund­rech­te preis. Soll­te mir das nicht geheu­er sein, könn­te aber auch auf das Fah­ren ver­zich­ten…  In der Coro­na-Kri­se habe ich die­se Alter­na­ti­ve nicht, ich kann nicht nicht leben oder mal eben auswandern.

Die Geschich­te wie­der­holt sich nicht, das ist eines der meist­ge­glaub­ten Stan­dards, und dann wer­den immer wie­der Ana­lo­gien gesucht, wohl, weil wir dann doch aus den Feh­lern der Geschich­te ler­nen wol­len. Ich den­ke in den letz­ten Wochen des­öf­te­ren an die berühmt-berüch­tig­te Schrift von Hen­ry David Tho­reau: Über die Pflicht zum Unge­hor­sam gegen den Staat:

„Auf die­se Wei­se kon­fron­tiert der Staat nie das Inne­re eines, intel­lek­tu­ell oder mora­lisch, son­dern nur sei­nen Kör­per, sei­ne Sin­ne. Der Staat ist nicht mit über­le­ge­ner Weis­heit oder Red­lich­keit aus­ge­rü­stet, er besitzt nur über­le­ge­ne phy­si­sche Stär­ke. Ich bin nicht gebo­ren, um mich zwin­gen zu las­sen. Ich will nach mei­ner eige­nen Art atmen. Laßt uns sehen, wer der Stär­ke­re ist.“ (Hen­ry David Tho­reau: Uber die Pflicht zum Unge­hor­sam gegen den Staat. 1849. S. 9.)