Geimpfte und Ungeimpfte, das gute und das böse Kind

Euge­nio Lucas Veláz­quez: Eng­lish: Auto­da­fé (1853).

Ketzereien über Ketzerverfolgungswahn

Bei Ali­ce Mil­ler, einer begna­de­ten Kin­der­psy­cho­lo­gin, gibt es den inne­ren Kampf zwi­schen dem guten und dem bösen Kind. Das eine ist eben­so des­ori­en­tiert wie das ande­re. Wäh­rend sich das eine fügt, rebel­liert das ande­re und bei­de füh­len sich selbst dabei irgend­wie „gehal­ten“.

Aber was ist denn gut an den guten Kin­dern? Man könn­te kon­sta­tie­ren, daß alle, die sich haben imp­fen las­sen, es in Erwar­tung einer damit auf­kom­men­den Nor­ma­li­tät getan haben aber doch weit weni­ger aus Grün­den der Solidarität. 

Wer sich hat imp­fen las­sen, wird sehr viel weni­ger Acht­sam­keit an den Tag legen. Aber inzwi­schen ist es ein offe­nes Geheim­nis, das der Unter­schied zwi­schen geimpft und unge­impft all­mäh­lich schwindet…

Reak­tio­nen dar­auf, daß Coro­na eine glo­ba­le Natur­ka­ta­stro­phe ist und eben­so­we­nig zu beherr­schen ist wie eine Flut, besteht dar­in, daß gan­ze Gesell­schaf­ten retar­die­ren. Gesucht wer­den Sün­den­böcke und man glaubt, sie unter Anders­den­ken­den und Unge­impf­ten gefun­den zu haben. – Allen wird letzt­lich so etwas wie ein Glau­bens­be­kennt­nis abver­langt, das Spek­trum des Sag­ba­ren ist denk­bar eng. So ent­steht eine Schwei­ge­spi­ra­le, die Hälf­te aller Deut­schen geben zu Pro­to­koll, sich nicht mehr frei­mü­tig öffent­lich zu äußern. 

Dabei war von Anfang an klar, daß alle unter Drei­ßig kaum gefähr­det sind. Aber, man woll­te ja ener­gisch etwas tun. — Aber warum hat man nicht die vul­ner­ablen Grup­pen geschützt und der Jugend die Frei­heit gelas­sen. War­um läßt man es zu, daß die Zahl der Pfle­ge­kräf­te stän­dig abge­nom­men hat?

Es ist unge­heu­er viel Geld ver­brannt wor­den, war­um hat es nicht dazu gereicht, die Ver­hält­nis­se in den Kli­ni­ken durch einem Quan­ten­sprung zu heben? – War­um ist man nach allen Maß­nah­men, Hoff­nun­gen, Aus­sich­ten, Ver­spre­chun­gen und Opfern immer wie­der genau da, wo man ange­fan­gen hat? 

Die Ver­hält­nis­se in die­ser Kri­se sind hyper­kom­plex. Es ist Hybris zu mei­nen, eine sol­che Kata­stro­phe lie­ße sich beherr­schen. Man kann geziel­te Schutz­maß­nah­men ergrei­fen, vor allem Klug­heit wäre ange­ra­ten aber kein Aktionismus. 

Das Muster ist nur zu bekannt: “So tu doch etwas! — Ja was denn tun? — Tu’ irgend­was!”. Das ist jedoch ein Armuts­zeug­nis für alle, die sich in den Glau­ben flüch­ten wie bei der Ket­zer­ver­fol­gung im Mit­tel­al­ter. Die gan­ze Stim­mung ist seit Mona­ten mittelalterlich.

Ich schrei­be seit Febru­ar 2020 an einer phi­lo­so­phi­schen Stu­die über die­se Sinn­kri­se, über das Ver­sa­gen sämt­li­cher Syste­me von Recht, Poli­tik, Medi­en und Wis­sen­schaft. Es hat sich wie­der ein­mal zeigt, was ich immer wie­der zu mei­nem Ent­set­zen beob­ach­ten muß­te: Aus­ge­rech­net dann, wenn es wirk­lich dar­auf ankä­me, gelas­sen, cool, fast kalt­blü­tig und vor allem mit sehr viel Sinn und Ver­stand dar­an zu gehen, die Per­spek­ti­ve der Ver­nunft in der Viel­falt ihrer Stim­men zur Kennt­nis zu neh­men, durch Dis­kur­se, die frei sein müs­sen und offen, immer dann ver­lie­ren die mei­sten den Kopf und die guten, ach so lie­ben Kin­der sind immer ganz vor­ne. Das hilft nicht.

Alles was da so tag­täg­lich ver­han­delt wird, hat gar nicht die Kapa­zi­tät, auf den Boden der Tat­sa­chen zu kom­men, die man zur Kennt­nis neh­men müß­te, woll­te man wirk­lich ver­ste­hen, was da gera­de von­stat­ten geht. Es ist eine unge­heu­re Kom­ple­xi­tät, die aber stets auf eines hin­aus­läuft, sie erwischt unse­re ach so rechts­staat­li­chen, wis­sen­schaft­li­chen, frei­heit­li­chen, dis­kur­si­ven und für­sorg­li­chen Ambi­tio­nen bra­chi­al. Die Moral von der Geschicht‘?

Mehr Beschei­den­heit bit­te, nicht behaup­ten zu wis­sen, was man nicht wis­sen kann. Mit dem Nicht­wis­sen arbei­ten, also nicht den gro­ßen Zam­pa­no machen. – Geschaf­fen wird statt­des­sen eine fast bür­ger­kriegs­ähn­li­che Atmo­sphä­re, ein Auto­da­fé. Ich habe einen geschätz­ten Kol­le­gen am Insti­tut, einen Ket­ten­rau­cher. Und wenn mir das mit der Suche nach den Sün­den­böcken in den Semi­na­ren zu viel wur­de, bei alle­dem schmie­ri­gen Mora­lin, dann habe ich im Brust­ton der Über­zeu­gung ver­kün­det: Alle Pro­ble­me der Mensch­heit könn­ten gelöst sein, wenn nur die Rau­cher nicht wären. – Nun ja, sie spür­ten die Iro­nie dann doch und ahn­ten, wen ich mein­te und sie sahen dann auch in die Hin­ter­grün­de die­ser Bemerkung.

Die Welt ist zu schwie­rig für gute Kin­der, die doch nur spie­len wol­len. Wann soll­te man den aus­sche­ren, wenn nicht jetzt, wo fast alle den Ver­stand ver­lie­ren? Man merkt es an den Wet­ter­vor­her­sa­gen, die Lust am Unter­gang bringt täg­lich neue Epi­so­den. Neu­lich hat sich angeb­lich ein Polar­wir­bel geteilt, war­um hier sibi­ri­sche Käl­te zu erwar­ten sei. Als ich sah, daß die Mel­dung vom Pots­dam-Insti­tut lan­ciert wor­den war, kurz vor der Kli­ma­kon­fe­renz, dach­te ich über die Bere­chen­bar­keit von Akteu­ren, die Kam­pa­gnen und Wis­sen­schaft seit Jahr­zehn­ten nicht mehr auseinanderhalten.

Es ist per­fi­de, den Leu­ten mit gro­ßer Käl­te zu kom­men, das Anschwel­len der Küsten­li­ni­en ver­bin­den vie­le ja doch mit Süd­see­fee­lings. – Dann wur­de ich auch noch auf die­se Mel­dung auf­merk­sam gemacht, weil bad News nun­mal good News sind. Bis mir die Hut­schnur riß, ich habe dann ein­fach nach­ge­schaut, was denn Jörg Kachelm­ann, der sich immer so schön auf­re­gen kann über die­sen Bock­mist sagen wür­de. – Und rich­tig! Er schlug auf den “Spie­gel” ein und kon­sta­tiert, man wüß­te über­haupt nichts von die­sem Polar­wir­bel und daß es wohl nur um die Mel­dung ginge.

Nicht, daß es nicht noch eine Stei­ge­rung gäbe: 

„Der Ablauf eines Inqui­si­ti­ons­pro­zes­ses war weder für den Ange­klag­ten noch für sei­ne Ange­hö­ri­gen durch­schau­bar. Wäh­rend der Ver­neh­mun­gen wur­den den Ver­däch­ti­gen ein­zel­ne Ver­hal­tens­wei­sen vor­ge­wor­fen, die u.U. für sich allein gese­hen kei­ne Abwei­chun­gen von der kirch­li­chen Leh­re dar­stel­len mußten.

Die­se Taten konn­ten dann von den Ange­klag­ten ent­we­der zurück­ge­wie­sen oder zuge­ge­ben und bereut wer­den. Wel­che Schlüs­se von Sei­ten des Gerich­tes dar­aus gezo­gen wur­den, war nicht ersicht­lich. Der Pro­zeß fand nicht als zusam­men­hän­gen­de Ver­hand­lung mit der Anwe­sen­heit der Betei­lig­ten oder wenig­stens der mit der Urteils­fin­dung Betrau­ten statt. Die Dau­er des Ver­fah­rens gab kei­nen Hin­weis auf die Bedeu­tung der Ange­le­gen­heit. Das alles führ­te dazu, daß die Ange­klag­ten bis zum Tag des Auto­da­fés kei­ner­lei Schlüs­se auf den Aus­gang des Ver­fah­rens zie­hen konnten. …

Die mil­de­ste Art der Sank­ti­on des Ver­hal­tens der Ange­klag­ten durch das Inqui­si­ti­ons­ge­richt war das Abschwö­ren. Bei ein­fa­che­ren Ver­ge­hen muß­te dies nicht in der Öffent­lich­keit gesche­hen, son­dern konn­te im Gerichts­saal vor dem Tri­bu­nal durch­ge­führt wer­den. Bei schwer­wie­gen­den Fäl­len fand auch das Abschwö­ren wäh­rend einer öffent­li­chen Urteils­ver­kün­dung statt.

Das Abschwö­ren war gewöhn­lich mit Neben­stra­fen ver­bun­den. Dies waren Geld­bu­ßen, die Ver­pflich­tung, den San­be­ni­to in der Öffent­lich­keit zu tra­gen, oder die Ver­ban­nung.“ („Auto­da­fé“, Wikipedia)