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ZeitGeister | Philosophische Praxis

Akademie für Philosophische Psychologie

Tag: Anerkennung

Die Urbanisierung der Seele

Die Urbanisierung der Seele. 

Über Zivilisation und Wildnis

Das Ewig-Weib­li­che als Motiv aller Moti­ve ist weit weni­ger bio­lo­gi­scher Natur, als gemein­hin ange­nom­men wird, denn gera­de die Geschlech­ter­rol­len sind eine Fol­ge der Zivi­li­sa­ti­on. Zuvor waren die Ver­hält­nis­se der Geschlech­ter stets anders arrangiert.

Heinz-Ulrich Nennen: Die Urbanisierung der Seele.

Heinz-Ulrich Nen­nen: Die Urba­ni­sie­rung der See­le. Über Zivi­li­sa­ti­on und Wild­nis; (Zeit­Gei­ster 2). tre­di­ti­on, Ham­burg. 312 S. – Paper­back 18,99 €, ISBN: 978–3‑7482–1319‑2. Hard­co­ver 28,99 €, ISBN: 978–3‑7482–1320‑8. Erschei­nungs­da­tum: 07.03.2019

Wild­beu­ter sind nicht sess­haft, daher wäre es unsin­nig, Besitz­tü­mer anzu­häu­fen und ver­er­ben zu wol­len. Inso­fern ist auch nicht das Haben, son­dern das Sein ent­schei­dend, wenn und wo es um Aner­ken­nung geht. – Unter den Bedin­gun­gen der Zivi­li­sa­ti­on geht es jedoch um Besitz und Sta­tus, vor allem in Bezug auf Frau­en, was sich anhand von Alle­go­rien über Weib­lich­keit demon­trie­ren läßt. Pan­do­ra steht sym­bo­lisch für die Ver­lockun­gen, Fol­gen und Neben­fol­gen im Pro­zess der Zivi­li­sa­ti­on. Aphro­di­te ver­kör­pert als Göt­tin der Lie­be den Ver­drän­gungs-Wett­be­werb unter Frau­en und die Ent­schie­den­heit, im Zwei­fels­fall alles ein­zu­set­zen. Der­weil steht die schö­ne Hele­na für das Schick­sal, im Spiel der Mäch­te zum wil­len­lo­sen Opfer und zur schö­nen Beu­te gemacht zu wer­den, um als Trumpf, Tro­phäe, viel­leicht sogar im Tri­umph gewalt­sam genom­men zu wer­den. Es gibt eine Foto­gra­fie, die minu­ti­ös von Fried­rich Nietz­sche gegen den Ein­spruch der Betei­lig­ten arran­giert wor­den ist. – Lou Andre­as-Salo­mé hat Fried­rich Nietz­sche und Paul Rée vor ihren Kar­ren gespannt. So könn­te eine Inter­pre­ta­ti­on lau­ten, zumal die Begehr­te kurz zuvor die Hei­rats­an­trä­ge bei­der Män­ner abge­lehnt hat­te. – Es mag sein, dass Nietz­sche sich von die­ser ent­täu­schen­den Lie­be inspi­rie­ren ließ. Aber neben der bio­gra­phi­schen Inter­pre­ta­ti­on ist eine ande­re noch tief­grün­di­ger, es geht um das Motiv aller Moti­ve. Das berühm­te Foto spot­tet jeder land­läu­fi­gen Inter­pre­ta­ti­on des gemei­nen Spruchs: »Wenn Du zum Wei­be gehst, ver­giss die Peit­sche nicht«. Gera­de die­ser Satz hat Nietz­sche in Ver­ruf gebracht. Betrach­tet man aber das Foto genau­er, so zeigt sich, wer hier die Peit­sche führt: Es ist das Weib. 


Alle Bän­de der Rei­he Zeit­Gei­ster erschei­nen bei tre­di­ti­on – wer­den aber auch hier suk­zes­si­ve zum Down­load frei­ge­ge­ben. 

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Anerkennung, Macht, Liebe

Hauptseminar: Anerkennung, Macht, Liebe

SS 2019 | Donnerstags | 11:30–13:00 Uhr | Raum: 30.91–009

Beginn: 25. April 2019 | Ende: 25. Juli 2019

John William Waterhouse: Cleopatra. Privatsammlung. Quelle: Public Domain via Wikimedia.

John Wil­liam Water­hou­se: Cleo­pa­tra. Pri­vat­samm­lung. Quel­le: Public Domain via Wikimedia.

Ech­te Aner­ken­nung ist nicht nur sozi­al, son­dern auch psy­cho­lo­gisch von erheb­li­cher Bedeu­tung. Aner­ken­nung bestä­tigt nicht nur, sie schafft Iden­ti­tät. Sie wirkt hoch moti­vie­rend, ihre Ver­wei­ge­rung dage­gen ver­stö­rend. Das Aus­ge­schlos­sen­sein von jeder Form der Aner­ken­nung ist hoch­pro­ble­ma­tisch. — Die Psy­che eines jeden Indi­vi­du­ums muß dar­auf set­zen, für ande­re von Bedeu­tung zu sein. Sozia­le Iso­la­ti­on steht als Todes­ur­sa­che an erster Stelle.

Wie wich­tig authen­ti­sche Aner­ken­nung tat­säch­lich ist, wird deut­lich anhand der Dia­lek­tik jener zwei­er Selbst­be­wußts­ei­ne, die bei Hegel ein­an­der begeg­nen, weil sie, ein jedes für sich, nicht in der Lage sind, die ent­schei­den­de Aner­ken­nung zu fin­den, eine, die zählt, die gel­ten, die etwas wert sein soll. — Wir legen also nicht von unge­fähr ganz beson­ders Wert dar­auf, nicht nur wofür, son­dern auch, von wem wir die für unser Selbst­be­wußt­sein so lebens­wich­ti­ge Aner­ken­nung erhal­ten. Pro­ble­ma­tisch ist Bei­fall von der fal­schen Sei­te, über­haupt ist es leich­ter, mit Kri­tik umzu­ge­hen, nicht aber mit Lob.

Wenn Aner­ken­nung wirk­lich ›zäh­len‹ soll, dann muß sie unab­hän­gig, fast frei­mü­tig, ohne jede Berech­nung und vor allem ohne Hin­ter­ge­dan­ken ein­ge­räumt, gewährt, ja gera­de­zu auf­ge­nö­tigt wer­den. Sie muß fer­ner vor­ge­bracht wor­den sein von jeman­dem, an des­sen Urteil einem liegt. — Augen­hö­he ist ent­schei­dend. Das geht bis weit in theo­lo­gi­sche Spe­ku­la­tio­nen: Gott habe den Men­schen erschaf­fen, um ein Gegen­über, einen ernst­zu­neh­men­den Kri­ti­ker zu haben, der unab­hän­gig und urteils­fä­hig genug ist, auch fun­da­men­ta­le Schöp­fungs­kri­tik zu betrei­ben. Es genügt eben nicht, wenn ein Schöp­fer tag­täg­lich stolz auf sein Werk ist, um sich immer­zu selbst zu bekun­den, daß alles gut sei.

John Wil­liam Water­hou­se: Cleo­pa­tra. Pri­vat­samm­lung. Quel­le: Public Domain via Wikimedia.

Jeder Zwei­fel an der Authen­ti­zi­tät von Aner­ken­nung offen­bart gera­de in der Lie­be einen unhei­li­gen Kern. Die Tra­gi­ko­mö­die beginnt, sobald nach dem War­um einer Lie­be gefragt wird. Das Pro­blem liegt dar­in, daß kein ›Grund‹ die­sen Zwei­fel wür­de je wie­der aus der Welt schaf­fen kön­nen. Das­sel­be gilt übri­gens auch für die Eifer­sucht, deren Ver­dacht eben­so­we­nig aus­ge­räumt wer­den kann. — Tat­säch­lich han­delt es sich in bei­den Fäl­len nicht um den Aus­druck des Zwei­fels am Ande­ren, son­dern viel­mehr um mani­fe­ste Selbst­zwei­fel, die mit dem ande­ren eigent­lich gar nichts zu tun haben.

Aner­ken­nung setzt nicht nur ein ehr­li­ches Urteil vor­aus, son­dern eben auch ein gesun­des Selbst­be­wußt­sein. Wer jedoch zwei­felt, tat­säch­lich aner­kannt oder gar geliebt zu wer­den, wird die Last sämt­li­cher Zwei­fels­fäl­le selbst abar­bei­ten müs­sen. — Tat­säch­lich haben die ›Grün­de‹ für sol­che Dis­po­si­tio­nen kaum etwas mit der Gegen­wart zu tun, sie rei­chen viel­mehr weit zurück und sind nicht sel­ten ›syste­misch‹ bedingt.

Wie die Aner­ken­nung, so hat auch die Lie­be zwei Sei­ten. Ent­schei­dend ist der Unter­schied zwi­schen Lie­ben und Geliebt­wer­den. Pla­ton zufol­ge zählt eigent­lich nur täti­ge Lie­be, weit weni­ger dage­gen das Geliebt­wer­den, denn nur dann ist der hei­li­ge Wahn inspi­rie­rend genug, so daß einem wie­der neue Feder nach­wach­sen, um zusam­men mit den Göt­tern zum Ideen­him­mel aufzusteigen.

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Über Narziß, Adoleszenz und Anerkennung

Der zerbrochene Spiegel 

Wir wis­sen nicht, was Nar­ziß auf der spie­geln­den Was­ser­ober­flä­che gese­hen haben mag. Der Mythos vom Nar­ziß the­ma­ti­siert weit mehr als den dumm­drei­sten Nar­ziß­mus eines Selbst­ver­lieb­ten; wäre dem so, der Nar­ziß wäre kaum der Rede wert. — Tat­säch­lich geht es um etwas ande­res: Das Geheim­nis mensch­li­chen Bewußt­seins, das sich selbst spie­gelt, um sich sei­ner selbst gewiß zu wer­den, ist erst der Anfang einer lan­gen Rei­se ins eige­ne Innere.

Die bei­den Haupt­fi­gu­ren in die­sem Mythos haben bemer­kens­wer­te Han­di­kaps, so daß sie ein­an­der nicht begeg­nen kön­nen. Alles beginnt mit der Nym­phe Echo, die von Zeus ani­miert wor­den ist, Hera nach Art der Sche­he­re­za­de mit unend­li­chen Geschich­ten von den Amou­ren des Gemahls abzu­len­ken, ins­be­son­de­re wenn die­ser wie­der ein­mal bei den Nym­phen weilt. Die oft rasend eifer­süch­ti­ge Hera ist bereits im Begriff, ihren Gat­ten in fla­gran­ti zu über­füh­ren, aber die geschwät­zi­ge Echo hält sie davon ab, indem sie wei­ter und wei­ter redet.

Nach­dem Hera das Spiel durch­schaut hat, bestraft sie Echo, die nun­mehr erst zu dem wird, was ihr Name bereits über sie aus­sagt. Es wird der Nym­phe genom­men, was sie miß­braucht hat, um die Göt­tin hin­ters Licht zu füh­ren: Hera nimmt ihr die Fähig­keit eige­ner Rede, so daß sie nicht mehr von sich aus spre­chen, son­dern nur wie­der­ho­len kann, was sie hört. Von sich aus kann sie fort­an gar nicht mehr spre­chen, es bleibt ihr nur noch, die letz­ten Wor­te ledig­lich zu wie­der­ho­len, — ein fata­les Han­di­kap, ins­be­son­de­re wenn sie dem Nar­ziß ihre Lie­be geste­hen will.

Eines Tages wird Nar­ziß auf der Jagd von sei­nen Gesel­len getrennt. Er gerät in eine son­der­ba­re Land­schaft am Heli­kon, die von der Nym­phe Echo beseelt wird. Sobald die­se den jun­gen Mann erblickt, wird sie sogleich in Lie­be erglü­hen. Aber sie kann sich nicht äußern, um ihm ihre Lie­be zu geste­hen. Also folgt sie ihm heim­lich, um ihm bei Gele­gen­heit näher zu kommen…


Vorlesungen und Seminare